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Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)
Die intensive Nabelschau Deutschlands in 2019 hat den Blick vieler Deutscher auf die sicherheitspolitischen Entwicklungen der Welt verstellt. Die direkten und indirekten Auswirkungen auf Deutschland wurden und werden zu spät erkannt. Daraus resultiert eine hektisch bis panische Reaktion.
Es gibt in Deutschland, und weiten Teilen Europas, keine kohärente Sicherheits- und Außenpolitik – geschweige denn in der EU. Das beste Beispiel ist die fehlende Gesamtstrategie in den Fragen der Migration und Integration sowie der Sicherheitspolitik.
Die steigende Zahl illegaler Einreisen durch die Luft nimmt zu. Die Überwachung an den nationalen EU-Außengrenzen ist unzureichend.
Auffallend ist hingegen die Zunahme von Katastrophenmeldungen aus aller Welt. Sie schüren Ängste – vor allem vor Kriegen, führen zu Unsicherheit und Ohnmachtsgefühlen.
Klimahysterie
Das Unwort des Jahres „Klimahysterie“ beschreibt die Stimmungslage vieler Menschen – besonders in Deutschland – zutreffend.Dazu tragen auch erschreckende Bilder von Waldbränden in dem fernen Australien bei, das seit Jahrhunderten auch als „Feuerkontinent“ bezeichnet wird. Die Ureinwohner haben z.B. das leicht entflammbare Unterholz mit Feuer gezielt gerodet. Die meisten Baumarten in Australien sind feuerresistent. Der Wildwuchs des leicht entflammbaren Unterholzes, das auf Verlangen der „Umweltschützer“ nicht mehr gerodet werden darf, wurde in Kombination mit starken Winden zum Verhängnis und zur Naturkatastrophe in weiten Teilen Australiens mit rd. 50 toten Menschen und rd. einer Milliarde toter Tiere. Die Existenzen vieler Australier wurden zerstört– auch durch das Verbrennen ihrer Häuser, Werkstätten und Fabriken.
Der australische Feuerökologe Stephen Pyne hatte seit Jahren vor dieser absehbaren verhängnisvollen Entwicklung gewarnt. Er wurde nicht gehört.
Sein Spiegelinterview (s. „Spiegel“ vom 18.1.2020) hat den provozierenden Titel: “ Was Australien braucht, sind mehr Brände“.
Es sollte eine Lehre für uns alle sein, verfügbare Fakten systematisch zu sammeln und auszuwerten.
Auch in Deutschland wird das Unterholz nicht mehr beseitigt. Es fehlen oft auch genügend breite Brandschneisen.
Es werden nun einige Länder und Regionen betrachtet, die für das Export- und Importland Deutschland von besonderer Bedeutung sind.
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika
Das Jahr 2020 ist für die USA von besonderer Bedeutung.
Da findet seit einigen Tagen das Impeachmentverfahren statt. Die oppositionellen Demokraten wollen Donald Trump aus seinem Amt klagen. Die Erfolgsaussichten sind überschaubar, da jetzt das Verfahren im Senat verhandelt wird, in dem die Republikaner eine deutliche Mehrheit haben.
Sollten die Demokraten „verlieren“, wird es für sie schwer werden, Kandidaten und -innen zu finden, die Trumps Wiederwahl gefährden könnten.
Die Fakten sprechen für Trump: Er hat die Unterstützung der Wähler, die ihn vor 3,5 Jahren gewählt haben, die Zahl der Beschäftigten ist weiter gestiegen – auch durch die Rückkehr etlicher Produktionsstätten aus Asien in die USA.
Seine bisherigen Wähler begrüßen seine Entscheidungen von dem Ausstieg aus dem Nuklearabkommen – kein Vertrag mit dem Iran, der eine Farce war, einem ersten Abkommen (Handelsabkommen) mit China und einem neuen Wirtschaftsabkommen mit Kanada und Mexiko.
Er hat auch mit seinem Vorhaben des Baus einer Mauer zu Mexiko begonnen.
Trotz der Aufrüstung Chinas sind die USA Militärmacht Nr.1 in der Welt geblieben.
