- Helfer werden nicht hineingelassen
- Zustände wie im Krieg
- Trotzdem großer Zusammenhalt
Von Roland
Gestern (25.07.2021) hat der SWR den ganzen Tag gemeldet, Helfer sollten nicht anreisen wegen Überlastung der Straße in der Abfahrt nach Bad Neuenahr-Ahrweiler… als wir gestern herausfahren, war da nichts… leere Straßen!
Vorbemerkung: Es folgt ein Bericht des Helfers Roland, der vor Ort war und seine Eindrücke aufgesprochen hat. Ich habe sie transkribiert und hier mit Rolands Bildern veröffentlicht.
Sonntag, 25. Juli 2021
Es ist unfassbar. Das ist unfassbar. Heute (25.7.2021) – Sonntag Mittag. Es ist 13.40 Uhr. Wir sind in Ahrweiler. Wir sind die einzige Hilfstruppe hier, die sie heute in Bad Neuenahr Ahrweiler bzw. jetzt nur in Ahrweiler hereingelassen haben. Die einzige. Das sind 25 Leute. Draußen am Nürburgring stehen 5000 Leute. Sie lassen keinen herein. Und hier suchen die Leute Hilfe. Sie suchen rufend und händeringend Unterstützung, um Keller leer zu machen und sonstiges. Das ist unglaublich.
Da fahren den ganzen Tag Feuerwehr, THW und was weiß ich herum. Die fahren nur herum, anstatt dass sie irgendwo in die Keller hereingehen oder sonst irgend etwas tun. Also, das war gestern schon so. Gestern wurden zumindest ein paar Tausend hereingelassen, die helfen konnten. Es hätten aber noch viel mehr kommen können. Die Keller werden nicht geleert. Du kriegst die Häuser nicht leer. Es stinkt hier schon. Also, es ist unglaublich. Gestern hatte ich einen anderen Eindruck, aber was ich jetzt hier beobachte, ist wirklich unglaublich.
24.07.2021
So, guten Abend. Es gibt einen kurzen Tagesbericht. Wir sind heute morgen um viertel nach fünf losgefahren. In der Nähe von Heidelberg sind wir mit Anhänger mit VW-Bus Richtung Norden auf der A 61 Richtung Bad Neuenahr los. In Ahrweiler haben uns unterwegs noch mit einigen Leuten getroffen, die mit sieben Fahrzeugen unterwegs waren. Alles voll mit Hilfsgütern, ebenfalls Richtung Bad Neuenahr, und sind dann weitergefahren. Kurz vor dem Kreuz Sinzig war dann Schluss mit Fahren, d. h. es hat der Stau begonnen.
Wir sind dann abgefahren und haben uns durch Bad Neuenahr geschlagen. Ging am Anfang noch ganz zügig. Überall waren auf den Parkplätzen und entlang den Straßen Feuerwehr, THW. Aber es kamen immer mehr Private auch dazu. Private Initiativen, die mit mehreren Fahrzeugen gefahren waren. Mit Sprintern, mit LKWs, mit Baggern hinten drauf und je weiter man Richtung Norden in das Hochwassergebiet gekommen ist, desto mehr hat man Fahrzeuge dieser Art gesehen.
Wir sind dann in Bad Neuenahr in den Ort hineingekommen. Es begann dann schon mit Stau und Stockung. Die Straßen staubig, mit Schmutz bedeckt. Und je weiter man gefahren ist, immer mehr Müll. Müllhalden, zerstörte Autos links und rechts der Straße. Eingedrückte Fensterscheiben im Erdgeschoss. Es war surreal. Wir kamen dann an einem Parkplatz vorbei. Dort hat es ein Auto 2,50 Meter hochgehoben und es wurde in einen Stahlzaun hineingepresst. Man kann sich kaum vorstellen, welche Kräfte da gewirkt haben.
