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Von Maria Schneider *)
Kürzlich nahm ich mal wieder meinen Espresso in einem boomenden Hipsterladen zu mir, in dem vegane Törtchen mit einem Durchmesser von 4 cm zu einem Preis von 3,20 Euro zu erwerben sind. Die Chefin stammt aus Äthiopien. Ihre Haut schimmert wie Ebenholz. Sie ist bildschön, und von ihrem Geschäftssinn könnte sich so mancher Deutsche eine Scheibe abschneiden.
Während ich mich meinem überteuerten, delikaten Tartelette gebührend widmete, riss mich ein eintöniges Gejammer am Nebentisch aus meinen kulinarischen Genüssen. Dort saß die Chefin selbst und ihr gegenüber eine junge Frau. Ebenfalls bildhübsch und allem Anschein nach ebenfalls ursprünglich aus Äthiopien – zumindest ihre Eltern oder ein Elternteil. Ich schätzte sie auf um die 35 Jahre. Genauso wie die Chefin sprach die Freundin perfekt Deutsch. Ihr Teint war makellos, ihr Ausschnitt noch schöner und ihre Wortwahl sehr gepflegt.Zwar ist dies nicht mit Sicherheit zu sagen, aber wie eine Aldikassiererin oder Malocherin, die Schichtarbeit leistet, wirkte sich nicht. Ohnehin sind weniger betuchte, einfache Menschen eher selten in dem hochpreisigen In-Café anzutreffen oder setzen nach einem überteuerten Kaffee in einer winzigen Sammeltasse nie wieder einen Fuß in den Laden. Die äthiopische Freundin genehmigte sich jedoch entspannt ein sorgsam arrangiertes Frühstück mit Körnern, Sprossen, Avocado und sonstigen Leckereien.
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): „Laut Regierungsangaben vom August 2017 sind etwa 8,5 Mio. der insgesamt mehr als 100 Mio. Äthiopier auf Nahrungsmittelhilfen und medizinische Unterstützung angewiesen. Im jüngsten Index menschlicher Entwicklung rangiert Äthiopien auf Rang 174 von insgesamt 188 gelisteten Ländern (UNDP 2016).“
Das Kreuz im Dekolleté der äthiopischen Freundin baumelte entrüstet hin und her, während sie mit weinerlicher Stimme klagte: „Bei der Arbeit hat mich keiner ernst genommen, wenn ich mich über Rassismus beklagt habe. Jeder hat gesagt, ich wäre überempfindlich und würde mir das nur einbilden und dass es doch im Osten viel schlimmer wäre und es Rassismus im Westen gar nicht gäbe.“
Wikipedia: „Anfang des 4. Jahrhunderts verbreitete sich das Christentum in Äthiopien. Das äthiopisch-orthodoxe Christentum, das vor allem unter den Amharen und Tigray verbreitet ist, ist die historisch bedeutsamste Religion des Landes. Äthiopien zählt mit Armenien und Georgien zu den ältesten christlich geprägten Staaten der Erde.“
Bpb: Die Tigriner sind überwiegend äthiopisch-orthodoxe Christen. Als Folge der rücksichtslosen Modernisierungsstrategie und der Vorherrschaft einer ethnischen und religiösen Gruppe eskalieren vielerorts soziale, politische, ethnische und religiöse Konflikte.“
Die Chefin hört ihrer Freundin freundlich nickend zu. Aus ihrem Gesicht konnte ich keinerlei Reaktion ablesen, während um sie herum ihre deutschen Mitarbeiter die Gäste bedienten. Ohnehin hat sie keinen Mangel an Mitarbeitern, da sich alle darum reißen, in ihrem „coolen Laden“ zu bedienen.