Es besteht zwischen den USA und China ein ähnliches Verhältnis – „Gleichgewicht des Schreckens“ – wie es das früher mit Russland gab.
Warum sollen beide einen Krieg gegeneinander führen – nachdem sie es ohne Krieg zur Weltmacht gebracht haben?
Dennoch, Kriege sind global und regional nicht ausgeschlossen – durch menschliches oder technisches Versagen.
Es besteht jedoch geringe Gefahr für einen „großen“ Krieg, vor dem es in Deutschland immer wieder große Angst gibt.
Das gilt in Deutschland auch vor einem Krieg zwischen den USA und Iran.
Nach der Tötung des iranischen Führers aller iranischen Kräfte außerhalb des Iran, General Suleimany, kam es zu begrenzten militärischen Schlägen des Iran gegen (gewarnte?) amerikanische Stellungen – ohne menschliche Verluste.
Der Iran brauchte einige Tage, um den Abschuß der ukrainischen Passagiermaschine in der Nähe des Teheraner Flughafens mit über hundert Toten zu gestehen.
Erstaunlich war die große Empörung der iranischen Bevölkerung – besonders der Jugend. Sie fühlte sich belogen und betrogen durch die kläglichen Versuche der Leugnung und Vertuschung des Abschusses durch die iranische Führung.
Wenn die Spannungen auf niedrigem Level bleiben, werden beide Seiten kein Interesse haben, den Konflikt zu eskalieren.
Etliche „Westeuropäer“ äußern öffentlich Zweifel an der Bündnissolidarität der USA.
Das klingt nach dem Ruf „Haltet den Dieb“. Besonders die Mittelosteuropäer betonen die umfangreiche politische und militärische Unterstützung der USA in ihren Ländern. Sie stellen das Gros der Soldaten in multinationalen Übungen in ihrer Region.
Deutsche Politiker sollten sich an dieser Diskussion zurückhaltend beteiligen. Wie steht es um die Bündnissolidarität des reichen Deutschlands, das nicht willens ist, die Verteidigungsausgaben bis 2024 bis auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen, obwohl die Bundeswehr personell und materiell nur „bedingt einsatzbereit“ ist?
Die Verteidigungsministerin scheint den Zustand nicht zu kennen, sonst würde sie nicht um weitere oder Aufstockung laufender Einsätze geradezu „betteln“ – siehe Libyen und Mali.
Die Baustellen Chinas
Die aktuelle Baustelle bildet der Coronavirus, der sich von China in die Welt ausbreitet – auch begünstigt durch die globale Vernetzung des Globus mit zahllosen Flugverbindungen.
Die jüngste Meldung einer Infektion kommt aus Kanada.
Forscher in aller Welt versuchen, den Virus zu identifizieren und Gegenimpfstoffe zu entwickeln.
Im Lande hat China vielfältige Maßnahmen ergriffen, den Virus geographisch einzudämmen. Städte mit hohen zweistelligen Einwohnerzahlen sind unter Quarantäne gestellt worden. Krankenhäuser schießen in Tagen in die Höhe.
Man kann hoffen, dass aus der Epidemie in China keine globale Pandemie wird.
Derzeit ist das öffentliche China in Wirtschaft, Bürokratie und Verkehr weitgehend lahmgelegt.
Diese Epidemie trifft China in einem ungünstigen Zeitpunkt.
Im Jahre 2019 hat sich das Wirtschaftswachstum verringert, wenn man den offiziellen Zahlen Glauben schenken darf. Es sind politische Zahlen.
Das Problem mit den Uiguren ist 2019 in das Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit geraten.
Von den 10 Millionen Einwohnern der Provinz ist über eine Million in sog. “Umerziehungslagern“ eingesperrt – meistens ohne Gerichtsurteil und unbefristet. Die Familienangehörigen wissen nicht, wo sich die Inhaftierten aufhalten.
