In ihren Parteien sind sie umstritten, doch Sahra Wagenknecht und Björn Höcke lassen sich nicht aus dem Spiel nehmen. Denn sie haben, was vielen fehlt: Rückgrat.
Von DR.PHIL.MEHRENS *)
Eines muss man ihr lassen: Schneid hat sie. Während es den meisten Parteikarrieristen nur darum geht, beim Klüngel nicht anzuecken und möglichst oft das zu wiederholen, was das Establishment der Arrivierten hören will, um den eigenen Aufstieg innerhalb des Apparats nicht zu gefährden – Daniel Günther und Jens Spahn beispielsweise sind durch die hohe Kunst der Liebedienerei ganz nach oben gekommen –, gehört sie zu denen, die lieber die Politik ändern als ihre Meinung. Dass nun endlich auch im linken Lager der komplette Irrsinn der so genannten Identitätspolitik diskutiert wird, ist auch ihr zu verdanken.
In ihrem neuen Buch “Die Selbstgerechten” räumt Sahra Wagenknecht auf mit “Linksilliberalismus” und seinem typischen Vertreter, dem “Lifestyle-Linken” mit seiner ausgeprägten Neigung, Privilegien, die letztlich vor allem einem funktionierenden Kapitalismus entstammen, “für persönliche Tugenden zu halten und seine Weltsicht und Lebensweise zum Inbegriff von Progressivität und Verantwortung zu verklären”. Damit hat sie sich unter den Jakobinern in ihrer Partei ebenso wenig Freunde gemacht wie Wolfgang Thierse bei den Zombies von der SPD mit seiner Wutrede gegen linke Identitätspolitik, veröffentlicht in der FAZ.
Auch ihre Bewegung Aufstehen, eine offene Diskussions- und Sammlungsbewegung unzufriedener Menschen nicht nur des linken Lagers lief gefällig am Parteiapparat der Liste Links vorbei, profitierte allerdings nicht unerheblich auch von der Gunst der öffentlich-rechtlichen Leitmedien, zu denen Wagenknecht eine symbiotische Beziehung pflegt.
Vieles von dem, was sie angestoßen hat, ist ihr gelungen. Doch die Partei hat die Querdenkerin nicht hinter sich. Zu oft widersprach sie dem modischen Geschwafel linker Kader, die geistig in dumpfestem Maoismus stecken geblieben sind. Auch “Die Selbstgerechten”, ihr neuer Frontalangriff auf den wild gewordenen Ochsen, den ihre Partei gerade reitet, blieb nicht folgenlos: Mehrere Parteifeinde legten ihr nahe, auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag zu verzichten.
Von einer “Kriegserklärung” an junge Linkswähler sprach ihre Fraktionskollegin Niema Movassat, die sich als privilegierte Migrantin vom Vorwurf der antirassistischen Selbstgerechtigkeit offenbar besonders angesprochen fühlte. Längst ist die einstige Proletarierpartei ja zum selbsttherapeutischen Plansch-, Päppel- und Tummelbecken für Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln geworden. Die Linksjugend in Wagenknechts nordrheinwestfälischem Landesverband kritisierte ihre Haltung als “prokapitalistisch”. Unterm Strich gilt gleichwohl: Die Linke kommt an ihrer charismatischen Frontfrau nicht vorbei, auch wenn sie vielen in der Partei mit ihrem unbeirrten Festhalten an dem, was sie für richtig erkannt hat, quer im Magen liegt.
Damit ist die Brücke geschlagen zu Björn Höcke, der vielen in der West-AfD massive Bauchschmerzen bereitet, ja als Gesicht der extremen Rechten in der Partei gilt, Hassfigur der grün grundierten Medienleitkultur. Noch ein paar weitere Jahre staatlicher Selbstermächtigung und zivilgesellschaftlicher Gleichschaltung im illiberalen “Kampf gegen Rechts” und man würde ihn als Regimekritiker und Dissidenten bezeichnen können, stets mit einem Bein im Gefängnis. Höcke bedient mit seiner Wort- und Themenwahl die fundamental Unzufriedenen vor allem im Osten unserer Republik, Menschen, die wissen, wie wenig Medien zu trauen ist, die in abgewetzter Rhetorik nur nachbeten, was ein seniler Staatsapparat vorgibt.
Es lohnt sich, seine Reden, seine Textbeiträge, seine öffentlichen Statements darauf hin abzuklopfen, ob wirklich etwas dran ist an den gebetsmühlenhaft wiederholten Vorwürfen und ob seine politische Agenda wirklich demokratischen Grundsätzen widerspricht oder nur dem Wunschdenken linker Ideologen und paneuropäischer Fantasten.
Die Forderung nach einem ethnisch homogenen Land ist jedenfalls genauso legitim wie die Antithese dazu, die Forderung nach einem ethnisch heterogenen Multikulti-Staat, die sich als neue deutsche Diversitäts-Dogmatik in den Programmen der drei neomarxistischen Parteien findet und von der zahnlosen Merkel-CDU nicht mehr bekämpft wird. Im Grundgesetz, auf das sich die selbsternannten Demokratieverteidiger ja so gerne berufen, gibt es selbstverständlich kein Vielfaltspostulat. Und Bedingungen für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nennt – völlig emotionsfrei – Artikel 16 GG.
