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VON DR.PHIL.MEHRENS
Der so genannte »synodale Weg« ist die Krankheit, für deren Therapie er sich hält: Er soll die katholische Kirche in eine neosozialistische Ethiksekte transformieren. Da folgt selbst der als liberal geltende Papst Franziskus lieber der Linie seines erzkonservativen Vorgängers. In seinem Lehrschreiben zur Amazonas-Bischofssynode ließ Papst Franziskus jedoch wenig Bereitschaft erkennen, sich den Modernisierern anzuschließen. Dafür gibt es triftige Gründe.
1. Das Numen als souveräne Existenz
Für Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, gibt es systembedingt in der Kirche wenig Spielraum, weil das Numen (das Göttliche) sich menschlichem Willen nicht unterwirft, sondern will, dass der menschliche Wille sich ihm unterwirft. Mit anderen Worten, in jeder monotheistischen Religion ist nicht der Mensch der Souverän, sondern das Numen. Souverän der katholischen Kirche ist demgemäß nicht das Volk, sondern Christus und – als dessen Repräsentant – der Papst. Die wichtigste Voraussetzung für Demokratie, die Volkssouveränität, entfällt damit. Am besten verdeutlicht das die Geschichte vom Tanz um das goldene Kalb aus Exodus 32: Der Text der Thora inszeniert hier das von Menschen auf der Grundlage eines demokratischen Mehrheitsbeschlusses angefertigte Stierbild als Antithese zu dem vom Menschen unabhängig existierenden souveränen Gott. Das zum Inbegriff für viel Lärm um nichts gewordene goldene Kalb ist ein aus dem Vermögen und mit den Händen seiner Anhänger hergestelltes Götzenbild, in dem nicht das Numen gegenwärtig ist, sondern nur der menschliche Wille. Den göttlichen Willen, die Steintafeln mit dem Bundesgesetz, empfing Mose parallel zur Entstehung des Abgottes auf dem Horeb. Die Botschaft der Geschichte ist klar: Hier der real existierende Gott, der mit dem Menschen in Kontakt tritt, um ihm Lebensregeln an die Hand zu geben, für die er Gehorsam einfordert; dort der tote Götze, der nichts anderes ist als eine Projektionsfläche menschlicher Wünsche und Vorstellungen.
2. Die Heilige Schrift als göttliche Offenbarung
Der Glaube an Gott ist keine frei schwebende Theorie, die nach Belieben mit menschlichen Begehrlichkeiten aufgeladen und an aktuelle Bedürfnisse und Befindlichkeiten angepasst werden kann, sondern mit ihm untrennbar verbunden ist eine Offenbarung des göttlichen Wesens, Wirkens und Willens in Form einer für heilig (göttlich) erachteten Schrift, die, übrigens nicht nur im Christentum, integraler Bestandteil dessen ist, was geglaubt wird. Dieses religiöse Fundament der Kirche ist unantastbar. Das darin überlieferte Ethos – die Steintafeln, die Mose vom Horeb mitbringt, die Morallehre Christi und der Apostel – steht unter keinen Umständen zur Disposition.
3. Die Axiome des Glaubens als unantastbares Fundament der Kirche
Wer in einer lebendigen, demokratisch geprägten Zivilgesellschaft groß geworden ist, darf mit demokratischen Prozessen in allen möglichen Lebensbereichen rechnen, nicht nur in der Politik, auch im Vereinsleben, bei der Betriebsratswahl, sogar schon im Klassenzimmer bei der Wahl eines Klassensprechers. Da sie als Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird, liegt es nahe, demokratische Elemente auch in der Kirche zu erwarten. Tatsächlich gibt es auch ein Kirchenparlament, die Synode. Hier kann über einzelne kirchenpolitische Themen und Entscheidungen beraten und abgestimmt werden, nicht aber über Axiome des Glaubens, das religiöse Fundament, auf dem das ganze Kirchengebäude errichtet ist.
So wie im Grundgesetz die Menschenrechte nicht verhandelbar sind, kann es in der Kirche keine Abstimmungen darüber geben, ob Jesus Christus wirklich Gottes Sohn ist oder ob Gott überhaupt existiert. Die Infragestellung konstitutiver Kerninhalte würde die Selbstauflösung bedeuten. Die Kurie wacht darüber, dass es dazu nicht kommt. Sie gleicht einem undemokratischen Wächterrat.
Diese drei Vorbemerkungen sind maßgeblich für die Kritik am so genannten »synodalen Weg«, weil er Tendenzen erkennen lässt, das Prinzip der Souveränität Christi und seines obersten Repräsentanten durch das der Volkssouveränität zu ersetzen. Die Themen des »synodalen Wegs« beträfen nicht nur die Kirche in Deutschland, sondern die Weltkirche, hieß es bereits 2019 in einem kritischen Gutachten des Päpstlichen Rats für Gesetzestexte; sie könnten mithin »nicht Gegenstand von Beschlüssen und Entscheidungen einer Teilkirche sein, ohne gegen die Einschätzung des Heiligen Vaters zu verstoßen«.
