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Von Maria Schneider *), (aus der Reihe „Ende einer ‚Freundschaft‘“)
Zugegeben – ich hatte Ansgar noch nie gemocht. Klein, rechthaberisch, geizig, penetrant jovial und trotz seines Medizinstudiums erschreckend dumm. Daran änderten weder seine teure, intellektuelle Brille etwas, noch sein schlohweißes Haar. Ich kam an ihn und seine Partnerin Rosemarie wie die Jungfrau zum Kind – und wurde sie geschlagene 10 Jahre nicht mehr los.
Alles begann mit der Reise nach Indien, die der Freund meines Mannes für eine willkürlich zusammengewürfelte Gruppe zusammengestellt hatte und in der sich dann überraschenderweise auch das völlig reiseunerfahrene Paar Ansgar und Rosemarie befand. Unvergessen deren Bedienschwierigkeiten mit Wasserhähnen in Hotelbadezimmern, ihr ständiges Zuspätkommen wegen interner Zänkereien und Ansgars Furcht, zuviel Trinkgeld zu geben, so dass er entweder Pfennigbeträge abzählte oder – nachdem alle schon auf dem Weg nach draußen waren – ins Restaurant zurückschlich und das Trinkgeld wieder vom Tisch nahm.
Beschämend Rosemaries Aufstand und Pöbeleien gegen das Zugpersonal in der indischen Eisenbahn, weil ihr riesiger Koffer nicht ins Abteil paßte.
Auch von der Reise nach Italien, deren Teilnahme ich in weiser Voraussicht verweigert hatte, brachte mein Mann zahllose Anekdoten über Ansgars und Rosemaries tölpelhaftes Benehmen mit.
Überhaupt – mein Mann. Er ist im Gegensatz zu mir die Toleranz in Person und setzte sich daher bei seinen Vereinstreffen stets mit Ansgar an einen Tisch, obwohl die restlichen Mitglieder Ansgar schon seit Anbeginn seiner Mitgliedschaft vor 20 Jahren so stark mieden, als litte er an Corona. So war ich mitgehangen und tat bei den zahlreichen Grillabenden und Ausflügen des Vereins mein Bestes, um mich mit Rosemarie zu verständigen und andere Paare an den Katzentisch zu locken.
Rosemarie hatte sich vor über 20 Jahren wegen eines Rückenleidens, das sie regelmäßig für persönliche Vorteilsnahmen einsetzte, von der Arbeitswelt verabschiedet und führte seitdem den Haushalt. Ansgar kam teilweise wegen ihrer Dienstleistungen für sie auf, verweigerte jedoch jahrelang hartnäckig die Heirat, bis er sich schließlich dann doch eines schönen Tages zu einem Antrag durchrang. Da war es aber schon zu spät, denn da wollte Rosemarie aus Trotz nicht mehr. Das erinnert mich immer an den Spruch meiner Oma, „Jeder Topf hat seinen Deckel“, womit eigentlich alles gesagt ist.
So vergingen die Jahre, bis Corona den Vereinstreffen ein jähes Ende bereitete. Zunächst war ich froh darüber, die leibhaftige Dummheit nicht mehr um mich herum ertragen zu müssen. Was ich jedoch schmerzlich vermißte, war das Damenkränzchen des Vereins, zu dem sich die älteren Damen der höheren Gesellschaft und ich – als jüngeres, rebellisches Maskottchen -regelmäßig trafen und bei Sekt und Sahnetorten die gesamte, edle Konditorei mit unserer Heiterkeit unterhielten. Da fiel dann auch Rosemarie nicht weiter auf, die irgendwie Aufnahme in unsere siebenköpfige Gruppe gefunden hatte.
Nach Beendigung des strengen Hausarrests im Mai verspürten auch die anderen Damen das Bedürfnis, sich wieder zu treffen. Allerdings nur DRAUßEN, da Ines – unsere Kränzchenplanerin – unter Asthma litt und „nichts riskieren“ wollte. Nun weiß ich nicht, was mich nach dem Telefongespräch mit Ines geritten hatte. Vielleicht war es die Freude, alle wiederzusehen, die Hoffnung, dass alles bald vorüber sein würde, die Aufbruchsstimmung wegen des erwachenden Widerstands gegen die Coronamaßnahmen, oder meine seelische Erschütterung angesichts Ines’ Angst, die ich durch das Telefon mit Händen greifen konnte.
Vielleicht lag es aber auch schlicht an meiner Unbekümmertheit oder – wie mein Mann sagt – meiner Naivität, dass ich Ines den Sonntag für das Kaffeekränzchen vorschlug und schrieb, dass ich am Samstag auf die angesagte Anti-Corona-Großdemo gehen wollte. Dies tat ich mit Bedacht, denn ich wollte Ines Mut machen, dass man nicht machtlos ist, es außer Lauterbach noch andere Ärzte gibt und dass man um Freiheit kämpfen muss.
Doch damit nahm das Drama seinen Lauf. Ines las meine Kurznachricht mit dem Unwort GROßDEMO und erlitt nahezu einen Asthmaanfall. Sie rief Rosemarie an und erzählte ihr von meiner GROßDEMO. Rosemarie empörte sich bei Ansgar über meine Rücksichtslosigkeit, da Ansgar schließlich einen kleinen Eingriff machen lassen müsse und man daher NICHTS RISKIEREN dürfe. Sodann rief sie Renata an, deren Mann schon mehrere Herzinfarkte hinter sich hatte und seit Monaten (tatsächlich bis zum heutigen Tag) wegen KontaminationsRISIKEN wie ein Hund unter dem Besuchsverbot bei seinem Sohn und seinen Enkelkindern leidet. Auch er riet Renata wegen der GROßDEMO dringendst vom Kaffeetrinken ab.