Die Freundin handelte indes im nächsten Vers ihres Klageliedes die Schulen ab: „Und dann all die rassistischen Lehrer, die afrikanischen Kindern schlechtere Noten geben. Mich erinnert das an die Geschichte Deiner ehemaligen Freundin, die gesagt hat, sie würde sich beim Notengeben einfach nach den Nachnamen richten.“
Entwicklungspolitik online 2019: „Noch immer kann in Äthiopien die Hälfte der Bevölkerung über 14 Jahre weder lesen noch schreiben oder richtig rechnen. Besonders betroffen sind die Frauen. Darauf hat die Stiftung Menschen für Menschen anlässlich des Weltalphabetisierungstags (8. September) hingewiesen. Äthiopien gehört laut einer Übersicht des Deutschen Bundestages zu den 20 Ländern mit der höchsten Analphabetenrate.“
BMZ: „Äthiopien gehört zu den Kooperationsländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, mit denen die Bundesrepublik auf Basis zwischenstaatlich vereinbarter Verträge eng zusammenarbeitet. 2017 sagte das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) Äthiopien insgesamt 215,6 Millionen Euro zu. Darin enthalten sind Mittel aus der Übergangshilfe, der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ und der Sonderinitiative Flucht. 2018 erfolgt eine weitere Zusage in Höhe von 158,5 Millionen Euro.“
Ehe ich mich versah, ging die Deutsch-Äthiopiern zum politischen Aktivismus über. Eigentlich hätte ich all die Vorwürfe zeitgleich mitsprechen können – so oft hatte ich so die letzten Wochen schon gehört. Dies bestätigte wieder einmal meine Vermutung, dass die „Black Lives Matter“ Bewegung weltweit in Workshops und Demos die gleichen Inhalte vermittelt.
Junge Menschen, wie die Äthiopierin, scheinen es dann kaum erwarten zu können, die deutsche Gesellschaft, die ihr eine kostenlose Schulbildung hat zukommen lassen, aufzumischen: „Wir sind zwar schon viele, aber wir haben immer noch nicht genug Macht und Einfluss, weil wir alle Einzelkämpfer sind. Und das ist das Schlimme, und wenn ich da in die USA schaue, was mit den Afrikaner passiert …“
Heather Mac Donald: „2018 wurden 53% der bekannten Tötungsdelikte und etwa 60% der Raubüberfälle in den USA von Afroamerikanern verübt, obwohl Afroamerikaner 13% der Bevölkerung stellen.“
bpb: „In vielen Regionen Äthiopiens werden soziale und politische Proteste zunehmend in einer Sprache der ethnischen und religiösen Radikalisierung und Abgrenzung ausgetragen. So verstärken sich seit 2011 die Proteste äthiopischer Muslime, die inzwischen fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und sich von der Regierung und der sie tragenden orthodox-christlichen Eliten unterdrückt fühlen. Etliche muslimische Würdenträger wurden unter dem Vorwurf der Unterstützung des Terrorismus verhaftet und zu Gefängnisstrafen von bis zu 22 Jahren verurteilt. Bei Zusammenstößen wurden wiederholt muslimische Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen. …
Meinen Espresso hatte ich inzwischen ausgetrunken. Ich hatte ihn – wie immer – schwarz genommen. Manchmal sage ich scherzhaft, „Ein Espresso bitte – schwarz wie die Nacht“. Nun bin ich mir aber nicht mehr so sicher, was die Nacht wohl dazu sagen würde, wenn sie reden könnte. Bestimmt wäre es ihr nicht recht, sie auf ihre hervorstehende Eigenschaft, wie „schwarz“ oder „dunkel“ zu reduzieren, auch wenn ich mir bislang nichts dabei gedacht habe und der Nacht gegenüber völlig neutral eingestellt war. Ich packe meine Siebensachen zusammen und nehme eine weitere Strophe in der nicht enden wollenden Litanei der äthiopischen Freundin mit:
„Hier in Deutschland ist der Rassismus so schlimm, weil keiner darüber spricht. In England sind wir Afrikaner vertreten, aber in Deutschland immer noch nicht. In England und USA ist das schon seit Jahrzehnten ein Thema, aber hier spricht keiner darüber und das macht den Rassismus so schlimm.“
Tagesschau 2.07.2020: „Der Musiker und Aktivist Hachalu Hundessa, der sich für die ethnische Gruppe der Oromo eingesetzt hatte, war am Montagabend in der Hauptstadt Addis Abeba ermordet worden. Er wurde in seinem Auto angeschossen und erlag wenig später seinen Verletzungen. Seitdem erschüttern Unruhen das Land, mehr als 90 Menschen starben. Hintergrund sind ethnische Spannungen in dem Vielvölkerstaat.“
bpb:„Das repressive Vorgehen der Regierung gegenüber Muslimen könnte – so die Befürchtung von Beobachtern – zur weiteren Radikalisierung extremistischer Gruppen beitragen. Brandanschläge im März 2011 auf fast 50 Kirchen in der Region um Jimma und weitere Angriffe ähnlicher Art in anderen Regionen des Landes sind warnende Zeichen für die wachsende Gewaltbereitschaft.“
Ich verzichte darauf, die junge Frau darauf hinzuweisen, dass in Deutschland das Schweigen über Rassismus (Weißes Schweigen ist Gewalt) vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass es keinen oder nur sehr wenig Rassismus gibt. Ja, dass man sogar den Eindruck bekommen könnte, dass seit 2015 zunehmend Rassismus gegen Weiße ausgeübt wird. Ich erwähne nicht, dass die meisten Deutschen, angesichts der hohen Steuerlasten und Millionengelder, die unter anderem nach Äthiopien fließen, zu sehr damit beschäftigt sind, mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen.