Ausgangspunkt der »synodalen« Mini-Revolution war laut Auskunft ihrer Befürworter die Klage über »die vielen bekannten und unbekannten Fälle von Missbrauch und Verletzungen jeglicher Art in der römisch-katholischen Kirche, deren Vertuschung und Verdunkelung durch Amtsträger, das Fehlen glaubhafter Entschuldigungen und echter Hilfe für alle, denen Gewalt angetan wurde«. Diese Kritik ist berechtigt. Verstörend unlogisch ist aber die Schlussfolgerung, »dass deshalb viele Menschen der Kirche die Botschaft nicht mehr glauben«.
Der menschliche Verstoß gegen das göttliche Ethos, der sich auf so erschütternde Weise gezeigt hat, kann doch nicht dazu führen, dass Zweifel am Göttlichen, dem Urheber dieses Ethos, aufkommen. Als Mose vom Horeb hinabstieg, galt seine Empörung selbstverständlich nicht Gott, sondern den Israeliten, die sich von ihrer Selbstgerechtigkeit zum Bösen hatten verleiten lassen. Entsprechend berechtigt ist die Empörung über fehlgeleitete Priester:
Völlig zu Recht fordern die Initiatoren des »synodalen Wegs« eine kompromisslose Kooperation des Klerus mit den (weltlichen) Strafverfolgungsbehörden und die Entfernung der Täter aus ihren Ämtern. Statt aber nun konsequent nach Ursachen für die Übertretungen dessen zu suchen, was die christliche Ethik Menschen in Hirtenämtern vorschreibt (vgl. 1. Timotheus 3), suchen die Initiatoren des »synodalen Wegs«, allen voran die feministisch ausgerichtete Bewegung »Maria 2.0«, die Hauptschuld pauschal bei »männerbündischen Machtstrukturen« in ihrer Kirche.
Erstens sind aber Strukturen nicht per se böse. Zweitens erklärt diese Schuldzuweisung nicht die parallel aufgetretenen Missbrauchsfälle im säkularen Bereich. Wer das Übel bei der Wurzel packen will, muss der Frage nachgehen: Warum entschieden sich katholische Würdenträger für das Böse, obwohl sie doch als Geistliche um das Gute wissen mussten? Warum sind sie den gleichen sexuellen Versuchungen erlegen wie diejenigen, die den Weg des Glaubens a priori für sich ausschließen?
Erneut lohnt sich der Blick in die Bibel: Das Matthäusevangelium schildert ausführlich die Versuchung Christi durch den Teufel und führt beispielhaft vor, wie Christen mit Versuchung umgehen sollen: Dreimal verweist der Versuchte darauf, was in den »heiligen Schriften« steht (Matthäus 4). Viele Kleriker verweigern den »heiligen Schriften« jedoch längst die Gefolgschaft und betrachten die Bibel nicht mehr als Grundlage für eine universelle Ethik. Damit zerstören sie ihre Abwehrkräfte gegen die Angriffe des Bösen.
Diese fatale Fehlentwicklung hat Papst Benedikt XVI. im letzten Jahr schonungslos enthüllt und damit den Reformkräften in seiner Kirche die Fahndungsarbeit abgenommen.
In den sechziger Jahren habe sich bei vielen Theologen die These durchgesetzt, »dass Moral allein von den Zwecken des menschlichen Handelns her zu bestimmen sei«, bilanziert Benedikt in einer 2019 unter dem Titel »Zurück zu Gott!« erschienenen Denkschrift. Unverhohlen schwadronieren noch heute liberale Theologen wie etwa der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet von einer »autonomen Moral«. Sie wollen den Glauben an den Allerhöchsten und seine Offenbarung in den Schrumpfmodus eines polyreligiösen Ethikunterrichts überführen, der mit Gott genauso gut funktioniert wie ohne. Wenn man mit Ketzerei inzwischen etwas gesitteter umgeht als im Mittelalter, heißt das eben noch lange nicht, dass es keine Irrlehren mehr gibt.
Parallel zur Relativierung des biblisch fundierten Ethos vollzog sich in den späten Sechzigern die »sexuelle Revolution«, in deren Zuge Pornografie, Promiskuität und sogar »Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde«, schreibt der Papst a. D. als Zeitzeuge der damaligen Umwälzungen in »Zurück zu Gott!«. Dass diese vor den Türen der universitären Theologieseminare nicht haltmachten, versteht sich von selbst.
Benedikts Schlussfolgerung, dass der Autoritätsverlust der in der Heiligen Schrift niedergelegten Ethik menschliches Versagen begünstigte, ist schwer zu widerlegen. Sein Erklärungsversuch zur Missbrauchskrise ist in zweierlei Hinsicht stichhaltig:
Erstens erklärt er, wie es zu den ungeheuerlichen Vergehen überhaupt kommen konnte: weil nicht mehr der Glaube an den einen Gott das Handeln des Menschen bestimmt, sondern ein diffuses autonomes Sittengesetz, das die biblische Geschichte vom goldenen Kalb symbolisch antizipiert hat.
