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Von Maria Schneider *)
In den goldenen 70er und 80er Jahren ging ich aufs Gymnasium. Neun Jahre lang wurde ich der Dauergedankenfolter zu den 12 Jahren unterworfen und lernte kaum etwas im Geschichtsunterricht – erst recht nicht zu den Völkern hinter dem „Eisernen Vorhang“, außer dass sie ein „bedauernswertes Dasein unter den Kommunisten fristeten“. Ständig betont wurden jedoch die errungenen Freiheiten der Nachkriegszeit, wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und politische Freiheit.
Ich fand das überflüssig. Warum so etwas Selbstverständliches überhaupt erwähnen, wo wir doch stundenlang mit unserer Clique am siffigen Kneipentisch saßen und bei brennenden Kerzen in alten Weinflaschen über Gott und die Welt diskutierten?Freiheit war das Wichtigste
Freiheit war das Wichtigste. Alles wurde debattiert – laut, heftig und mit Leidenschaft. Ganz gleich, welche Meinung man vertrat, man blieb befreundet für alle Zeiten, es sei denn, das Leben mit Umzug und Ehe kam einem in die Quere. Doch wegen Politik das Kriegsbeil schwingen und so etwas Kostbares, wie langjährige Freundschaften beenden, zeugte von Dummheit, Ignoranz und vor allem Intoleranz. Dafür gab man doch nicht die Gemeinschaft auf!
Frauen meiner Generation konterten lüsterne Blicke junger oder älterer Männer mit Lachen oder freundlicher Nachfrage nach der Ehefrau. Unerwünschte, verirrte Hände auf meinem Knie oder auch sonstwo strich ich wie eine lästige Fliege ab oder schlug auch manchmal richtig zu. Für Ruhm und Geld hätte ich mich nie auf eine Couch begeben und Metoo hat weder damals noch heute die Frauen im Iran gerettet.
Mord war damals vor dem Gesetz noch Mord
Ein Mord war damals noch Mord und wurde hart bestraft. Bei Vergewaltigung galt das Mitleid noch den Frauen und nicht „traumatisierten“ jungen Männern aus archaischen Kulturen, die „es einfach nicht besser wissen“. „Selber Schuld“ als hämische Belehrung wegen eines kurzen Rockes oder Aushäusigkeit zu später Stunde (wie es sich junge Frauen heute wieder sagen lassen müssen) wurde wie die Vergewaltigung in der Ehe, die allzulange als Kavaliersdelikt entschuldigt worden war, nicht mehr akzeptiert.
Das Kopftuch galt noch als Unterdrückung, von der sich die türkischen Frauen unter Atatürk befreit hatten. Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser lachte in den 1950ern noch über die Forderung der Muslimbruderschaft, einen Kopftuchzwang einzuführen. Auch deutsche Frauen sahen in dem Kopftuch zu meiner Jugend noch das, was es bis heute ist: Ein Machtmittel der Männer zur Bändigung der starken, weiblichen Sexualität – nicht ohne Beteiligung der Mütter und Großmütter, die im besten Fall mit der Keuschheit der Tochter ihre Heiratschancen erhöhen oder ihr im schlimmsten Fall aus Neid ihre Schönheit und Freiheit vorenthalten wollten.
Die Wahrheit trug ein prächtiges Gewand
Sehr präsent und offensichtlich waren in meiner Jugend noch die Parallelen zur katholischen Kirche. Es wurde Jungfräulichkeit vor der Ehe gelehrt und Mädchen wurde das Ministrieren wegen ihrer Reize, die Männer während des Gottesdienstes ablenken würden, lange vorenthalten. Bis heute wird den „unreinen Frauen“ in der katholischen Kirche das Priesteramt mit seinem erklecklichen Einkommen verwehrt. Stattdessen sieht man immer mehr Pfarrer aus Afrika und anderen Ländern, die in schlechtem Deutsch den Gottesdienst zelebrieren.