Wir sind in Ahrweiler bzw. in Bad Neuenahr dann zu einem Treffpunkt gefahren – ein Weingut. Dort war Art Lager aufgebaut mit vielen Zelten: Viel Getränke, viel Schaufeln, Werkzeug – alles, was man in dieser Notsituation braucht. Wir haben dann dort einen Teil unseres Materials abgeladen. Werkzeuge, Schaufeln. Auch Getränke. Benzin. Diesel. Und von dort aus wird und wurde das Material die ganze Zeit weiterverteilt.
Wir haben dann dort auch unseren Freund getroffen, der in Ahrweiler wohnt. Er kann in seinem Haus selbst nicht mehr nächtigen, weil das gesamte Erdgeschoss 1,50 bis 1,80 Meter hoch überflutet war. Alles ist zerstört, wirklich alles. Und von dort, von dem Treffpunkt aus, sind wir dann weitergefahren.
Er hat uns dann Richtung Ahrweiler geführt und… Ja, ich sag mal so: Im Übergang von Bad Neuenahr nach Ahrweiler war dann Schluss. Die Straßen waren komplett zu … verschlammt. Obwohl es jetzt mittlerweile über eine Woche her ist. Sagenhafte Müllberge, meterhohe Müllberge – links, rechts. Die Leute mit Schubkarren. Viele, viele Helfer. Gruppen, die mit Schaufeln und Schubkarren durch die Gegend gezogen sind. Bei den Leuten gefragt haben, ob man was helfen kann.
Das Problem war dann folgendes – und deshalb gab es dann auch diese extremen Staus. Es gibt nur noch eine Brücke über die Ahr in der Region. Sie ist darüber hinaus beschädigt, so dass sich dann sehr viele Hilfsfahrzeuge und auch private Helfer gestaut haben, weil auch Bagger, Müllfahrzeug, alles mögliche, herumfährt und auflädt usw., so dass wir dann letztendlich 2 Stunden gebraucht haben, um von der einen Seite von Bad Neuenahr-Ahrweiler auf die andere Seite zu kommen. Und dann hat es wieder angefangen zu regnen.
Gut, Gott sei Dank war es diesmal relativ wenig Regen. Das einzige Problem war: Von der staubigen Straße ist man dann in eine glitschige, schmierige, klebrige Straße gekommen. Ja, also es war tatsächlich so, wie man es sich vorstellt, einfach nur chaotisch. Aber man muss es wirklich gesehen haben. Die Bilder, die man in Medien sieht, die bringen das gar nicht richtig herüber.
Wir sind dann an das südwestliche Ende von Ahrweiler gefahren und haben dort dann in der Wohnung bzw. im Haus von meinem Freund damit begonnen, Türzargen abzuhacken,und Leisten abzuschlagen. Zu reinigen, Müll herauszuschmeißen. Und das hat sich über den ganzen Tag hingezogen. Wir hatten auch mehrere Kärcher dabei, Notstromaggregate. Alles, was man eben braucht für die Situation. Es gibt keinen Strom. Wasser ist geflossen, zumindest bei ihm. Was mich sehr erstaunt hat, wenn man den Zustand der der Straßen, der Infrastruktur ansieht. Es hat mich sehr erstaunt. Wasser ist gegangen. Für Strom hat man dann Notverteiler aufgebaut. Das hat dann auch einigermaßen funktioniert.
Was mich sehr positiv erstaunt hat oder überrascht hat, war, dass sehr viele junge Leute in Gruppen mit Schaufel, Schubkarre und sonstigen Utensilien durch Ahrweiler und auch durch Bad Neuenahr gezogen sind, und an vielen Orten und Stellen geholfen haben. Ich muss auch sagen, es war sehr viel Feuerwehr, es war sehr viel THW da. Es war sehr viel Katastrophenschutz da. Es war sehr viel Polizei da. Wie das jetzt an anderen Orten ist, weiß ich nicht. Aber man muss sagen: Hier ist von der von der Versorgungsinfrastruktur alles gut. Es gab sehr viele Anlaufstellen für Getränke, für sonstige Utensilien. Über die ganze Stadt hinweg auch am Stadtrand verteilt. Die Versorgung ist diesbezüglich sehr gut.