Kurzum: Das gesamte Kränzchen wurde nach einer hysterischen Telefonkettenaktion unter den restlichen 4 Damen, durchsetzt mit entsetzten Zwischenrufen der Ehemänner, „EINE GROßDEMO!“, ersatzlos gestrichen.
Pikantes Detail: Letztlich ging ich gar nicht auf die Großdemo. Aber da war das Kind schon in den Brunnen gefallen und ersoffen. Seit Mai gab es kein Kränzchen mehr und wird es wohl so auch nie wieder geben. Denn nun kommen wir zur…
…ABRECHNUNG
Inzwischen hatte Rosemarie Geburtstag gehabt, was ich wieder einmal wegen meiner Geburtstagsdemenz vergessen hatte. Ehrlich – ich kann nichts dafür. Eher spricht ein Fisch spanisch, als dass ich den Dreisatz verstehe oder auf Anhieb eine Adresse finde.
Trotz dieser allseits bekannten Zahlenschwäche werteten Ansgar und Rosemarie unseren versäumten Geburtstagsanruf als schweres Regelvergehen. Noch schwerwiegender war, dass wir nicht nach Ansgars Befinden wegen seines kleinen Eingriffs gefragt hatten. Am schwerwiegendsten jedoch war die GROßDEMO und meine Haltung zur Maskenvorschrift. Daher fand es Ansgar nur gerecht, dass er mir absichtlich nicht zum Geburtstag gratulierte, was für mich ungefähr genauso wichtig ist wie ein Fisch, der kein spanisch spricht.
Nachdem weder mein Mann noch ich auf diese Bestrafungsaktion reagiert hatten, kontaktierte Ansgar nach 4 Monaten des Schweigens meinen Mann und sagte: „Wir müssen reden!“
Mein Mann – im Gegensatz zu mir die Sanftmut in Person – ergab sich in sein Schicksal und traf Ansgar DRAUßEN vor einer günstigen Bäckereikette, die Ansgar ausgewählt hatte. Dort zählte ihm Ansgar hinter einer riesigen, weißen Maske, die er mit größter Vorsicht lediglich zum Nippen an der Kaffeetasse für Sekundenbruchteile lüpfte, unsere Vergehen auf:
Er fing mit der „GROßDEMO“ und meiner „maßlosen Rücksichtslosigkeit“ an, verurteilte meine „Maskenkritik“ sowie unsere versäumten Geburtstagsgrüße und – die größte Enttäuschung überhaupt – schloß mit dem unterstellten Desinteresse meines Mannes an seinem kleinen Eingriff. Ansgar würde daher die Freundschaft erst einmal auf Eis legen und uns ab sofort nicht mehr im Auto mitnehmen, da er sich nicht auf meine Einhaltung der Coronavorgaben verlassen könne, was im übrigen auch der Grund dafür sei, weshalb er bei diesem Treffen die Maske nicht ablegen würde, da mein Mann durch mich – die Maskenverweigerin – kontaminiert sein könnte.
Die Aufzählung seiner Anklagepunkte schloß Ansgar mit dem Verdikt, „Deine Frau ist schuld!“, ab.
Zum Glück war ich bei Ansgars Tribunal nicht dabei, denn ich hätte mir vor Lachen in die Hose gemacht. Ein Pärchen, das ich noch nie mochte, kündigt uns wegen Corona und einer GROßDEMO, an der ich nicht teilgenommen habe, die nicht vorhandene Freundschaft.
Eigentlich traurig, was dieses neue Leben aus uns allen macht. Inzwischen habe ich viele neue Freunde. Um das Damenkränzchen tut es mir allerdings bis heute leid. Noch immer habe ich die Hoffnung, dass die Damen ihre Angst überwinden und doch noch die Kurve kriegen. Und was meinen Mann betrifft, so muss ich sagen: „Ich habe ihn wegen seiner Gutmütigkeit wieder einmal unterschätzt.“
Denn als mein Mann erkannte, dass Ansgar seine „überlegene Position“ als RECHT HABENDER Bürger niemals aufgeben würde, dass jedes weitere Wort vergebene Liebesmüh’ sein würde und beide gleichsam auf verschiedenen Planeten durch den Weltraum schwebten – er also im Grunde seine wertvolle Zeit mit Ansgar verschwendete, statt mit mir einen herrlichen Herbsttag zu verleben, erwiderte mein Mann – im Gegensatz zu mir sonst die Diplomatie in Person – auf Ansgars Abrechnung lediglich: „Ansgar, ich glaube, Du hast Dich überschätzt.“
Mit diesen Satz erhob er sich und ließ Ansgar und sein RECHT ohne Bedauern am Tisch zurück.
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Maria Schneider ist freie Autorin und Essayistin. In ihren Essays beschreibt sie die deutsche Gesellschaft, die sich seit der Grenzöffnung 2015 in atemberaubendem Tempo verändert. Darüber hinaus verfaßt sie Reiseberichte. Kontakt:
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