(www.conservo.wordpress.com)
von ARMIN LANGROUDI *)
„Weshalb der Islam mit dem Grundgesetz kompatibel ist“, hat FAZ-Redakteur Rainer Hermann am 13. April 2018 durch eine Auslegung von Sure 7, Vers 199 des Korans zu belegen versucht. Wir haben den Islam-Experten Armin Langroudi um einen Kommentar gebeten.
Rainer Hermann will nachweisen, dass der Islam a) tolerant und b) vertragsgebunden ist. (1) Zum Beweis zieht er zwei Koranstellen heran, obwohl er selbst zu bedenken gibt, dass »es schwierig sei, Begriffe aus dem 7. Jahrhundert in der Welt von heute zu verstehen«.
Im koranischen Wirrwarr finden sich viele Passagen, die – aus dem Zusammenhang gerissen – sehr unterschiedlich ausdeutbar sind. Der Koran ist ein Buch voller Widersprüche. Aber gerade das kommt Rainer Hermann zupass. Er entdeckt in einem Vers (2) drei Begriffe ([khudh] al-afw: nachsichtig sein (3), I’rad [ane al-Dschahelin]: Meiden [von Torheit] und [amr-e bel-]urf: Tradition und Recht [zu befolgen]). Diese Begriffe legen es Muslimen – in einem nicht-islamischen Land – vermeintlich nahe, das »nicht-islamische Recht zu befolgen und die Schari‘a nicht über dieses Recht zu stellen«.Um diese Übersetzung und die erwünschte Auslegung zu erhalten, musste Rainer Hermann gleichsam das Essen rund um den Nacken zum Mund führen. Nach dieser Logik hält er die Anwendung der Schari‘a in den islamischen Ländern für unproblematisch; nur in Europa muss sie »kompatibel« werden. Dass diese Unterscheidung unter den Muslimen keine Anhänger findet, hat viele Gründe, aber zu diesen gehört nicht, dass sie – wie Hermann schreibt – religiöse Analphabeten sind.
Aus welchen Koranstellen darf man zitieren?
Da wir im Koran an manchen Stellen, im Widerspruch zur gesamten islamischen Ideologie, friedliche Verse finden, weisen wir auf die »Abrogationsregel(4)« hin, die Hermann seinen Lesern vorenthält: Zur Beseitigung [koranischer] Widersprüche hat sich die Tradition eine einfache Regelung, genannt Abrogation, einfallen lassen. Sie legt fest, dass zeitlich später verfasste Verse die Geltung der früheren (älteren) aufheben.(5)
Die Sure, aus der Hermann zitiert, gehört zu den »mekkanischen« Versen und beinhaltet u.a. die Prophetengeschichten von Hūd, Lot, Schuʿayb, Noah, Mose und Salih. (Der Letztere findet seine Wurzel in antiken assyrischen, griechischen und arabischen Texten.) Die islamische Tradition wiederholt zwar die biblischen Geschichten, erkennt aber die Geltung der über diese Geschichten verbreiteten Botschaft nicht an. Zur Verdeutlichung dieser Regel: Die sogenannten mekkanischen Verse werden (wissenschaftlich, nicht traditionell betrachtet) als der antike Teil des Korans verstanden, gehören zur syrisch-christlichen Tradition und sind nichts anderes als eine aramäische Wiedergabe des Alten und Neuen Testaments (daher der aramäische Name »Koran« = Wiedergabe, Erzählung).
»Der Islam resultierte aus einer frühchristlichen Strömung zu einer neuen Religion und entwickelte sich in Abhängigkeit von der geopolitischen Situation des mesopotamischen Raums.«(6) Zur Legitimation der neuen Religion gehörte eben die Abnabelung von ihren jüdisch-christlichen Wurzeln. Dabei entstanden Widersprüche zwischen dem antiken Koran und allen später – bis zum 9. Jahrhundert – geschriebenen, gewaltorientierten Suren. Um den neuen (aggressiven) Teil zu legitimieren, wurde die Abrogationsregel geschaffen. Deutlich wird das z.B. an den Passagen zum Alkoholkonsum: In der Sure 16;67, die zum mekkanischen Teil des Korans gehört, wird der Weingenuss als Gottesgeschenk verherrlicht, während er in den später geschriebenen Suren 2;219 und 5;90 als »schwere Sünde« verfemt wird. Rainer Hermann sollte versuchen, einen gläubigen Muslim finden, der den Weinkonsum gemäß dem erstgenannten Vers für erlaubt hält. Die friedlichen Stellen werden jeweils von mehreren „medinischen“ Versen außer Kraft gesetzt.(7) Um den Islam richtig einzuschätzen, sollte man aus den frühen Suren keinen einzigen Vers zitieren.
Vertrag?
