Qualitätscheck aus dem Wahrheitsministerium

(www.conservo.wordpress.com)

DR.PHIL.MEHRENS, AUTOR & PUBLIZIST

Durch „Corona“ hat es sich noch einmal verstärkt: Politik und Leitmedien blasen seit Jahren in dasselbe Horn. Woran liegt das?

Mit deutlich erhöhter Frequenz tauchte in den vergangenen Tagen im Zusammenhang mit der medialen Berichterstattung zur „Corona-Krise“ der Begriff Verschwörungstheorie auf. Hintergrund waren zunehmende Proteste von Kritikern der „Corona“-Zwangs-maßnahmen.

Vor allem ihre Berichterstattung über die Demonstration am zweiten Mai-Wochenende in Stuttgart verbanden die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten mit der wie auf Kommando von Politikern verschiedener Couleur in den Medienwald geschossenen und willfährig aufgegriffenen Warnung, Menschen, die Gebrauch machten von ihrem legitimen Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit könnten in den Sog von „Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern“ geraten. Wer diesen Berichten aufmerksam folgte, musste den Eindruck gewinnen, dass sich beim Grundrecht auf freie Versammlung und Meinungsbekundung einiges verändert hat, dass es neuerdings einen vom Wahrheitsministerium verordneten Qualitätscheck für die Teilnahme an solchen Kundgebungen zu bestehen gilt: Wer demonstriert da noch mit? Inwieweit diskreditiert die Anwesenheit von Menschen mit abwegigen Meinungen die Kundgebung? Wo bleibt die Distanzierung von diesen Mitdemonstrierenden?

Während es vor einem Jahr bei denselben Medien noch weitgehend unbeanstandet durchging, dass Menschen auf die Straße gingen, die in der Regel noch ein paar Jahre von einem Bildungsniveau entfernt sind, das sie befähigt, ein sach- und fachkundiges Urteil zu dem auf der Demo vertretenen Anliegen begründet darzustellen, dass merkwürdige Gestalten von linksextremen Gruppen wie Extinction Rebellion mitmarschierten und dass die Mehrheit der Demonstranten eklatant gegen die Schulpflicht verstieß, scheinen sie den aktuellen Demos gegen die „Corona“-Beschränkungen eine Art Zulassungsprüfung vorschalten zu wollen, die es zur unerhörten Begebenheit macht, dass Menschen daran teilnehmen, die sich nicht vorher von der Redlichkeit und fachlichen Kompetenz ihrer Mitmarschierer überzeugt haben. Dass Protestierer die Thesen und Parolen, die in Sprechchören, auf Spruchbändern und Plakaten auf einer Demonstration geäußert werden, auf ihre wissenschaftliche Exaktheit und Zuverlässigkeit prüfen müssen, ist zweifellos ein Novum in der bundesdeutschen Gesellschaftsgeschichte, das jedenfalls in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch nicht anwendbar war auf Plakate und Transparente und deren Träger, die den baldigen Atomtod, das bevorstehende Waldsterben und so manche abstruse Theorie – sollte man wagen, sie Verschwörungstheorie zu nennen? – hinsichtlich der Verflechtung von Atomlobby, multinationalen Konzernen und Politik vertraten.

Zu den konkreten Fakten: Stellvertretend für viele meldete die Deutsche Welle am 11. Mai auf ihrer Webseite: „Vertreter von Regierungsparteien wie auch Opposition betrachten mit Sorge die bundesweiten Demonstrationen gegen die Corona-Restriktionen. Sie befürchten, dass sich antidemokratische Kräfte die Proteste zunutze machen.“ Von SPD-Chefin Saskia Esken wurde eine Stellungnahme wiedergegeben, die sie gegenüber der Funke-Mediengruppe geäußert hatte: „Wer die Pandemie leugne und zum Verstoß gegen Schutzvorschriften aufrufe, nutze die Verunsicherung der Menschen schamlos dafür aus, die Gesellschaft zu destabilisieren und zu spalten.“ CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, Häresieexperte Lars Klingbeil von der SPD und Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz hauten in dieselbe Kerbe und sahen, in sich allmählich abnutzender Rhetorik, mal wieder die Demokratie durch deren fanatische Feinde (von rechts) in Gefahr. Die Willfährigkeit und Regierungsnähe der Rundfunkmedien hat in der „Corona“-Krise auch auf den Spiegel übergegriffen, der ARD und ZDF früher auch schon mal als „Staatsfunk“ lächerlich gemacht hat.

