Manfred und Marek – Aspekte der schwierigen Nachbarschaft von Deutschen und Polen

(www.conservo.wordpress.com)

Von Helmut Roewer

Teil 4: Ende offen, allzu offen

In diesem vierten und letzten Teil meiner Betrachtungen zum deutsch-polnischen Verhältnis geht es um die letzten 30 Jahre bis zum heutigen Tage. Das ist die Zeit, die der Leser und ich selbst als Zeitgenossen erlebt haben. Und damit beginnen die Schwierigkeiten.

Am Anfang steht nämlich ein scheinbares Paradox. Wie bei jeder geschichtlichen Analyse, so gilt auch hier beim deutsch-polnischen Verhältnis: Je näher man an den Gegenstand seiner Untersuchung heranrückt, desto unpräziser werden die Beobachtungen. Die klaren Konturen verwischen sich in den Aufgeregtheiten des Tages. Versuchen wir ein wenig Ordnung zu schaffen:

Ich bin auch noch da – Polens vergeblicher Versuch, am Tisch der Sieger Platz zu nehmen

Im Herbst 1990 fanden die Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Regierungen und den vier Siegermächten – USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien – statt, die den völkerrechtlichen Schlusspunkt unter die deutsche Einheit setzen sollten. Sie führten zu dem sog. Zwei-plus-vier-Vertrag.            Noch heute erscheint es mir wie ein Wunder, dass es überhaupt dazu kam, denn die Zahl der Bremser und Möchtegern-Verhinderer schien unermesslich. Es waren – um es klar zu sagen – lediglich die USA unter dem Präsidenten George H.W. Bush und seinem Außenminister James Baker, die diese Sache vorantrieben. Die Sowjetunion war gegen Cash zum Mittun bereit, Frankreich und Großbritannien waren strikt dagegen, aber ihren antideutschen Einpeitschern, Mitterand und Thatcher, gingen angesichts der Zustimmung der beiden Großen und dem faktischen Fortgang der Sache die Argumente aus.

Mir ist bis heute unklar, ob die nunmehr ins Bild tretenden Polen aus eigenem Antrieb handelten, oder ob Anstiftung aus Frankreich vorlag, jedenfalls verlangten sie kategorisch die Zulassung an den einschlägigen Konferenztisch. Das njet aus Moskau kam schneller, als dass irgend ein Wohlmeinender oder Berufsschuldbeladener sich öffentlich äußern konnte. Wenn auch sonst vieles mit den Russen zu besprechen war, bei ihrem Nein zu Polen blieben sie eisern.

Die anglo-amerikanischen Sieger schwenkten schnell auf die russische Linie ein. Ihnen schwante, dass die Polen am Verhandlungstisch ein Fass aufmachen würden, in denen sich die Siegerbrause von Teheran befand, die Aufteilung der Welt zwischen Roosevelt, Churchill und Stalin, einschließlich der Verschiebung der Polen bis an die Oder und der fiktiven Gestalt von Deutschland als Ganzem (= in den Grenzen von 1937). Listig klammerten die Sieger 1990 dieses Problem aus und schoben es den Deutschen zur Erledigung zu.

Der Leser erinnert sich: Bereits 1970 hatte die sozial-liberale Koalition in Bonn den Versuch unternommen, durch bilaterale Verträge der Bundesrepublik mit der DDR und den Ostblockstaaten das Rad der Ostpolitik neu zu erfinden. Um ein Haar wäre Kanzler Willy Brandt wegen dieser Vorhaben gestürzt worden. Nur ein Eingreifen des DDR-Geheimdienstes konnte ihn 1972 vor der Abwahl retten. Die geplante de jure-Aufgabe der deutschen Ostgebiete war gescheitert, weil man sich dank eines Richterspruchs auf den Standpunk zurückzog, dass die Bundesrepublik kein Mandat für Fragen von Deutschland als Ganzem besaß.

1990 änderte sich die Lage von Grund auf. Deutschland konnte als nunmehr souveräner Staat mit den Polen vereinbaren, was es wollte. Doch wer annahm, in der an der Macht befindliche CDU-FDP-Regierung werde zumindest die CDU ihren ablehnenden Standpunkt von 1970 beibehalten, sah sich schnell eines besseren belehrt. Mit dem deutsch-polnischen Abkommen vom November 1990 wurde die Abtrennung der deutschen Ostgebiete an Polen mit einem Federstrich völkerrechtlich anerkannt.

