(www.conservo.wordpress.com)
VON DR.PHIL MEHRENS *)
Trump und Thüringen: Die linke Deutungshoheit schwindet. Markiert der 5. Februar 2020 eine Zeitenwende?
Eigentlich heißt das beliebte Gesellschaftsspiel »Mensch, ärgere dich nicht«, aber dann passiert es eben doch – immer wieder: Kurz vor dem Ziel wird ein Spieler von seinem Mitspieler vom Spielfeld gekegelt und wieder nach Hause geschickt. Wenn der Düpierte jetzt wütend auf den Tisch haut, den ärgerlichen Spielzug eine »Trickserei« nennt, die Figuren sämtlicher Mitspieler zu Fall bringt und so das ganze Spiel zerstört, dann beweist er damit eindrucksvoll, dass er erstens ein ganz schlechter Verlierer ist und zweitens – was viel schlimmer ist – die Spielidee nicht verinnerlicht hat, die darin besteht, sich eben nicht zu ärgern.
Dass die Vereinigten Staaten von Amerika und das Bundesland Thüringen am 5. Februar im Gleichschritt schlechte Verlierer verwandter politischer Lager zutage förderten, ist eine schicksalhafte Duplizität, die den beiden für sich genommen dem politischen Alltag zuzurechnenden Ereignissen einen symbolischen Mehrwert verleiht: als demonstratives Doppeldebakel der Linksideologen, das zum Fanal einer Trendwende im politischen Geschäft der westlichen Demokratien werden könnte.Da wäre also zum einen der erbärmliche Auftritt von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die vor laufenden Kameras ein Manuskript der Rede Donald Trumps zur Lage der Nation zerriss, weil ihr das, was der höchste Amtsträger des Staates, dem sie zu dienen vorgibt, in seiner Rede von sich gab, nicht zusagte. Zugegeben, es war keine ganz einfache Woche für die Partei der Demokraten, der Pelosi angehört: steigende Zustimmungswerte für Donald Trump, Vorwahldebakel in Iowa, Amtsenthebungsverfahren krachend gescheitert. Da liegen dann schon mal die Nerven blank und man lässt sich hinreißen, politische Differenzen nicht mehr mit Argumenten auszutragen, sondern wie schlecht erzogene Erstklässler: Wer erinnert sich nicht an garstige Heulsusen, die voller Wut gegens Schienbein traten, an den Haaren rissen oder eben Papier zerfetzten, wenn sie sich anders nicht mehr zu helfen wussten! Pelosi, das beweist ihr würdeloser Kontrollverlust, weiß, dass sie Donald Trump nicht gewachsen ist. Dass ihr politischer Erzfeind in den letzten Tagen einen Wirkungstreffer nach dem anderen erzielt hat. Der Hieb, der sie vermutlich am empfindlichsten trifft: Trump wird nicht müde, die Demokraten als Sozialisten zu denunzieren, als linke Demagogen.
Das ist das Stichwort für einen Schwenk nach Deutschland, nach Thüringen. Denn dort hat ein sozialistischer Ministerpräsident, dessen Regierung nach allen Regeln der Demokratie vom Souverän abgewählt worden ist, den Versuch unternommen, dem Wähler ein Schnippchen zu schlagen und einfach trotzdem irgendwie im Amt zu bleiben. Ist leider schief gegangen. Und ganz offensichtlich sitzt dort im Thüringer Landtag eine Seelenverwandte von Nancy Pelosi mit den gleichen infantilen Erstklässler-Manieren: Die Landeschefin der Liste Links Thüringen knallte einem nach demokratischen Gepflogenheiten ins Amt gewählten Ministerpräsidenten – dem FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich – die Glückwunschblumen vor die Füße. Man fühlt sich erinnert an die notorisch überforderte Susanne Klickerklacker aus der Sesamstraße, der ihre schlechten Nerven auch so manchen Streich spielten. Auch Kemmerichs gescheiterter Gegenkandidat zeigte sich als schlechter Verlierer: Eine »widerliche Scharade« nannte Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow die parlamentarische Abstimmung und veröffentlichte auf Twitter ein Hitler-Zitat, mit dem er offensichtlich zum Ausdruck bringen möchte: Wenn Linke zu Ministerpräsidenten gewählt werden, obwohl es im Parlament keine linke Mehrheit gibt, ist alles in Butter; wenn ein anderer Kandidat gewählt wird, ist das Hitler. »Life according to leftists«, würde Trump dazu vermutlich twittern.
