(www.conservo.wordpress.com)
Von Dr. Juliana Bauer
Frankreich – Verabschiedung des neuen Bio-Ethik-Gesetzes:
„Medizinische Abtreibung“ bis zur Geburt bei so genannter psychosozialer Belastung, staatlich finanzierte künstliche Befruchtung für lesbische und alleinstehende Frauen (Leihmutterschaft abgelehnt), gentechnische Veränderung von Embryonen, Erzeugung von Mensch-Tier-Chimären
In den frühen Morgenstunden des 1. August stimmte die französische Nationalversammlung für den Entwurf eines Bio-Ethik-Gesetzes, das weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der menschlichen Zivilisation haben wird, ein Gesetz, das, innerhalb Europas verabschiedet, auch durchaus Vorbildcharakter für weitere europäische Staaten haben kann und wird. Im Vorfeld gab es natürlicherweise viele Wortmeldungen und Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern. Der zu Jahresbeginn vom Senat teilweise noch abgeschwächte Gesetzesentwurf erfuhr durch die Nationalversammlung bis zum letzten Moment vor der Abstimmung etliche Änderungen.
Bevor ich zu diesem Gesetzesensemble eine prominente Stellungnahme vorstelle, sei zunächst auf die Umstände verwiesen, unter denen es im Parlament sage und schreibe „durchgepeitscht“ wurde. Offenbar wählte man bewusst einen Zeitpunkt, als die meisten Franzosen sich im Urlaub befanden und die somit am politischen Geschehen in diesen Wochen wenig Anteil nahmen. Entsprechend wird die Abstimmung auch weithin als „Manipulation“ seitens der Regierung wahrgenommen. Das Ergebnis wies 60 Pro- und 37 Gegenstimmen auf; man bedenke, dass die Nationalversammlung aus insgesamt 577 Abgeordneten besteht. Außerdem wurde die Diskussion willkürlich auf 25 Stunden verkürzt, in denen eine der Hauptgegnerinnen des Gesetzes, die durchgehend präsent war, nicht einmal zu Wort kam. An dieser Stelle erhebt sich die Frage, was eine solch vorgefertigte und manipulierte „Abstimmung,“ die einer ideologischen Diktatur zu unterliegen scheint, überhaupt noch mit dem Wesen einer Demokratie gemein hat.
Auffallend waren für mich in den darauffolgenden Tagen Berichterstattungen der deutschen Presse – im Internet unter den Stichwörtern Frankreich, Bioethikgesetz nachzulesen –, die sich nur auf das Thema „künstliche Befruchtung für lesbische und alleinstehende Frauen“ eingelassen haben, die anderen Entscheide des französischen Parlaments, die von großer ethischer Bedeutung sind, jedoch ausklammerten.
Das ist zum einen die „neue Ausnahme der sogenannten medizinischen Abtreibung bis zur Geburt bei ‚psychosozialer Belastung‘ der Mutter“ – ein Last-Minute-Änderungsantrag, der vom Vorsitzenden der sozialistischen Fraktion vorgelegt und mehrheitlich!!! angenommen wurde. Ein Entscheid, der willkürlich Tür und Tor zum Mord nicht mehr nur am ungeborenen Kind öffnet und den Weg in die Barbarei ebnet.
Das ist zum Anderen die befürwortende Abstimmung zur gentechnischen Veränderung von Embryonen wie die umstrittenen Eingriffe an der embryonalen Keimbahn, einschließlich der Einführung menschlicher Stammzellen in tierische Embryonen, was die Bildung von Chimären ermöglicht und die Grenze von Mensch und Tier verwischen wird. In Deutschland z.B. verbietet das Embryonenschutzgesetz solche Experimente.