Die Provinz Xinjang ist die Planpause für den kompletten Überwachungsstaat China – und damit auch ein Unrechtsstaat. Die Menschen und Firmen werden durch modernste Technologie rund um die Uhr erfasst. Ihr Wohl- oder Fehlverhalten wird auf einem persönlichen Punktekonto positiv oder negativ festgehalten und bewertet. Diese Bewertung kann zu Beförderungen in der Parteihierarchie führen oder zu Herabsetzung und Sanktionen. Das kann ein Hausarrest sein oder ein Reiseverbot mit Fernzügen. Das System ist sehr einfallsreich.
Taiwan ist ein Problem für China, das Taiwan als „abtrünnige chinesische Provinz“ bezeichnet und an seinem Anspruch auf Wiedereingliederung Taiwans festhält – im Extremfall auch mit militärischen Mitteln.
Die jüngsten Wahlen in Taiwan haben die anti-chinesische Haltung auf der Insel verstärkt. Die Taiwanesen sind stolz auf ihre wirtschaftliche Stärke.
Ihre Unabhängigkeit wird durch die USA, Japan und Südkorea garantiert.
Der starke Widerstand – besonders der jugendlichen – Bevölkerung gegen die Marionettenregierung
in Hongkong, der durch den Virusvorfall eine Zwangspause einlegen musste, hat Chinas Ruf in der Welt geschadet. Xi Jinping hat nicht mit offenem Eingriff reagiert. Er wollte keine weltweite Berichterstattung mit grausamen Bildern – wie bei dem Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ im Jahre 1989.
Ein internationaler Konfliktherd bleibt das „Südchinesische Meer“, das China als chinesisches Binnenmeer betrachtet– trotz eines gegenteiligen Urteils des internationalen Schiedsgerichthofes in Den Haag.
China untermauert seinen Anspruch durch das Aufschütten künstlicher Inseln, die zur militärischen
Aufrüstung genutzt werden.
Es gibt immer wieder Zwischenfälle zwischen der chinesischen Marine und den Fischern der Anrainerstaaten, die sich unter den Schutzschirm der USA begeben haben.
Dieser Konflikt könnte zu begrenzten lokalen und regionalen Kriegen führen. Eine Blockade durch das Südchinesische Meer hätte Auswirkungen auf den Welthandel, da ein großer Teil des Welthandels durch das Südchinesische Meer und die Straße von Malakka führt.
Die Rivalität zwischen den beiden führenden Weltmächten USA und China wird den Verlauf der nächsten Jahre bestimmen.
Beide haben jedoch kein Interesse, gegeneinander Krieg zu führen.
Indien – droht ein interner religiöser Konflikt?
Beobachter der dritten Weltmacht blicken mit Sorgen auf Indien.
Premierminister Modi – ein strenger Hindu – wurde in Indien mit großen Erwartungen gewählt und wiedergewählt.
Er war der erfolgreiche Gouverneur in dem erfolgreichsten Bundesstaat Gujarrat.
Seine Partei besitzt – bis auf Ausnahmen – eine klare Mehrheit in allen Bundesstaaten.
Dennoch wächst die Enttäuschung über Modi.
Die Bevölkerung Indiens besteht zu 80 Prozent aus Hindus – bei nur 13 Prozent Muslimen.
Ohne große Not bekämpft Modi die muslimische Minderheit. Er bedroht den inneren Frieden Indiens.
Modis besondere Probleme
- Er hat es nicht geschafft, genügend weitere Arbeitsplätze für jährlich Millionen Neugeborene zu schaffen.
- Die unteren Kasten leben in Armut.
- Es gibt immer wieder Meldungen über Selbstmorde von Bauern, die ihre Schulden nicht mehr bezahlen können.
- Die Weltstädte sind von Slums umgeben.
- Das Wirtschaftswachstum stagniert oder verlangsamt sich.
- Die Verkehrsinfrastruktur auf den Straßen und im Flugverkehr ist unterentwickelt.
- Das Bildungssystem kann die große Zahl von Analphabeten nicht reduzieren.
- Es besteht noch das Kastensystem, dass die Entwicklung eher verschleppt.
- Profiteure des Systems sind die reichen Hindus mit ihren Familien, die den Status quo nicht verändern wollen, aber ihren Kindern eine vorzügliche schulische und universitäre Bildung und Erziehung im Ausland bieten können.
