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Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist*)
Sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft mehren sich in Deutschland die Beispiele, die den Ruf von Spitzenpolitikern und Wirtschaftsbossen schwer beschädigen – und in Folge das Ansehen Deutschlands.
In beiden Gruppen werden der staunenden Öffentlichkeit Verhaltensweisen vorgeführt, die keinen Ehrenkodex erkennen lassen.
Es wird viel von Verantwortung geredet, mit der auch höhere Gehälter und Privilegien begründet werden. Wenn es jedoch zum „ Schwur“ kommt, ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, nicht zu erkennen.
Schuld haben immer andere.
Jüngstes Beispiel: Frau von der Leyen
Sie hat die Bundeswehr an die Wand gefahren. Sie hat die Vorarbeit ihrer Vorgänger vollendet. Dazu gehören auch dreistellige Millionenbeträge, die sie mit ihrer Staatssekretärin Suder, ehemalige McKinsey-Beraterin, oft ohne Ausschreibung zur Bezahlung von Beratern eingesetzt hat.
Im Untersuchungsausschuss des Bundestages lehnte sie die Übernahme von Verantwortung ab und behauptete, die betroffenen Anweisungen seien von ihren Staatssekretären unterschrieben worden. Basta.
Bei der bekannten Arbeitsweise der Frau von der Leyen, die Detailarbeit und Überwachung schätzt, ist dies nicht glaubwürdig.
Selbst wenn es so gewesen wäre, hatte sie als Ministerin die ungeteilte Verantwortung für Anweisungen und Anordnungen des Ministeriums – besonders jedoch für ihre engsten Mitarbeiter – die Staatssekretäre und -innen.
In der Vergangenheit wurde immer wieder der Rücktritt oder die Entlassung eines Ministers gefordert, wenn in dessen Verantwortungsbereich etwas Unrechtes oder ein Unglück geschehen ist. Das war im Falle Frau von der Leyen nicht der Fall. Als Belohnung für ihr Versagen und ihre Dienstpflichtverletzungen wurde sie vom französischen Präsidenten Macron als EU-Präsidentin nach Brüssel fortgelobt – mit der Zustimmung der deutschen Bundeskanzlerin.
Ihre Anhörung im Untersuchungsausschuss wurde gezielt in die Zeit nach Übernahme ihrer Präsidentschaft verlegt. Da die beiden Regierungsparteien eine Mitschuld daran trugen, dass Frau von der Leyen im Amt versagte, bekam sie von diesen einen „Freispruch dritter
Klasse“ und verließ lächelnd den „Gerichtssaal“ – ohne jedes Zeichen von Sühne und Scham.
Deutschland hat diese Frau im Wissen über ihr Regierungsversagen in das höchste Amt der EU geschickt.
Menschen, die in ihrem Beruf über Jahre Verantwortung getragen haben, sind über den Ablauf des Verfahrens entsetzt.
Mit solchen „ Freisprüchen“ wird das Vertrauen in die deutsche Politik und den „ Rechtsstaat Deutschland“ weiter stark geschädigt.
Leider ist der Fall von der Leyen kein Einzelfall.
Das wiederholte Regierungsversagen von Frau Merkel
Die Bundeskanzlerin trägt die Gesamtverantwortung für das Handeln der Regierung.
Sie hat die Richtlinienkompetenz, die sie selten wahrnimmt. Leider hat sie in ihren 15 Jahren den Ministern zu viel Spielraum eingeräumt. So hat sie ihr Recht aufgegeben, dem Bundespräsidenten einen Minister oder eine Ministerin wegen unzureichender Leistung zur Entlassung vorzuschlagen. Diesen Freiraum haben in letzter Zeit besonders die von der SPD gestellten Frauen im Kabinett wiederholt missbraucht. Sie haben ihr jeweiliges Steckenpferd geritten – meist ohne Rücksicht auf das Ganze.
So hat der Koalitionsausschuss eine wichtigere Rolle gespielt als das Kabinett, das häufig zu einem Vollzugsorgan des Koalitionsausschusses degenerierte.
Es machte sich negativ bemerkbar, dass es in den letzten Jahren keine starke parlamentarische Opposition gab und die Medien parteilich geworden sind – zu Gunsten von Frau Merkel.
Die einzige Partei, die Opposition betrieben hat, wurde von den übrigen Parteien stark eingeschränkt und in ihrer Wirkung beschnitten.
