(www.conservo.wordpress.com)
Von Dr. Wolfgang Caspart
Auf die Frage nach unserer Herkunft und Zukunft gibt es zwei unterschiedliche Ausgangspunkte: Entweder ist der Mensch ein offenes Buch und wird nach seiner Geburt durch seine Umwelt bestimmt, oder aber er wird durch bleibende Stände geprägt. Wer also die radikale Milieutheorie ablehnt, neigt zu einer gewissen Konservativität. So ein Konservativer gebraucht gerne die zwei Begriffe zur Herkunft und Zukunft: patriotisch und/oder national. Sind sie identisch oder worin unterscheiden sie sich?
BLEIBENDE STRUKTUREN
Patriotismus und Nationalbewusstsein stimmen in der Hochhaltung der bleibenden Stände überein. Der Patriotismus leitet sich vom lateinische „patria“ ab, dem Vaterland oder der Heimat. Das Nationalbewusstsein geht auf die lateinische „natio“ zurück, dem Volk oder die Geburt. Der Patriot denkt also eher etatistisch und landbezogen, der Nationale stärker biologisch und genetisch. Im Akzent auf eine der Begriffe zur Herkunft und Zukunft steht etwas Anderes im Mittelpunkt, wenngleich sie einander nicht wechselseitig ausschließen.Ein etatistischer Konservativer denkt vor allem an die Zeugnisse der Kultur und Natur seines Landes, ein nationaler Konservativer an seine Bewohner in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft (Rassem 1979).
Beide betonen, dass niemand für die Zukunft arbeiten kann, wenn er seine Herkunft nicht kennt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden demnach eine Kette. Der Etatist sieht die Zeugnisse der Entwicklung in Kunst, Identität und staatliche Organisation, der Nationale in der genetische Voraussetzungen seines Volkskörpers.
AUS DER GESCHICHTE LERNEN
Allem Konservativen haftet natürlich ein Verständnis für das Geschichtliche an. Mit Stolz blickt ein Konservativer zurück auf die ruhmreiche Vergangenheit wie auch mit Bedauern auf ihre negativen Seiten. Auch lernen lässt sich nur aus der Geschichte und den historischen Erfahrungen. Selbst der Historische Materialismus verachtet die Geschichte nicht, auch wenn er die transzendentalen Wurzeln seines Materialismus ignoriert. Wenn und weil unsere Tätigkeiten nach vorne gerichtet sind, erwartet sich der Etatist aus seinen bisher gewonnenen Kenntnissen eine unmittelbarere Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens, während der Nationale am wie durch das Volk keine sofortigen Erfolg seines Tuns erhoffen darf und auf den langen Atem der Geschichte setzen muss und kann. Damit wird der Patriot aktiver sein dürfen und der Nationale geduldiger werden müssen.
Scheitert der Etatist mit seinen Bemühungen, wird er rascher resignieren als der Nationale, der bei aller Enttäuschung immer noch hoffen darf. Leid und Freude des Patrioten sind auf sein staatliches Gemeinwesen und beim Nationalen auf sein Volk gerichtet. Der direkte Blick auf die gegenwärtigen Zustände ist dem patriotischen Konservativen leichter möglich, während der nationale Konservative vor verschlungeneren Wegen steht.
Der Etatist muss aufpassen, vor lauter Hingabe an Staat und Vaterland nicht auf das Volk zu vergessen, wogegen der Nationale in der Gefahr steht, in seiner sozialen Zuwendung das Staatsganze zu vernachlässigen. Vergangene Strukturen vermögen den Konservativen als Richtschnur zu dienen, wobei er von reinem Strukturkonservatismus irre geleitet werden kann. Der Nationale muss in Kauf nehmen, dass nicht alle Volksangehörige den selben sittlichen Wert besitzen und verkörpern, den Pöbel muss er schlucken und zu heben versuchen.
WECHSELSEITIGE ABSTÜTZUNG
Der Patriot vermag im Notfall den Leviatan zu ertragen und autoritäre Hilfsmittel anzurufen, der Nationale vertraut eher den überdauernden Traditionen seiner Nation und hofft, sie in der Demokratie zu finden und zu aktivieren. Der Etatist denkt von oben, der Nationale von unten. Der Patriot verhält sich elitärer, der Nationale egalitärer. Der Etatist erträgt das „ewige Gesetz der Oligarchie“ (Michels 1911) und will nur die wahre Aristokratie, der Nationale vertraut dem gesunden Volksempfinden (Arnim 2002). Befindet sich vieles in der Schieflage, soll das Elitäre der breiten Masse zu Hilfe kommen und eine meritokratische Führung das Volk auffangen (Caspart 2009). Für einen Konservativen gibt es kein radikales Entweder-oder, sondern empfiehlt sich ein Sowohl-als auch.
