– Hier mein Faktencheck zu der wundersamen Geschichte
– Was bezwecken Medien mit solch haarsträubenden Storys?
Von Albrecht Künstle
Als die syrische Schwimmerin Yusra Mardini 2016 einen Bambi-Preis verliehen bekam, weil sie angeblich schwimmend 18 Bootsinsassen nach Lesbos schleppte, ging ich der Sache nach und verfasste einen Artikel, der auch bei Auslandskorrespondenten in Griechenland Beachtung fand. Denn die Medien zimmerten aus einer Bootsüberfahrt eine Story, dass sich die Balken bogen. Diese Legende wird von den Medien weiter gepflegt, die Badische Zeitung lieferte dazu am 8. Juli eine dpa-Seite mit dem Titel Freigeschwommen. Und nun soll die Legende auch noch verfilmt werden. Heute am 11. Juli wird die Hochleistungssportlerin übrigens von Teneriffa nach Doha geflogen, wo sie sich auf die Olympiade in Tokio vorbereitet. Sie war schon 2016 in Rio de Janeiro dabei. Dort startete sie noch für das Team Refugee Olympic Athletes.
Yusra Mardini ist eine sympathische syrische Hochleistungssportlerin (Nationalstaffel). Sie erhielt dort eine gute Bildung und Ausbildung zur Schwimmerin, die schon damals bei Schwimmwettbewerben ganz vorne mitmischte. Um das zu können, bedarf es eines ganzjährigen Trainings auch im Hallenbad. Die junge Frau war privilegiert und brachte es unter dem Regime Assad zu etwas. Sie trug das Kopftuch nur im Wasser in Form einer Badehaube. Unter die Haube des Islamischen Staates wollte sie jedoch nicht geraten. So entschied sie sich, Syrien den Rücken zu kehren und machte sich wie zigtausende andere auf den Weg durch die Türkei zur griechischen Insel Lesbos. Dazwischen liegen aber neun Kilometer Wasser. Das ist zwar ihr Element, aber man will ja ein paar Sachen mitnehmen. Und ihre Schwester war auch dabei, also stiegen sie zusammen mit 17 weiteren Reisenden in ein Schlauchboot nach Lesbos. Der kleine Außenborder wollte unterwegs allerdings nicht mehr das tun, was er eigentlich tun sollte. Und damit begann die Medien-Legende: Die beiden Schwestern sollen ins Wasser gesprungen sein und das Schlauchboot auf die Insel Lesbos gezogen haben.
Das Ergebnis meines Faktenchecks: Weder ein noch zwei Schwimmer können ein voll besetztes Schlauchboot hinter sich herziehen oder vor sich herschieben. Um „Land zu gewinnen“ bräuchte es Flossen, Windstille und ein leeres Boot. In meiner Rettungstaucherausbildung brachte ich es beim Belastungs-EKG auf 250 Watt, also ein Drittel PS. Unterstellen wir den beiden Frauen eine höhere Dauerleistung als ich in meinen besten Jahren, hätten sie mit insgesamt einem PS Leistung das mit Passagieren besetzte eineinhalb Tonnen schwere Schlauchboot ziehen sollen, das ca. 10 cm tief 15 Quadratmeter Wasser verdrängen muss. Für die Windverhältnisse auf dem Mittelmeer sollte man nicht mit weniger als mit 8 PS motorisiert sein. Ich hatte mit meinem 5-Mann-Boot einen 10er Außenborder dran. Für die Windangriffsfläche eines Bootes mit 19 Personen ist unter 20 PS nichts zu machen, weil die Windangriffsfläche des Bootskörpers mit den Oberkörpern der Insassen wie ein Segel wirkt. Was also ist die Erklärung für die wundersame Story der Medien?
