Sonntagsgedanken: Die Renaissance der Gesundheitsreligion?

(www.conservo.wordpress.com)

von altmod *)

Überlegungen eines „Betroffenen“

Es ist wohl die jetzt am häufigsten benutzte Redensart bei der zwischenmenschlichen Kommunikation, sei es am Telefon, sei es per Twitter oder Mail, oder aus Kanzlerinnenmund per TV: „Bleiben Sie gesund!

Niemand wird sich gegen diesen Appell wehren, ihn geringschätzig behandeln. Denn wann haben wir das erlebt, dass jeder – verlässt er denn die Wohnung, begibt er sich in zu nahem Kontakt mit dem Nachbarn oder dem Fremden im Supermarkt – sich hoffnungslos einer Gefahr für die Gesundheit, wenn nicht für das Leben ausgesetzt. Das müssen wir glauben. Denn so haben es Krankheitsexperten mit ihren Hilfstruppen (Mathematiker, Statistiker) und die Politiker festgestellt und dekretiert.

Wer gegen die erlassenen Bestimmungen und Auflagen verstößt, gefährdet nicht nur einfach die Gesundheit von sich und anderen, nein es geht gar schon um Leben und Tod. Es geht nicht mehr nur um eine einfache Ordnungswidrigkeit oder einen einfachenRegelverstoß. Nein, es ist nach der Deutung durch Ministerpräsidenten, Gesundheits- und Innenministern und deren Multiplikatoren in den Medien schon ein krimineller Akt, die Sabotierung oder Verhinderung der Rettung von Menschenleben.

War das Dieselfahrverbot seinerzeit nicht auch nur aus der Sorge um unsere Gesundheit entstanden. Ohne jeden anderen Hintersinn.

Ist Gesundheit unser höchstes Gut?

Seit uns Güter und Habschaften so reichlich gegeben sind – Essen, Wohnung, grenzenlose Mobilität, Spaß jeglicher Art – muss man uns daran erinnern, dass es dabei noch was Höheres gäbe. Nicht Gott etwa. Wir uns schon gegen ein anderes „Höchstes Gut“ versündigt: das Klima! Klimakatastrophe – menschgemacht. Davon haben uns Politiker und ein krankes Kind aus Schweden mit der Klimareligion überzeugt.

Und Politiker erinnern uns in ihrer grenzenlosen Fürsorglichkeit, dass hinter allem, was sie für uns ersinnen – auch mit der „Klimapolitik“ – jetzt wiederum nichts anderes steht, als die Sorge um uns – um unsere Gesundheit.

Die Gesundheitsreligion

Von einer „Gesundheitsreligion“ zu sprechen, ist nicht neu. Phänomene einer Religion waren im Gesundheitswesen schon lange angekommen.

Manfred Lütz schrieb 2006 in seinem lesenswerten Beitrag über das Thema Gesundheit das höchste Gut“:

„Es gibt Irrlehren, die mit inbrünstiger Gläubigkeit geglaubt werden. Je komplizierter die Vorschrift, desto intensiver der Glaube. Blasphemische, gotteslästerliche Äußerungen sind heute in den Medien gang und gäbe. Über Jesus Christus kann man hier zu Lande inzwischen jeden albernen Scherz machen, aber bei der Gesundheit – da hört der Spaß auf.

„Gesundheit“ heißt das Zauberwort. Man muss etwas tun, um gesund zu bleiben, zu werden, wieder zu werden. Und die Inbrunst, mit der man sich darum bemüht, sich dafür aufopfert und andere dazu animiert, erinnert an Religion.

Die Gesundheitsreligion herrscht schichten-, partei- und konfessions-übergreifend in jedem Winkel unserer Gesundheitsgesellschaft. Selbst in den kleinen Raucherreservaten, die es noch gibt, raucht man mit schlechtem Gewissen. Denn auch der Begriff Sünde wird heute eigentlich nur noch gesundheitsreligiös verwendet …“

Es gibt Gesundheitspäpste und -Propheten „und Gesundheit genießt maximale religiöse Verehrung. Diät-Bewegungen gehen wie wellenförmige Massenbewegungen über Land, in ihrem Ernst die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters bei weitem übertreffend. Fitness-Studios entstehen inzwischen bei uns an den Stellen, wo früher Marienkapellen entstanden, nämlich an Wegekreuzen. Krankenhäuser sind gleichsam die Kathedralen des 20. Jahrhunderts. Jeder durchschnittliche Hausarzt kann inzwischen einem durchschnittlichen Kassen-Patienten Bußwerke auferlegen, die die strengsten mittelalterlichen Ordensregeln bei weitem überschreiten. Das sind Lebensregeln von morgens bis abends.“

Manfred Lütz weiter:

„Das Ganze hat aber sehr ernste politische Konsequenzen. Wenn nämlich Gesundheit tatsächlich das höchste Gut wäre, dann wäre maximale Diagnostik und maximale Therapie für jeden Einzelnen von uns absolute Pflicht der Gesellschaft und des Staates. Das hat allerdings katastrophale politische Folgen. Ein Politiker, der die Absicht hat, auch weiterhin gewählt zu werden, muss Sätze ausstoßen, die dem Sinne nach bedeuten: Wir wollen für die Gesundheit nicht weniger als alles tun. Solche Sätze gehören zum Ritus. Jeder weiß zwar, dass eine solche Maxime, einmal ernst genommen, zum sofortigen finanziellen Zusammenbruch des Gesundheitssystems führen würde.“

Was wir jetzt erleben, ist jedoch der drohende Zusammenbruch unseres gesamten Wirtschaftssystems. Das deutsche Gesundheitssystem scheint gut davonzukommen – trotz des vielfach beklagten „Gesundsparens“ durch die Politik in der Vergangenheit.

