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Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)
In meinen 39 Jahren als Berufssoldat im deutschen Heer habe ich bis zu meiner Pensionierung im Jahre 2000 Höhen und Tiefen für Soldaten erlebt. Seither begleite ich die Bundeswehr mit wachsenden Sorgen.
Jetzt scheint ein neuer Tiefstand erreicht. Allerdings gilt die alte Weisheit:
Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken!
Das gilt auch für die Bundeswehr.
Es fehlt die verantwortungsbewusste Führung durch alle Ebenen. Die Orientierungslosigkeit der Regierung, die sich bis auf die unterste Ebene fortsetzt, ist der Anfang allen Übels.
Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein unverzeihlicher Fehler mit schwerwiegenden Langzeitfolgen für Staat und Gesellschaft.
Durch die Wehrpflicht waren die Streitkräfte integraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Die Millionen von Wehrpflichtigen erlebten einen Staat, der ihnen viele Möglichkeiten einräumte, aber auch Pflichten auferlegte.Über den Wehrdienst wurde in den Sportvereinen, den Schulen und – besonders in den Familien – gesprochen. In Wehrübungen wurden „alte“ Kameradschaften“ gepflegt.
Die Truppenvorgesetzten wurden mit den Problemen des Alltags der Wehrpflichtigen konfrontiert und stellten sich diesen in persönlichen Gesprächen – nicht ohne Erfolg: Rund ein Drittel der Wehrpflichtigen wurde Zeitsoldat – sehr bald in Vorgesetztenfunktionen.
Wir mussten in den ersten Jahren den Mangel an Personal, Waffen, Munition und Fahrzeugen bekämpfen – mit einem ausgeprägten Korpsgeist, der durch eine menschenwürdige Führung auf der unteren Ebene verstärkt wurde.
In Übungen und Gefechtsschießen eroberte sich diese junge Armee Anerkennung in der deutschen Öffentlichkeit und bei unseren alliierten Kameraden und Freunden.
Bei Übungen im Ausland gab es keine Probleme.
Das sieht heute leider anders aus:
In der NATO hatte Deutschland die Position eines „Vorbildes“ eingenommen – politisch, menschlich und militärisch. Heute wird Deutschland in der NATO als „unsicherer Kantonist“ eingestuft – auch wegen seiner Liebäugelei mit europäischen sicherheitspolitischen Phantasievorstellungen seitens deutscher Politiker.
Die Bundeswehr ist heute nur „bedingt einsatzbereit“. Ein Offenbarungseid für ein – noch – relativ reiches Land. Die Kanzlerin hat keine Ader für die sicherheitspolitische Bedeutung von einsatzstarken militärischen Verbänden. Ihre Verteidigungsminister waren überfordert.
Besonders negativ waren die beiden Ministerinnen mit ihrer Umgebung, die von Sicherheitspolitik und Streitkräften keine Ahnung hatten – und nicht lernbereit waren.
Bei „Besonderen Vorkommnissen“, die es immer wieder gab, stellten sich die meisten Vorgesetzten zunächst vor ihre Soldaten und ermittelten unvoreingenommen. Es gab keinen „Generalverdacht“ und keine Flucht in die Öffentlichkeit mit Zwischenergebnissen und Vorverurteilungen.
Das Einsteigen der Verteidigungsministerin AKK hat erfahrenen Truppenvorgesetzen den Atem verschlagen. Es führt zu einem Vertrauensbruch, der nicht mehr zu kitten ist.
Die Medien wurden vorzeitig informiert. Bereits einen Tag nach ihrem Truppenbesuch beim KSK verkündete AKK ihre Ergebnisse, die vorher sorgfältig hätten untersucht werden müssen – auch mit Hilfe von Andersdenkenden.
Ein Staat, der Spezialkräfte aufbaut, muss wissen, welche Menschen einen Dienst in Eliteeinheiten ausüben wollen.
In erster Linie sind es Patrioten, die sich freiwillig für ihr Vaterland in Risiken für Leib und Leben begeben – in kurzen Wiederholungen. Die Familien wissen oft nicht, wann und wohin ihre Ehemänner und Partner in Minuten abgerufen werden.
Diesem Anforderungsprofil entsprechen in einer modernen Industriegesellschaft nur wenige Männer. Sie durchlaufen zunächst einige Jahre eine „normale“ Karriere im deutschen Heer.
Dann melden sie sich freiwillig zu einem Auswahlverfahren für das KSK. Vor Jahren wurden im Fernsehen Aufnahmen von den charakterlichen, physischen und psychischen sowie militärischen Herausforderungen gezeigt. Es war keine Überraschung, dass die Ausfallquote hoch war. Ein „Rambo“ hatte keine Chance.
Natürlich wird unter Soldaten – z.B. auch in der “Kampftruppe“ – eine andere, derbere Sprache gepflegt als in einem Digitalbereich.
Natürlich kommt es vor, dass Einzelne auch über die Stränge schlagen. Das wird Vorgesetzten gemeldet, und gegen die Betroffenen wird vorurteilsfrei ermittelt, und es werden Konsequenzen gezogen – bis zur Entlassung.