An nur wenigen Stellen des Mittelmeeres und der Ägäis weht der Wind so beständig wie dort. Und zwar von Nord nach Süd, also von der nördlichen Westküste der Türkei auf die Insel Lesbos. Der meist stramme Nordwind pendelt lediglich um 30 Grad, selten mehr. Wer es nicht glauben mag, schaue auf den für den dortigen Küstenabschnitt zwischen der Türkei und Lesbos eingestellten Windguru – der morgendliche Check für Wassersportler des Mittelmeeres. Wirft man an jenem Zipfel der Türkei eine Luftmatratze ins Wasser, treibt sie unweigerlich nach Lesbos. Dasselbe geschieht mit Booten, auch wenn sie keinen Motor haben oder dieser versagt. Diesen seit tausenden Jahren bestehenden Windverhältnissen haben die antiken Städte Ephesus und Troja ihre Blütezeit zu verdanken, weil die Schiffe nur zu bestimmten Jahreszeiten eine Fahrt gegen den Wind durch die Dardanellen ins Schwarze Meer wagen konnten, und deshalb über Monate hinweg in den südlicheren Hafenstädten der Westtürkei festmachen mussten.
Das Boot zog also die beiden Damen, nicht umgekehrt. Wahrscheinlich sprangen sie erst am Ufer von Lesbos über Bord und hielten es, damit es nicht leck scheuert. Die Boote werden meist mehrfach für Überfahrten genutzt. Vielleicht sah diese Szene ein Journalist und machte diese Seenotrettung daraus. Aber Journalisten brauchen heutzutage für ihre Geschichten ja keinen realen Hintergrund mehr. Nicht erst seit Relotius wissen wir, dass man „für eine gute Sache“ auch einfach etwas erfinden kann. Oder aber man stellt die Fakten auf den Kopf wie 2018 in Chemnitz. Aus dem Versuch, Merkels flüchtige Messerhelden zu entwaffnen machte man eine Hetzjagd auf Ausländer. Und der Brand eines türkischen Restaurants, ebenfalls 2018 in Chemnitz, wurde Rechtsradikalen angelastet, obwohl der Wirt selbst der Brandstifter war, wie jetzt erst herauskam.
Was ist der Grund der Irreführung der Medien? Im Fall der sportlich erfolgreichen Yusra Mardini soll wohl die Botschaft der Journalisten heißen: Kommt nach Deutschland, hier könnt ihr es zu mehr bringen als in euerer Heimat. Oder soll wirkliche Not von Migranten einfach nur kommerziell ausgeschlachtet werden? Oder soll dem obersten EKD-Retter Bedford-Strohm eine Legitimation für seine derzeitige Migrationsoffensive verschafft werden? Oder ist es bloße Unfähigkeit oder Unwille des heutigen Journalismus, einer Sache auf den Grund zu gehen? Oder …
Aber auch auf Wikipedia ist kein Verlass. Über Yusra Mardini wird berichtet, ihr Boot sei von Izmir aus gestartet. Von dieser riesigen Hafenstadt zur Insel Lesbos sind es aber 90 km. Und das gegen den heftigen Nordwind. Mit einem überbesetzten Schlauchboot unmöglich. Wer von Izmir auf eine griechische Insel übersetzen will, fährt mit dem Bus 75 km auf der Autobahn nach Cesme und setzt dort mit dem Boot zur nur 7 km entfernten Insel Chios über. Was aber schwieriger ist, weil man dort gegen starken Seitenwind kreuzen muss. Also ich finde, Wikipedia ist auch nicht mehr das, was es einmal waren.
Wie dem auch sei, die meisten „Qualitätsjournalisten“ sind ihr Geld nicht mehr wert. So jedenfalls sehen wir es als GEZ-Gebührenzahler und Zeitungs-/Zeitschriftenabonnenten. Warum verdingen sich diese Märchenerzähler nicht direkt bei denen, deren Geschäft sie betreiben?
Zu guter Letzt wünsche ich dieser Olympionikin viel Erfolg. Und dass sie sich künftig nicht zu oft vor falsche Karren spannen lässt.
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*) Der Autor Albrecht Künstle, Jahrgang 1950, ist im Herzen Südbadens daheim, hat ein außergewöhnlich politisches Erwerbsleben mit permanent berufsbegleitender Fortbildung hinter sich. Im Unruhezustand schreibt er für Internetzeitungen und Nachrichtenblogs der Freien bzw. Alternativen Presse zu den ihm vertrauten Themen Migration, Religionsfragen, Islam, Kriminalität, Renten, Betriebliche Altersversorgung, Wirtschaftsthemen u.a.. Zuvor schrieb er für Fachzeitschriften und seine Regionalzeitung, fiel aber bei ihr politisch in Ungnade.
Kuenstle.A@gmx.de