Im Wohl um nicht weniger als die „Weltgesundheit“ hat jetzt ein Milliardär aus Amerika seine Pläne zur Impfung der gesamten Weltbevölkerung im deutschen Fernsehen vorstellen dürfen. Da Gesundheit das höchste Gut sei, will er 7 Milliarden Menschen impfen und jeden, der das an sich vornehmen lässt, mit einem implantierten Markenzeichen belohnen. Ganz ohne Hintergedanken.

„Die Gesundheitsreligion treibt den Arzt in die Rolle eines Halbgottes…“, schreibt Lütz. Als Halbgötter werden jetzt diese Spezialisten vom RKI oder der Charite´ in den Medien gehandelt und auch eine gewisse Politikerin wird gleichsam ein weiteres Mal zu einer göttergleichen Gestalt stilisiert. Alles vermittelst des Einsatzes für das höchste Gut. Ganz ohne Hintergedanken.

Einmal die zynischen und selbstbezogenen Kommentare jüngerer „Influenzer“ derzeit beiseitegelassen, werden nun alte Menschen plötzlich wieder als Objekt der Sorge entdeckt. Nicht unbedingt als Subjekt, als möglicher Schatz der Gesellschaft gesehen. Die Oma bleibt allen Bekenntnissen zum Trotz unterschwellig die Umwelt- oder Nazi-Sau.

„Das Leben ist der Güter höchstes nicht, Der Übel größtes aber ist die Schuld.“ Meinte Schiller (in Die Braut von Messina). Der zweite Teil des Satzes ist wohl von den Politikern verinnerlicht worden. Aber das Leben selbst darf nicht infrage gestellt werden.
Das „gute Leben“ vielleicht schon; was immer sich der Einzelne darunter vorstellt.

Gehört Gesundheit zum „guten Leben“ – bedingungslos?

Was ist Gesundheit?

Da wären wir bei der grundsätzlichen Frage: was ist Gesundheit überhaupt?

Jedem informierten Arzt oder Mediziner ist die Überlegung bekannt, dass die Zahl der krankhaften Werte mit der Zahl der Untersuchungen zusammenhängt. Macht man bei jedem Menschen fünf Untersuchungen, sind vielleicht noch mehr als 95 Prozent gesund. Bei 20 Untersuchungen sind es noch 36 Prozent und bei 100 Untersuchungen ist mutmaßlich jeder Mensch krank. Quintessenz: Gesund ist eine Person, die nicht ausreichend untersucht wurde.

Das erleben wir ja aktuell im Umkehrschluss bei den Corona-Zahlen: Wer positiv getestet ist, ist krank. Und alle, die jetzt sterben, sterben nach gewollter Lesart an Corona.

Nach einer (fragwürdigen) Definition der WHO, „Gesundheit ist völliges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden.“, dürften wir alle krank sein; nicht nur derzeit.
Ich halte es da eher mit Nietzsche: „Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.“ Und das gilt nicht erst seit kurzem ganz persönlich für mich. Und wahrscheinlich auch für die Mehrzahl von Besorgten oder Risikopersonen.

Leben und Sterben

Manfred Lütz beschäftigt sich in seinem Aufsatz auch mit dem Thema „Lebenslust“ – Leben und Sterben. Ich darf deshalb nochmal ausführlich diesen klugen Mann zu Wort kommen lassen:

„Die Sehnsucht der Gesundheitsgläubigen nach unendlichem Leben, danach nicht sterben, zu müssen, das wäre für Platon die Hölle gewesen. Alles könnte man irgendwann wieder ändern, es wäre alles gleichgültig. Nur dadurch, dass wir sterben, wird jeder Moment unwiederholbar wichtig.

Wir leben heute in einer Videomentalität, als könne man alles auf Video aufzeichnen und wiederholen. Das ist Voraussetzung für fröhlichen Atheismus. Nichts können wir wiederholen. Der Moment, den wir jetzt erleben, ist niemals wiederholbar. Wir können uns noch einmal treffen, dann ist der eine oder andere von uns gestorben und wir alle haben andere Lebenserfahrungen gemacht. Nichts ist wiederholbar!

