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von Notan Dickerle, Anwärter auf den Leuchtturmpreis für mutigen Journalismus gegen “Bunt”
Am Abend des 4. November 1995 nahm der israelische Ministerpräsident Rabin an einer großen Friedenskundgebung auf dem Platz der Könige Israels in Tel Aviv teil. Sie stand unter dem Motto „Ja zum Frieden, Nein zur Gewalt“ und sollte die Friedenspolitik der Regierung gegenüber den Palästinensern unterstützen, die nach dem sog. Oslo-Prozeß im September 1995 zu einem vorläufigen Abschluß gekommen, in Israel aber umstritten war. Nationalisten und Siedlern war sie ein Dorn im Auge, unter Leitung eines gewissen Benjamin Netanyahu beschimpften sie den Minsterpräsidenten als Verräter und präsentierten Bilder von Rabin in Nazi-Uniform bzw. mit Palästinensertuch. Dieser hielt auf dem Platz der Könige eine letzte Rede, bevor er, von der Bühne abgehend, von einem rechtsextremen Studenten erschossen wurde:“Diese Regierung, der ich gemeinsam mit meinem Freund Shimon Peres das Privileg habe vorzustehen, hat sich entschieden, dem Frieden eine Chance zu geben – einem Frieden, der die meisten Probleme Israels lösen wird… Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch dies als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war“ war seine zentrale Aussage.
In der Tat kam der 1922 in Jerusalem geborene Rabin schon früh zum Militär bzw. zur jüdischen Untergrundbewegung Hagana, für die er in den 40-er Jahren am israelischen Unabhängigkeitskrieg gegen die britischen Mandatstruppen teilnahm. Im Gegensatz zur Irgun seines Gegenspielers Menachem Begin wurden Rabins Einheiten nach Staatsgründung in die israelische Armee übernommen, er selbst – ohne eine formale Ausbildung oder gar ein Universitätsstudium – Offizier, der es bis 1964 bis zum Chef des Generalstabs brachte. Nach dem von ihm militärisch verantworteten, erfolgreichen Sechs-Tage-Krieg ging Rabin für fünf Jahre als Botschafter in die USA, bevor er 1973 für die Arbeiterpartei in die Knesset gewählt wurde. Im Jahr darauf löste er die nach dem Jom Kippur-Krieg in die Kritik geratene Golda Meir im Amt des Ministerpräsidenten ab, verlor allerdings 1977 die Wahl gegen den Likud-Hardliner Begin.
Yitzhak Rabin war zu dieser Zeit alles andere als eine “Taube”. Seit 1984 Verteidigungsminister in der Regierung Peres verfolgte er bei der Ersten Intifada eine sehr harte Linie, die ihm unter Arabern den Namen “der Knochenbrecher” eintrug. Erst in seinen letzten Jahren gelangte er zur Erkenntnis, daß ohne Verständigung mit den Palästinensern sowie den arabischen Nachbarn ein dauerhafter Frieden in der Region nicht möglich sei. 1989 wurde sein diesbezüglicher Plan für eine Zusammenarbeit von der Knesset angenommen, etwa zeitgleich erklärte Jassir Arafat die Passage aus der PLO-Charta von 1964 für hinfällig, in der die Zerstörung Israels gefordert wurde. Nachdem Rabin 1992 wieder Regierungschef geworden war kam es erstmals zu Direktgesprächen und schließlich zum Abkommen von Oslo, das nach der klassischen “Land-gegen-Frieden”- Formel den Abzug der israelischen Armee aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen sowie palästinensische Selbstverwaltung im Gegenzug zu einem Gewaltverzicht der Palästinenser vorsieht. Rabin, Arafat und Schimon Peres (jetzt Außenminister unter Rabin) erhielten für diese lange Zeit für unmöglich gehaltene Einigung 1994 gemeinsam den Friedensnobelpreis. Noch ein zweites Oslo-Abkommen wurde unterzeichnet, außerdem ein Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien. Da die USA für ihre langjährigen, nicht immer ganz unparteiischen Bemühungen um Ausgleich auch etwas Glanz abbekommen wollten, lud Bill Clinton Rabin, Arafat, den jordanischen König Hussein sowie den ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak Ende September 1995 zu einem symbolischen Festakt ins Weiße Haus.
Es sollte allerdings nur Talmiglanz sein, denn der Friedensprozeß von Oslo wurde niemals umgesetzt. Der nationalistische Likud, der die Friedenspolitik Rabins für Verrat hielt, kam im folgenden Jahr 1996 wieder an die Macht und sorgte nicht zuletzt mit geschickten Narrativen dafür, daß die Oslo-Abkommen niemals umgesetzt wurden, die Siedler in den besetzten Gebieten vielmehr weiterhin vollendete Tatsachen schaffen konnten (und können). Mit einer kurzen Unterbrechung von 1999 bis 2001 haben sich die Falken mit den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Ariel Scharon seither an der Regierung gehalten. Letzterer bereitete mit seinem wohlkalkulkierten Besuch des Tempelberges im September 2000 und der damit provozierten “Al-Aqsa-Intifada” dem Friedensprozeß endgültig ein Ende. Diesen Ereignissen verdanken wir in Deutschland übrigens den “Kampf gegen Rechts” sowie den Verein “Gesicht zeigen – Für ein weltoffenes Deutschland”: nach einem Anschlag auf die Synagoge in Düsseldorf hatten die Spitzenfunktionäre des Zentralrats der Juden von der Regierung Schröder/Fischer ein “starkes Signal” verlangt, das mit der seither intensivierten gesellschaftlichen Ächtung konservativer oder gar nationaler Positionen bereitwillig gegeben wurde. Es stellte sich zwar bald heraus, daß zwei junge Araber den Anschlag begangen hatten, um ihrerseits ein “starkes Zeichen” gegen die Aktion Scharons zu setzen – er war sozusagen Teil der Intifada. Die regierungsamtlichen Maßnahmen “gegen Rechts” bzw. die Meinungsfreiheit der Biodeutschen blieben indes bestehen und bilden einen Meilenstein beim weiterhin betriebenen Umbau des Rechtsstaates in einen Gesinnungsstaat.
Nur selten hat ein politischer Mord seinen Zweck so offensichtlich erfüllt wie derjenige an Yitzhak Rabin. Es stellt sich daher die Frage, ob die Tat wirklich von einem Einzelgänger begangen wurde oder nicht doch mehr dahinter steckt. Bei einer entsprechenden Umfrage in Israel aus dem Jahr 2005 glaubte immerhin ein Viertel der Befragten an ein politisches Komplott. Es gibt auch einen Roman mit dem Titel “Der Tod des Yitzhak Rabin – Anatomie einer Verschwörung”. Der Untersuchungsbericht zum Attentat ist merkwürdigerweise bis heute nur teilweise veröffentlicht, obwohl ihn der Vorsitzende der Untersuchungskommission schon längst freigegeben hat. Der Frieden blieb allemal auf der Strecke – nicht umsonst trägt die jüngste Biographie über Rabin, die im vergangenen Jahr erschienen ist, den Titel “Yitzhak Rabin – Als Frieden noch möglich schien.”