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Von Peter Helmes
Putins Schurkenstück: Nawalny erst vergiftet, dann zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilt
Das unglaubliche Urteil gegen Kreml- bzw. Putin-Kritiker Nawalny verletzt das Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen – und gewiß auch vieler Russen. Es ist überdies ein Zeichen von Schwäche des vermeintlich so starken Mannes in Moskau, der sich in der Corona-Krise in seinen Palästen strikt von der Außenwelt abschirmt.
Einen im Verantwortungsbereich Putins Vergifteten zu verurteilen, wie am 2.2.21 geschehen, weil er sich angeblich nicht an die Auflagen der Justiz gehalten hat, ist der Gipfel des Zynismus.Doch Putin könnte sich verrechnet haben. Die causa Nawalny nimmt die Formen des David-gegen-Goliath-Heldenstückes an. Nawalny ist es durch eine kluge Taktik gelungen, mit Mut und Ausdauer den russischen Präsidenten Putin in die Defensive zu bringen. Putin hatte jahrelang versucht, Nawalny nicht allzu große Bedeutung beizumessen, um ihn nicht zum Märtyrer zu machen.
„Partei der Gauner und Diebe“
Aber indem Nawalny freiwillig nach seiner Genesung in Deutschland nach Russland zurückkehrte und obendrein noch ein verheerendes YouTube-Video über Putins vermeintlichen Palast am Schwarzen Meer veröffentlichte, ließ der Oppositionsführer dem Präsidenten offenbar keine andere Wahl, als ihn in ein Arbeitslager zu schicken. Nun ist Nawalny erst recht eine mächtige Symbolfigur des russischen Widerstands.
Zehn Jahre ist es her, daß Russland erstmals einen Aufstand erlebte, und schon damals war Alexej Nawalny der Protagonist eines längeren Machtkampfs. ‚Partei der Gauner und Diebe‘, nannte er griffig die Regierungspartei, die gerade zur Profiteurin einer getricksten Parlamentswahl geworden war. Jetzt ist er selbst der Anlaß für eine Kaskade des Protests im ganzen Land. Die erneut peitschende Antwort darauf zeigt die Not und Einfallslosigkeit der Moskauer Führung.
Wer Demonstranten pauschal ‚Provokateure‘ und ‚Rowdys‘ nennt, für den ist ein Dialog mit dem kritischen Teil des Volkes offenbar keine Option.
Acht Monate vor der Parlamentswahl sieht der Kreml keinen Anlaß, die Zügel zu lockern. Denn Freiheit und Freiraum für Nawalny und sein Team würden für den auf Kontrolle setzenden Kreml einen Wahlkampf bedeuten, der deutlich schwerer planbar wäre.
Ein Pyrrhus-Sieg für Putin?
Dieses harte Urteil gegen Nawalny könnte sich für den Kreml noch als Pyrrhussieg herausstellen. Taktisch gewinnt die russische Führung, indem sie Nawalny isoliert, doch strategisch verliert sie, weil der Oppositionelle nun zur Symbolfigur des Protests werden könnte, auch wenn er diesen nun selbst nicht mehr anführt. Offensichtlich hat der Kreml am meisten Angst vor einer direkten Konfrontation Putin gegen Nawalny. Die russische Führung hat in Nawalny einen ernsthaften Feind erkannt, dem es gelingt, Menschen auf die Straße zu bringen und dadurch eine Umsturzstimmung zu erzeugen.
Der Umgang Putins mit Nawalny und seiner Frau Julia sind fast ein Geschenk für die Opposition. Sicher könnte man Nawalnys Vorwürfen auch mit sachlichen Argumenten begegnen. Aber stattdessen reagiert das Regime nur mit neuem Machtmißbrauch.
Und unterstreicht damit, was schon länger im Volke brodelt: Natürlich fürchtet Präsident Putin „sein“ Volk.
Die klassische russische Literatur enthält genug Hinweise, wie eine solche Geschichte enden kann: Der Anfang vom Ende ist meistens ein Volksaufstand, und darum muß der Wille des Volkes bekämpft werden.
Schließlich hat Putin gesehen, was in der Ukraine mit seinem Freund Janukowitsch passiert ist. Es dürfte ihm schmerzlich bewußt sein, daß die Menschenmassen auf russischen Straßen nicht zwangsläufig Kundgebungen für Nawalny sind. Aber viel durchschlagender noch: Sie sind ein Protest gegen Putin selbst.
Schöne Sozialisten-Prosa als Beruhigungspille
Seit Monaten zieht vor den Augen Europas über Russland eine schwarze Wolke der Unterdrückung auf. Europäische Politiker zeigen sich besorgt, aber machtlos. Das ist für Putin – noch – eine Art Freibrief, der aber eine begrenzte Ablaufzeit hat. Russland versteht nur die harte Sprache und nimmt die „Besänftiger“ nicht ernst. Stimmen wie die folgenden von Platzeck sind Wasser auf die Beschwichtigungsmühlen des Kreml-Herren:
Der frühere Brandenburgische Ministerpräsident und Kurzzeit-SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck, Chef des Deutsch-Russischen Forums, hält in typisch sozialistischer „Bruder-Denke“ eine ins Gespräch gebrachte Verschärfung der „Sanktionen gegen Russland nicht für zielführend“. Diese würden weder der Entfaltung der russischen Gesellschaft nützen, noch das Verhältnis zu Russland verbessern, sagte er im Dlf. Er plädiert dafür, auf Augenhöhe Gesprächskontakte zu halten. Aber das ist schöne alte Sozialisten-Prosa, die zu nichts führt und letztlich die Fronten verhärtet.
Das skandalöse Urteil zeigt aber auch, daß sich der russische Präsident in der vielleicht schwierigsten Lage seit den Protesten 2011 wegen Wahlbetrugs befindet. Der Anschlag auf Nawalny und seine Festnahme haben eine neue Protestwelle ausgelöst. Putin hat allen Grund zur Sorge.
Der Westen muß jetzt Nawalny unterstützen, ohne ihn dem Vorwurf zu großer Westfreundlichkeit auszusetzen, und er muß geschlossen auftreten, um den Druck auf den Kreml möglichst effektiv zu erhöhen.
Konkreter und konsequenter ist da schon der Vorschlag eines Nawalny-Vertrauten: Die Sanktionen auf den inneren Machtzirkel um Putin auszuweiten, träfe das System im Nerv. Es wäre zudem eine Sprache, die der kühle Stratege im Kreml versteht, der sich mit seinem Paria-Status im Westen allzu leicht arrangieren konnte. Jedem Despoten schlägt einmal seine Stunde.