Von Peter Helmes
Grönland hat gewählt (6.4.21). Ja und?, mag der gemeine Europäer denken, was interessiert mich dieser Mini-Staat? Doch Achtung, wer diese Wahlen für nicht besonders spannend hält, sollte sich doch einmal näher informieren. Denn zur Zeit wird in diesem Land ein Zukunftsprojekt geplant, das Politik und Gesellschaft Grönlands zu spalten droht und weiten Einfluß auf die industrielle Entwicklung hat.
Es geht vor allem um ein großes Bergbauprojekt: Eine australische Minengesellschaft plant die Gewinnung seltener Erden. (Seltene-Erdelemente sind von zentraler Bedeutung für verschiedene Produkte der Halbleiter- und Elektronikindustrie.) Die beiden großen Parteien des Landes haben dazu unterschiedliche Standpunkte, die sich unversöhnlich gegenüberstehen.
Es ist ein klassisches Dilemma: Soll man Naturressourcen abbauen, die Arbeitsplätze und Einnahmen versprechen, oder geht der Umweltschutz vor? Das Wahlergebnis interessiert weit über die Insel mit ihren 55.000 Einwohnern hinaus. Grönlands reiche Bodenschätze wecken auch anderswo Begierden; denn darunter sind seltene Erden, die auch für grüne Technologien eine wichtige Rolle spielen – für Elektroautobatterien, Solarzellen und Windräder, aber auch für die Rüstungsindustrie. Russland, China und die USA verfolgen die Entwicklung in der Arktisregion aus strategischen Gründen mit Argusaugen. Und die Insel spielt auch durchaus eine Rolle, wenn es darum geht, die Abhängigkeit von China zu reduzieren.
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Einschub: Fakten über Grönland
Grönland ist eines der größten Länder der Welt, aber trotzdem weiß man im Rest der Welt nur sehr wenig darüber. Tatsächlich haben viele Menschen immer noch ganz falsche Vorstellungen von dem arktischen Land. Grönland hat neben seinen Bodenschätzen, den Gletschern und Eis auch eine vielschichtige Kultur und Geschichte zu bieten.
Die Gesamtfläche Grönlands beträgt 2,16 Millionen Quadratkilometer – etwa sechs Mal so groß wie Deutschland – und umfaßt weitere Inseln vor der Küste. Beinahe 80 Prozent des Landes sind von Eis bedeckt. Das eisfreie Gebiet mag zwar im Vergleich zur gesamten Fläche nur sehr klein sein, ist aber immer noch etwa so groß wie Schweden. Mit einer Einwohnerzahl von 56.480 (Schätzung von 2017) zählt Grönland zu den am wenigsten dicht besiedelten Ländern der Welt.
Da Grönland zum größten Teil von Eis, Schnee und Gletschern bedeckt ist, ist weiß die vorherrschende Farbe der arktischen Nation, obwohl der Name „Grönland“ von (altnordisch) „Grünland“) stammt. Menschen leben seit über 4.500 Jahren in Grönland. 88 % der grönländischen Bevölkerung sind Inuit (größtenteils Kalaallit) oder gemischter Herkunft (dänisch und Inuit). Die restlichen 12 % sind europäischer Abstammung, in erster Linie dänischer.
Den Namen erhielt das Land ursprünglich von Erik dem Roten, einem isländischen Mörder, der auf die Insel ins Exil verbannt wurde. In der Hoffnung, daß der Name Siedler anziehen würde, nannte er es „Grünland“. Und laut wissenschaftlicher Forschungen war Grönland vor über 2,5 Millionen Jahren tatsächlich weitgehend grün. Eine neue Studie belegt, daß sich in einer Tiefe von etwa 3 Kilometern unter dem Eis seit Millionen von Jahren uralte tiefgefrorene Erde befindet.
Höhere Temperaturen lassen Schnee und Eis schmelzen. Jedes Jahr verschwinden Milliarden Tonnen davon im Meer. Dadurch können Rohstoffe immer einfacher abgebaut werden. In den vergangenen Jahren rückte Grönland zunehmend in den Fokus internationaler Großmächte: Der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump, wollte die Insel vor zwei Jahren kaufen, bekam aber eine Absage von der dänischen Regierung. Auch China hat ein Interesse an den Bodenschätzen und ist bereits in zwei Projekte involviert. Außerdem ist eine chinesische Holding Teilhaber des Bergbauunternehmens Greenland Minerals, das sich derzeit um den Abbau seltener Erden bemüht.
