- Auszüge aus der Predigt von Erzbischof Michel Aupetit vom Sonntag, 13. Juni 2021 in St. Germain l’Auxerrois, Paris.
- Sein Plädoyer für das ungeborene Leben.
Von Dr. Juliana Bauer *)
Wenn ich die vielen, gerade zur Zeit wieder herrschenden unerträglichen Diskussionen über das menschliche Leben verfolge, die unsäglichen Debatten über das vermeintliche Recht, dem ungeborenen Leben ein Ende bereiten zu können und die häufig schwächliche Haltung zu dessen Schutz von Seiten nicht weniger Hirten und – nun auch ein Völker-Parlament erdulden muss, welches „das Töten zum Recht erklärt“ (siehe Matic-Bericht), so stelle ich diesem diabolischen Wirrwarr Auszüge aus der Predigt von Erzbischof Michel Aupetit gegenüber, die er am 2.Sonntag nach Dreifaltigkeit hielt und in der er wesentliche Aussagen über das ungeborene Leben macht. Sie ist eine Predigt, die ein Licht in dieser Finsternis darstellt. Worte, die auch geeignet wären, diese bei künftigen Veranstaltungen des „Marsch(es) für das Leben“ zu zitieren.
Die jämmerliche Haltung vieler deutschsprachiger Bischöfe zum Lebensschutz (wie zu vielen anderen lebenswichtigen Fragen des Menschen, zu denen eine klare, biblisch fundierte Richtungsweisung erforderlich wäre), ihre in der Regel geringe Teilnahme am „Marsch für das Leben“, ist schon fast symptomatisch. Einige von Mgr Aupetits Worten aus seiner Homilie vom vorletzten Sonntag (20.Juni), die auf die „Pro-Life“-Predigt folgte und die er wieder dem Tagesevangelium widmete (die Stillung des Sturms, Mk 4,35-41), erinnern mich in ihrer bildlichen Treffsicherheit an die Haltung dieser fehlgeleiteten „Hirten“ und einer ganzen Reihe ihrer „christlichen“ Anhänger. „Ihr denkt vielleicht, dass der Herr im Boot der Kirche, die allen Winden ausgesetzt ist, schläft?“, so Michel Aupetit. „In Wirklichkeit stellt sich das Problem jedoch nicht darin, dass Jesus zu schlafen scheint; die Schwierigkeit sind seine Teamkollegen, seine “Süßwassermatrosen”, die Jünger von gestern und heute, erfüllt von Angst vor den Gegenwinden…“
Doch wenden wir uns der Homilie vom 13.Juni zu. Dem Pariser Erzbischof, der sich immer wieder für die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tod einsetzt (siehe u.a. „Schamlos!“ – Das neue Bioethik-Gesetz Frankreichs, Conservo, 24.08.2020), gelingt es meisterhaft, die Kostbarkeit des Lebens aus dem Kleinsten, aus dem Samenkorn, aus der Eizelle äußerst sensibel nachzuzeichnen und dieses, das Sonntagsevangelium vor Augen (Mk 4,26-34), in seiner Identität mit dem Wachsen des Reiches Gottes herauszuarbeiten. In dieser Verbindung verleiht er der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens wie auch der Achtung vor der Schöpfung besonderes Gewicht.
„In dieser kleinen embryonalen Zelle ist ein menschliches Lebewesen enthalten“
Wie so häufig berichtet Erzbischof Aupetit von einem persönlichen Erlebnis, mit dem er in das Predigtthema einsteigt. Bei dem Evangelium des 13. Juni dachte er unwillkürlich an seinen Aufenthalt in Notre Dame de l’Ouÿe vor einigen Monaten (wo sich rund 60 km von Paris entfernt ein Bildungshaus seiner Diözese, insbesondere für junge Leute, befindet). Dort, im angrenzenden Wald stand eine Eiche, die ihn bei einem Spaziergang fesselte und von der er fasziniert erzählt… „eine 300 Jahre alte Eiche, prächtig, majestätisch, riesig. Ein herrlicher Baum…am Fuß sah ich eine kleine Eichel, fast lächerlich klein… mein Großvater verfütterte die Eicheln den Schweinen… eine solch kleine Eichel schenkte uns diesen Baum… das ist unglaublich… Dieser prächtige Baum…stammte…von einer einfachen Eichel wie dieser … In dieser kleinen Eichel ist der ganze Baum, die ganze Eiche enthalten…
„Und auch ihr, Brüder und Schwestern, auch ihr“, in einem begeisterten Ausruf wendet er sich an die Gemeinde, einem Ausruf, der seine ganze Faszination an der Schöpfung Gottes ausdrückt, „auch ihr wart am Beginn eures Lebens eine kleine Zelle, eine kleine embryonale Zelle … in der zuerst nichts enthalten war, dann aber alles, dann, nach eurer Befruchtung, ward ihr darin enthalten, ihr in eurer Ganzheit … Eine kleine embryonale Zelle … in der alles enthalten ist, … euer Herz, eure Lungen…alles, was ihr seid… Sie…unterscheidet sich im Aussehen nicht von den Zellen des Körpers, der Haut …, der Leber, der Schleimhäute, die sich nur identisch zu vermehren wissen.
