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Von Peter Helmes
Wo stehen Deutschland und Europa ohne die USA?
Das Vorhaben eines US-Truppenabzugs aus Europa galt bislang als unwahrscheinlich, weil die USA mit dem Truppenrückzug auch ihren eigenen Interessen schadeten. So war jedenfalls bisher die gefestigte Meinung in atlantischen Kreisen. Jetzt aber planen die USA – wie inzwischen aus Washington bestätigt ist – einen größeren Teil ihrer in Deutschland stationierten Truppen abzuziehen.
Die Rede ist von etwa 9.500 US-Soldaten, die Deutschland verlassen würden, das wäre etwa ein Viertel der US-Einsatzkräfte hierzulande. Ein Teil von ihnen werde nach Polen und in andere Staaten von Verbündeten verlegt, ein anderer Teil kehre in die USA zurück, hatte ein Regierungsmitarbeiter gesagt. Es gibt mehrere Berichte, die schon Details dieser Abzugspläne liefern.
Da haben wir den Salat: Donald Trumps Vorhaben, US-Truppen aus Deutschland abzuziehen, entspricht seiner Strategie, die USA immer weiter aus internationaler Verantwortung zurückzuziehen:
- Der Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen,
- Trumps Haltung in Fragen des Welthandels,
- seine tiefe Skepsis gegenüber Organisationen wie der NATO oder dem Forum der G7-Industriestaaten,
- die Kündigung des Iran-Abkommens,
- das Ende von Rüstungskontrollverträgen wie INF und Open Skies und
- die aktuellen Angriffe des US-Präsidenten auf die Weltgesundheitsorganisation WHO gehören beispielsweise dazu und zeigen, daß Trump auch durchzusetzen bereit ist, was er ankündigt.
Doch wo werden Deutschland und Europa ohne den militärischen Rückhalt der USA stehen, sollte Trump ernst machen? Man sollte dabei an den historischen Zusammenhang erinnern, in dem die Präsenz der USA hier gesehen werden muß. Die Truppenstärke ist im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte in Deutschland geschichtlich gewachsen, oder besser gesagt in Westdeutschland, an der Blockgrenze des Kalten Krieges. Anfang der 90er-Jahre waren noch fast eine Viertelmillion US-Soldaten hier stationiert. Heute sind es noch knapp 35.000 – das größte Kontingent in Europa.
(Teil-)Rückzug aus der NATO?
Widerspruch gab es immer, mal kläglich, mal laut. Die Linkspartei z.B. fordert heute laut den Gesamtabzug der US-Truppen aus Deutschland. Der Links-Parteichef und der SPD-Fraktionsvorsitzende – mithin einer der die Bundesregierung tragenden Parteien – fordern mit dem Rückzug aus der nuklearen Teilhabe auch einen zumindest symbolischen Teilrückzug aus der NATO. Im besseren Falle wird Deutschland mit einer solchen Politik zu einem bedeutungslosen Akteur. Im schlechteren hilft es mit, jene Werte in Europa aufs Spiel zu setzen, für die die USA und mit ihnen das gesamte westliche Wertesystem standen.
Die Aufgabe der US-Truppen in Deutschland ist allerdings längst nicht mehr in erster Linie die deutsche Verteidigung. Sie dienen vor allem amerikanischen und Bündnis-Interessen. In der Mitte Europas gelegen, ist Deutschland ein wichtiges Drehkreuz für Auslandseinsätze. Es beherbergt unter anderem mehrere Regionalkommandos, den Luftwaffenstützpunkt Ramstein und das größte Militärkrankenhaus außerhalb der Vereinigten Staaten. Es war der NATO daher von Anfang an völlig unklar, weshalb die USA ihren eigenen, auch logistischen Interessen schaden und Einheiten aus Deutschland abziehen sollten, zu denen auch viele zivile Kräfte gehören. Das ganze Vorhaben galt deshalb als unwahrscheinlich.
Was zu beanstanden ist: Es gibt im Bündnis festgelegte Spielregeln, mit denen man derartige Schritte konsultiert und vorab informiert. Und es ist auch eine vertragliche Verpflichtung der USA, die Bundesregierung vor Verringerungen zu informieren, das ergibt sich aus den Stationierungsvereinbarungen. Das ist nicht erfolgt.
Ich halte das für einen Verstoß gegen den Geist der Bündnisverpflichtungen, die beide Seiten eingegangen sind. Ein Bündnis funktioniert nun einmal auf der Grundlage von Vertrauen und gegenseitiger enger Information und Abstimmung. Derartiges hat man von den Vereinigten Staaten ja nun in den Zeiten der Trump-Regierung öfters erlebt. Insofern auch keine Überraschung, aber dennoch bedauerlich und eine Schwächung des Bündnisses. Derartige Schritte freuen nur zwei auf dieser Welt, das sind Russland und China.
Alarmierend ist der Vorgang aus einem weiteren Grund. Er zeigt eine fortgesetzte Zerrüttung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses an. Gestritten wird über den Rückzug der USA aus dem INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen, den angekündigten Rückzug aus dem Open-Skies-Vertrag, den Umgang mit dem Iran und die Höhe der Militärausgaben.