„Warum sind viele Corona-Rebellen anfällig für faschistische Denkmuster?“, fragte das Qualitätsmedium im jüngsten Heft (Nr. 21/2020) und befragte dazu mit Natascha Strobl ein 35-jähriges Politologieküken, das, in der universitären Brutstätte Wiens zur opportunen Gesinnung gereift, frisch aus dem Ei des Neomarxismus geschlüpft ist. Die Mitgliedschaft im „Verband Sozialistischer Student_innen in Österreich“, die als Nebenraum der linken Uni-Echokammer ihr Studium flankierte, dürfte der Salonsozialistin den letzten Rest Zweifel daran genommen haben, allzeit das Gute, Edle und Wahre zu vertreten, und sie damit für den linksliberalen Spiegel bei der Suche nach einer „Expertin“ zum Thema Faschismus und Verschwörungstheorien zur ersten Wahl gemacht haben.

Entsprechend unkritisch fielen die Fragen des einstigen Flaggschiffs regierungskritischer Kommentierung aus: Sie sind eher Stichwortgeber für die erwünschte Botschaft. Kostprobe: „SPIEGEL: Eine Art Selbstermächtigung zum Kampf mit allen Mitteln? – Strobl: Genau.“ Hätte Manfred Dworschak keine Angst vor der Wahrheit, hätte er sich mit Strobl aus der eigenen Echokammer hinausbewegt und zu dem Gespräch Ken Jebsen gebeten, den der Spiegel-Mann als Pars-pro-toto der als faschistoid verunglimpften Gegenfraktion anführt.

Kritikern des Regierungskurses wirft Strobl undifferenziert und pauschal vor, „sich erleuchtet“ zu fühlen und „im Kampf zwischen Gut und Böse“ auf der „richtigen Seite“ zu sehen, doch sie ist blind und taub für den Subtext dieser Formulierung: dass selbstverständlich in Wahrheit sie und ihr Interviewpartner vom klugen Spiegel die „richtige Seite“ vertreten. Das macht diesen Spiegel-Beitrag zum Musterbeispiel für die Verwechslung von Krankheit und Therapie: Interviewer und Interviewte wähnen sich im Besitz der Wahrheit und das ermächtigt sie, mit den Meinungen und Argumenten anderer totalitär umzugehen, indem sie sie herablassend als dummes Gewäsch abtun. Mit dieser Haltung gegenüber kritischen Stimmen in der Gesellschaft meinen sie zu allem Überfluss auch noch die Demokratie zu retten. Sie wollen den Splitter aus dem Auge ihres Nächsten ziehen, sehen dabei aber gar nicht den Balken im eigenen.

Wenn Medien und Politiker derart einhellig ins selbe Horn blasen, muss einen das in Alarmbereitschaft versetzen. Dann könnte die Demokratie tatsächlich in Gefahr sein.

Denn erstens ist es in einer Demokratie alles andere als der Normalfall, dass sich Medien, wichtige Oppositionsparteien und Regierung derart einig sind; und zweitens fällt es schwer zu glauben, dass zu einem Zeitpunkt, da durch die Regierung und partielle Billigung der Opposition fundamentale Grundrechte außer Kraft gesetzt sind, ausgerechnet diejenigen die Demokratie gefährden, die genau dagegen auf die Straße gehen. Eher kommen bei so einem Befund ganz unwillkürlich Gedanken hoch an Staaten wie die Erdogan-Türkei oder China oder die böse alte „DDR“ mit willfährigen Polit-Kaspern an den Schalthebeln des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens, mit medialen Marionetten der Mächtigen, mit auf Kurs gebrachten Künstlern, mit Einheitspartei, Einheitsregierung, Einheitspolitik und einem Karl-Eduard von Schnitzler im Fernsehen, der das alles schön regimekonform erklärt.

Widerstand ist unter solchen Umständen nicht nur nicht opportun, er ist vor allem auch völlig zwecklos. Genau so war sicher auch Saskia Eskens kaltschnäuziges Verdikt über Pandemie-Leugner zu verstehen. Man kann der SPD-Frontfrau die Sehnsucht nach einer nicht-gespaltenen und qua Einheitsregierung auf Kurs gebrachten, im Gleichschritt der all-linken Parteisoldaten marschierenden Gesellschaft bei fast jedem ihrer Statements ablauschen. Es gilt die alte marxistische Regel: Wer leugnet, dass die Partei = Regierung immer recht hat, der kommt womöglich in einem nächsten Schritt noch auf die Idee, im Sozialismus sei nicht das Seelenheil für die Menschheit zu finden!

