Europa, was nun? Trump, Biden und die US-Präsidentenwahl

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Viel Unklarheit, aber noch kein Linksrutsch

Die US-Präsidentenwahl hat u.a. deutlich gemacht, daß die Anhänger der beiden politischen Lager geographisch, kulturell und medial in Parallelwelten leben, die kaum noch gemeinsame Schnittmengen aufweisen. Das heißt, daß die Polarisierung in der amerikanischen Politik und in der amerikanischen Gesellschaft durch diesen Wahlvorgang nicht etwa abgemildert oder reduziert, sondern daß sie möglicherweise nur noch weiter akzentuiert wird.

Die Wahlen lassen zwar – nach der derzeitigen, noch nicht endgültig klaren Lage zu urteilen – Präsident Trump als Verlierer dastehen, aber eine weitgehende Machtübernahme der Demokraten wünschen sich die US-Amerikaner eben auch nicht. Es hat keinen Linksrutsch gegeben in den USA, im Gegenteil. Die Republikaner haben anvielen Orten zugelegt, sie haben bei den Wahlen ins Abgeordnetenhaus und in Landesparlamente überraschend viele Sitze gewonnen. Amerikas Noch-Präsident hat mitten in einer Pandemie und Krise sechs, vielleicht sogar sieben Millionen Wählerstimmen hinzugewonnen. Er hat damit nach vier lärmigen Jahren im Weißen Haus inmitten einer Pandemie – und in der schwersten Krise seit der Großen Depression – seine Basis vergrößert, numerisch und soziologisch.

Man muß kein Prophet sein, um vorherzusehen, daß Trump weiterkämpfen wird – und auch seine Bewegung wird bleiben. Was Joe Biden angeht, wird er für seine Politik deshalb häufiger auf Verordnungen angewiesen sein, als ihm lieb ist.

Die Herausforderungen für den Präsidenten sind groß. Die Corona-Krise hat verheerende Folgen – für die Volksgesundheit ebenso wie für die Wirtschaft. Die veränderte Weltordnung mit einem immer selbstbewußteren China droht die traditionelle amerikanische Machtbasis zu untergraben. Fundamentale Probleme der amerikanischen Gesellschaft – Ungleichheit, Rassismus, geringe soziale Sicherheit – lassen sich auch nicht im Handumdrehen lösen. Biden ist sich dessen bewußt. Er unterschätzt seine Aufgabe nicht. Sein Vorhaben, alles zu tun, um das Land in eine gute Richtung zu steuern, ist zwar herzergreifend, aber Zweifel an seiner Kraft dazu bleiben.

Hingegen sollte man die Kraft der Republikaner nicht unterschätzen. Der US-Fernsehsender FOX NEWS, das Sprachrohr der Konservativen in den USA, also der Republikaner, verkündete bereits:

„Die Amerikaner werden nicht schweigen. Stattdessen werden wir die Siege, die Präsident Trump uns hinterlassen hat, nutzen, um uns gegen eine linke Agenda zu verteidigen, von der wir glauben, daß sie den Kern der amerikanischen Werte untergräbt.

Die Ironie der Feierlichkeiten am Samstagabend (nach der Wahl) für die Demokraten besteht darin, daß der Wahltag eigentlich ein ziemlich verheerender Rückschlag für sie war. Es ist ihnen nicht gelungen, die Mehrheitsverhältnisse im Senat umzudrehen. Joe Biden mag die Wahl gewonnen haben, aber fast die Hälfte der Amerikaner kann mit der Vision und den Plänen der sozialistischen Demokraten für das Land nichts anfangen.

Im Repräsentantenhaus versprach deren Sprecherin Nancy Pelosi noch im August ‚zweistellige‘ Zuwächse für die Demokraten. Stattdessen schrumpfte ihre Mehrheit. Zu all diesen schlechten Nachrichten für die Demokraten kommt die Tatsache, daß sie sich nicht länger auf aktivistische Gerichte verlassen können, um legislative Prioritäten durchzusetzen, die sie im Kongress nicht durchsetzen können. Die herkulischen Bemühungen von Präsident Trump, Amerikas Gerichte wieder ins Gleichgewicht zu bringen, werden sich in den kommenden Jahrzehnten auszahlen.“ (Soweit Fox News)

Echte Leistungen Trumps

Der „Trumpismus“ ist noch nicht tot; denn die Gräben, die Obama und die Clintons, vor allem Hillary, aufgerissen haben, werden noch lange Bestand haben. Sie sind die Ursache für die tiefe Unzufriedenheit, die – zumindest bei den mehr als 69 Millionen Trump-Wählern – zum Ausdruck kam. Die teilweise exzentrischen Eskapaden Trumps spielen da keine Rolle, sie werden angesichts seinen echten Leistungen zur Nebensache:

Seit Trump Präsident ist, wurden sieben Millionen Jobs geschaffen. Er sorgte für höhere Mindestlöhne, weniger Arbeitslose, steigende Börsen, billigere Arzneimittel, die niedrigsten Steuern seit 80 Jahren für kleine Unternehmer … und für finanzielle Anreize, um Kinder in die Welt zu setzen.