Wie kann man Lust am Leben wirklich erleben? Im Bewusstsein der Unwiederholbarkeit jedes Moments, in Muße, wie die Alten gesagt haben. Völlig zwecklos, aber höchst sinnvoll durch den Wald gehen, nicht mit einem Buch „Mein Wald gehört mir“ oder aus Gesundheitsgründen, sondern einfach um diese unwiederholbare Zeit zu genießen. Oder eine wunderschöne Melodie im Autoradio hören und nicht gleich fragen, wo bekomme ich das auf CD, wie kann ich das wiederholen. Nichts können wir wiederholen. In solchen Momenten kann man den Sinn des Lebens berühren.

Menschen, denen eine Krebsdiagnose gestellt wurde, berichten, dass sie zwar von dieser Nachricht erschüttert wurden, dass sie seitdem aber das Leben viel intensiver erlebten, die Farben eindringlicher, die Töne deutlicher wahrnähmen und die Unwiederholbarkeit jedes Moments erstmals ganz bewusst erlebten. Fast jeder bedauert, dass er nicht schon vorher so gelebt hat.

Sterben ist wie Geburt ein höchst persönlicher, existenzieller Vorgang. Er gehört zum Leben dazu und daher wollen Menschen mit Recht möglichst da sterben, wo sie gelebt haben: zu Hause im Kreise ihrer Angehörigen oder, wenn das organisatorisch nicht geht, vielleicht in einem Hospiz, in der letzten Herberge auf dem Weg in die Ewigkeit, wie der Gründer der Hospizbewegung in Deutschland, der Oratorianerpater Dr. Paul Türks, das nannte. Gute Hospize sind durchaus Orte der Lebenslust und sie unterstützen alles, wodurch man länger Spaß am Leben hat. Sicher wird auch weiterhin im Krankenhaus gestorben und bisweilen ist das zweifellos der richtige Ort, weil hier unersetzliche Hilfen zur Verfügung stehen. Auch bei diesem Thema ist jede Einseitigkeit schädlich. Dennoch hat das Sterben im Krankenhaus keine Heimat. Vor allem bietet es viele hoch professionalisierte Möglichkeiten, Sterben und Tod zu verdrängen.“

Jemand, der Angst vor dem Tod hat, hat vergessen, zu leben – das ist eine weitere Botschaft von Manfred Lütz.

Die infantile Gesellschaft hedonistischer und linker, grün-ökologischer Prägung zeigt auch in der Coronakrise ihre kindsköpfige Unfähigkeit zum Umgang mit dem Tod.
Die Alten werden in Isolationsheime eingewiesen und die Sterbenden in Krankenhäuser verbannt. Durch die Maßnahmen der Fürsorglichen – die angeblich unsere Gesundheit als höchstes Gut im Sinn hab – werden die Gesunden (?) daran gehindert, die Gebrechlichen und vielleicht bald Sterbenden noch zu besuchen oder begleiten zu dürfen. Aber die Bilder von Särgen und Massengräbern will man uns als Menetekel vor Augen halten.
A

pothekerverbände haben empfohlen, dass sich die Apotheken auf einen erhöhten Bedarf an Morphinpräparaten für schwer an Covid-19 erkrankte Patienten in der ambulanten Versorgung einstellen sollen. Es wird damit gerechnet, dass etwa 20 % der Patienten Morphiumpräparate benötigen und dennoch nicht in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Auch andere Medikamente zur „palliativmedizinischen Sedierung“ soll man sich zulegen. Wenn die Kapazitäten in den Sterbefestzungen nicht mehr ausreichen, soll man dahingehend vorsorgen, schwer erkrankte Personen nicht mehr dorthin zu bringen, sondern vom (vielleicht zwangsverpflichteten Hausarzt) im Pflegeheim ruhigspritzen lassen, damit sie das Ende nicht zu schwer erleben.

Vor etlichen Tagen sind bereits die ersten Zwangsverpflichtungen von Vertragsärzten erfolgt. Die Stadt Würzburg hat per Schreiben Vertragsärzte Pflegeeinrichtungen „zugeteilt“, um dort die hausärztliche Versorgung zu sichern.

Denn die Gesundheit auch der Pflegebedürftigen ist ja in diesen Zeiten das höchste Gut.

Wenn ich in meinen Beiträgen die sensationsheischenden Schlagzeilen und Bilder gebrandmarkt habe, über die „massenhaften“ Toten, die Särge und Leichentransporte, dann nicht, weil ich zu den Verdrängern gehöre, vielleicht selbst den Tod fürchte. Nein, es ist diese Erbarmungslosigkeit aus Sensationsgier dieser Aasgeier, die mit Raubtieraugen über den Schlachtfeldern dieser Krise kreisen.

Weil das, was man unter Würde versteht – gerade in Betrachtung von Tod und Leben – dabei beiseite gedrängt wird.

Dass „Sterben keine Heimat mehr hat“, daran waren wir doch schon gewöhnt!

Aber, Gesundheit ist ja angeblich das höchste Gut.

***** 
*) „altmod“ ist Facharzt und Blogger (http://altmod.de/) sowie seit vielen Jahren Kolumnist bei conservo
www.conservo.wordpress.com   19.04.2020
Über conservo 7863 Artikel
Conservo-Redaktion