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Von Peter Helmes
Das gestörte Erinnerungsvermögen der CDU
Es ist noch nicht lange her – es war im Jahre 2014 – da beschwor die CDU landauf landab den „Niedergang der Demokratie“ und bejammerte (zu Recht) die Wahl eines Kommunisten zum Ministerpräsidenten in Thüringen. Ausgerechnet die Nachfolger der Partei, die aus der DDR ein Zuchthaus gemacht hatten und Andersdenkende auch mit Gewalt zum Sozialismus bekehren wollten, kamen somit zu „demokratischen Ehren“.
Dieselben Akteure heute: Die sozialistischen Bannerträger schicken sich wieder an, Thüringen zu regieren, und die CDU beeilt sich, ihnen zu Diensten zu sein. Im Klartext: Die Partei Konrad Adenauers wählt lieber einen sozialistischen Ministerpräsidenten denn einen liberalen, weil dieser auch die Unterstützung der AfD erhalten hatte.
Anders betrachtet: 2014 war Bodo Ramelow nach Ansicht (nicht nur) der CDU noch „Spitzenpolitiker der Nachfolgepartei der Mauermörder und Schießbefehlerlasser“, jetzt, fünf Jahre später, soll auf Befehl der Kanzlerin derselbe Mann aus der ersten Reihe der Sozialisten einem grundanständigen Liberalen vorgezogen werden. Eine unglaublichskandalöse Volte und eine Zumutung für alle diejenigen in der CDU, die noch auf dem Boden einer christlich-demokratischen und konservativen Werteordnung stehen.
Daß die Wahl des FDP-Mannes rechtlich vollkommen korrekt und einwandfrei abgelaufen war und keinerlei Anlaß zur Beanstandung bot, erwähnte sie nicht. Dushan Wegner kommentiert zurecht: „Merkel will demokratische Wahl in Thüringen rückgängig machen. Wenn Merkel nächste Woche noch Kanzlerin ist, kann sich Deutschland dann weiterhin eine Demokratie nennen?“
Und: Was die Lamentierer aller Couleur höchst sorgsam verschweigen: Angesichts der Stimmverhältnisse im derzeitigen Landtag war die einzige stabile Regierungsperspektive eine stillschweigende Koalition mit permanenter Zustimmung der AfD. Das sagt aber niemand laut, weil es nicht ins selbstgezimmerte Korsett der political correctness paßt. Die einzig gangbare Lösung hieß also: „Schmeißt das Korsett weg!“
Merkels Diktat(ur)
Doch das wäre eine Rechnung gewesen ohne die im Sozialismus „sozialisierte“ Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Autokratisch befand sie – telefonisch aus Afrika:
„Die Wahl Kemmerichs muß rückgängig gemacht werden.“
Der Deutschlandfunkt meldete lapidar: „Bundeskanzlerin Merkel nennt die Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen „unverzeihlich“. Dieser Vorgang müsse rückgängig gemacht werden.“ (DLF)
Dieser Satz, dieser Befehl Merkels ist ungeheuerlich. In Klartext bedeutet er: „Ich akzeptiere das Wahlergebnis nicht, wählt gefälligst neu – und zwar so, daß es mir paßt!“
L´état c´est moi! Das Mindeste, das man dazu sagen muß, ist: Diese Frau hat den Föderalismus nicht begriffen. Es ist das originäre Recht eines Bundeslandes bzw. dessen Parlamentes, die Geschicke des Landes zu bestimmen. Dem deutschen Bundeskanzler steht kein Eingriffs- bzw. Lenkungsrecht zu.
Was also erlaubt sich diese Kanzlerin! Nicht nur, daß sie offenbar meint, sich über den Willen der Wähler hinwegsetzen zu können, weil ihr das Ergebnis nicht gefällt, nein, schlimmer noch: Wer so handelt, denkt auch so! Und das ist eine Denke, die wir glaubten, endlich abgestreift zu haben: Diktatur von oben! Das hatten wir vor 1945, und das hatten wir seitdem im sozialistischen Unrechtsstaat, in dem Merkel groß geworden ist (sic!).
Ohne Skrupel verlautbart sie „Neuwahlen! Basta!“, als ob ihr ein Ermächtigungsgesetz die Machtfülle dazu gegeben hätte. Das an sich ist bereits skandalös. Mindestens so skandalös ist, daß sich kein Politiker der Kartellparteien dazu aufrappelt, der Kanzlerin in die Parade zu fahren und laut „Stopp“ zu rufen. Und nicht nur das: Eine solche Frau darf ein demokratisches Staatswesen nicht länger regieren; denn sie zeigt mit ihrem Vorgehen, daß ihr nicht nur der Anstand zur Staatslenkung fehlt, sondern noch mehr, daß ihr die Grundregeln demokratischer Staatsführung nichts wert sind. Sie müßte vom Amt des Bundeskanzlers sofort zurücktreten.
Und flugs wird die „Gefahr von rechts“ herangezogen, um die Außerkraftsetzung demokratischer Grundregeln zu begründen: „Alles ist rechtens, was der Gefahrenabwehr von rechts dient. Alles ist erlaubt, die AfD an die Wand zu drücken…!“ Weshalb ja der Paria AfD bisher durch eine „Brandmauer“ aller „demokratisch gesinnten“ Parteien in Schach gehalten worden war.