Zweitens stellt er die offensichtliche Verbindung zwischen säkularem und kirchlichem Missbrauch her: Die enthemmte Sexualität in linken Kommunen, die so genannten »Kinderläden« als Brutstätten für Pädophilie einschließlich der von Daniel Cohn-Bendit und Volker Beck zugegebenen Entartungen, der sexuelle Missbrauch bei den Grün-Alternativen im Kreuzberger Falckenstein-Keller und an der reformpädagogisch orientierten Odenwaldschule koinzidieren mit dem Siegeszug des Relativismus in der universitären Lehre und einer sexuellen Enttabuisierung, die es, wie Benedikt berichtet, sogar möglich machte, dass sich in Priesterseminaren »homosexuelle Clubs« bildeten und Pornofilme vorgeführt wurden. Was schon damals zeitgeistkonform als »Weltoffenheit« deklariert wurde, bereitete sexuellen Übergriffen den Weg.
Bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle wurde auf eine Zuordnung der nachgewiesenen Fallzahlen zu Jahreszahlen verzichtet. Sollte das die zu erwartende Zunahme des Missbrauchs nach 1968 kaschieren und unliebsame Rückschlüsse verhindern? Hier müsste der »synodale Weg« ansetzen. Tut er aber nicht. Er verharrt auf der Oberfläche kirchlicher Klientelpolitik und setzt sich mit seinen weiteren Forderungen, die mit dem Ausgangsproblem des sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Würdenträger überhaupt nichts mehr zu tun haben, dem Verdacht aus, die Missbrauchskrise selbst zu missbrauchen: als opportunes Vehikel für Veränderungen, die sich per Trittbrettfahrereffekt im Rahmen der Aufarbeitung des Kirchenskandals leichter durchsetzen lassen.
Motivation ist dabei nicht eine stärkere Orientierung an der Heiligen Schrift, sondern am altbekannten Wunschzettel linker, feministischer Zirkel. Im Klartext reden wir hier von 1) der Priesterweihe von Frauen, 2) der Aufhebung des Pflichtzölibats und 3) der »Homo-Ehe«. Nichts davon steht in einem Sachzusammenhang mit dem, was vermeintlich der Auslöser für den »synodalen Weg« war, im Gegenteil: Zwei Drittel der dokumentierten Missbrauchsfälle waren homosexuelle Handlungen. Da wirkt das Absegnen von gelebter Homosexualität, als wollte man Alkoholiker in Schnapsbrennereien therapieren.
Während die Vorgaben des Alten und Neuen Testaments bei der Frage der »Homo-Ehe« sowieso keinen Spielraum lassen, weil sowohl Mose als auch Paulus (Römer 1!) hier ein klares Stoppschild in der Hand hält, und auch der Rolle von Frauen in hauptamtlichen Positionen in Anbetracht von 1. Timotheus 2,12 enge Grenzen gesetzt sind, scheint die Schrift beim Thema Zölibat dessen Kritikern Recht zu geben, unter denen bekanntlich Martin Luther der prominenteste war: »Es soll aber ein Bischof sein eines [einzigen] Weibes Mann«, so 1. Timotheus 3,2. Als Empfehlung spricht Paulus jedoch im Römerbrief aus, dass alle ehelos seien, »wie ich bin« (1. Korinther 7,7).
Der Hintergrund ist klar: Wer unverheiratet ist, kann sich mit voller Kraft der eigentlichen Aufgabe des Christen widmen: der Mission. So lässt sich auch das Jesus-Diktum aus Matthäus 19,12 verstehen. Beide Bibelstellen gestatten kirchlichen Exegeten die Ableitung einer Ehelosigkeitsregel für die von ihnen repräsentierte Glaubensgemeinschaft. Das Zölibatsgebot ist aus dem Selbstverständnis der katholischen Kirche erwachsen, die Bibel exklusiv auszulegen. Aber:
Diese Exklusivität, den Alleinvertretungsanspruch der Kurie trotz ihrer Durchsetzung mit Bösem, hat Luther mit seinem Sola scriptura nachhaltig erschüttert mit der Folge, dass das Zölibatsgebot in der Christenheit keine universelle Gültigkeit mehr beanspruchen kann. Man könnte also sagen: Gott hat in seiner unausforschlichen Weisheit in der strittigen Frage der Priesterehe schon längst für Abhilfe gesorgt. Wer sich in seiner Kirche mit dem Zölibatsgebot nicht wohlfühlt, dem steht der Weg Luthers offen. Und wem selbst die Reformen der Reformation nicht weit genug gehen, dem sichert das Menschenrecht auf Glaubensfreiheit die Gründung einer postchristlichen »Sekte der autonomen Moral« zu. Die Kritik am synodalen Irrweg hätte sich damit auf jeden Fall erledigt.