Schnell zeigte es sich, dass das schnelle Handeln im gewissen Sinne vorschnell war. Es hätte eher nahe gelegen, sich der polnischen Verhandlungsgepflogenheiten aus den Jahren 1920-39 zu erinnern. Zu deren Besonderheiten zählte, selbst bei günstigen Regelungen, hurtig die Geschenke einzusacken und hernach aufzusatteln. Zuletzt musste das der angeblich geniale deutsche Führer erleben, der den Polen im Frühjahr 1939 bei der Zerschlagung der Resttschechei das Gebiet von Teschen zukommen ließ, um sie in der Korridorfrage günstig zu stimmen. Die Polen dachten, nachdem sie die Beute eingesackt hatten, im Traum nicht daran, den durchaus berechtigten deutschen Wünschen entgegenzukommen.

Nicht anders verhielten sie sich nach 1990 gegenüber der Bundesrepublik. Besonders ärgerlich – aus meiner Sicht – ist die seinerzeit an den Tag gelegte Ignoranz der deutschen Verhandlungsführer, weil das, was dann später kam, voraussehbar war. Bereits im Sommer 1990 hielt der polnische Außenminister Subiezewski in Vorbereitung seiner Forderung, bei den Zwei-plus-vier-Verhandlungen zugelassen zu werden, eine Rede, in der er den polnischen Standpunkt umriss. Er führte u.a. aus:

Es wäre zweckmäßig, wenn wir in der einen oder anderen Form eine gewisse Entschädigung erhielten. (vgl. http://www.deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/VorlassAlbrecht 16_RedeSkubiezewski.pdf [Abruf: 22.2.2020]).

Da klingt denn an, was bald Wirklichkeit werden sollte. Aber ebenso wurde seinerzeit deutlich, dass es den Polen vor allem um eines ging: Sie wollten um jeden Preis die Rechtssicherheit der deutsch-polnischen Grenze von 1945. Hierfür hätten sie ohne Zweifel einer Schlussstrichregelung zugestimmt. Das unterblieb, die Folgen sollten nicht auf sich warten lassen.

Marek fährt Manfreds Auto – die Polen setzen sich in Bewegung

Nach der Zersprengung des Ostblocks, nebst deutscher Wiedervereinigung 1990, rückte für etliche Deutsche erstmals das Problem einer polnischen Nachbarschaft ins alltägliche Bewusstsein. Der Grund war: Es setzte sich die polnische Bevölkerung von selbst gen Westen in Bewegung.

(1) Es gab einen ständig zunehmenden Strom polnischer Kraftfahrzeuge, die von eigenwillig agierenden Lenkern auf deutschen Straßen gesteuert wurden. Die Qualität dieser Fahrzeuge passte sich erst allmählich in den Folgejahrzehnten unsern Standards an, die Originalität ihrer Lenker blieb. Sie eint, dass ihnen die Regeln des deutschen Straßenverkehrsrechts entbehrlich erscheinen.

(2) Ein zweites auffälliges Phänomen der Nachbarschaft wurde der Autodiebstahl. Er fand ausschließlich von West nach Ost statt. Er wurde durch einen blühenden Schrottauto-Aufkauf ergänzt, der nach dem Motto aus drei mach zwei funktioniert und östlich von Polen einen florierenden Absatzmarkt erschlossen hat. Ergänzend kam ein gewinnträchtiger Markt für gefälschte Papiere und Kennzeichen aller Art hinzu.

(3) Neben diesen für deutsche Vorstellungen wenig erfreulichen Folgen der sich öffnenden Nachbarschaft sollte allerdings auch das Positive nicht verschwiegen werden. Es bildete sich ein spezieller Arbeitsmarkt heraus: Anfangs illegal, später, als Polen der EU beigetreten war, völlig legal, kamen polnische Arbeitskräfte in großen Mengen nach Deutschland, die heutzutage in der Land- und in der Bauwirtschaft kaum noch wegzudenken sind. Ob das in Zukunft so bleibt, oder ob diese Arbeitskräfte vom polnischen Binnenmarkt absorbiert werden, mag dahinstehen.