Enttäuschung nach politischen Niederlagen ist normal und verständlich. Auch dass jemand sich in der ersten Erregung – wie seinerzeit Gerhard Schröder nach der verlorenen Bundestagswahl 2005 – mal verrennt, ist verständlich und – mit der nötigen Distanz – verzeihlich. Problematisch und, ja, auch gefährlich wird es dann, wenn die Unterlegenen erkennen lassen, dass sie den Spielgedanken der Demokratie nicht verinnerlicht haben, wenn die Enttäuschung über einen Wahlausgang in Respektlosigkeit gegenüber der Demokratie umschlägt.
Demokratie kann nur funktionieren, wenn der Respekt vor dem Souverän, dem Wähler, gewahrt bleibt. Fasst man Demokratie so auf, wie sie gemeint ist, als Übertragung von Exekutivgewalt, die der Souverän, das Volk, nicht selbst ausüben kann, auf politisches Fachpersonal, dann ist die Rollenverteilung klar: Die Polit-Kaste ist Diener des Volkes, nicht sein Erzieher. Die Aufgabe der Politiker in einer Demokratie besteht also nicht darin, den Wähler auf Kurs zu bringen, bis er endlich so abstimmt, wie es ihnen passt, ihre Aufgabe ist es, den Willen des Wählers stellvertretend umzusetzen. Vor diesem Hintergrund sind die Reaktionen aus den Parteizentralen, einschließlich der von Markus Söder, der sich empört über die latente Zusammenarbeit von CDU und AfD zeigte, Annegret Kramp-Karrenbauer, die Neuwahlen forderte, besorgniserregend. Auch Kanzlerin Merkel verlangte sogleich die Revision eines demokratischen Prozesses und begründete dies in einer Perversion demokratischer Grundbegriffe ausgerechnet mit Sorge um die Demokratie.
Die Schlechte-Verlierer-Reaktion von Linken, SPD und Grünen hinwiederum wirft ein entlarvendes Licht auf das linke Lager, das im Grunde nie richtig in der Demokratie angekommen ist, weil Ideologie bei ihm stets vor Volkssouveränität rangiert und es politische Lösungen, die keinen radikalen Umbau der Gesellschaft nach sozialistischen Vorgaben vorsehen, bestenfalls für vorläufig hält. Die Reaktion auf die Wahl Kemmerichs offenbart, dass Linke überhaupt nicht an Mehrheitsentscheidungen glauben und sie letztlich auch nicht wollen. Jede Form des Sozialismus sieht schließlich vor, dass politische Ämter aufgrund der richtigen Gesinnung besetzt werden. Vorbild sind die Arbeiter- und Soldatenräte in der Sowjetunion. Natürlich wollte auch Karl Marx Demokratie, aber natürlich keine, bei der am Ende etwas anderes herauskommt als Sozialismus. Auch er neigte dazu, das ganze Spielfeld abzuräumen, wenn sich die Anzeichen mehrten für einen nicht erwünschten Spielausgang. Er nannte das: Revolution.