„Nicht ohne meine Tochter“ war in aller Munde und prangerte die institutionalisierten, abrahamitischen Religionen mit ihrem strafenden, frauenverachtenden Gott an, den die menschlichen Männer zur Beherrschung der Frau erfunden hatten. Weltweit rief dies damals bei Feministinnen und Frauen Empörung gegen Kopftuch, Zwangsheirat und ganz allgemein gegen brutale, männliche Gewalt hervor. Damals sah man die Dinge noch so wie sie waren. Denn damals hatte die Wahrheit noch Ausgang und schritt erhobenen Hauptes umher in prächtigem Gewand.
Metoo funktioniert nur bei weißen Männern
Heute nun soll ich ohne jeden Beweis nur noch weiße Männer als Verbrecher sehen. Nach Jahrzehnten rächen sich weiße Frauen mit Metoo an weißen Männern für Entscheidungen, die sie häufig aus freien Stücken für Ruhm und Geld auf einer Couch getroffen haben. Harmlose Komplimente und Flirts werden als sexuelle Gewalt deklariert und dadurch Leben und allgemein die Leichtigkeit des Seins ruiniert.
Heute soll ich das Kopftuch als Befreiung sehen und meinen Zorn im Zaum halten, wenn stolze, junge, verhüllte Frauen mich in meinem Land mit Verachtung mustern. Ehrenmorde und Bigamie werden nun von meinen früheren Kampfesschwestern als kulturelle Eigenheit und Freiheit der Religion verteidigt, da sie mit dem Import archaischer Männer Geld verdienen oder sogar das Bett mit ihnen teilen, weil sie ihre eigenen Landsmänner entmannt haben.
Seit wann bestimmt Religion wieder die Politik?
Ich frage mich: Wann genau hat die Religion wieder Einzug in die Politik gehalten? Seit wann wird der Wert einer Frau wieder über ein Tuch auf ihrem Kopf und über ihre Jungfräulichkeit definiert? Seit wann wird Vergewaltigung in der Ehe nur noch bei weißen Männern als Tatbestand geahndet? Und wo sind meine Schwestern hin, die noch vor 30 Jahren um echte Frauenrechte kämpften?
Ich finde sie nicht mehr. Sie haben mich verstoßen, weil ich die Wahrheit hochhielt. Weil ich sie fragte:
„Warum finanzierst Du einen jungen Mann aus Afrika, aber interessierst Dich nicht für Deinen Vater im Altersheim?
Wie kannst Du es mit Deiner Freiheit und Deiner Wahrheit vereinbaren, dass „Dein Flüchtling“ bei der Heirat auf einer Jungfrau aus seiner Kultur besteht?
Und warum soll mein alter, weißer Mann Dich nach Hause begleiten, wenn Du zugleich auf offenen Grenzen und Verständnis für junge, arabische Vergewaltiger bestehst?“
Meine Schwestern haben mich zur Feindin gemacht
Diese Fragen stelle ich nur einmal. Danach ist die Freundschaft vorbei. Vorbei sind auch die hitzigen Debatten, nach denen man sich herzlich umarmen und entspannt nach Hause gehen konnte – in der Gewissheit, dass die Freundschaft auf einem starken Fundament gebaut war. Heute haben meine Schwestern mich zur Feindin gemacht.
Was früher so selbstverständlich wie das „Amen“ in der Kirche war, ist nun ein rares Gut geworden. Wenn drei im Namen der Freiheit versammelt sind, drohen hohe Strafen. Wenn dreihundert im Namen Allahs versammelt sind, droht nichts. Unschließbare, offene Grenzen, an deren Folgen Familien zerbrachen und Menschen starben, lassen sich nun plötzlich wieder schließen. Dennoch – ein Mord, der früher ein Mord war, wiegt bei fremden Tätern immer noch leichter als eine Versammlung zu dritt, als die Aussprache der Wahrheit und als die Zugehörigkeit zu einer unliebsamen Partei.
Die Wahrheit schleicht umher im Bettelgewand
Wir leben in Coronas Zeiten. Die Meinungsfreiheit hat sich tief verkrochen und die Wahrheit schleicht umher im Bettelgewand. Und doch weiß ich, dass der Himmel so blau ist wie schon lange nicht mehr. Dass die Familien vereint sind und manche zum ersten Mal erkennen, was wirklich wichtig ist. Ich weiß, dass Gottes Wege unergründlich sind und – „ich weiß, warum der gefangene Vogel singt.“**)