Einen Monat vor der Parlamentsabstimmung meldete sich der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit, seines Zeichens auch Arzt und Bioethiker, zu Wort, um auf die immensen Gefahren des damals noch ausstehenden Gesetzesentscheids zu warnen. Er veröffentlichte seine Stellungnahme in Le Figaro; sie sei hier in deutscher Übersetzung vorgestellt:
Michel Aupetit, Erzbischof von Paris
(Foto: Diocèse de Paris, paris.catholique.fr)
„Schamlos! Während unser Land gerade eine Gesundheitskrise durchgemacht hat, die es in die Knie zwang, ist es die Priorität der Regierung, das Bioethik-Gesetz in der Nationalversammlung zu verabschieden. Dieses bringt massive Umwälzungen mit sich, welche die Grundlagen dessen, was unsere Zivilisation in Bezug auf die Achtung gegenüber dem Menschen, seiner Würde, seinem Leben und seiner Gesundheit geschaffen hat, schwerwiegend und gefährlich verändern.
Während die meisten wichtigen Reformen verschoben oder überarbeitet werden sollen, gibt es heute keine andere Dringlichkeit, als dieses Gesetzesensemble in der Unauffälligkeit des Monats Juli (d.h. der Sommerpause/Ferienzeit!) mit Gewalt durchzubringen, Gesetze, die die das eigentliche Wesen unserer Menschheit/unseres Menschseins betreffen. Dies im Namen einer angeblichen Gleichheit, die von Personen gefordert wird, die sich in speziellen Situationen befinden, die, wie der Bericht des Staatsrates sagte, keiner Gleichberechtigung bedürfen. Reden wir also über Gleichheit!
Wir kommen gerade aus drei Monaten Confinement (Beschränkung/Einschränkung unserer Freiheit). Wir sind stolz auf unsere Betreuer, aber zweifellos weniger stolz auf die Art und Weise, wie wir viele alte Menschen behandelt haben. Einige starben, ohne ihre Familie zum letzten Mal gesehen zu haben, andere konnten keine Hygienepflege erhalten oder ein Minimum an Beziehung genießen, das die soziale Bindung aufrechterhält. Zugegebenermaßen handelte es sich zweifelsohne darum, aus Sorge um deren Gesundheit Menschen zu schützen, deren Alter es ihnen nicht ermöglichte, eine längere Zeit auf der Intensivstation zu überleben. Vor allem aber hat die Pandemie die traurige Situation in Pflegeheimen, die oft aus Personalmangel hervorgerufen ist, zusätzlich in den Vordergrund gerückt. In der Zwischenzeit sind umfassende Investitionen in “künstliche Intelligenz” geplant, während andere über Sterbehilfe diskutieren. Betrachten wir unsere älteren Mitmenschen wirklich als ebenbürtig?
Die Pandemie, der wir gerade entkommen sind, rief uns unsere gemeinsame Verwundbarkeit in Erinnerung, erinnerte an die Notwendigkeit, zu einer gewissen Nüchternheit zurückzukehren, erinnerte an den Wohlstand und gleichzeitig an die Zerbrechlichkeit der familiären Beziehungen – und in diesem Moment beabsichtigt die Regierung, die Diskussion über dieses Bioethik-Gesetz schnell zu beenden, als wäre nichts geschehen. Wir könnten schon von einer gewissen Besessenheit überrascht sein, die Beseitigung von Kindern im Mutterleib (wörtlich: im Leib ihrer Mütter) zu erleichtern, indem Abtreibung in den Zeiten des Confinement (der Coronabeschränkungen) zu einer Priorität gemacht wurde, selbst dann, als kardiovaskuläre Notfälle unerledigt blieben, um die Aufnahme von an Covid-19 erkrankten Patienten zu begünstigen. Eine Besessenheit, die durch bestimmte Änderungsanträge verbreitet wird, die derzeit in einem Sonderausschuss der Nationalversammlung erörtert werden.
