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Von Peter Helmes
Orientierungskrise der westlichen Welt
Die Welt sah am Morgen nach der Präsidentenwahl zunächst ganz anders aus, als die linksgesteuerten Medien seit Monaten erwartet und verkündet hatten. Das Erschrecken war groß, wenn auch nicht so brutal wie der Schock vor vier Jahren. Aber die historische Lektion, die Deutschland und Europa damals, 2016, erst mit dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich und dann mit der Trump-Wahl in den USA erteilt wurde, wirkt nach.
Auch wenn Joe Biden im Januar ins Weiße Haus einziehen sollte, gibt es kein Zurück zu den Gewißheiten einer endgültig vergangenen Weltordnung. Die Demokraten werden wohl die Mehrheit im Senat verfehlen. Damit könnte Joe Biden seine großen Reformpläne vergessen – auch wenn er Präsident werden sollte.
Das wäre ein Triumph für Donald Trump und die Republikaner. Auch wenn Biden die Präsidentschaft gewinnen sollte, wird es ihm schwerfallen, das „ungeliebte Erbe“ Trumps zu entsorgen.
Das Repräsentantenhaus bleibt zwar in demokratischer Hand. Ohne eine Mehrheit in der zweiten Kammer des Kongresses aber könnte Biden, falls er gewinnt, kein maßgebliches Gesetz verabschieden. Er bräuchte die Zustimmung der Republikaner z.B. für ein Konjunkturpaket in der Coronakrise, für die Reform der Krankenversicherung, für einen grundlegenden Wandel in der Klimapolitik. Die würde er nicht bekommen. Es wäre für ihn überhaupt schwer, irgendein Gesetz durch den Kongreß zu bekommen.
Na ja, ein paar wichtige Dinge könnte Biden auch per Verordnung regeln. Er könnte beispielsweise Klimavorschriften, die Trump aufgeweicht hat, wieder verschärfen. Er könnte die repressive Einwanderungspolitik seines Vorgängers liberalisieren – obwohl sie dem Land gutgetan hat. Aber Biden bliebe trotz allem ein halber Präsident.
Dafür wird schon Mitch McConnell sorgen. Der Mehrheitsführer der Republikaner ist mit deutlicher Mehrheit in Kentucky wiedergewählt worden. Er hat bereits vor der Wahl klargemacht, daß er unter einem demokratischen Präsidenten eine Blockadepolitik betreiben würde.
Daß die Wahl in den USA – so oder so – knapper ausgehen wird, als die meisten Meinungsumfragen das zuletzt angedeutet hatten, belegt, daß Trump nicht einfach nur eine schrille und vorübergehende Episode der Weltgeschichte bleiben wird. Die tiefe Spaltung Amerikas ist offenkundig – und nicht nur ein Resultat der Politik Trumps. Sie ist vielmehr: Ausdruck einer andauernden Orientierungskrise der westlichen Welt, die auch Europa auf neue Weise geteilt hat. Und viele Beobachter kommen zu dem Schluß, Europa müsse sich auf sich selbst besinnen.
Von höchster Stelle in Europa kommt stattdessen seit langem beredtes Schweigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich ebenso wenig wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratschef Charles Michel oder Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Sie alle vermieden es tunlichst, sich in der Personenfrage zu äußern – was man aus diplomatischen Gründen vielleicht noch verstehen könnte. Aber wohin die Reise mit EU und USA gehen soll, dazu gibt es offensichtlich keine Orientierung. Und das ist letztlich ein europäischer Offenbarungseid.
Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist unter Merkel/Trump auf einen Tiefpunkt abgesackt. Eine Wiederwahl Trumps würde die Bundesregierung kalt erwischen, meinte denn auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen: „Wir sind darauf nicht vorbereitet.“
Trump hatte z.B. das Pariser Klimaabkommen aufgekündigt. Diese Kündigung wurde just am letzten Mittwoch (4.11.) wirksam – am Tag der Präsidentenwahl. Das ist fast als ein Fanal zu werten.
Trump stieg zudem aus dem Iran-Atom-Deal aus. Beides sind Kernanliegen der EU. Trump feuerte Breitseiten gegen internationale Gremien – wie z.B. die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Welthandelsorganisation WTO – kurz: gegen das Prinzip der internationalen Zusammenarbeit vieler Staaten, genannt Multilateralismus. Und dieser Multilateralismus ist die „heilige Kuh“ der EU – ein Prinzip, auf das sich die EU seit ihrer Gründung beruft.
Europa hoffte und hofft, besonders wenn Biden gewinnt, auf eine schnelle und eindeutige Rückkehr zu diesem Prinzip – und damit um eine nach ihren Regeln ausgelegte Weltordnung. Doch der Schein trügt.
Nach dem hauchdünnen Wahlergebnis in den USA ist wohl klar, daß es die erwartete Absage an den „Trumpismus“ nicht geben wird.
Das heißt, daß die Polarisierung in der amerikanischen Politik und in der amerikanischen Gesellschaft durch diesen Wahlvorgang nicht etwa abgemildert oder reduziert werden wird, sondern daß sie möglicherweise nur noch weiter akzentuiert wird. Die Polarisierung ist nicht weg; ganz im Gegenteil.
Geschmeidig wie gewohnt verkündet Olaf Scholz, der letzte Hoffnungsträger des sozialistischen Establishments, Europa müsse deshalb „seine eigene Kraft entfalten“. Es gehe „um europäische Souveränität, wenn wir über die Politik der Zukunft diskutieren.“ (Ich lese tatsächlich „Souveränität“ – aber ich finde sie nicht.)