Obwohl Grönland geographisch zum nordamerikanischen Kontinent gehört, wurde das Land seit etwa einem Jahrtausend politisch und kulturell mit Europa assoziiert. Geographisch liegt Grönland eindeutig bei Nordamerika, das nordwestliche Ende des Landes befindet sich nur einen Katzensprung von der kanadischen Küste entfernt. Dänemark dagegen ist mehr als 3.000 Kilometer von Grönland entfernt, dazwischen liegen noch Island und auch ein Teil Norwegens.
Seit 1721 war Grönland eine dänische Kolonie und wurde 1953 Teil des dänischen Reichs. Im Jahr 1979 wurde die erste Stufe der Selbstverwaltung (= hjemmestyre) in Grönland eingeführt, 2009 wurde diese Selbstverwaltung (jetzt = selvstyre) deutlich erweitert, Verantwortungsbereiche und Entscheidungsvollmachten wurden an die grönländische Regierung übertragen. Ein großer Teil des Haushaltes wird jedoch aus Kopenhagen finanziert.
(Einschub Ende.)
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Überraschendes Wahlergebnis
Die Parlamentswahl in Grönland 2021 war die 14. Wahl des Inatsisartut. Sie fand am 6.4.21 statt.
Die „IA“ – Inuit Ataqatigiit („demokratisch-sozialistisch“) – gewann die Wahl mit dem zweitbesten Ergebnis der Parteigeschichte und errang die meisten Sitze. Sie spricht sich gegen ein Bergbauprojekt für Seltene Erden aus.
Die bisher regierende Siumut (sozialdemokratisch) verlor die Wahl somit trotz leichter Gewinne. Die Demokraatit (sozialliberal) halbierten ihr Ergebnis. Die beiden 2018 gegründeten Parteien Nunatta Qitornai (separatistisch) und Suleqatigiissitsisut (sozialliberal) verloren ihren einzigen Sitz und schieden somit aus dem Parlament aus. Zum zweiten Mal erst seit Gewährung der Selbstverwaltung durch Dänemark 1979 müssen die bislang regierenden Sozialdemokraten von der Partei Siumut wohl in die Opposition. Sie kamen auf 29,4 Prozent der Stimmen, der Wahlsieger IA auf 36,6 Prozent.
Múte Bourop Egede, der 34-jährige Vorsitzende der sozialistischen IA (Inuit Ataqatigiit), hat nach der gewonnenen Wahl nun das Recht, sich an der Regierungsbildung zu versuchen. Grönland steht damit vor einem Machtwechsel – was angesichts der Flächen- und Bevölkerungsgröße des Landes eigentlich kein Aufreger wäre. Aber die Beobachter vor allem in Washington und Peking werden das Ergebnis gewiß genauer analysieren.
Wirtschaftlicher Aufschwung oder Umweltschutz
Die Genehmigung für den Abbau Seltener Erden, darunter viel Uran, werde nach Einschätzung interessierter Unternehmen viel Geld in die Staatskasse spülen, rund 200 Millionen Euro jährlich. Damit könnte ein weiterer Schritt in Richtung Unabhängigkeit von Dänemark Realität werden. Klar, wenn das Bergbau-Projekt genehmigt wird, wäre das eine großartige Perspektive für die Menschen in Grönland. Es könnten bis zu 700 Arbeitsplätze im Bergbau entstehen.
Fazit: Der Sieg der Ausbau-Gegner könnte die chinesischen Bestrebungen bremsen, sich die dortigen Vorkommen seltener Erden zu sichern. Für Grönland wäre es nämlich ein Riesenprojekt mit mehr Abhängigkeit von China und unabsehbaren Risiken für die Umwelt geworden. Der Wahlsieg der IA bedeutet die Hoffnung auf eine nachhaltigere Zukunft, für die Fischerei, den Tourismus und die langfristige Aussicht auf eine vollständige Unabhängigkeit.
Hat Dänemark den Willen und die Kapazitäten, die kostspielige Verantwortung für die Sicherheit der Insel zu übernehmen, während die umliegende Arktis-Region immer stärker militarisiert wird? Die Antwort lautet: Dänemark kann es sich nicht leisten, dies zu unterlassen.
Es wird also vieles davon abhängen, wie die nächste Regierung zusammengesetzt ist.
www.conservo.wordpress.com 08.04.2021