Die Kultur des Todes, die über unserem Land liegt, wurde durch die Angst vor dem Tod, welche die Pandemie hervorrief, verstärkt. Hier sind wir wieder einmal mit der Umwälzung der genealogischen Beziehungen beschäftigt, die die Ganzheit einer Person bedingen, mit der Banalisierung menschlicher Embryonen, die als gewöhnliche Verbrauchsgüter ausgewählt, analysiert und weggeworfen werden, mit der künstlichen Herstellung von Gameten (Geschlechtszellen), die von keinem anderen Interesse bestimmt sind, als dem, den Mythos der “nicht-sexuellen” Zeugung zu befeuern. Wir wissen, dass wir Handel und Industrie wiederbeleben müssen, aber nicht auf Kosten der menschlichen Würde.
Die Entscheidung, den Markt in großem Umfang für Kinder zu öffnen, indem medizinisch unterstützte Fortpflanzung von den Schwierigkeiten der Empfängnis getrennt wird, ist ein schwerwiegender Angriff auf die Würde des Menschen. Diese Entscheidung, die Fortpflanzungsindustrie durch die Fütterung mit immer mehr Embryonen zu fördern, zeigt deutlich die rein wirtschaftlichen Gründe, auf denen dieses Projekt basiert. Ist der menschliche Embryo uns gleichgültig?
Es ist in der Tat die Konsumgesellschaft, die immer wieder die Wünsche der Erwachsenen antreibt, ohne die Konsequenzen für zukünftige Generationen zu berücksichtigen. Bis zu dem Punkt, dass ihnen Gewalt angetan wird. Ist es aber nicht auch Gewalt, wenn wir ein Kind absichtlich eines Vaters berauben, wenn wir bei Mehrlingsschwangerschaften selektive Abtreibungen durchführen, wenn das Kind entdeckt, dass der Embryo, der es gewesen ist, genauso gut nach einer längeren oder kürzeren Gefrierzeit unter dem Mikroskop eines Forschers oder auf einer Mülldeponie hätte enden können? Ist das Kind, das der Allmacht des „Elternprojekts“ ausgeliefert ist, in unseren Augen überhaupt noch ebenbürtig (ein ebenbürtiger Mensch)?
Johannes Paul II. sah bereits vor 25 Jahren die Dringlichkeit, zu bekräftigen, dass “bezüglich des Rechs auf Leben jeder unschuldige Mensch allen anderen absolut gleich ist”, dass “diese Gleichheit” die Grundlage aller authentischen sozialen Beziehungen ist “und dass es wichtig sei, „jeden Mann und jede Frau als Person und nicht als Sache zu betrachten, über die man verfügen kann“ (Evangelium Vitae, Über den Wert und die Unantastbarkeit menschlichen Lebens, Punkt 57). Während die Pandemie gezeigt hat, dass es notwendig ist, unseren Egoismus durch Solidarität zu überwinden, bleibt die Achtung der gleichen Würde eines jeden Menschen eine Priorität. Es geht insbesondere um das, was (der jüdische Philosoph) Hans Jonas “den zeitlosen Archetypus aller Verantwortung, den der Eltern dem Kind gegenüber ” nannte.
Diese Verantwortung liegt heutzutage wieder bei unseren Abgeordneten. Werden sie den Mut und die Erkenntnis besitzen, die Logik eines “immer mehr” umzukehren, das finanzielle Schulden anhäuft, aber auch existenzielle Fragen aufwirft, die sowohl die alten als auch die kommenden Generationen betreffen? Diese Fragen müssen von oben aufgenommen werden, ohne sich dem ideologischen Druck oder dem des Marktes zu beugen, der sich unter den Parolen, die keinen Widerspruch dulden, kaum verbergen lässt.
Diejenigen, die uns vertreten, können nicht so tun, als sei nichts passiert. Da die Gesundheitskrise immer noch vorhanden ist, da die wirtschaftliche und soziale Krise das Leben unserer Landsleute noch schwer beeinträchtigt – wir konnten es sehen, als wir uns organisierten, um den am stärksten benachteiligten Menschen zu helfen –, wäre es die Ehre unserer Abgeordneten, dieses unrechte und unsoziale Projekt zu überdenken, um sich auf die wirklichen Probleme der Franzosen zu konzentrieren.“