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Von Helmut Roewer *)
Gewiss, Monika Maron, die Autorin des Romans Artur Lanz, kann nichts dafür, dass ich, wenn auch etwas zögerlich, am Abarbeiten eines nicht mir geschenkten Wellness-Wochenendes beteiligt war. Um es vorweg zu sagen: Es war eine Wohltat, dass sie mit von der Partie war, auf dem Trip ins bayerische Staatsbad am Oberlauf der Saale, dort wo einst die Grenze durch Deutschland ging.
Man kann sich schwerlich einen weniger anregenden Ort vorstellen als dieses Bad Steben, das durch eine Vielzahl ausufernder Klinikbauten dominiert wird. Manches davon im Betoncharme der Siebziger Jahre mit den angemessenen Alterungsspuren und Bauschäden. Früchte der einstigen Zonenrandförderung. Zum Ausgleich: Kneipen eher Fehlanzeige, etliche Cafés, einige davon sogar geöffnet, aber mit den allerpünktlichstenSchließungszeiten, dafür reichlich Verbotsschilder über die Mindestabstände und das Tragen von Masken.
Ist man unfolgsam in den fast menschenleeren Straßen, kommen sogleich mit Wanderstöcken bewaffnete Fremde herbeigeeilt, um einem im unfrohen Ton auf die Gebote der Obrigkeit hinzuweisen.
Im Kurpark patrouillieren Polizeiwagen. Ja, da fühlt man sich sicher, zumal kein einziger Willkommensbürger zu sehen ist. Auch ist das Grafikmuseum seuchenbedingt geschlossen und die Therme weitgehend abgesperrt. Ansonsten verweisen genau abgezählte Zutrittsbedingungen auf den Ernst der Lage (in der Schwimmhalle maximal 49 Personen), und wer sich dennoch zu entspannen trachtet, darf auf dreiste Ansprache durch das Personal vertrauen.
Bei solcher Tristesse wirkt es wie ein Wink des Himmels, dass beim Verlassen des Bades ein prächtiger Regenbogen die Aussicht verschönt. Nix weiß-blauer Himmel, sondern in den Farben der Schwulenbewegung präsentiert sich das obere Frankenland am Tag der deutschen Einheit. Der Wirt des einzigen geöffneten Cafés beschließt, dass Feierabend sei, denn seine fünf Huskys verlangen nach Auslauf. Wohl dem, der unter solchen Notfallbedingungen eine Kiste Wein im Auto, eine Baguette unter dem Arm und eine zufriedenstellende Lektüre im Handgepäck hat!
Wie schon im Vorgängerroman Munin kennt auch Artur Lanz eine Ich-Erzählerin, hinter welcher der Leser unschwer die Autorin Monika Maron zu entdecken wähnt. Ob dies wirklich so ist, vermag ich nicht zu sagen. Allerdings kann ich mir die Erlebnisse und die knappen Sentenzen in Artur Lanz sehr gut als solche der Autorin vorstellen. Nennen wir das mal den Berliner Stil: drastisch und ohne Schnörkel.
Die Erzählerin teilt Männer in vier Gruppen ein: Sympathische und Unsympathische sowie Intelligente und Einfältige. Die im Roman auftretenden Figuren sind recht lebensnah. Bei jedem Zweiten habe ich amüsiert gesagt: Ja, den kenne ich. Dies sind die nur selten erfreulich daherkommenden Angehörigen des akademischen Establishments, Emanzen beiderlei Geschlechts, politische Gauner und deren Nutznießer, Leute also, die Worthülsen absondern, ohne wirklich etwas zu sagen.
Doch das ist eher Beiwerk, denn die eigentliche Handlung findet als ein sporadischer Informationsaustausch zwischen der Ich-Erzählerin auf der Suche nach einem brauchbaren Stoff und dem von ihr ausgesuchten Opfer statt. Es ist ein aus dem Gleis geratener fünfzigjähriger Physiker, der nach Herzinfarkt und Ehescheidung auf einer Parkbank sitzt, einem Ort, wo sich sonst nur der städtische Abschaum zum Komasaufen trifft.
Das Gespräch, das die Erzählerin provoziert – nein, sie lässt nicht den Handschuh fallen, dafür aber ein paar Äpfel aus ihrer Einkaufstüte – führt zunächst zu nichts. Immerhin findet eine zufällige Wiederbegegnung statt, die in die Tiefen dieses vor kurzem noch so verzweifelten Mannes führt. Durch einen lächerlichen Vorfall hatte er sich wieder gefangen, nachdem er nämlich seinen Hund aus einem Rapsfeld befreit hatte, wo der sich ohne das Eingreifen an seiner mitgeschleiften Leine jämmerlich stranguliert hätte. Dem Manne selbst kommt dies wie eine ihn beglückende Heldentat vor.
Das bringt die Erzählerin auf den Dreh, über einstige Helden und deren Taten, auch über das Monstrum der post-heroischen Gesellschaft nachzusinnen, und mit solchen Problemen ihre Umgebung zu behelligen. Bevor man dann ungefähr auf Seite 70 na ja sagt, nimmt die Geschichte plötzlich an Fahrt auf. Aus einer harmlosen Situation bahnt sich ein Konflikt an.
Jetzt wird es für Artur Lanz, den Helden der Geschichte, darauf ankommen, ob er für einen Freund und Kollegen an seinem Institut eintreten wird, oder ob er bei dessen Existenzvernichtung lediglich angewidert zuschaut. Es ist wirklich ein nahezu läppischer Anlass: Der Freund hatte auf seiner privaten Facebook-Seite die wissenschaftliche Fundierung der Klima-Religion in Frage gestellt und von einem drohenden Grünen Reich gesprochen. Eine Denunziation war die fast notwendige Folge.
Ich will hier die weitere Handlung und ihr Ende nicht vorwegnehmen, das bleibe dem Leser überlassen. Es geht im Kern um die aktuelle Frage: Was kann, was darf man heutzutage noch ungestraft äußern?
Auch in diesem Erzählteil taucht eine Reihe von Figuren auf, die man aus dem wirklichen Leben kennt. Kaum einer von denen ist mir angenehm. Bei diesem Befund nimmt es kaum Wunder, dass wie schon der Roman Munin auch Artur Lanz beim Küsschen gebenden Mainstream-Feuilleton keine Gnade hat finden können. Diese selbstzufriedenen und aufgeblasenen Stromliniengestalten sind nämlich Marons Zielscheibe. Wie heißt es in diesen Kreisen so trefflich: Meinungsfreiheit? Ja sicher, aber man muss auch die Folgen tragen.
Das ist nur einer der Grundtöne, der im Roman anklingt, ein weiterer Aspekt ist die messerscharfe Trennung in Ost- und Westdenke dreißig Jahre nach der Einheit.
Ich gebe zu, dass ich Marons Ausführungen über das Altwerden ein Weilchen begrübelt habe. Über ihre Sentenz allerdings, dass man als alter Mensch nichts mehr machen könne, musste ich lachen. Man kann zum Beispiel, wenn man Maron heißt, ein hinreißendes Buch schreiben.
©Helmut Roewer, Zeichnung: Bernd Zeller, Jena, Oktober 2020.
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