Und obwohl es mir auf den Nägeln brennt, verkneife ich mir die jüngste Geschichte eines Übergriffs durch einen ausreisepflichtigen Gambier, der ohne strafrechtliche Folgen in einer Berliner S-Bahn Marie H. und ihren Hund Marnie beschimpfte und schlug, ohne dass ihr einer der mitfahrenden deutschen Männer zu Hilfe geeilt wäre. Zu groß war vermutlich deren Angst, als Rassist beschimpft zu werden.
Ich schweige also – obwohl mir die Worte in der Kehle brennen – und gehe, während die Verunglimpfungen und Unterstellungen der gepflegten, jungen Frau, deren Jugend in Äthiopien vermutlich ganz anders als in Deutschland verlaufen wäre, allmählich verhallen.
Meine Leser mit allen Hautfarben dieser Welt möchte ich folgende Dokumentation ans Herz legen, die 2013 vor dem Grenzputsch 2015 gedreht wurde, der Deutschland seither in ein Freilichtbordell und -gefängnis für Deutsche verwandelt hat:
„Breath of Freedom“ erzählt die Geschichte afroamerikanischer GIs, die nach Ende des zweiten Weltkriegs in Deutschland stationiert waren. Von der deutschen Bevölkerung als Repräsentanten einer Siegermacht akzeptiert, erfuhren afroamerikanische Soldaten nach dem Krieg in Deutschland zum ersten Mal eine Art Gleichberechtigung. Sie konnten dieselben Orte betreten wie Weiße, Beziehungen zu weißen Frauen – im eigenen Land undenkbar – waren an der Tagesordnung. Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell erinnert sich mit Blick auf seine Zeit in Deutschland an diesen “Hauch von Freiheit”.
Umso größer der Schock nach der Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg. Zurück in den USA ereilte die schwarzen US-Armeeangehörigen das gleiche Schicksal wie vor dem Krieg: Rassentrennung und Diskriminierung waren ihr Alltag. In Deutschland hatten die Soldaten das Gegenteil erlebt. Diese Erfahrung der Freiheit verschaffte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung massiven Auftrieb.
Der junge, schwarze Soldat Leon Bass gelangte während seines Einsatzes in Deutschland zu folgender Erkenntnis: „Ich war ein wütender, junger, schwarzer Soldat, als ich in das Lager (Buchenwald) kam und hatte meinen Einsatz in diesem Krieg hinterfragt, als ich dort eine Transformation erlebte. Irgendetwas hatte mich verändert. Und ich erkannte, dass menschliches Leid nicht auf mich allein beschränkt ist.“
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*) Maria Schneider ist freie Autorin und Essayistin. In ihren Essays beschreibt sie die deutsche Gesellschaft, die sich seit der Grenzöffnung 2015 in atemberaubendem Tempo verändert. Darüber hinaus verfaßt sie Reiseberichte.
Kontakt: Maria_Schneider@mailbox.org