(4) Und schließlich: Es gab die Polenmärkte, die an etlichen Orten der ehemaligen DDR wie Pilze aus dem Boden schossen. Dort wurden vor allem Jagdbeute (aus Wald und Flur und fremden Häusern), landwirtschaftliche Produkte und Diverses anderes aus fragwürdigen Quellen feilgeboten. So wie sie kamen, verschwanden die Polenmärkte auch wieder. Der grenzüberschreitende Handel mit Illegalem ist geblieben.

Leisetreter und Lautsprecher – einiges aus dem nachbarstaatlichen Miteinander

Das Verhältnis des deutschen und des polnischen Staates ein gutnachbarliches zu nennen, kann bestenfalls den Redenschreibern von Bundespräsidenten einfallen, wobei die Amtsinhaber, wenn sie solches von ihren Manuskripten ablesen, der Sache selbst keinen Gefallen tun. Das Verhältnis zwischen beiden Staaten ist weder gut, noch ist derzeit in Aussicht, dass es sich verbessern könnte.

Bevor ich auf die Details zu sprechen komme, ist auf Grundlegendes aufmerksam zu machen. Ich habe den Eindruck, dass sich beide Völker noch nie sonderlich gemocht haben (ist mein Eindruck, den niemand teilen muss). Ein gravierender Unterschied besteht beim öffentlichen Formulieren von Feindseligem. In Deutschland erntet jedermann bei Erzählen von Polenwitzen Missbilligung, in Polen beim Einschlagen auf den deutschen Esel Applaus. Die Zahl von deutschfeindlichen öffentlichen Äußerungen ist Legion. Das Ungenierte hat manchen Deutschen überrascht, zumal man hierzulande geglaubt hat, dass die maßgebliche deutsche Beihilfe, Polen einen Platz in der EU zu verschaffen, dort hätte registriert werden müssen. Es war ein Irrtum, der recht bald aufgeklärt wurde, als Polens Staatschef bei einem der ersten EU-Gipfeltreffen, an dem die Polen teilnahmen, die deutsche Regierungschefin mit dem 1945 durch Selbstmord aus dem Amt geschiedenen deutschen Diktator gleichsetzte.

Dieser Vorgang war in doppelter Weise bemerkenswert. Er brachte ungeschminkt zum Ausdruck, wie in Polens Führung wirklich gedacht wurde, und er ließ eine angemessene deutsche Reaktion vermissen. Dieses Ausbleiben einer Reaktion – ein Abbruch des Gesprächs wäre das Mindeste gewesen – bewirkt bei Leuten, die sich wie Hallunken benehmen, immer wieder dasselbe: Es wirkt wie die Einladung zum verschärften Weitermachen. Die Feindseligkeit gipfelte vor Kurzem erst in der ruppig vorgetragenen Forderung, dass Deutschland den Polen wegen der im Zweiten Weltkrieg entstandenen Schäden und Verluste Reparationen zu zahlen habe. Hierbei haben die polnischen Repräsentanten offenbar am Versailler Diktat Maß genommen. Die zuletzt von polnischer Seite lautstark genannte Zahl lautete auf karge Neunhundert Milliarden Euro (900.000.000.000 €).

Forderungen dieser Art bestehen de jure nicht. Aber es bedürfte keiner diffizilen Ableitungen aus den Siegerregelungen und anderen Vereinbarungen zwischen dem einen oder anderen deutschen Staat einerseits und Polen andererseits, um diesen Rechtsstandpunkt zu begründen. Eine dieser Argumentationen – man lächelt als Deutscher, wenn man sie liest – geht so: Mit dem deutsch-polnischen Vertrag von 1990 wurde die Fortgeltung von Vereinbarungen zwischen der DDR und Polen beschlossen. Zu diesen zählt der wechselseitige Verzicht auf Schadensersatzleistungen, die ihren Ursprung in den Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs haben.