Biden steht also vor einer Herausforderung namens Vereinigte Staaten, die so gespalten sind wie noch nie. In den acht Jahren, in denen er Vizepräsident unter Obama war, schritt der Prozeß dieser Spaltung leise voran und entwickelte sich zum Fundament für den Wahlsieg von Trump vor vier Jahren. Bei der Wahl in diesem Jahr erhielt Trump sogar sieben Millionen mehr Stimmen als damals. Biden muß deshalb auf die Trump-Anhänger Rücksicht nehmen.

Für die Linken, also die Demokraten – und zu denen gehört Biden – wird es auch nicht einfach werden, die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen. Und im Ausland? Chinas Macht ist überhaupt nicht mit der Situation zu vergleichen, in der Biden Vizepräsident war. Wenn er sich also zu sehr mit den Inlandsproblemen beschäftigen sollte, könnte die Lage der Welt noch unberechenbarer werden.

Orientierungskrise der westlichen Welt: Europa tut sich zu schwer, die Konsequenzen zu ziehen

Die tiefe Spaltung Amerikas, die sich in der US-Wahl wieder gezeigt hat, ist auch Ausdruck einer andauernden Orientierungskrise der westlichen Welt, die auch Europa auf neue Weise geteilt hat. Eine Antwort darauf scheitert aber immer wieder an nationalen Vorbehalten.

Die historische Lektion, die Deutschland und Europa 2016 erst mit dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich und dann mit der Trump-Wahl in den USA erteilt wurde, wirkt nach. Auch wenn Joe Biden im Januar ins Weiße Haus einziehen sollte, gibt es kein Zurück zu den Gewißheiten einer endgültig vergangenen Weltordnung.

Daß die Wahl in den USA – so oder so – knapper ausgehen wird, als die meisten Meinungsumfragen das zuletzt angedeutet hatten, belegt, daß Trump nicht einfach nur eine schrille und vorübergehende Episode der Weltgeschichte bleiben wird. Die tiefe Spaltung Amerikas, die er verkörpert, ist Ausdruck einer andauernden Orientierungskrise der westlichen Welt, die auch Europa auf neue Weise geteilt hat. Zugleich haben die Trump-Jahre alte Aversionen bis hin zu offenem Antiamerikanismus in Deutschland und Europa genährt.

Angela Merkels nach den ersten Trump-Monaten 2017 holprig postulierte Lehre, die Zeiten, in denen Europa sich auf andere verlassen könne, seien „ein Stück vorbei“, ist zu einem festen Bestandteil der politischen Rhetorik in Berlin wie in Brüssel geworden. Doch Europa tut sich zu schwer, die Konsequenzen zu ziehen. Der Ausbau gemeinsamer Verteidigungskapazitäten scheitert immer wieder an nationalen Vorbehalten. Dazu gehört auch die deutsche Unwilligkeit, im militärischen Bereich die Verantwortung zu übernehmen, die der ökonomischen Vormacht und den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands entspräche. Ohne militärische Macht und Gemeinsamkeit aber wird auch eine europäische Außenpolitik nicht wirksam werden.

Das wird im nächsten Jahr noch deutlicher werden, wenn mit Angela Merkel die Politikerin von der Bühne abtritt, die wie keine andere in Stil sowie durch ihre wertefreien Grundüberzeugungen und Erfahrungen zum Gegenpol Trumps wurde. Die Europäische Union hatte der US-Präsident schlicht ignoriert. Deutschland und Merkel aber hatte Trump als ernst zu nehmende Gegner stets im Visier.

Niemand ist in Deutschland erkennbar, der im nächsten Jahr diese Rolle einnehmen und einem neuen oder gar dem alten US-Präsidenten als ebenbürtiges Gegenüber entgegentreten könnte. Wenn die Lehre aus den amerikanischen Präsidentschaftswahlen nachwirkt, könnte immerhin die Frage, wer in diese Rolle hineinwachsen könnte, zu einem entscheidenden Kriterium für die Wahl werden, die in Deutschland im nächsten Jahr bevorsteht. Könnte! Aber ich sehe nirgends – bei keiner Partei – einen entsprechenden Denkvorgang. Die in unserem Land weitgehend herrschende Anti-US-Stimmung ist tumb und hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. (Aber das gerade bei uns traditionell verkrampfte Verhältnis zwischen Trans-Atlantikern und Anti-Amerikanern ist ein anderes Thema.)

