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Von Helmut Roewer
Es gibt seit dem Untergang der DDR in Deutschland eine spezielle Literaturgattung, deren Ziel es ist, den Zeitgenossen weiszumachen, dass der Sozialismus als solcher eine tolle Sache war – und ist. Nur, nun ja, es waren bislang halt die falschen Leute am Drücker. Für den Geschichts- und den Gegenwartsforscher ist diese Art der Apologeten-Dichtung insofern von Interesse, als hier zahlreiche Details zutage treten, nach denen man sonst mühsam suchen müsste, und zudem allgemeine Lehren über das Verdrängen und Verfälschen von Tatsachen in einer Dichte präsentiert werden, die man kaum für möglich hält.
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Nach soviel Theorie nun zu einem praktischen Fall. Er betrifft die in den 1920er/30er Jahren gefeierte Journalistin und Buchautorin Maria Osten. Die 1907 oder 1908 in einem Dorf bei Lemgo in Westfalen geborene Heldin dieser Geschichte hieß in Wirklichkeit Maria Greßhöner. Der Vater fiel im Ersten Weltkrieg, das Kind wuchs in Ostpreußen und in Berlin auf. Das Gymnasium brach der Teenager ab. Warum das so ist, bleibt unbekannt. Klar ist hingegen, dass die Jugendliche in den Zirkel der kommunistische Boheme in Berlin eintauchte. Ein erster fester Freund, manche sagen: Ehemann, wurde für kurze Zeit der kommunistische Starunternehmer, Gründer und Chef des Malik-Verlages, Wieland Herzfelde. Von hier aus war das Tor zu allen jenen geöffnet, die in der linken Schickeria der deutschen Hauptstadt en vogue waren. Eine Aufzählung erspare ich mir, nicht jedoch den Hinweis, dass Berlin die Kommunisten und Sympathisanten des Sowjetsystems aus aller Herren Länder wie ein Magnet anzog. Aus diesem selbstverliebt um sich selbst drehenden Personenkarussell haben spätere Geschichtsbetrachter die Goldenen Zwanziger Jahre geformt. Beim normalen Zeitgenossen ging’s hingegen ziemlich karg zu.
Wie dem auch sei, Maria Greßhöner, der aufsteigende Literatenstar am kommunistischen Firmament, gab sich selbst einen neuen Namen, Maria Osten, denn nomen est omen, der neue Name deutete in die richtige Richtung, in die des Heils – und, zugegeben, mit dem wirklichen Nachnamen war kein Staat zu machen. Ehemann Nr. 2 wurde ein sowjetischer Regisseur, Jewgenij Tschewjakow, der seine Frau 1932 zum ersten Mal nach Moskau mitnahm, doch hielt die Ehe nicht sehr lang, und an Marias Seite trat ein neuer Russe, viel bekannter und einflussreicher als der erste. Sein Namen war Michail Kolzow. Er war ein Journalist und bolschewistischer Propagandist der Sonderklasse.
Das angesagte Paar reiste in Europa hin und her. Wer wie Kolzow zur sowjetischen Nomenklatura gehörte, durfte das, der normale Sowjetmensch konnte sich das weniger leisten, übrigens durfte er es auch nicht. Im Saarland machten die Auserwählten 1933 Station, wo die Auseinandersetzungen über das weitere Schicksal des Landes dem Höhepunkt zustrebten, denn nachdem die Saar im Versailler Diktat von 1919 vom Deutschen Reich abgespalten worden war, um dort für Frankreich die Kohlegruben und Stahlschmieden zu sichern, stand nunmehr vertragsgemäß eine Volksabstimmung über das weitere Schicksal des Landes auf dem Plan des Völkerbundes. Da bildeten sich nach der Machtergreifung Hitlers weltweit seltsame Allianzen heraus. Alles, was fortschriftlich hieß, glaubte allen Ernstes, die Saar-Frage werde eine Volksabstimmung über das Terrorregime in Berlin. Es könne hierbei nur einen Sieger geben: Weg vom Reich auf alle Zeiten. In der Praxis wurde dieses lauthals gepriesene Muss allerdings ein Flopp.
Bevor es soweit kam, ließen sich Kolzow und Osten, um Flagge zu zeigen – die rote Fahne der Sowjetunion –, einen Sondergag einfallen: Sie adoptierten ein saarländisches Kind. Herbert L’Hoste hieß der Zehnjährige, er war der Sohn eines kommunistischen Funktionärs, dem seine Zustimmung als Parteiauftrag abgepresst worden war. Mit ihrer kindlichen Beute reisten die Journalisten in das Land aller Werktätigen zurück, und der Propagandarummel erreichte ein Niveau, das heutzutage bestenfalls mit den medialen Orgien für ein schwerbehindertes schwedisches Mädchen verglichen werden kann, welches wie die Abgesandte aus einer anderen Welt bei allen und jedem herumgereicht wird, der Rang und Namen hat. So war es auch bei Herbert in Moskau. Seine Adoptivmutter krönte die Show, indem sie 1935 ein Buch herausbrachte, zu welchem der mächtige Komintern-Chef Georgi Dimitroff eigenhändig – so wird jedenfalls gesagt – das Vorwort schrieb: Herbert im Wunderland, im Original: Губерт в стране чудес.