Ich beschränke mich auf drei einsame Entscheidungen der Bundeskanzlerin:
a) Auf Bitten Frankreichs hat sie sich im Mai 2010 vehement für einen Verbleib Griechenlands in der EU eingesetzt – mit einem hohen Preis, der Griechenland bis heute nicht gerettet hat, da es die auferlegten Reformen nur zu einem Teil erfüllt.
Bedenklich ist heute die enge wirtschaftliche Abhängigkeit Griechenlands von China. Griechenland ist ein wichtiger Brückenkopf der chinesischen Expansionspolitik „ one belt – one road“ in Europa geworden..
b) Die weitere negative strategische Entscheidung von Merkel war die Aufgabe von Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen am 4./5. September 2015 und der Verzicht auf deren Wiedereinführung am 13./ 14. 2015.
Es folgte die illegale Masseneinwanderung, die die deutsche Regierung und die deutschen Behörden wie ein Tsunamie überschwemmt hat – und noch heute – etwas abgemildert – andauert. Die anfänglich propagierte Integration hat nicht funktioniert.
Die Corona-Pandemie hat offenbart, dass man deutsche Außengrenzen abriegeln kann, wenn man es politisch will. Im Gegensatz zu der entscheidenden Begründung von Frau Merkel im Jahre 2015, dass man die deutschen Außengrenzen nicht abriegeln könne. Die Leiter der Sicherheitsbehörden waren anderer Meinung, was sie bei der Corona-Pandemie auch bewiesen haben.
Von Frau Merkel gibt es kein Wort der Entschuldigung.
Bis heute wird Frau Merkel von überregionalen Medien wider besseren Wissens in dieser Frage unterstützt, obwohl die Folgeschäden den politischen und sozialen Spielraum auf Jahrzehnte stark einschränken.
c) Die nächste falsche Entscheidung von Frau Merkel war das Aussetzen der Wehrpflicht zum 1. Januar 2011, was die Bundeswehr und ihre Streitkräfte in der Substanz erheblich geschadet hat – und noch heute schadet.
Nach dem Urteil von Insidern ist die Bundeswehr politisch, personell und materiell nur „bedingt einsatzbereit“. Auch das Urteil des im Amt leider nicht verlängerten Wehrbeauftragten Bartels ist klar und deutlich. Seine – links eingestufte – Nachfolgerin Kögl ist ein leeres Blatt, was Fragen der Sicherheitspolitik und Streitkräfte angeht, was in einer „Welt in Unordnung“ besonders problematisch ist.
Die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, die amerikanischen Streitkräfte in Deutschland um rd. ein Drittel zu reduzieren und nach Polen zu verlegen, kann nicht überraschen – auch angesichts der öffentlichen Weigerung Deutschlands, die mit allen NATO-Mitgliedsstaaten abgesprochene Steigerung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen.
Die Verbindung zu dem wichtigsten Bündnispartner USA sind auf einem historischen Tiefstand. Es gibt keinen „ Sonderbotschafter“, der diesen Zustand ändern könnte.
Merkel hat zugelassen, dass etliche Minister – allen voran Außenminister Maas und der damaligen Verteidigungsministerin von der Leyen – von einer autonomen Verteidigungsfähigkeiten ohne die USA schwadronieren, ohne zu erklären, dass eine Autarkie die Mitgliedsstaaten deutlich mehr kosten würde als das Verbleiben in einem Bündnis mit den USA.
Sie ließen keine Gelegenheit aus, die Bündnissolidarität der USA in Zweifel zu ziehen.
Bei seinen Gesprächen in Brüssel erfuhr der Verfasser eine gegenteilige Einschätzung. Die USA halten ihre finanziellen Leistungen unverändert auf hohem Niveau. Das gilt auch für ihre Beteiligung an NATO-Übungen in Ostmitteleuropa.
Die Sicherheitsvorsorge ist Chefsache
Die entscheidenden Versäumnisse in der Gesundheitsvorsorge hat die Bundeskanzlerin zu verantworten. Es hat keine ausreichenden Vorkehrungen gegeben, obwohl es auch in Deutschland ernstzunehmende Studien gegeben hat, in denen auf die Kluft zwischen Gefahren und der Realität hingewiesen wurde.
Ein Teil der Toten und Schwersterkrankungen ist auf Versäumnisse in den zurückliegenden Jahren der Kanzlerschaft Merkels zurückzuführen
Bisher gibt es von ihr kein Wort des Eingeständnisses von eigenen Fehlern.
Will Merkel ihre überraschend hohen Zustimmungswerte in die nächste Bundestagswahl retten?