Wem das zu winkelzügig erscheint, sollte wenigstens einen kurzen Blick auf die Transferleistungen werfen, die Polen, seitdem es EU-Mitglied ist, aus der deutschen Staatskasse erhält. Nach den Berechnungen von Bruno Bandulet (Beuteland, S. 227) sehen diese so aus: Polen ist der mit Abstand größte Profiteur aus den Umlagezahlungen der EU-Mitglieder, Deutschland ist Polens größter Sponsor. Allein in den fünf Jahren 2009-14 erhielt Polen auf diese Weise 19,3 Milliarden Euro ohne jede Gegenleistung aus der deutschen Steuerkasse. Hinzu kam die Möglichkeit, nach dem Target II-Verfahren in Deutschland in Milliardenhöhe einzukaufen und dafür anschreiben zu lassen. Das sind Summen, die man hinzurechnen muss, weil klar ist, dass sie niemals zurückgezahlt werden. Nach 2014 ging das Sponsoring selbstredend in steigendem Maße weiter. Nach dem Ausscheiden des Netto-Einzahlers Großbritannien aus der EU, verlangen die Nehmerländer nicht nur, dass die Transferleistungen wie gehabt weitergehen, sondern dass sie gesteigert werden. Der EU-Gipfel, der dies bewirken sollte, ist soeben am Veto der anderen Geberländer (Niederlande, Dänemark, Schweden) gescheitert.

Ich erwähne diese Details, weil sie deutlich machen, dass Deutschland bei weiteren unverfrorenen Ansagen aus Warschau darauf hinweisen könnte, durch nichts und niemanden zu weiteren Leistungen verpflichtet zu sein. Ich weiß, das wird nichts, so wie die Dinge im Moment bei uns liegen. Das sollte Anlass sein, auf eine Besonderheit deutscher Politik zu sprechen zu kommen, die nicht zum Wenigsten für deutsch-polnische Missklänge sorgt.

Die deutsche Politik hat seit gut zehn Jahren konsequent den Weg des Industrieabbaus durch die vorsätzliche Demontage einer geordnete Energieversorgung und der De-Nationalisierung durch das Hereinholen von Millionen mohammedanischer Analphabeten aus dem Orient und Afrika verfolgt. Die Polen streben mit leicht nachzuvollziehenden Gründen das Gegenteil an. Sie beteiligen sich nicht an der Aufnahme der Volksmassen aus dem Süden und setzen konsequent auf die Verstromung der heimischen Steinkohle. Sie erhoffen sich einen Industrieaufbau, der sie in die Lage versetzt, Deutschland an Wirtschaftskraft bis zum Jahre 2040 zu überflügeln.

Auch wenn man erfahrungsgemäß die polnischen Grundsatzerklärungen nicht eins zu eins in die Wirklichkeit übertragen muss, so machen sie zumindest eines klar: Polen will den von Deutschland eingeschlagenen Weg nicht mitgehen. Es gibt in Deutschland eine Schar von sog. Konservativen, die Polen hierfür loben, vielleicht weil sie heimlich auf Verbündete jenseits der Oder hoffen. Ich bin skeptisch, ob dieser Ansatz eines Schulterschlusses Früchte tragen kann. Vor allem scheint mir die Berufung auf einen gemeinsamen Christengott ein Trugschluss. Deutsche Christen – ganz gleich ob evangelisch oder katholisch – sind mit Masse universalistisch, das heißt, sie glauben in globalen Dimensionen, dieser Glaube schließt Weltrettungsphantasien ein. Polens Katholiken unterscheiden sich hiervon diametral. Ihr Glaube ist national, wo nicht nationalistisch. Die allseits bekannten zugehörigen Rituale sind es auch. Ihre Maria ist eine Polin, in Czenstochau (Częstochowa) kann man sie besichtigen und bei Bedarf anbeten.

Friedensschalmeien und Kriegstrompeten – deutsch-polnische außen- und sicherheitspolitische Differenzen

Unter den zahlreichen Differenzen zwischen Deutschland und Polen sind die außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen wohl am gravierendsten unterschiedlich und für beide Seiten auch am riskantesten. Polen setzt zu hundert Prozent auf die Vorgaben aus den USA, Deutschland tut dies – ganz verstärkt nach dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident – nicht (mehr).