Besonders stutzig muss man aber werden, wenn man sich anschaut, was vor der Ausbreitung des Virus in Deutschland als „Verschwörungstheorie“ bezeichnet wurde und was danach: Am 28. Januar veröffentlichte die Tagesschau auf ihren Webseiten einen Text von Natalia Frumkina mit der Überschrift „Coronavirus als angebliche Verschwörung“. Unter der Zwischenüberschrift „Panikvideo zu 2019-nCoV“ wurden „diverse dubiose Aussagen über seine Eigenschaften“ als fragwürdig dargestellt. Wörtlich war in Frumkinas Beitrag zu lesen:

„So wird in einem hunderttausendfach aufgerufenen und zahlreich verbreiteten Youtube-Video behauptet, der Coronavirusausbruch sei ‚weitaus schlimmer, als man euch glauben machen möchte‘.“

Als Beleg für die als überzogen diffamierte Botschaft des Videos wurden unwissenschaftliche Behauptungen des Video-Urhebers herangezogen, etwa eine unpräzise Darstellung zur Verbreitung des Virus durch „Flüssigkeiten“, die der Freiburger Virologe Hartmut Hengel für die Tagesschau zerpflückte. Das war zu einem Zeitpunkt, da das Virus noch nicht als so virulent und bedrohlich angesehen wurde wie heute. RKI-Präsident Lothar Wieler sagte am 27. Januar im ZDF-Morgenmagazin wörtlich:

„Deutschland ist absolut gut vorbereitet. […] Gerade an den Flughäfen, den so genannten Eintrittsorten, ist man sehr, sehr gut gewappnet. Insofern ist die Gefahr für die deutsche Bevölkerung sehr gering.“

Wer dagegen heute, Wochen später, der Wind hat sich gedreht, behauptet, dass die Gefahr für die deutsche Bevölkerung sehr gering ist, der findet sich im Lager der Verschwörungstheoretiker wieder, Medizinstudium hin oder her. Auf einmal sind also nicht mehr diejenigen der Verschwörungstheorielastigkeit verdächtig, die ungebührlich das Problem der Pandemie vergrößern – für die Vergrößerung hat die Faktenlage inzwischen selbst gesorgt –, sondern die, die es ungebührlich verkleinern und die Gegenmaßnahmen für überzogen halten.

„Gemeinsam ist den als ‘Verschwörungstheorie’ bezeichneten Auffassungen, daß sie der Darstellung der Behörden oder der Regierung widersprechen. Dabei wird die Stimmung erzeugt, daß die Darstellung der Regierung und der Behörden verläßlich und ihre Absichten gut seien“, fasst der Philosoph Daniel von Wachter, der als einer der Ersten auf die Merkwürdigkeiten beim Umgang mit dem pauschalisierenden Begriff hingewiesen hat, seine Beobachtungen zusammen. Wie in einer totalitären Diktatur wird immer jeweils diejenige Position in das gesellschaftliche Abseits abwegiger Spekulationen gerückt, die mit der Regierungsmeinung nicht konformgeht.

Die Frage, die sich hier ganz zwangsläufig stellt, ist: Warum legen die etablierten Medien so immensen Wert darauf, Regierungskritiker – egal, was sie sagen – zu diskreditieren und die Regierung im besten Licht erscheinen zu lassen? Es fällt ungemein schwer, sich vorzustellen, dass man in den Kohl-Jahren bei Anti-AKW-Demos seitens der Leitmedien derart auf die Demokratiekompatibilität dessen fokussiert war, was da von linken Marschierern und im Verein mit welchen dubiosen Gruppen auf die Straße getragen wurde.

Damals machten Bürger ihrem Unmut Luft und vertraten öffentlich ihre Meinung. Punkt. Heute dagegen droht Kritikern der Regierungslinie, Xavier Naidoo, Ken Jebsen, Attila Hildmann, eine medial entfachte Empörungswelle. Sicher, die Regierenden müssen, damals wie heute, verbal Front machen gegen solche Proteste. Immerhin stellen die ihre Agenda in Frage.

Aber die Medien? Die verurteilten Demos früher nur, wenn Gewalt im Spiel war und nicht bloß ein paar abstruse Argumente. Eskalierten in den siebziger und achtziger Jahren Protestmärsche und arteten in Straßenschlachten aus, dann war man sich auch in der Berichterstattung einig: Die Demonstranten, die zu Gewalt gegriffen oder sich davon nicht ausreichend distanziert hatten, haben ihrem womöglich berechtigten Anliegen einen Bärendienst erwiesen. Heute reicht die falsche Meinung, um einen Empörungstsunami auszulösen.

Das nötigt zu folgendem Fazit: Viel gefährlicher als jede Pandemie ist die Pandummie, die Herdendummheit. Sie kann, wie das griechische Wort pan („jedes“) ausdrückt, jeden befallen und tritt kollektiv auf. Zustande kommt sie dadurch, dass Herdentiere nicht selbst denken, sondern blöde ihrem Leittier hinterherlaufen – auch wenn dieses mit Scheuklappen vor den Augen direkt auf den Abgrund zusteuert. Die Pandummie ist es, die unsere Demokratie wirklich zerstören kann.

www.conservo.wordpress.com     19.05.2020
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