Davon erfährt die „Bildzeitung“ nichts, obwohl negative Berichte über die Bundeswehr immer willkommen sind – nicht nur bei der „Bildzeitung“.
Heute erfährt die staunende Öffentlichkeit alle Einzelheiten, bevor es innerhalb der Streitkräfte kommuniziert werden kann. Das mag einer Transparenz dienen, kommt in der Truppe jedoch schlecht an.
Ein Wort zur gestiegenen Bedeutung von Spezialkräften
In meinem Buch „Kleinkriege. Die unterschätzte Kriegsform. – Warum die Zukunft den Guerillas, Partisanen und Hackern gehört“ (Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried, 2016) habe ich ausführlich dargelegt, dass die Kriege der Zukunft „Kleinkriege“ sein werden, die wir heute in allen Teilen der Welt beobachten können, sei es im Jemen oder in Nordafrika. Heute würde ich Terroristen in den Untertitel aufnehmen.
Das Kriegsbild hat sich verändert. Der Einsatz von Panzerarmeen ist heute wenig wahrscheinlich geworden, aber „Kleinkriege“ dominieren in der Gegenwart und in der Zukunft – unterhalb der Schwelle zu größeren konventionellen Kriegen. Häufig sind es „Stellvertreterkriege“, die von Großmächten gesteuert werden, ohne die Eskalation zu einem direkten Konflikt der Großmächte zuzulassen.
In diesem modernen Kriegsbild haben Spezialkräfte deutlich an Bedeutung gewonnen – auch die deutschen. Das KSK hat Anerkennung bei unseren alliierten Partnern erworben. Die internationale Zusammenarbeit ist wichtig für Deutschland.
Die Entscheidung der Ministerin, eine der vier Einsatzeinheiten aufzulösen, die internationale Zusammenarbeit einzustellen und auf die Teilnahme an Übungen zu verzichten sowie dem Kommando eine „Bewährungsprobe“ bis in den Herbst aufzuerlegen, ist angesichts der realen Lage nicht nachzuvollziehen. Angeblich ist für AKK auch die Auflösung des KSK eine Option.
Seit der Gründung im Jahre 1966 hat das KSK spezielle Operationen erfolgreich durchgeführt – alleine oder mit Alliierten. Soldaten des KSK ist es gelungen, auf dem Balkan Kriegsverbrecher festzunehmen.
Auswahl, Bewaffnung und materielle Ausstattung waren mühsame Prozesse.
Die Maßnahmen von AKK reißen ein tiefes Loch in das „System KSK“, das nur sehr schwer zu stopfen ist.
Als ehemaliger Truppenführer denke ich auch an die Soldaten der 4. Einheit. Es ist die zweite Auflösung einer Kompanie des Heeres. Die ehemaligen und jetzigen Angehörigen der betroffenen Einheit verlieren ihre militärische Heimat. Eine Versetzung einzelner Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften hätte das angestrebte Ziel auch erreicht.
Ich habe als Bataillonskommandeur einen Kompanie-Chef ablösen müssen. In unserem „sozialen“ System eine unangenehme, langwierige Angelegenheit, aber notwendig.
Das eigenartige Verfahren von AKK und der militärischen Führung wird das Vertrauen der Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr in die politische Leitung und militärische Führung nicht stärken.
Für die Zukunft ist wichtig, wie die Entscheidung im Herbst ausfallen wird.
Mir sind die Kriterien nicht bekannt, die zur Entscheidung führen. Eine Auflösung des KSK ist in meinen Augen keine realistische Option.
Aufgrund der sicherheitspolitischen Bedeutung von Spezialkräften heute und in der Zukunft braucht Deutschland diese Kräfte – unterhalb der Schwelle eines erklärten Krieges oder als integralen Bestandteil einer „klassischen“ militärischen Operation.
NATO und EU sowie die VN sind mögliche Auftraggeber sowie die deutsche Regierung.
Um es klar zu sagen: Die Angehörigen von Spezialkräften stehen fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie sind darüber hinaus dem Soldatengesetz und der Wehrdisziplinar-ordnung verpflichtet. Verstöße müssen untersucht werden – und Konsequenzen haben – auch in Würdigung der Gesamtpersönlichkeit und ihrer bisherigen Leistungen.
Wer diese Ordnung nicht befolgen will oder kann, hat in der Bundeswehr keinen Platz.
Bis zum Gegenbeweis haben jede Soldatin und jeder Soldat der Bundeswehr den Anspruch auf Unschuldsvermutung seitens der BW-Führung und in der Öffentlichkeit, und den Anspruch auf Rechtsschutz.
Manchmal ist es für politische und militärische Vorgesetzte schwer und unpopulär, sich gegen öffentliche Erwartungen, Pauschalurteile und Vorverurteilungen zu entscheiden.
Die finale Entscheidung kann AKK nicht treffen, da diese erhebliche Bedeutung für Ansehen und Effizienz der deutschen Streitkräfte im In- und Ausland hat.
Es ist die Bundeskanzlerin, die die Entscheidung treffen muss – nach Beratung im Sicherheitsrat.
Der Shitstorm geht vorüber.