Kurzer Blick zurück: Vor dem Zusammenbruch des Ostblocks, in den Polen zwangsweise eingebunden war, war das Land von Truppen der Roten Armee dicht umstellt. Die Umklammerung endete erst 1994 mit dem Abzug der letzten Verbände der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland aus der ehemaligen DDR. Gleichzeitig begannen die US-amerikanischen Aktivitäten, die ehemaligen Satelliten der Sowjetunion in die Nato herüberzuziehen. Polen, Ungarn und Tschechien traten 1999 der Nato bei, andere ehemalige Ostblockländer folgten drei Jahre später. Dem Nato-Beitritt Polens waren bilaterale USA-polnische Absprachen vorausgegangen, die eine Stationierung des von der USA in Europa zu installierenden Raketenabwehrsystems zum Gegenstand hatten. Polen bot sich selbst als Standort an.

In diesem Zusammenhang mag ein kurzer Rekurs auf die Nato das Verständnis der Vorgänge erleichtern. Die 1949 auf Betreiben der USA gegründete Nato war ein politisches und militärisches Bündnis, das neben Canada die Staaten des westlichen Europa (mit wenigen Ausnahmen) vom Nordkap bis zum Bosporus zu einer anti-sowjetischen Kampf-Genossenschaft zusammenschloss. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor die Nato im Prinzip ihre Existenzberechtigung. Dem entsprechend kam die Nato ihrer Selbstauflösung in den 1990-er Jahren recht nahe.

Die Auflösung der Nato fand nicht statt, das ist bekannt. Sie konzentrierte sich selbst auf einen neu-alten Gegner – auf Russland. Diese Änderung kam nicht aus dem Nichts, sondern sie hatte zwei konkrete Gründe: (1) Durch die Hereinnahme von ehemaligen Ostblockstaaten ins Bündnis wurde dieses fast automatisch anti-russisch, denn diese Staaten traten aus einem einzigen Grund der Nato bei: Es war ihre durch die Erfahrungen der Vergangenheit bestehende Angst vor Russland. Die beitretenden Länder musste also niemand zum Beitritt nötigen. Sie handelten – aus ihrer Sicht – im eigenen Interesse. Allerdings waren sie, wie sich bald zeigen sollte, in ihren anti-russischen Sentiments unterschiedlich. An der Spitze des Anti-Russischen stand Polen. Wenn es überhaupt eine Konstante in seiner Politik gibt, so ist es der Russenhass.

Mit diesem anti-russischen Element als Grundton der Nato-Doktrin traten Differenzen der Nato-Vormacht USA zu den ursprünglichen europäischen Verbündeten zu Tage, an deren Spitze Deutschland und Frankreich. In beiden Ländern spielt die Russenfurcht kaum eine Rolle. Frankreich sieht sich selbst als globalen Akteur, für den Russland eine unter vielen Größen darstellt, Deutschland hingegen schätzt das russische Riesenreich vor allem als einen willkommenen Geschäftspartner.

(2) Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die USA nach ihrer Selbsteinschätzung zur einzigen Weltmacht aufgestiegen. Die US-Regierung kam, so glaubte sie, in den 1990-er Jahren dem Status einer Weltregierung zum Greifen nahe. Dieses Gedankenmodell – auch als New World Order bezeichnet – erhielt zum Jahrhundertwechsel unübersehbar Risse. Es war der Versuch, die russische Volkswirtschaft von Wall Street aus zu übernehmen, der am 31. Dezember 1999 scheiterte. Genau an diesem Tag übernahm im Kreml Wladimir Putin das Kommando. In einer eher nach Wochen als nach Monaten bemessenen Frist stoppte er den russischen Ausverkauf und beendete so den amerikanischen Traum.

Nunmehr schaltete die US-Politik auf Russland-Feindschaft um. Die in den USA erlassenen anti-russischen Gesetze legen hierüber unmissverständlich Zeugnis ab. Zugleich wurde der äußere Ring um Russland enger gezogen. Die baltischen Staaten kamen in die Nato und die Ukraine erhielt nach mehreren Fehlversuchen im Frühjahr 2014 eine US-freundliche Regierung. Zeitgleich startete der Versuch, der russischen Schwarzmeerflotte den Hauptstützpunkt Sewastopol auf der Krim zu entziehen. In Tagesfrist reagierte Russland durch die Einverleibung der Krim in den russischen Staat, nachdem man auf der Schwarzmeerhalbinsel im Handstreich eine einschlägige Volksabstimmung hatte stattfinden lassen.

