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Von Peter Helmes
Das „Soziales Gewissen“ der CDU und das Herz der Sozialausschüsse
Mit 84 Jahren starb in der Nacht vom 23. zum 24. April ´20 der frühere Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm. Seit 2019 war er infolge einer Blutvergiftung an Armen und Beinen gelähmt und saß im Rollstuhl.
Er galt als das „soziale Gewissen“ der CDU. Zeitlebens war Norbert Blüm Verfechter der christlichen Soziallehre. Mit seiner typischen Beharrlichkeit, wohlverpackt in seine rheinische Urnatur, verteidigte er z. B. die gesetzliche Rente auch gegen Angriffe aus der eigenen Partei.
Blüm war der einzige Minister, der Bundeskanzler Helmut Kohl die vollen 16 Jahre seiner Regierungszeit (1982-1998) im Kabinett begleitete. Er galt in der schwarz-gelben Koalition je nach politischem Standort als „soziales Gewissen“ oder „soziales Feigenblatt“. Seine nachhaltigste Leistung war die Einführung der Pflegeversicherung 1995.
In Erinnerung blieb besonders auch eine Plakataktion aus dem Jahr 1986: Da ließ er sich im Kittel vor einer Litfaßsäule fotografieren, auf der ein Plakat mit dem Spruch prangte:„Denn eins ist sicher – die Rente“.
Der verkürzte Satz
„Die Rente ist sicher“
wurde geradezu zum Sprichwort.
Schlüsselfigur der CDU-Sozialpolitik
Der Arbeitersohn aus Rüsselsheim (geb. 21.07.1935) war gelernter Werkzeugmacher. Er holte das Abitur am Abendgymnasium nach, studierte Philosophie, Geschichte und Theologie. Sein politischer Ziehvater, der CDU-Sozialpolitiker Hans Katzer (1919-1996), machte das engagierte IG-Metall-Mitglied 1968 zum Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse. Von 1977 an stand Blüm für zehn Jahre an der Spitze der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).
Obwohl wir oft höchst unterschiedlicher Meinung waren, verstanden Norbert (“Nobby”) Blüm und ich uns sehr gut, fast freundschaftlich. Rund acht Jahre lang trafen wir uns regelmäßig einmal im Monat beim Stammtisch der CDU-Hauptgeschäftsführer. Dort wurden nicht nur ernste Themen besprochen, sondern auch nach Herzenslust gefrozzelt – und über die Stärken und Schwächen unserer Parteiführer gelästert. Wer da dünnhäutig gewesen wäre, hätte es in diesem Kreis nicht lange ausgehalten. Für diese Begegnungen bin ich heute noch dankbar.
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Norbert Blüm war u.a. ein unermüdlicher, streitbarer Verfechter des solidarischen Generationenvertrages als eine der wesentlichsten Errungenschaften des Sozialstaats, der für ihn Verfassungsrang einnahm. Dementsprechend lautete seine Begründung:
„Wir stehen in der Pflicht gegenüber den Rentnern, denen, die jetzt in Rente sind, und denen, die zukünftig in Rente gehen. Wir haben Hausaufgaben zu erfüllen, und zwar nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Gewerkschaften. Insofern empfehle ich uns nicht, dauernd unsere Seelenlage zu beschreiben. Die gemeinsame Sache muss sein, dass wir die Rente aus dem parteipolitischen Streit heraushalten.“
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Sein Engagement in der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft („Sozialausschüsse“ / CDA) brachte ihm von Spöttern das Etikett „Herz-Jesu-Marxist“ und den Vorwurf ein, das soziale „Alibi“ oder „Feigenblatt“ seiner zumeist als wirtschaftshörig gescholtenen Partei zu sein.
Blüm hielt seinen Kritikern von links entgegen, daß alle großen Sozialgesetze der Nachkriegszeit – wie die Montan-Mitbestimmung, das Betriebsverfassungsgesetz, der Familienlastenausgleich oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – aus der christlichen Soziallehre heraus entwickelt worden seien.
Diese strebt eine „gottgefällige soziale Ordnung“ an – aus den Prinzipien der Solidarität, der Subsidiarität und des Gemeinwohls –, wie sie auch Norbert Blüms sozialphilosophischem Lehrer, Pater Oswald von Nell-Breuning, vorschwebte, der Mitverfasser der päpstlichen Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“ aus dem Jahre 1931 und Ratgeber der SPD vor deren Godesberger Programm war.
Nach der Bonner Wende 1982 war für den neuen Kanzler Helmut Kohl der schwarze Protagonist von der proletarischen Basis als Minister für Arbeit- und Sozialordnung im Kabinett unverzichtbar. Der Machtpolitiker Kohl schätzte die Vorzüge des kampferprobten Chefs der CDU-Sozialausschüsse, seine Volksnähe und bilderreiche Sprache.
„Wer Politik gegen die Kinder macht, der macht auch Politik gegen die Alten. Denn wenn`s heute keine Kinder gibt, gibt`s morgen keine Beitragszahler. Und die, die Beitragszahler sind, die werden mitbezahlen müssen für die, die nicht geboren sind. Es tut mir leid, aber das ist so.“
In Anerkennung von Familienarbeit und Erziehungsleistung wurde der Begriff einer „Neuen Arbeit“ geprägt – über das traditionelle Verständnis von Erwerbsarbeit auf Seiten der politischen Linken hinaus.