Europäische Einigkeit – eine Schimäre

Ob Türkei/Griechenland-Konflikt, Kaukasus-Krieg, Verhalten zu China – nur um einmal drei schwere „Brocken“ aufzugreifen: Die EU schafft es nicht, einen Konsens in der Auseinandersetzung zu finden. Ich fürchte, daß wir hier einen Vorgeschmack bekommen, wie auch künftig Europa regelmäßig auseinanderfällt, wenn es sich mit Großmächten auseinandersetzen muß.

Dringend erforderlich wäre, daß die Führung der Europäischen Union, der Präsident des Europäischen Rats, die Präsidentin der EU-Kommission, umgehend einen Sonderrat der Staats- und Regierungschefs einberufen, damit die Europäische Union in dieser noch unklaren Lage zumindest gemeinsam reagiert oder gemeinsam so lange wartet, bis man auf ein klares Ergebnis auch gemeinsam in welcher Weise auch immer reagieren kann. Das aber gleicht der Quadratur des Zirkels.

US-Medien-Desaster: Ein Tiefpunkt der politischen Berichterstattung

Zum Schluß noch ein Blick auf ein Mediendesaster bisher nicht bekannten Ausmaßes: Etliche Sender in den USA haben Trump während einer Lifesendung einfach ausgeblendet. Und ich fürchte, daß sich solches auch einmal bei uns ereignen könnte; denn hier bei uns sind viele Medien nicht nur links/grün, sondern auch regierungshörig.

Doch zurück zu den USA:

Die NZZ (Neue Zürcher Zeitung) wertet das Verhalten dieser amerikanischen Medien in der für die NZZ typischen Deutlichkeit (die unseren Medien abhandengekommen ist) als einen „Tiefpunkt der politischen Berichterstattung“:

„Das Vorgehen von ABC, CBS, CNBC und MSNBC war unreif, unklug, übergriffig. Journalisten ergriffen Partei und machten von ihrer Diskurshoheit Gebrauch. Im Gewand vermeintlicher Haltung übten sie einen entmündigenden Paternalismus aus. Sie brachten die Zuschauer um die Chance, sich selbst ein Bild zu machen, und Präsident Trump um sein Recht der freien Äußerung. Nichts, wirklich gar nichts hätte dagegen gesprochen, die Rede kritisch zu bewerten, einzuordnen, sie hart auf Pro und Contra abzuklopfen – aber bitte schön erst dann, wenn man sie zur Gänze gemeinsam gehört hat. Stattdessen gerierten sich die Ankläger zugleich als Richter und verwiesen Trump vom diskursiven Spielfeld…“

Die Entscheidung der großen Sender ist beispiellos und stellt einen Präzedenzfall dar, der zum Nachdenken über die Rolle der Medien einlädt. Es ist eine Sache, die Meinung eines Politikers einzuholen und dann darzulegen, daß das, was er gesagt hat, falsch ist – das haben CNN und Fox News getan. Eine andere Sache ist es, einem Politiker direkt das Wort abzuschneiden. Vielleicht läßt sich der Trumpismus eher mit Transparenz und ohne Zensur bekämpfen.

In der Vergangenheit haben die US-Medien, gerade wenn das Land gespalten war, stets die Meinung beider Seiten – pro und contra – wiedergegeben. Man sagt, das rechtspopulistische Trump-Phänomen führe zu einer Demokratie-Krise. Allerdings liegt die wahre Gefahr des Populismus darin, daß er zuerst zur Selbstauflösung des Liberalismus führt. Und genau diesem Liberalismus wurden durch das Verhalten der Medien Meinungsfreiheit und Toleranz genommen.

Diese Fehleinschätzung sowohl der Medien als auch der Meinungsforscher vor der Wahl zeigt in alarmierender Deutlichkeit, daß die politischen Eliten die Kontrolle über das demokratische System der USA immer mehr an die breiten Massen verlieren. Die Stimmen der Wahlleute entsprechen nicht mehr dem Willen einer bunten Bevölkerung. Auch die Mainstream-Medien werden von den neuen, dynamischen sozialen Medien herausgefordert. Positiv ist, daß die einfache Bevölkerung, die meist nicht an Umfragen teilnehmen will, dort immer mehr ihre eigene Stimme hörbar macht. Das zumindest läßt uns Bürgerliche auch hoffen.

www.conservo.wordpress.com     2.12.2020
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