***
So, es ist spät in der Nacht. Wir haben jetzt noch einen Ausflug gemacht in die Innenstadt, Richtung Bad Neuenahr, in die Fußgängerzone und ich muss sagen, ich hab noch nie sowas gesehen. Das ist unvorstellbar. Es ist unvorstellbar, dass teilweise heute nach über einer Woche die Wege noch nicht passierbar sind. Es liegt meterhoch der Schutt. Die Erdgeschosse sind vollkommen leergeräumt vom Fluss. Der Verputz, die Platten, die Verkleidung an den Wänden, alles ist abgerissen worden. Sowas habe ich noch nicht gesehen.
Diese unvorstellbare Kraft. Nachts die Bundeswehr im Einsatz, muss man schon sagen. Die arbeiten rund um die Uhr, die Jungs, um dort überhaupt den Schutt, den Dreck wegzubekommen. Und was ich auch noch bemerkenswert finde, ist die Tatsache, dass die Menschen trotz dieser Katastrophe relativ gut gestimmt sind. Man ist sehr hilfsbereit, man hilft sich, man duzt sich. Jeder hilft jeden. Von überall her. Wir haben ein paar getroffen. Sie sind seit einer Woche da. Ein Ehepaar aus München ist mit ihrer Tochter. Sie helfen seit über einer Woche und das ist sicherlich kein Einzelfall. Von überall her sind die Leute hergekommen. Also, man kann zusammenhalten, wenn man will und die Not schweißt zusammen. Das sieht man an diesem Beispiel.
Auch die Kommunikation zwischen den zivilen Helfern und den Einsatzkräften wie Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz war sehr gut. Man hilft sich, man informiert sich, man grüßt sich. Ich fand es sehr bemerkenswert und eine sehr richtige und gute Erfahrung, die man hier auch für sein Leben machen kann.
Wir saßen jetzt auch heute Abend, nachdem wir zurückgekommen sind, noch mit dem Winzer zusammen. Er ist hier Standort und Stützpunktverteiler von Bad Neuenahr für private Hilfskräfte – vielleicht ist er der Einzige, vielleicht ist er einer unter mehreren, keine Ahnung.
Es war auch eine junge Frau dabei. Sie hat berichtet, wie das Wasser gestiegen ist. Innerhalb von einer halben Stunde war es dann im Erdgeschoss drin und ist Richtung erstes Geschoss gegangen. Man hat gar nicht mehr gewusst, was man eigentlich machen soll, sagte sie. Und irgendwann wurde man dann auch ganz klar im Denken, sagte sie. Man hat auch abgewägt, was das Leben kosten kann und was nicht. Sehr, sehr interessante, erstaunliche und auch teilweise erschütternde Geschichten, die wir hier gehört haben.
Und der krönende Abschluss war dann die Nachtwanderung mit diesem Winzer. Vielleicht hört man ihn im Hintergrund lachen. Die Nachtwanderung mit dem Winzer, der uns – ich hab’s vorhin schon erwähnt – in die Innenstadt, Fußgängerzone und in Richtung Ahr-Ufer geführt hat. Ja. Also – Krieg. Krieg war sicherlich nicht anders gewesen.
Nur das Gefährliche bei dem Ganzen war – es ist rutschig. Es sind teilweise Untiefen. Und der liebe Winzer hat den Abgang in den Schlick gemacht. Man hat ihn gar nicht mehr erkannt. Er ist bis zur Hüfte im Schlick gestanden und ich habe ihn dann herausgezogen. Das war der krönende Abschluss. Also – er lacht wieder. Er hat sich erst draußen abduschen lassen und hat dann nochmal geduscht und jetzt ist wieder alles gut.