Patriotisch oder national ist keine bloß semantische Frage. In dem Herangehen an Probleme liegt der Unterschied. Vergisst der Patriot nicht auf die Mittel- und Oberschichten, hat der Nationale eher die Unterschichten und den „kleinen Mann“ im Blickfeld. Etatistische Schwierigkeiten lassen sich meist am besten durch staatliche Eingriffe meistern, während nationale Sorgen durch eine evolutionäre Gestaltung und Förderung der Rahmenbedingungen wieder ins Lot gebracht werden können (Malik 1992). Je komplexer die sich stellenden Aufgaben sind, desto stärker müssen sich die Parameter wechselseitig stützen und ergänzen.
ELEMENTE UND ANSÄTZE
Die Begriffe patriotisch und national widersprechen einander nicht, sondern beleuchten Geschichte, Herkunft und Zukunft nur von unterschiedlichen Gesichtspunkten. Die Vollkommenheit steht nur dem Ganzen zu, wozu auch andere sozialphilosophische Elemente wie Liberalismus, soziale Subsidiarität, ökologische Ganzheitlichkeit und kultureller Konservatismus gehören. In einer polypolaren Welt bedarf es noch des Bewusstseins der Identität von Staat und Volk. Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik lässt sich ein patriotischer oder nationaler Zugang niemals vermeiden, sondern erweist sich als notwendig. Darin steht er dem Konservatismus nahe, wie dieser die Ökologie, eine liberale Ökonomie, der Subsidiarität und kulturellen Traditionen berührt (Caspart 1991, S. 228-246). Aufeinander abgestimmt bilden sie die realistischen Elemente einer reifen Haltung und verantwortlichen Herangehensweise zu sozialen Fragen.
Geht man von einem weitgefassten Konservatismusbegriff aus, existieren verschiedene Ansätze zu einer patriotisch-nationalen Haltung. Es gilt synoptisch die miteinander vernetzten Probleme aus ihren unterschiedlichen Elementen heraus zu verstehen und zu bearbeiten. Alle haben ihren legitimen Platz in der Zusammenschau als Komponenten einer realen Welt. Die Fülle der kulminierenden Aufgaben müssen erkannt, ganzheitlich geplant und multidimensional behandelt werden. Die Reduktion auf nur ein Element löst keine Konflikte, sondern verschärft sie durch ihre Einseitigkeit. Die Vielseitigkeit der einer Lösung harrenden Situationen bedarf ihrer Transzendierung, das Nachlaufen hinter einer einzigen unüberhöhten Ideologie führt in die Irre.
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LITERATURNACHWEIS:
Hans Herbert von ARNIM: Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung – am Volk vorbei. Um ein aktuelles Nachwort erweiterte vollständige Taschenbuchausgabe. Verlag Droemer Knaur, München 2002. Wolfgang CASPART: Idealistische Sozialphilosophie. Ihre Ansätze, Kritiken und Folgerungen. Universitas Verlag, München 1991. Wolfgang CASPART: Meritokratie und Demokratie. Aula 10/2009, Aula-Verlag, Graz 2009, S. 18-19. Thomas HOBBES: Leviathan. Oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates. Zuerst englisch 1651, lateinisch 1670, deutsch u.a. Iring FETSCHER (Herausgeber), Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1996. Fredmund MALIK: Strategie des Managements in komplexen Systemen. Ein Beitrag zur Management-Kybernetik evolutionärer Systeme. 4. Auflage, Verlag Paul Haupt, Bern 1992. Robert MICHELS: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Zuerst 1911. Kröner Verlag, Stuttgart 1970. Mohammed RASSEM: Die Volkstumswissenschaften und der Etatismus. Zweite, um einen Anhang vermehrte Auflage. Mäander Kunstverlag, Mittenwald 1979. (in: Zur Zeit 38/2020, W3-Verlag, Wien September 2020, S. 38-39)