Rainer Hermann schreibt: »So ist der Islam eine Religion, die stark in vertraglichen Bindungen denkt.«(8) Die erste Frage zum Thema »Vertrag« müsste sein: Zwischen wem und wem wird er geschlossen? In dieser Sure geht es hauptsächlich um die Juden (und Christen) und deren Vertrag mit Gott (wörtlich: Allahs Verordnung [Ende vom Vers 1 & im Vers 32]). Der Koran fordert sie auf, den Vertrag zu respektieren.(9) Man sollte aber den Vers und die nachfolgenden Verse zu Ende lesen: Gott erlaubt es den Menschen, gewisse (gute) Dinge zu konsumieren, und im Gegenzug sollen die Menschen Gottes Verbote respektieren. In diesem Vers geht es keinesfalls um einen von Menschen ausgehandelten Vertrag.
Aber wenn wir von Rainer Hermanns Fehldeutung ausgehen, müssen wir uns fragen: Warum verzichtet der Westen auf jeglichen Vertrag mit den eingewanderten Muslimen zur Bekräftigung ebenjener positiven Islam-Deutung? Bei jedem Kauf von Software oder Apps schließen wir Verträge ab – warum nicht beim Erteilen einer Aufenthaltsgenehmigung? Die zugewanderten Muslime könnten dazu aufgefordert werden, auf die Anwendung der Gebote der Schari’a zu verzichten. Ein solcher Vertrag könnte bestimmte Integrationsregeln enthalten und demokratie- und menschenrechtswidrige religiöse Vorschriften für unvereinbar mit einem Aufenthalt in Europa erklären, bezogen auf das Verhältnis zwischen Religion und öffentlichem Leben, bezogen auf Meinungsfreiheit, Wahlrecht, Frauenrechte, Kinderrechte, Zwangsverschleierung, Apostasie, Antisemitismus, Kinderehe, Polygamie u.a..(10)
Eine nur bekenntnishafte Akzeptanz des Grundgesetzes und ein formeller Verzicht auf die Anwendung der Schari’a – sowie Rainer Hermann es mit einer einfachen »Unterschrift für den Visumsantrag« erledigen möchte –, reichen jedenfalls nicht aus. Vielmehr müssten im Fall eines Vertragsbruchs bestimmte Sanktionen – Entzug des Aufenthaltsrechts, Abschiebung o.a. – verhängt werden. Immerhin hat im Islam eine weitere Regel prinzipielle Geltung, die es den Muslimen erlaubt, gegenüber Ungläubigen ihre wahren Absichten zu verheimlichen (Tagiyyah). Sie legitimiert eine Täuschungsstrategie, die von islamischen Vereinen in Europa tagtäglich praktiziert wird.
Der künstliche Begriff »Islamwissenschaft« wäre neu zu definieren: Sie erarbeitet ein politisch opportunes Verständnis vom Islam. Aber in wessen Auftrag? Vor zehn Jahren hat man die AKP als modernisierende Kraft in der Türkei bezeichnet. Heute preist Rainer Hermann die Vertragstreue der Muslimbrüder. Zu klären bleibt dann nur noch, wofür die Petrodollars der Golfstaaten im Westen verwendet werden: »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.«
Fußnoten:
- FAZ; 13.04.2018: »Weshalb der Islam mit dem Grundgesetz kompatibel ist« von Rainer Hermann.
- »Sei nachsichtig und gebiete, was recht ist. Und meide die Unwissenden« (Koran; Sure 7, Vers 199)
- Manipulierte Übersetzung von Hermann: „Das Gute einer Sache zu (über)nehmen“ …
- Siehe Armin Langroudi: »Islam, der verflossene Friede«, in: TUMULT, Ausgabe Frühjahr 2016, S. 33–38.
- »Und nun, da Wir eine Botschaft durch eine andere ersetzen – da Gott vollständige Kenntnis hat von dem, was Er Schritt für Schritt herabsendet.« (Koran; Sure 16, Verse 101 – siehe auch Sure 2; Vers 106)
- Langroudi: a.a.O.
- »Kämpfet wider diejenigen aus dem Volk der Schrift, die nicht an Allah und an den Jüngsten Tag glauben und die nicht als unerlaubt erachten, was Allah und Sein Gesandter als unerlaubt erklärt haben […], bis sie aus freien Stücken (?) den Tribut entrichten (so genannt „Dschizya“ / Autor) und ihre Unterwerfung anerkennen.« (Koran 9;29)
- »Oh ihr, die ihr glaubt, haltet die Verträge ein.« (Koran 5;1)
- »Wahrlich, Allah hatte einen Bund mit den Kindern Israels geschlossen […]. Weil sie ihren Bund brachen, haben Wir sie verflucht und haben ihre Herzen verhärtet.« (Dieselbe Sure; 12 bis 13)
- Siehe Armin Langroudi: »Islam der Mitte. Das Dilemma Europas in seinem Verhältnis zum Islam«, in: TUMULT, Ausgabe Winter 2017/18, S. 85–89.
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