Europa tut sich zu schwer, die Konsequenzen zu ziehen
Die tiefe Spaltung Amerikas, die sich in der US-Wahl wieder gezeigt habe, ist nämlich auch Ausdruck einer andauernden Orientierungskrise der westlichen Welt, die auch Europa auf neue Weise geteilt hat. Eine Antwort darauf scheitert immer wieder an nationalen Vorbehalten.
Wenn Trump sagt, die EU ist ein Gegner, hilft das nicht gerade, Washington in der europäischen Debatte positiv erscheinen zu lassen. Aber Trump hat recht – auch wenn es uns schmerzt. Doch in der Regierung und im Kongreß – auch unter Republikanern – weiß man, daß die USA eine Zusammenarbeit mit Europa brauchen – und vice versa –, um sich mit China, Russland und anderen auseinandersetzen zu können.
Angela Merkels nach den ersten Trump-Monaten 2017 holprig postulierte Lehre, die Zeiten, in denen Europa sich auf andere verlassen könne, seien „ein Stück vorbei“, ist zu einem festen Bestandteil der politischen Rhetorik in Berlin wie in Brüssel geworden. Doch Europa tut sich zu schwer, die Konsequenzen zu ziehen. Der Ausbau gemeinsamer Verteidigungskapazitäten scheitert immer wieder an nationalen Vorbehalten. Dazu gehört auch die deutsche Unwilligkeit, im militärischen Bereich die Verantwortung zu übernehmen, die der ökonomischen Vormacht und den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands entspräche. Ohne militärische Macht und Gemeinsamkeit aber wird auch eine gemeinsame europäische außenpolitische Linie nicht erkennbar werden. Dazu müßte man sich aber viel mehr und besser koordinieren.
In einer Studie des „European Council on Foreign Relations“ in Brüssel aus dem Sommer heißt es, daß die Europäer das Vertrauen in den einst so engen Verbündeten USA verloren hätten. Vor allem das „chaotische“ Management der Corona-Pandemie durch Präsident Trump hätte zur trüben Stimmung beigetragen. Eine typische Reaktion der Trump-kritischen „Eierköpfe“.
Die Forscher des European Council gehen im Umkehrschluß davon aus, daß ein Wahlsieger Joe Biden wieder auf die Europäer zugehen würde. Sie erwarten, daß die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen und der Weltgesundheitsorganisation wieder beitreten würden. Eine Biden-Regierung würde die NATO als Allianz wieder stärken, auch wenn Demokraten wie Republikaner gleichermaßen auf eine Erhöhung der europäischen Verteidigungshaushalte drängen würden. Mein Gott, wie naiv!
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat daraufhin die NATO für „hirntot“ erklärt und Forderungen nach mehr „europäischer Souveränität“ formuliert. Auch andere Regierungschefs in der EU sehen, in unterschiedlichen Schattierungen, eine größere geostrategische Rolle der EU auch in Abgrenzung zu den USA. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, wünscht sich vor allem eine Rückkehr zu einer regelbasierten Ordnung:
„Die Wahrheit ist, daß es dringender denn je ist, das multilaterale System zu reformieren. Unser globales System leidet an einer schleichenden Lähmung.“ Große Mächte zögen sich entweder aus internationalen Institutionen zurück“, sagt von der Leyen, „oder sie nehmen sie „als Geisel für ihre eigenen Interessen“.
Janis Emmanouilidis vom European Policy Centre warnt aber vor Illusionen. Die eher sanfte Haltung, mit der Europa bislang China behandelt hat, würde auch einem demokratischen Präsidenten nicht sonderlich gefallen. „Eine Herausforderung könnte sein, daß eine neue Biden-Regierung zwar bei multinationalen Themen, beim Klimaschutz, in der Welthandelsorganisation kooperieren würde, aber verlangt, daß Europa als Gegenleistung härter gegenüber China auftritt.“ Auch mit Biden an der Spitze könnten die USA verlangen, Sanktionen zum Beispiel gegen den Technologiekonzern Huawei, ohne Wenn und Aber mitzutragen und auf militärische Provokationen im südchinesischen Meer zu reagieren. Klare Haltung! Aber eine, die EU-Europa wie einen aufgescheuchten Hühnerhaufen aussehen läßt.
Konsensfindung kaum möglich
Das Problem wird dadurch vergrößert, daß es seit einiger Zeit schwierig ist, einen „europäischen Konsens“ zu finden; denn viele Mitgliedsländer wollen nur sehr ungern auf ihre nationalstaatliche Kernkompetenz verzichten. Zudem gilt bei außenpolitischen Entscheidungen das Einstimmigkeitsprinzip, was eine Konsensfindung nicht erleichtert.
Das wirft eine der ernstesten Fragen nach der Zukunft der europäischen Außenpolitik insgesamt auf. Einige Mitgliedsstaaten könnten sich bei Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips eventuell nicht mehr wichtig genommen fühlen. Das Problem ist aber, daß jeder Mitgliedsstaat, ob Zypern oder Frankreich oder …, ein Veto hat und es dann so nutzen kann, wie es in sein nationales Blickfeld paßt.
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Sie muß auch eine Wertegemeinschaft sein. Das macht sie attraktiv. Unsere europäische Art zu leben, ist ja wertegeprägt. Aber, wie wir im Rheinland sagen: „Von nix kütt nix!“ Die Werte, die wir haben, müssen auch verteidigt werden. Und da hakt es in EU-Europa bedenklich. Das ist nicht die Schuld Donald Trumps, sondern unserem lässigen Umgang mit unseren Werten geschuldet. Uns erlaubt diese Fahrlässigkeit schon überhaupt nicht, den amerikanischen Präsidenten zu bevormunden. Kehren wir vor unserer eigenen Tür! Tun wir das nicht baldigst, können wir die europäische Tür zuschlagen – and nobody takes care.