Die Reaktionen in Washington waren von blanker Wut diktiert. Die europäischen Partner wurden gedrängt, Russland mit einem verschärften Wirtschaftskrieg zu überziehen. Es gab praktisch nur einen Staat, der freudig in diese Kriegstrompete blies, das war Polen. Andere Länder folgten nur widerwillig, so Deutschland, dessen Abhängigkeit von russischen Rohstoffen selbst den Wirtschafts-Laien im Kanzleramt irgendwie zum Bewusstsein gekommen sein muss. Denn die Abschaffung von Ölheizungen im Inland durchzusetzen und auf den Import von russischem Erdgas zu verzichten, macht selbst dort Mühe, wo man glaubt, dass der Strom aus der Steckdose kommt. Jedenfalls setzte man dem Vorhaben der Energieversorger nichts entgegen, eine zweite Gaspipeline, diesmal durch die Ostsee (Northstream II), zu bauen.

Man konnte sich darauf verlassen: Die ersten strikten Gegner, die das Vorhaben auf den Plan brachte, waren die Polen. Ihr Motiv: Ein Bündel aus anti-russischen und anti-deutschen Ressentiments, dem Ärger, von einem wohlfeilen Wegelagererzoll abgeschnitten zu sein, weil die Pipeline nicht über polnisches Territorium verläuft, und schließlich und nicht zuletzt, die Möglichkeit, den US-Amerikanern zu Gefallen zu sein. Das ist ein riskantes Gebräu.

Es ist die amerikanische Seite dieser Pipeline-Medaille, die ein Doppelgesicht zeigt: Entweder der einst beste US-Verbündete, Deutschland, schwenkt wieder auf die Vorgaben aus Washington ein, oder er wird isoliert. Eine Reihe von Ereignissen nötigt zu dieser Folgerung: Die aus der Zeit der US-Außenministerin Hillary Clinton stammende Berichterstattung der US-Botschaft in Berlin (nachlesbar bei Wikileaks), der erste Europabesuch des gerade ins Amt gelangten US-Präsidenten Trump, der nicht zufällig Polen galt, wo er zudem das Land als die Mitte Europas bezeichnete, und schließlich die Aufrüstung der polnischen Luftwaffe mit allerneustem amerikanischem Fluggerät, wobei man die ironische Frage aufwerfen darf, ob das hierfür benötigte Kleingeld aus der deutschen Steuerkasse stammt.

Wie dem auch sei: Die Amerikaner machen ernst und die Polen applaudieren dazu. Soeben haben die USA ein Gesetz erlassen, dass den Weiterbau von Northstream II nach US-Recht für strafbar erklärt. Und Deutschland? Sein Außenminister kämpft gegen rechts und seine Kanzlerin lässt von Südafrika aus in souveränen Bundesländern die Wahlen annullieren.

©Helmut Roewer, Februar 2020

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Redaktionelle Anmerkungen:

Die Teile 1-4 finden Sie unter folgenden Links:

– Teil 1: Wo das herkommt (https://www.conservo.blog/2020/02/04/manfred-marek-aspekte-der-schwierigen-nachbarschaft-von-deutschen-und-polen/)

– Teil 2: Krieg der Verlierer (https://www.conservo.blog/2020/02/27/manfred-und-marek-aspekte-der-schwierigen-nachbarschaft-von-deutschen-und-polen/

– Teil 3: Polen und Deutschland als Spielball der Weltmächte (https://www.conservo.blog/2020/02/28/manfred-marek-aspekte-der-schwierigen-nachbarschaft-von-deutschen-und-polen-2/)

– Teil 4: Ende offen, allzu offen (https://www.conservo.blog/2020/02/29/manfred-und-marek-aspekte-der-schwierigen-nachbarschaft-von-deutschen-und-polen-2/)

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*) Dr. Helmut Roewer wurde nach dem Abitur Panzeroffizier, zuletzt Oberleutnant. Sodann Studium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen Rechtsanwalt und Promotion zum Dr.iur. über ein rechtsgeschichtliches Thema. Später Beamter im Sicherheitsbereich des Bundesinnenministeriums in Bonn und Berlin, zuletzt Ministerialrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Präsident einer Verfassungsschutzbehörde. Nach der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand freiberuflicher Schriftsteller und Autor bei conservo. Er lebt und arbeitet in Weimar und Italien.
www.conservo.wordpress.com    29.02.2020
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