Die Wirklichkeit sah, wie so oft, anders aus, denn das Nominal-Elternpaar hatte wenig Zeit, sich um den so plötzlichen Familienzuwachs zu kümmern, denn die Weltrevolution duldete keinen Aufschub. Als nächste Station finden wir Kolzow und Osten in Spanien, wo seit 1936 der Bürgerkrieg tobte. Wieder stand es für die Fortgeschrittenen auf der ganzen Welt außer Zweifel, wer diese Partie gewinnen würde. Und wieder kam es anders. Aller linken Propaganda zum Trotz, an denen Kolzow und Osten nach Kräften mitwirkten, siegten die Falschen. An diesem unerwünschten Ergebnis hatten Leute wie Kolzow deswegen erheblichen, wenn auch verdeckten Anteil, weil sie sich mehr um die Auseinandersetzungen zwischen den miteinander tödlich verfeindeten Kräften auf der linken, der republikanischen Seite kümmerten, als den äußeren Feind, die Falange des Generals Franco, zu bekämpfen.
Das alles war aus der Memoirenliteratur wohlbekannt, wurde jedoch so lange vehement bestritten, als die zugehörigen Akten verschlossen ruhten, in Moskauer Archiven sorgsam verwahrt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam für einen kurzen Moment die Wahrheit ans Licht. Die liest sich im speziellen Fall so:
„Ich hatte zuvor, Genosse Stalin, Ihre Aufmerksamkeit auf jene Bereiche von Kolzows Tätigkeit lenken müssen, die keineswegs das Vorrecht des Korrespondenten sind, sondern von ihm willkürlich usurpiert wurden. Seine Einmischung in militärische Angelegenheiten, seine Verwendung seiner Position als Vertreter Moskaus sind an sich verwerflich. Aber in diesem Moment möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ernstere Umstände lenken, die Sie, Genosse Stalin, hoffentlich als an ein Verbrechen grenzend betrachten werden:
- Kolzow kam zusammen mit seinem ständigen Begleiter [dem französischen Schriftsteller André] Malraux mit der örtlichen trotzkistischen Organisation POUM in Kontakt. Angesichts Kolzows langjähriger Sympathien für Trotzki sind diese Kontakte kein Zufall.
- Kolzows sogenannte Ehefrau Maria Osten (Gresshöner) ist, ich persönlich habe keine Zweifel daran, eine Geheimagentin des deutschen Geheimdienstes. Ich bin überzeugt, dass viele der Misserfolge in der militärischen Konfrontation das Ergebnis ihrer Spionageaktivitäten sind.”
[Zit. nach: Борис Сопельняк: Смерть в рассрочку (Boris Sopelnjak: Tod auf Raten), Übers. Durch d. Verf.].
So schrieb es der französische Spitzenkommunist und Komintern-Funktionär André Marty dem Genossen Josef Stalin auf. Es waren tödliche Vorwürfe, die er erhob.
Die Ergebnisse sind bekannt. Kolzow wurde 1938 nach Moskau zurückbeordert, wo er umgehend verhaftet wurde. Am 2. Februar 1940 wurde er auf dem NKWD-Schießstand in Butowo bei Moskau durch einen Genickschuss hingerichtet. Maria Osten nahm von Spanien kommend einen Umweg über Paris. Auch sie kehrte noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Moskau zurück. In ihre Wohnung kam sie nicht hinein. Ihr mittlerweile dort mit einer sowjetischen Freundin lebende Adoptivsohn nannte sie lauthals eine Feindin des Volkes und sperrte sie aus. Sie zog in ein Hotel, noch ging das. Dort wurde sie am 25. Juni 1941 – der deutsch-sowjetische Krieg war gerade 5 Tage alt – verhaftet. Recht bald verfrachteten die Organe – so sagte man dortzulande – die feindliche Ausländerin ins Innere des Riesenreichs. Die Sonderberatung des NKWD für das Gebiet Saratow verurteilte Maria Osten als feindliche Agentin am 8. August 1942 zum Tode. Über ihren Todestag gehen die Quellen auseinander. Die einen sagen, dass sie am Tag der Verurteilung erschossen wurde, was üblich wäre, andere sprechen vom 16. September 1942.
Darüber mögen die Lexikografen ihre Fehden führen. Diese Diskrepanz ist für unser Schlusswort ohne Belang. Bleibt vielmehr die Frage: Was veranlasste Maria Osten, sich auf den Weg der Lügen zu begeben? Glaube an eine Illusion? War es das Ergreifen einer Gelegenheit, um ganz nach oben zu kommen? Oder war es die Fremdsteuerung durch starke Männer, die sich ebenfalls der Lüge verschrieben hatten, um im Olymp der Macht mitzumischen? Ich weiß es nicht, muss aber immer wieder daran denken, wenn ich die heutigen Propagandistinnen bei ihrem Tun betrachte:
Sie schwimmen im Strom der allgemeinen Meinung, haben selbst keine andere als diese, verfolgen gnadenlos jene, die anderen Sinnes sind, verachten das Volk, zu dessen Belehrung sie sich berufen fühlen – und werden ausgemustert, wenn sich ihr Gebrauchswert abgenutzt hat.