Allerdings gibt es auch Lichtblicke – wie z.B. in der High-Tech-Industrie, bei den Dienstleistungen und der medizinischen Weltleistung.
Für Touristen ist Indien faszinierend mit seinen bunten Landschaften und den vielfältigen Kulturgütern.
Es ist zu hoffen, dass es Modi und seiner hinduistischen Umgebung gelingt, nicht nur mit seinem Bevölkerungszuwachs China zu überholen, sondern die internen ethischen und religiösen Konflikte zu mildern.
Indien ist ein wichtiger sicherheitspolitischer Partner des Westens, der die Expansionspolitik Chinas eindämmen und wichtige Seeverbindungswege zwischen Europa und den wichtigen Staaten Asiens sichern kann.
Was ist mit Russland?
In den letzten Tagen hat Wladimir Putin seinen Zugriff auf die zukünftige Führung des Landes vollzogen. Er hat sich nicht wie sein chinesischer Nachbar seinen derzeitigen Posten auf Lebenszeit sichern lassen.
Er will den Nationalen Sicherheitsrat, der bislang ein bescheidenes politisches Leben führt, mit großer Machtfülle ausstatten. Sein Partner Medvedev ist schon einmal zum dortigen Vize bestimmt worden. Einige Minister, die Putin nahestehen – wie der langjährige Außenminister Lawrow – hat Putin im Kabinett belassen.
Warum jetzt ?
Es gibt nicht wenige Beobachter im Kreml, die Putin bei den Wahlen 2024 keinen überwältigenden Sieg zutrauen.
Dazu könnte beitragen, dass Russlands Macht – und damit auch die von Putin in seinem jetzigen Amt – erste Risse bekommen würde, was der „strategischen Überdehnung“ geschuldet sein kann.
Putin-Russland hat nicht die Ressourcen, seine globalen Ambitionen nachhaltig zu unterfüttern.
Putin wird sich daran erinnern, dass die Sowjetunion vor bald 20 Jahren an ihrer damaligen „strategischen Überdehnung“ gescheitert ist.
Welche Rolle kann Europa spielen?
Zunächst ist zu wiederholen, dass die EU nicht mit Europa gleichzusetzen ist – siehe den Brexit.
Die EU ist sehr stark ambitioniert – siehe Frau von der Leyen und Emmanuel Macron – in mehreren Politikfeldern.
Es fehlt an dringenden gemeinsamen Entscheidungen – z.B. in der „ Flüchtlingspolitik“ und der Sicherheitspolitik – siehe militärische Auslandseinsätze, über die es sogar im deutschen Bundeskabinett kein Einvernehmen gibt. Außenminister Maas und die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer preschen vor mit persönlichen Vorschlägen vor ausländischen Mikrophonen ohne vorherige Abstimmung im Kabinett. Die Kanzlerin schweigt – zumindest öffentlich.
Die EU spielt auf der Weltbühne keine maßgebliche Rolle mehr. Nationale Vorstöße verpuffen.
Europa kann nur auf die Weltbühne zurückkehren, wenn es mehr Qualität zu bieten hat als die geschwächte EU.
Die Welt in Unordnung und Instabilität
Dieser bewusst gewählte Titel wird noch in einigen Jahren seine Berechtigung erweisen.
Wir müssen zum Überleben in Frieden und Freiheit mehr Gelassenheit ausüben und nüchtern die wesentlichen Einflussgrößen bewerten und die eigenen Erkenntnisse verbessern.
Dazu gehört ein politisches Frühwarnsystem in den wichtigsten europäischen Staaten – wie z.B. Großbritannien – und nationale Einrichtungen, die auf der Fachebene mit externen und ausländischen Partnern Kontakt halten.
Die Welt ist zu komplex und kompliziert, um sie Amateuren zu überlassen.
Wir brauchen nationale Führer, die Entscheidungsfreude und Durchsetzungsvermögen in ihrem Berufsleben erfolgreich bewiesen haben.
Nur solche Führer können mit Führern anderer Staaten in Augenhöhe verhandeln und aufkommende Krisen frühzeitig und gemeinsam lösen.