Der Marsch durch die Institutionen, der Aufstieg der Grünen und die Mutation der SED-Erben zu bundesrepublikanischen Salonsozialisten, sie alle kannten immer nur ein Ziel: eine rote Republik mit grünen Farbtupfern. Mit dem Linksruck der Merkel-Ära haben Deutschlands linke Ideologen nun ein erstes Etappenziel erreicht, wenn auch anders als erhofft: Statt einer Mehrheit traditionell linker Parteien in den deutschen Parlamenten gibt es lediglich eine Mehrheit linker politischer Denk- und Handlungsmuster, weil Angela Merkel wie ein Staubsauger zentrale Politikziele der Linken zum eigenen Machterhalt aufgesogen und entweder zur CDU-Linie erklärt hat (wie bei den Themen Ökologie und Migration) oder mit dem für sie typischen Achselzucken hinnahm, als gingen sie sie nichts an (wie bei den Themen Homo-Ehe und Währungsstabilität). Das nährte in der bundesdeutschen Gesellschaft auf verhängnisvolle Weise den Irrglauben, dass (linker) Mehrheitskonsens identisch sei mit politischer Wahrheit, sodass nun legitime Opposition, die ja diesen Namen nur verdient, wenn sie auch wirklich in entschiedener Opposition zur Regierungsagenda steht, im polit-medialen Schulterschluss pauschal zu Ketzerei (»Faschismus«) erklärt werden konnte. Der damit einhergehende gesellschaftliche Konformitätsdruck, der sich darin äußert, dass die Mehrheit der Deutschen massive De-facto-Einschränkungen der Meinungsfreiheit wahrnimmt, ist (genau wie die Vorstellung von einer nicht in Frage zu stellenden politischen Wahrheit) typisch für eine Autokratie und atypisch für eine Demokratie. Auch der politisch einseitige spontane Protest mutmaßlich linker Aktivisten vor dem Thüringer Landtag und der FDP-Parteizentrale in der Hauptstadt ist eine direkte Konsequenz dieses Konformitätsdrucks und des Ketzerhasses. Auf einem Protestschild war zu lesen: »Demokratie gestorben am 5.2.2020«. Dieser Protest, der sich im Namen der Demokratie formiert, ist das Gegenteil von dem, was er zu sein vorgibt. Denn wer Demokratie will, kann nicht demokratischen Abstimmungen die Legitimation aberkennen, sobald das Ergebnis anders ausfällt, als von der eigenen Gesinnung vorgegeben.
Nancy Pelosi, Bodo Ramelow, Bernd Riexinger, Annalena Baerbock und ihre vielen Gesinnungsgenossen hüben wie drüben können nichts dafür. Ihre Reaktion ist die Folge einer unheilbaren linken Erbkrankheit, die mit den typischen Symptomen des Schlechte-Verlierer-Syndroms zum Ausbruch kommt. Zu wessen DNA es gehört, sich im Besitz der absoluten Wahrheit zu glauben, erleidet zwangsläufig einen schmerzlichen Verlust, wenn er einsehen muss, dass es die in Demokratien nicht gibt. Es steht nicht wie in der bekannten Kafka-Parabel ein Torhüter vor dem Eingang und lässt nur die rein, die den rechten Glauben haben. Demokratie ist der Kampf um Mehrheiten, der Kampf der Argumente, auch – das hat Donald Trump besser verstanden als alle seine politischen Mitbewerber – der Emotionen. Demokratie lässt sogar zu – das ist eine systemimmanente Schwäche –, dass, wie bei der »Ehe für alle«, der Irrtum die Mehrheit erringen kann. Selbst dann aber bleibt die oberste Spielregel der Demokratie: Wenn der Souverän sein Votum abgegeben hat, haben seine Repräsentanten dieses umzusetzen. Einfach aus Frust den ganzen Spieltisch umzustürzen ist keine Option.
Offensichtlich müssen einige in Deutschland Demokratie noch mal ganz neu lernen. Am besten, sie fangen noch heute damit an. Sie können Anschauungsunterricht bei Thomas Kemmerich und Mike Mohring nehmen, die sich dem Konformitätsdruck mutig widersetzten. Vielleicht reicht als erstes Training auch eine Partie »Mensch, ärgere dich nicht«.