- Gibt es noch vor den Wahlen eine gründliche Aufbereitung –
- oder werden Fehler und Versäumnisse unter den schwarz-roten Teppich verschoben – wie im Falle von der Leyen?
- Wer übernimmt die Verantwortung für die nachhaltigen Fehler der Bundesregierung und ihrer zahlreichen Behörden?
- Oder bleibt es bei einer Schuld ohne Sühne und Scham? Welche personellen Konsequenzen werden gezogen?
- Gibt es Bauernopfer oder rollen auch Köpfe in den obersten Etagen?
Das Versagen des Verkehrsministers
Andreas Scheuer ist ein politischer Überlebenskünstler. Seine Fehler und Versäumnisse sind nicht aufzuzählen. Er ist seinen Aufgaben nicht gewachsen – auch nicht der Führung des ihm unterstellten Kraftfahrzeugbundesamtes.
Schon vor der Corona-Pandemie hat er es versäumt, die Automobilindustrie aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Diese hat nahezu alle technologischen Weiterentwicklungen verschlafen – von der E-Mobilität bis hin zu umweltfreundlicheren Brennstoffen wie Wasserstoff.
Sie haben es auch versäumt, die notwendige Infrastruktur für das Betanken von E-Fahrzeugen aufzubauen.
Warum soll ein potentieller Käufer eines E-Autos sich für einen Kauf entscheiden, wenn er in seinem Wohngebiet um Zapfsäulen kämpfen muss? Von einer ausreichenden Versorgung entlang der Autobahnen und Fernstraßen ganz zu schweigen.
Das Angebot ausländischer Autohersteller ist heute attraktiver in der Breite als das der Deutschen. Das gilt auch für Hybrid-Fahrzeuge.
Die Produktion von leistungsstärkeren Batterien ist im Ausland bereits Routine, während sie in Deutschland hinterherhinkt.
Diese Misere kennzeichnet das „traditionelle Denken“ in den großen Konzernen. Es fehlt die Gesamtschau, das Erkennen von Systemen – und der Blick ins Ausland.
Die Autobosse haben sich auf ihren Messen im Glanze ihrer polierten „Dinosaurier“ auf Selbstdarstellung konzentriert. Ihr Erfolgsmotto: Größer, schneller und PS-stärker.
Ein besonderer Selbstdarsteller war Herr Diess, der seine „Flotte“ in kurzer Zeit auf „E-Mobilität“ umstellen wollte, was bei einem „Riesentanker“ nicht einfach ist. Die Schwierigkeiten wollte Herr Diess mit seinem autoritären Führungsstil überwinden. Auftretende Probleme wurden seinen Mitarbeitern angelastet.
Zum Knall kam es, als er in einer Telekonferenz mit über tausend Mitarbeitern ausgerechnet den Aufsichtsrat mit dem Vorwurf aufs Korn nahm, dass dieser durch Straftaten dem VW-Konzern und seiner Arbeit geschadet habe.
Ein schlimmer Vorwurf, den der Aufsichtsrat naturgemäß nicht auf sich sitzen lassen konnte.
Am Ende des Tages kam es zu einem Vergleich: Diess ruderte etwas zurück und der Aufsichtsrat entzog ihm den Posten als Chef der Hausmarke VW und gab ihm mehr Zeit, sich als Konzernchef um das Ganze zu kümmern.
Es wird sich zeigen, wie lange der Kompromiss zwischen den „Alphatieren“ hält. Vielleicht geht es auch darum, die Modalitäten für ein Ende von Diess in Wolfsburg auszuhandeln.
Der „Fall Diess“ erscheint symptomatisch. Etliche Automobilhersteller haben die Entwicklung technologischen Fortschritts – bereits weit vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie – verschlafen.
Die Folgen sind bitter und vielfältig für die gesamte Automobilindustrie:
- Entlassungen und Kurzarbeit bei den Werken und Zulieferfirmen,
- wachsende Schwierigkeiten der „Kurzarbeiter“, ihre Kredite für den Hauskauf zu bedienen und die Miete zu bezahlen.
- Die Kommunen werden steuerliche Einbußen zu verkraften haben.
- Der Einzelhandel wird Mindereinnahmen zu verzeichnen haben.
- Das geographische Umfeld der Automobilhersteller verliert gute zahlungskräftige Kunden – ohne Ersatz. Manche Einrichtungen zum Wohle der Einwohner müssen geschlossen werden – wie Schwimmbäder, Bibliotheken und Museen.
Noch einmal: Das wäre auch ohne die Coronapandemie geschehen – vielleicht über einen längeren Zeitraum gestreckt.