Die Amerikaner haben oft genug gefordert, daß Deutschland aus der verteidigungspolitischen Hängematte aufsteht. Man kann in einem Bündnis nicht das eigene Militär vergammeln lassen, den Verteidigungsetat niedrig halten und erwarten, daß im Ernstfall andere die Kastanien aus dem Feuer holen. Zudem hat Militärpolitik immer mit Außenpolitik zu tun. Deutschland gefällt sich da im Appeasement von unappetitlichen Regimen im Iran und China, es wirft sich mit Nord Stream 2 in die Arme Moskaus. Washington kann mit Recht Zweifel an der Bündnistreue Berlins hegen. So sieht das auch der geachtete Brigadegeneral Dieter Farwick, der hier schon vielfach seine Expertise bewies.
Der Führungsmacht der NATO, also den USA, ist der Zusammenhalt des Bündnisses offenbar nicht mehr wichtig allzu wichtig. Wenn es nach der Wahl im November nicht zu einem Machtwechsel im Weißen Haus kommt, bedeutet das im besten Fall, daß der Einfluß des demokratischen Westens in der Welt noch schneller schmelzen wird. Im schlechteren Fall werden sich Moskau und Peking dadurch zu militärischen Abenteuern ermutigt fühlen.
Und vergessen wir nicht: Die Amerikaner sind nicht hier, um uns einen Gefallen zu tun, sondern aus ureigenen strategischen Interessen:
Eine zentrale Aufgabe, der Schutz des Baltikums vor Russland, wird aus gutem Grund bislang von Deutschland aus gewährleistet. Denn wenn die US-Soldaten tatsächlich nach Polen und damit vor Putins Haustür verlegt werden sollten, wäre das eine Provokation Moskaus, die eine weitere Aufrüstungsspirale auslösen könnte.
Mit einem Abzug von 9.500 US-Soldaten würde Trump die militärische Handlungsfähigkeit der USA in diesem geostrategischen Raum einschränken. Die Generäle und der US-Kongreß wollen weder das Luftdrehkreuz Ramstein schließen noch das Militärkrankenhaus Landstuhl; dort werden fast alle Verwundeten auf dieser Seite des Atlantiks gepflegt, und dort haben die USA in jüngster Zeit über eine Milliarde Dollar investiert. Sie können auf die Infrastruktur für Kommandogewalt, Logistik, Aufklärung hier in Deutschland weder verzichten noch sie nach Polen verlegen. Und warum sollen sie etwas teuer neu aufbauen, was bereits existiert und belastbar funktioniert?
Gewinner der Truppenverlegung könnte am Ende Putin sein
Wenn es tatsächlich zu diesem Truppenabzug kommt, könnte das Folgen für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands haben. Die Verlegung von Truppen (oder Teile von ihnen) nach Polen wird zwar nicht sofortige dramatische Auswirkungen für Deutschland und für Europa haben. Man muß allerdings fragen, ob das dann noch in Übereinstimmung steht mit der NATO-Russland-Akte, die ja eine permanente Stationierung von amerikanischen Truppen in Polen nicht vorsieht.
Wenn die Zahl aus Europa erheblich verringert wird, dann heißt der Gewinner der ganzen Sache Putin
Mit solchen Schritten vermindern sich die Chancen auf Abrüstung und Rüstungskontrolle. Das ist allerdings für einige deutsche Politiker (von links) kein Thema; denn die glauben ja, man könne Abrüstung vorantreiben und damit Sicherheit erreichen, was natürlich auch ein absoluter Trugschluß ist. Denn jeder amerikanische Abzug schwächt die NATO-Strategie.
Man muß sehen, welche Kampfkraft dahintersteckt. Die amerikanischen Truppen sind sicherlich die am modernsten ausgestatteten und kampffähigsten des NATO-Bündnisses. Von daher gesehen ist eine Schwächung des gesamten Dispositivs der NATO natürlich mit jedem amerikanischen Abzug verbunden.
Vorwand zur Aufrüstung für russisches Militär
Putin rüstet sehr einseitig und sehr deutlich auf, vor allem im nuklearen Bereich. Das ist aber offensichtlich einigen deutschen Politikern bisher weitgehend entgangen, die glauben, man könnte in einer solchen Situation einer Aufrüstung mit Atomwaffen, die ausschließlich auf Europa gerichtet sind, Sicherheit durch Abrüstung erreichen. Im Grunde genommen erinnert die Situation an das, was wir in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren erlebt und dann glücklicherweise überwunden haben – nämlich durch einen Doppelansatz von Abrüstung und glaubhafter Verteidigungsfähigkeit. Aber mit der glaubhaften Verteidigungsfähigkeit ist es heute im NATO-Europa und eben auch in Deutschland nicht mehr so arg gut bestellt, insofern haben wir auch für Verhandlungen nichts auf die Waagschale zu werfen.