In dieser kleinen embryonalen Zelle ist ein menschliches Lebewesen enthalten. Das ist wundervoll, das ist großartig…“
In der Schriftfassung seiner Predigtworte geht der ehemalige Arzt Aupetit nochmals eigens auf die Körperfunktionen ein, auf: „das ganze großartige und unglaubliche Programm eures erwachsenen Körpers und seiner komplexen Funktionen: das Schlagen des Herzens, seine Funktionen, die Atmung, die Verdauung, die Sekretionen. Was für ein Wunder!“
Dann veranschaulicht Michel Aupetit seinen Zuhörern und Zuhörerinnen das große Wunder der Schöpfung. Er beleuchtet dabei, vergleichend zur Entwicklung des Menschen, die Parabel vom Senfkorn (Mk 4, 30-32): „… Jesus spricht uns von jenem kleinen Senfkorn, einem unbedeutenden Samenkorn, das alle Welt verachtet … das eine große Pflanze wird. Die Lebenskraft ist enthalten in etwas ganz Kleinem, ist das nicht zum Staunen? Das ist etwas zur Bewunderung… und nicht zur Manipulation, wie es unsere Abgeordneten heute mit den neuen Bioethikgesetzen beantragen.“ Er sei darüber immer wieder verblüfft… er verstehe die Experimente, gerade mit menschlichen Embryonen nicht, den Umgang mit dem Kleinen… „Ja, das ist das, was heute fehlt, das Staunen, das Be-Wundern … Das Bewundern der Natur, ihrer Lebenskraft.
Diese Lebenskraft kommt von Gott. Das Vergessen aber führt zur Katastrophe…
Im 20.Jh. sprach man viel vom Humanismus… ja, die Zeit des Humanismus … das war in der sogenannten Moderne… Man betete den Menschen an. So wie man aber den Menschen anbetete, verachtete man die Natur. Heute sind wir… in der Postmoderne und heute ist das Gegenteil der Fall. Wir fordern heute eine radikale Ökologie; diese radikale Ökologie betet die Natur an und verachtet den Menschen. Das ist eine Fehlstellung auf der ganzen Linie. Man spricht heute auch viel von Antispeziesismus und Transhumanismus. Man erkennt aber auch, dass die Ablehnung des Menschen die Verachtung der Natur mit sich zieht. Doch die Antwort darauf ist einfach. Sie ist absolut einfach.
Es geht nicht darum den Menschen oder die Natur anzubeten, es geht darum, Gott anzubeten. Wenn wir Gott anbeten, achten wir die Natur. Wenn wir Gott anbeten, haben wir Achtung vor dem Menschen. Denn sowohl der Mensch, als auch die Natur sind von Gott erschaffen…“
Mgr Aupetit führt aus, dass Jesus gerade auf diese außergewöhnliche Lebenskraft, die Kraft dieser unbedeutenden kleinen Samenkörner, wie die des Senfs, sein Augenmerk richtet und uns darlege, dass bereits alles von dieser überwältigenden Gemüsepflanze im dem winzigen Samen vorhanden ist. „Alles … alles ist vorhanden.“ Jesu Gedanken weiterführend, der das Samenkorn und das Wachsen der aus ihm stammenden Pflanze als Metapher für das Reich Gottes sieht, zieht der Erzbischof schließlich den Vergleich der kleinen Samen und Früchte, des Senfkorns, der kleinen Eichel, der winzigen embryonalen Zelle mit Jesu Wort, das dieser „in uns gelegt hat…“ Aupetit geht somit über die körperliche Entwicklung des Menschen hinaus zu dessen geistig-spiritueller Entfaltung und Bestimmung, das Reich Gottes zu erlangen. Er verweist anhand des Evangelientextes darauf, dass das Reich Gottes in unseren Herzen zu finden sei, dass es kein Territorium darstelle, das es zu erobern gelte. „So verstehen wir, dass das Reich Gottes ganz in seinem Wort enthalten ist, das Jesus in unsere Herzen gesät hat.“ …
… Alles ist in den Gaben Gottes enthalten. Das Reich Gottes ist in euch, ihr habt es … mit seinen Gaben … empfangen… Das … bereits vorhandene Königreich wächst nicht durch eine quantitative Ausdehnung, wie sie die Eroberung eines Territoriums bedeutet, es ist ein wertvolles Dasein aus der Gabe Gottes, das in euch wächst… durch die Liebe Gottes, die in euch wohnt … und durch eure Liebe zu Gott und zum Nächsten (Mk 12,32-34), die der Geist Gottes in eure Herzen gießt…“
Messe du 13 juin 2021 à Saint-Germain l’Auxerrois, 13/06/2021, KTOTV
Homélie de Mgr Michel Aupetit – Messe à St Germain l’Auxerrois – Dimanche 13 juin 2021, Homélies –
Diocèse de Paris.
Homélie de Mgr Michel Aupetit – Messe à St Germain l’Auxerrois – Dimanche 20 juin 2021, Homélies –
Diocèse de Paris.
Übersetzung: Dr. Juliana Bauer
Der Großteil der Predigtübersetzung vom 13.Juni stammt aus der mündlichen Ansprache von Erzbischof Aupetit, an einigen Stellen ergänzte ich Gedanken aus der stark gekürzten und auch leicht veränderten schriftlichen Predigtfassung.
*) Dr. Juliana Bauer, die Autorin dieses Artikels, verfaßt ihre zeitkritischen und auch prosaischen Beiträge in Deutsch, Französisch sowie Italienisch und schreibt seit einigen Monaten für conservo. Über sich selbst sagt sie: „Ich bin keine Theologin, sondern Kunst- und Kulturhistorikerin, aber eine, die mit der Bibel von Kindheit an vertraut ist und den Worten eines meiner Lehrer, eines ehemaligen Ordinarius des kunsthistorischen Instituts der Universität Freiburg/Br., Rechnung trägt: „Ein Kunsthistoriker des Abendlandes muss bibelfest sein.“ Auch bin ich, in einem ökumenischen Haus aufgewachsen, mit der katholischen wie der evangelischen Kirche gleichermaßen vertraut.“