Die Pandemie hat die aktuelle Lage und unsere Zukunft verschärft. Die Jugend wird besonders unter der neuen Situation zu leiden haben.
Die Bilanz von 15 Jahren Regierung Merkel:
Zwei Projekte stehen im Vordergrund: Der Migrationspakt, den Merkel über Jahre vehement betrieben hat. Nach neuesten Fakten gibt es auf der Welt rd. 80 Millionen Flüchtlinge – in der Größenordnung der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Die weltweite Pandemie mit Reise- und Einwanderungsbeschränkungen wird die „Freizügigkeit“ erst nach dem Abflauen der Pandemie oder nach deren Ende wahrnehmen können, aber Millionen werden Europa zum Ziel haben – besonders das politisch und sozial „offene“ Deutschland.
Diese Welle wird die zu erwartenden Verteilungskämpfe verstärken – um bezahlbaren Wohnraum, um Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich oder um Lehrstellen und Erstanstellungen für Studierende.
Vielleicht muss sogar die Wahlfreiheit eines Studiums eingeschränkt werden. Im Vordergrund muss bei der Vergabe von Studienplätzen der anzunehmende Bedarf stehen – nicht der Wunsch nach Selbstverwirklichung. In Verbindung hierzu müssen „nice to have“- Studiengänge reduziert werden. Das gilt besonders für die umstrittenen Genderstudiengänge.
Einzelhandel und Handwerk müssen attraktive Ausbildungsplätze entwickeln sowie lokal und regional anbieten. Auch politisch und gesellschaftlich muss das Ansehen solcher Möglichkeiten wieder angehoben werden. Es müssen „zweite“ und „dritte
Bildungswege“ entwickelt werden, die zertifizierte Fortbildungen ermöglichen. Es wird ein hohes Maß an individueller Flexibilität verlangt werden.
Ein besonderes Problem wird die Rückzahlung von Krediten werden, die erst in einigen Jahren beginnen soll.
Es wird sich zeigen, ob die angestrebte „unbürokratische“ Verteilung der Kredite und deren Rückzahlung funktioniert.
Leider gibt es Unternehmen und Einzelpersonen, die schnelle Verteilung ohne gründliche Überprüfung missbraucht haben.
Unternehmen, die großzügige Boni an Mitarbeiter verteilen, sollten von jeglicher finanzieller staatlichen oder kommunalen Unterstützung ausgeschlossen werden. Ungerechtfertigte Kredite müssen zurückgefordert werden.
Ein Projekt kann die Situation noch erheblich verschärfen, für das sich Merkel als Co-Autorin von Macron zur Verfügung gestellt hat: Das EU-Wiederaufbauprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro, von denen 500 Milliarden als Zuschüsse (gleich Geschenke) vorgesehen sind, 250 Milliarden Kredite, die ab 2028 fällig werden sollen, werden wieder Deutschland überproportional belasten. Die ersten Verhandlungen Mitte Juni haben zu keinem Ergebnis geführt. Es besteht die Gefahr, dass die EU-Kommissionen Wackelkandidaten mit Sonderabmachungen kaufen“ wird. (Bei dem siebenjährigen EU-Haushalt wird der Anteil Deutschlands deutlich erhöht.)
Wenn dieses Projekt von allen EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wird, ist der Weg frei in die Schuldenunion, gegen die Deutschland einen jahrelangen Kampf geführt hat.
Wenn Migrationspakt und das EU- Wiederaufbauprogramm Realität werden sollten, verdüstert sich der Blick in die deutsche Zukunft.
Merkel hat Deutschland von einem europäischen Spitzenplatz in das untere Mittelmaß Europas geführt.
Sie hat aber nicht die persönliche Souveränität, ihre Fehler einzugestehen. Sie zeigt weder Schuld- noch Schamgefühl.
Wer beruflich und privat Verantwortung übernimmt, verdient Lob und Anerkennung.
Er hat Rechte und – unangenehme – Pflichten.
Wer Verantwortung übernimmt, muss auch in schwierigen Zeiten sein Verantwortungsbewusstsein unter Beweis stellen. Das gilt besonders in Ausnahmezeiten wie der Corona-Pandemie.
Er muss seine Fehler eingestehen und nicht nach Schuldigen suchen.
Noch hat die deutsche Bevölkerung die Dynamik und den Willen, die Zukunft für unsere Nachfahren zu gestalten und deren Probleme zu mildern.
Noch gibt es eine letzte Chance, deren risikoreiches Schicksal durch Wahlen zu mildern. Nutzen wir sie!