Das russische Militär nutzt jede Gelegenheit, um das Gespenst einer angriffsbereiten NATO an die Wand zu malen – das alte Feindbild, das aus den Köpfen des russischen Generalstabs offensichtlich nie verschwunden ist.
Und wenn man sich das Kräftedispositiv, das von dem Oblast Kaliningrad bis in die westlichen Bezirke der russischen Föderation reicht, genau ansieht, dann müssen die sich weiß Gott nicht fürchten, wenn ein- bis zweitausend zusätzliche amerikanische Soldaten nach Polen verlegt werden. Eine Angriffsfähigkeit entsteht daraus gewiß nicht, aber man wird das so darstellen und als Rechtfertigung nutzen, um weitere Aufrüstungsschritte voranzutreiben.
Also, mit einer solchen Truppenverlegung nach Polen würden die USA Russland eine weitere Entschuldigung, einen weiteren Vorwand liefern, um weiter aufzurüsten. Diese Schlussfolgerung ist erlaubt, ja notwendig!
Die Amerikaner wiederum brauchen Europa als Drehscheibe für ihr weltweites strategisches Dispositiv. Und wenn sie hier Kräfte abziehen aus der idealen Drehscheibe Deutschland, dann schwächen sie ihre eigene strategische Handlungsfähigkeit.
Dazu kommt, daß sie erhebliche Kosten verursachen werden; denn hier haben sie ein im Grunde gemachtes Nest, zu dem ja auch Deutschland nicht unerhebliche finanzielle Mittel in den letzten Jahren beigetragen hat. Wenn sie das woanders wiederaufbauen wollen, das gilt übrigens auch für Polen, müssen sie erst mal Geld in die Hand nehmen. Ob man das als klug bezeichnen kann in einer Zeit, in der auch Amerika, genauso wie wir, sein Geld für andere Dinge brauchen könnte, wage ich zu bezweifeln.
Die gegenüber Europa, genauer: EU-Europa, von Trump gezeigte Politik degradiert das derzeitige Europa mehr oder weniger zu einem Nebenkriegsschauplatz, zu einer Quantité negligeable. EU-Europa hat ihn enttäuscht und sich in seinen Augen zum Maulhelden gemacht – vielstimmig, zerstritten, plan- und ziellos.
Die zentrale Aufgabe, vor der wir in Europa also stehen, heißt: Zurück zur Selbstbehauptung Europas und Wiedererlangung seiner Handlungsfähigkeit – innerhalb und außerhalb der EU.
Wir werden ein Nichts werden, wenn es uns nicht gelingt, selber handlungsfähig zu werden.
Es gibt keine Macht mehr, die uns das abnimmt. Wir müssen es selber machen. Diese Erkenntnis verdanken wir Mr. Trump! Das ist die entscheidende Aufgabe, das kann man jetzt auch als geschichtliche Aufgabe verstehen. Noch einmal: Es geht darum, europäische Handlungsfähigkeit in der Welt und gegenüber der Welt zu entwickeln. Das ist das A und O. Das bedeutet, daß hier zunächst Deutschland und Frankreich gefragt sind. Und das provoziert die Frage, was deutsche Politik heute eigentlich will – und kann.
Verteidiger unseres Wertesystems – ein Etikett von gestern?
Wie sieht Deutschlands Einstellung zur Verteidigung bzw. zum Bündnismodell aus? Es bleibt eine sehr schwierige Frage, deren Beantwortung ich erwarte, aber befürchte, daß sie je nach politischem Lager widersprüchlich ausfallen wird:
Die amerikanische Truppenpräsenz in Europa und zwar in der Mitte Europas, im wirtschaftlich stärksten, bevölkerungsreichsten Land, ist von hoher Symbolkraft. Die Einheiten einfach nach Polen zu verlegen, wäre zudem mit vielen Fragezeichen verbunden, nicht zuletzt wegen der Nato-Grundakte von 1997, die eine dauerhafte Truppen-Stationierung in ehemaligen Ostblockstaaten ausschließt.
Und ein weiterer Aspekt scheint von Tag zu Tag dringlicher zu werden: Weiß Deutschland, weiß Europa, wo es ohne die USA steht? Wenn Einheiten, wenn tausende Soldaten für die Bündnisverteidigung ersetzt werden müssten? Wenn erheblich mehr Mittel gebraucht werden, weil die Vereinigten Staaten ihre bisherigen Aufgaben nicht mehr übernehmen wollen?
Die Westalliierten haben in Westeuropa und vor allem in Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg ein Gesellschaftsmodell etabliert und verteidigt, das inzwischen auch Osteuropa einschließt. Wenn die Vereinigten Staaten als Verteidiger ihrer einst exportierten Werte ausfallen – was dann?
Gibt es in Deutschland inzwischen eine eigenständige Grundüberzeugung für diese Werte – und für die Notwendigkeit, sie zu schützen? Freiheit und Menschenrechte sind universell und müssen als solche verteidigt werden:
„Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit“ – so lautet das Gründungsmotto der NATO, das uns täglich fordert.