Der CDU-Politiker Norbert Blüm war lange Jahre einer der engsten Weggefährten Helmut Kohls. 30 Jahre nach der Kohls Wahl zum Bundeskanzler bezeugt Blüm großen Respekt vor dessen Lebensleistung. Die Parteispendenaffäre aber bleibe „ein trauriges Kapitel“.
Aus Empörung darüber formierte sich eine Opposition in der CDU-Führung um Rita Süssmuth, Norbert Blüm und andere, mit dem Ziel, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth zu einer Kampfkandidatur gegen Kohl um den CDU-Vorsitz zu ermuntern. Doch die Putschpläne zerschlugen sich.
Kohl hielt Blüm fortan für einen „Verräter“, wie spätere Aufzeichnungen offenbaren. Dieser sollte den alttestamentarischen Zorn seines langjährigen Förderers noch auf dem Altenteil zu spüren bekommen.
Nach der Deutschen Einheit warteten auf Blüm noch große sozialpolitische Herausforderungen. Zunächst stand die Rentenanpassung auf dem Programm, das sogenannte Rentenüberleitungsgesetz, mit dem das gesamte Rentenrecht auf die neuen Bundesländer übertragen wurde – auch wenn bis dato im Osten noch niemand in die Rentenkassen der nun vereinten Republik eingezahlt hatte und aus der DDR keinerlei Altersvorsorgekapital zu übernehmen war.
Da die Kosten für Pflegedienste Renten und Ersparnisse überstiegen und die Sozialhilfe überfordert war, mußte eine Versicherung für den Pflegefall her. Als zentrales Motiv nannte Blüm, die für ihn zum Himmel schreiende Benachteiligung von pflegenden Frauen zu überwinden:
„Das sind die stillen Samariter unseres Sozialstaates. Zum Dank dafür, daß sie nicht erwerbstätig werden können, sind sie dann im Alter selber Sozialhilfeempfänger. Das kann nicht so bleiben. Wir brauchen eine anständige Antwort auf das Thema Pflege.“
Blüm bekam seine Lösung, wenn auch mit etlichen Blessuren. Das Projekt war nach seinen Worten „an mehreren Abgründen vorbeimarschiert.“ Für den Fall seines Scheiterns schien er sogar zum Rücktritt bereit. Nach der Feiertagsstreichung des evangelischen Buß- und Bettags konnte die Pflegeversicherung in Kraft treten.
Parteispendenaffäre
Als nach Kohls Rekordkanzlerschaft die sog. Parteispendenaffäre Ende 1999 die Grundfeste der Union erschüttern sollte, wandte sich auch Kohls dienstältester Minister öffentlich von ihm ab. Blüm bekundete sein Unverständnis über den Rechtsbruch, die Namen privater Parteispender gegen die gesetzliche Meldepflicht beharrlich zu verschweigen. Ein größeres Risiko ging Norbert Blüm dabei nicht mehr ein. Denn zu kitten gab es nichts mehr im Verhältnis zu seinem nachtragenden früheren Kabinettschef.
„Verdienst bleibt Verdienst, aber ich wünsche ihm nicht, dass Verbitterung und noch Schlimmeres das letzte Wort von ihm sind.“
Eine vergebliche Hoffnung. Blüm sollte freilich unter der späteren Parteivorsitzenden Angela Merkel seine bitterste politische Niederlage noch erleben. Die Oppositionsführerin wollte ihrer Partei im Kampf gegen die 2002 bestätigte rot-grüne Koalition ein neues neoliberales Image verpassen – und fuhr mit Karacho gegen die Wand.
Norbert Blüm war ein volkstümlicher Politiker, der sich auch nicht scheute, die Rolle des Polithumoristen anzunehmen. Als gefragter Büttenredner trat er häufig in der fünften Jahreszeit auf und unterhielt mit seinem rheinischen Mutterwitz die jubelnde Narrenschar. Hier ein Beispiel:
„Der ideale Mensch hätte die Stimme von Pavarotti, die Ohren von Genscher, die Frisur von der Merkel, die Wurfarme von Fischer, das Mundwerk von der Simonis.“
(2001 während der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst in Aachen – sein Thema: die Gentechnik.)
„Zu meiner Vorstellung von politischer Kultur gehört, daß man konfliktfähig ist. Die Demokratie braucht die Auseinandersetzung. Allerdings kann das nicht das Einzige sein. Wir müssen ebenso fähig sein zum Konsens. Und wann Konflikt und wann Konsens, das ergibt sich nicht aus Voreingenommenheit, sondern aus der Sache.“
Zu seinem Tod erklärte sein Parteifreund und Nachbar N. Röttgen:
„Ein großer Politiker und ein großartiger Mensch. Ein unermüdlicher Streiter für die Schwächeren. Norbert #Blüm wird die Verkörperung der christlichen Soziallehre in der @CDU bleiben. Sein Tod macht uns alle traurig. Wir halten inne in großer Dankbarkeit für seine Lebensleistung.“ (Norbert Röttgen MdB, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages)
R.I.P. – Möge er ruhen in Frieden!