Und dann das! Die „Brandmauer“ hielt nicht lange. Die linksgeschalteten Gazetten und Meinungsmacher verkündeten nach der Wahl Kemmerichs zum MP in tiefster Betroffenheit – hier das Zitat (pars pro toto) des „Standard“ aus Wien: „Der Wahltag jedenfalls wird als jener Tag in die Geschichte Deutschlands eingehen, an dem die Brandmauer zur AfD, die doch CDU und FDP angeblich so wichtig war, zusammengebrochen ist.“
Aber, aber, liebe Österreicher, ihr kommt a bisserl spät. Ihr überseht nämlich ein kleines, nicht ganz unwichtiges Detail: Besagte Brandmauer war von Anfang an brüchig, die oft verlachte WerteUnion hat seit Monaten immer wieder – wie man sieht: erfolgreich – den Mörtel zwischen den Mauersteinen brüchig gemacht und bröckeln lassen. Jetzt steht die WerteUnion unübersehbar mit mindestens einem festen Standbein in der Union. Und folglich haben AKK, Söder, Ziemiak und Genossen ein dickes „Werte-Problem“: „Lasse mer se drin, oder schmeiße mer se raus?“ Bald ist Karneval, da dürfen dann auch die Links-Witzfiguren der sozialdemokratisierten Union zeigen, ob sie Humor haben. Zu lachen haben sie jedenfalls reichlich wenig – während die „Rechten“ sich ins Fäustchen lachen dürfen. Ich auch!
Zu Recht höhnt der ehem. Präsident des Bundesverfassungsschutzes (und WerteUnions-Mitglied) H. G. Maaßen, die Wahl von Kemmerich mithilfe der AfD sei ein „Schlag ins Gesicht“ der CDU-Parteifreunde, die lieber eine sozialistische Regierung unter Ramelow duldeten (!!!), als einen eigenen CDU-Kandidaten bei der Ministerpräsidentenwahl aufzustellen. Ich kann ihm nicht widersprechen.
Ich fürchte, daß die Parteien die „Lehre aus Thüringen“ nicht verstanden haben. Das Kernproblem – jedenfalls für die Etablierten – ist doch nicht die Wahl des Ministerpräsidenten gewesen, sondern entstand viel früher, nämlich durch das Ergebnis der Landtagswahl im letzten Jahr. Mit diesem Ergebnis tun sich alle Parteien schwer. Aber das ist in der Demokratie nun mal so, und deshalb ist es zu akzeptieren. Es ist Ausdruck des Wählerwillens des Souveräns und Auftrag(!) – ob das den (jeweiligen) Machtinhabern gefällt oder nicht. Das Ergebnis einer demokratisch zustande gekommenen Wahl kann doch nicht der Bequemlichkeit halber „Neuwahlen“ heißen!
Da machen es sich die Altparteien recht bequem, statt darüber – auch öffentlich – nachzudenken, warum ihnen der Wähler ein solches Ergebnis präsentiert. Es ist die Quittung für eine Politik, die die Wähler nicht mehr verstehen und/oder nicht akzeptieren wollen.
Die (außer der AfD) allesamt auf links gebürsteten Parteien haben das Ergebnis dieser Wahl (im Herbst letzten Jahres) – wie übrigens auch bei vielen anderen Wahlen der jüngsten Zeit – selbst produziert und selbst verschuldet. Wer die Bedürfnisse und Sorgen der Menschen nicht kennt oder ignoriert, weil ihm der Zeitgeist wichtiger erscheint als die Belange der Bürger, darf sich nicht wundern, daß ihm eben diese Bürger „abhanden“ kommen.
Das geistige Vakuum, das die Parteien aufzeigen, wird von Tag zu Tag deutlicher. Eine kraftvolle Vision, wie Deutschland in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung, Klimakrise, Populismus, Migrationsströmen und Handelskonflikten eine prosperierende, wehrhafte und zugleich tolerante Demokratie bleiben kann, ist nirgendwo zu sehen. Der demokratische Diskurs, aus dem Neues geschöpft werden könnte, versandet immer mehr – befördert auch und vor allem durch eine political correctness, die eine andere Meinung als die vorgegebene schon im Keime zerstört und stattdessen ein geistiges Korsett schafft. Zugleich erstarren die „Träger der Politik“, die Parteien, in ihren Ritualen und Machtkämpfen.
Thüringen ist kein Sonderfall, sondern symptomatisch für das Versagen der politischen Klasse – nicht nur in Deutschland, sondern überall in (West-)Europa. Das Vertrauen in die Seriosität der Parteien tendiert gegen Null. Aber diese Parteien regieren darauf mit Arroganz und Ignoranz. Ihnen wäre gewiß ein anderes Volk lieber. Dies, genau dieser Geist, spricht aus den Worten Merkels „die Wahl muß rückgängig gemacht werden“. Noch deutlicher kann man die Verachtung unseres demokratischen Systems nicht zeigen. Wir befinden uns bereits mitten in der Krise des parlamentarischen Systems.
Wir dürfen uns nicht wundern. Ein neuer Kopf aus dem Bürgertum, unbelastet von den zermürbenden Mühlen der Parteiendemokratie, könnte neuen Schwung verleihen. Stünde morgen ein charismatischer Revolutionär in der Tür, hätte das alte System ausgedient, das alte Parteiensystem würde zertrümmert. Die bange Frage heute liegt also auf der Hand, nämlich ob und was die Parteien aus den Vorgängen in Thüringen lernen.