Vieles, wie auch der abstruse “Faschismus”-Vorwurf, den die Grünen und Roten, wenn man sie piesackt, mit Schaum vorm Mund aus der Mottenkiste des Klassenkampfes herauszuholen pflegen, dessen Grundwortschatz sie mit der Muttermilch aufgesogen haben, ist hingedreht, bewusst falsch verstanden, wirkt so, als suche man für eine bereits vorab vollständig abgefasste Anklageschrift nur noch nach den entsprechenden Belegen. Irgendwas wird sich schon finden lassen. Und was nicht passt, wird eben passend gemacht.
Das wohl am häufigsten gegen Björn Höcke in Stellung gebrachte “Denkmal der Schande”-Zitat bezüglich des Holocaust-Mahnmals in Berlin ist ein schönes Beispiel. Da wird böswillig als Genitivus subjectivus mit der Lesart “Dieses Denkmal ist ein Schandfleck” ausgelegt, was als Genitivus objectivus (“Mit diesem Denkmal wird einer Schande gedacht.”) viel mehr Sinn ergibt. Mal ganz abgesehen davon, dass jedes ästhetische Urteil über ein Kunstwerk völlig legitim ist.
Erhellend auch, was der genaue Grund für die Ende Mai von der Staatsanwaltschaft Mühlhausen veranlasste skandalträchtige Hausdurchsuchung bei dem Thüringer AfD-Chef war.
Höcke hatte auf Facebook ein Foto der Seenotrettungskapitänin Carola Rackete veröffentlicht (oder veröffentlichen lassen), das ihr polemisch das Zitat in den Mund legte: “Ich habe Folter, sexuelle Gewalt, Menschenhandel und Mord importiert.” Die Staatsanwaltschaft begründete die Verfolgungsmaßnahme so: Mit dem Beitrag sei der Seenotretterin unterstellt worden, Menschenhandel zu betreiben und für die in Europa durch straffällig gewordene Gerettete begangenen Taten mitverantwortlich zu sein. Sie gab damit einem Strafantrag Racketes wegen übler Nachrede statt.
Der schwerer wiegende Vorwurf der Volksverhetzung wurde mit folgendem Höcke-Post begründet: “Mit solchen Kriminellen können sich nun die Menschen in Europa herumschlagen.” Die Aussage stelle nämlich Geflüchtete unter Generalverdacht. Dass der Satz “Alle Soldaten sind Mörder” Armeeangehörige nicht pauschal unter Generalverdacht stelle, dass vielmehr die Meinungsfreiheit in diesem Fall schwerer wiege als eine mögliche Verunglimpfung des Staatsbürgers in Uniform, urteilte das Bundesverfassungsgericht bereits 1995. Es erübrigt sich wohl jeder weitere Kommentar.
Führt man sich dann noch die offensichtliche Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes zur Ausschaltung politischer Opponenten vor Augen, die mit dem Austausch Hans-Georg Maaßens durch Thomas Haldenwang sinnfällig geworden ist, bleibt dem neutralen Beobachter für die Höcke zur Last gelegten Vorwürfe nur ein Achselzucken des Mitleids – mit unserem Land.
Wagenknecht und Höcke werden sicher nie im selben Lager stehen. Das macht auch nichts. Beide sind dort, wo sie sich politisch engagieren am rechten Fleck. Sie mögen Populisten sein, Menschen, auf die das Volk (lateinisch: “populus”) eher geneigt ist zu hören als auf kraftloses Kaderpersonal, fantasiebefreite Phrasendrescher und potenzgehemmte Politautomaten, die neidvoll einsehen müssen, dass sie aus dem Schatten der Charismatiker niemals werden treten können; doch die Parteien, zu denen sie gehören und denen sie auch vieles zu verdanken haben, brauchen sie: als Publikumsmagneten, als Garanten für Authentizität, als Menschen, die Klartext reden, statt sich hinter abgeschliffenen Worthülsen und platter Parteirhetorik zu verschanzen, als Menschen mit Instinkt.
Man wird sich also weiter an ihnen reiben, man wird sie verbal weiter mit faulen Eiern bewerfen und hoffen, dass diese beim Zerplatzen möglichst hässliche Spuren auf ihrem Image hinterlassen, weil nichts mehr Hass und Ressentiment hervorruft als die bittere Wahrheit und derjenige, der sie ausspricht; aber man wird sie nicht verscheuchen können. Auch die größten Hasser unter ihren Gegnern haben eine Lektion zu lernen: Menschen mit Rückgrat gehen nicht wegen einiger rüder Fouls gleich vom Platz. Die Fans lieben sie dafür.
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*) DR.PHIL.MEHRENS. Kurzbiographie:
Studium der Literaturwissenschaft und Theologie in der Schweiz und in Deutschland mit anschließender Promotion. Volontariat (Radio) in Zürich, danach verschiedene journalistische Engagements im christlichen Sektor.
Heute als freier Autor, Publizist und Dozent in Norddeutschland tätig. Als Theologe seit 1988 (längerer USA-Aufenthalt) maßgeblich geprägt von der theologischen Richtung der Coral Ridge Presbyterian Church/Evangelism Explosion in Fort Lauderdale/Florida und ihrem Leiter James Kennedy. In seiner Freizeit betätigt er sich auch gern als (Lied-)Dichter.