Einmal mehr gescheitert – in Afghanistan
Von altmod *)
Michael Klonovsky schreibt:
„Am Hindukusch ist die Idee, man könne die westliche Lebensart in jeden Teil der Erde exportieren, noch krachender gescheitert als in Nordafrika. Die sogenannten westlichen Werte sind nicht universell. Der Glaube, andere wollten so sein wie wir, ist nicht nur größenwahnsinnig, sondern er zeugt von einer Geringschätzung des Anderen, die fremdenfeindlicher ist als jeder Skinhead. Es gibt marianengrabentiefe Klüfte zwischen den Kulturen…“
Nach der Einnahme von Kabul, der Machtübernahme der Taliban im ganzen Land, ist das Lamento in den westlichen Kreisen immensurabel. Unter dem Eindruck von Fluchtbildern, wie sie vor allem die USA noch aus Saigon in Erinnerung haben, wird von den hiesigen und „transatlantischen“ Verantwortlichen ein neues Armageddon beschrieben. Es droht der Rückfall in ein „Lithikum“, erschaffen durch den „Steinzeit-Islam“ der Taliban.
Die Hauptsorge gilt „Bürgermeisterinnen“, Lehrerinnen, Frauenrechtlerinnen, progressiven und allen bisher hoffnungsfroh gestimmten Frauen und Mädchen in dem gefallenen Land. Wie sagte Merkel ernst: „An einem Tag wie heute sind wir mit den Gedanken bei den vielen Frauen in Afghanistan, die in diesen Tagen und Stunden um ihr Leben fürchten müssen, weil sie sich politisch engagiert haben.“ So wird es exponiert auch in den Kommentaren und Meldungen hervorgehoben. Man meint, die möchten alles, was weiblich ist, ausfliegen. Natürlich gilt die Sorge auch den vorwiegend männlichen „Ortskräften“ (Dolmetscher, Informanten, Fahrer und sonstige Dienstleister), die möglicherweise um ihr Leben fürchten.
Es heißt, eines der Hauptziele der USA und ihrer Nato-Verbündeten in Afghanistan sei es gewesen, eine schlagkräftige Armee und eine starke Polizei aufzubauen, die den Taliban längerfristig allein würden die Stirn bieten können. Die Europäer wollten mit den USA zusammen einen demokratisch geformten Staat aufbauen und den Menschenrechten zum Durchbruch verhelfen. Alle diese Versuche sind kläglich gescheitert.
Und trotzdem meint ein Kommentator unserer Qualitätspresse:
„Aber man darf Afghanistan auch nicht in ein neues Steinzeit-Kalifat abdriften lassen….“
Weder die militärischen Interventionen noch die Milliarden an Entwicklungshilfe, weder die verblasenen Konzepte von „Nation Building“ noch der Export von „Zivilgesellschaft“ führten zu irgendetwas. Das Scheitern der hypertrophen Westler ist auch nicht mit dem zivilisatorischen „Rückstand“ zu erklären – damit, daß die Afghanen „im Mittelalter“ leben und deshalb nicht „so weit“ seien wie wir.
Die afghanische Gesellschaft – so weit man überhaupt von einer konsistenten Gesellschaft reden möchte – beruht auf Fundamenten, die von europäischen oder nordamerikanischen so weit entfernt sind, wie der Mond von der Erde. Deshalb ist auch zu bezweifeln, daß ein gelegentlich geforderter, künftiger oder neuerlicher, verstärkter Gewaltakt von westlicher Seite zu einer fruchtbareren Lösung führen könnte.
In den zurückliegenden Jahrzehnten wurde mit mehr oder minder starker fremder Hilfe in dem Land ein islamisches Regime errichtet, das insbesondere bei ethnischen Minderheiten und der städtischen Bevölkerung Kabuls und Herats auf Ablehnung stieß.
Kabul wurde schon vor 50 Jahren als eine Stadt, einen Hort mit westlicher Freizügigkeit für Frauen und progressive und gebildete Afghanen gefeiert. Eine Chimäre, wie sich immer wieder zeigte. Kabul war/ist kein Beispiel für Afghanistan.
Die zwei großen Loya Jirgas (große Ratsversammlungen von Stammesältesten, Lokalfürsten und anderen Vertretern) 2002 und 2003, welche tatkräftig besonders durch die Bundesregierung initiiert worden waren, sowie drei Präsidentschaftswahlen (2004, 2009 und 2014) und zwei Parlamentswahlen (2005 und 2010) haben Afghanistan keinen Frieden gebracht. Warlords und die islamische Geistlichkeit haben in den letzten Jahren wiederholt in die Politik der Regierung eingegriffen und besetzten wichtige Positionen in den Parlamentskammern. Außerdem wurden Armee und Polizei von Kämpfern infiltriert, die eher ihren Kommandanten und jeweiligen ethnischen Gruppen gegenüber loyal sind als dem sog. afghanischen Staat.
Ein Insider aus der amerikanischen Besatzerarmee – als solche wurde alle ausländischen Truppen empfunden – beschreibt:
„Die afghanische Armee bestand de facto nur auf dem Papier. Die weitaus größte Mehrheit der Soldaten waren Analphabeten, die nicht einmal dazu in der Lage waren, Aufträge auf Gruppenbasis zu verstehen, zu interpretieren und auszuführen. Offiziere und Unteroffiziere sind in der Regel nicht wegen ihrer Fähigkeiten oder ihrer Talente in diese Positionen gekommen, sondern weil sie durch lokale Kräfte ernannt wurden. Meist aufgrund familiärer Beziehungen.
Generäle und Stabsoffiziere kamen aus der Stammestradition und nicht aus entsprechenden Ausbildungseinrichtungen. Sie wurden ernannt, was meistens Schuldverhältnisse begründete. Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere eines Bataillons, zum Beispiel, kamen oft geschlossen aus einem Stammesgebiet, womit das letzte Wort immer der jeweilige Stammesfürst hatte, aber nicht das Oberkommando oder die afghanische Regierung.
Die Loyalität galt dem eigenen Stamm und dem Stamm des Fürsten, aber nicht einem fremden. Trat also der jeweilige Stammesfürst den Taliban bei, wechselte auch gleich das ganze Bataillon mitsamt seinen Waffen. Disziplin- und Mentalitätsprobleme, deren Änderung nicht gelang, taten ein Übriges.
Und nicht nur unter Betrachtung der „Afghanischen Armee“ darf man feststellen:
„Es gibt kein Afghanistan. Unsere Unfähigkeit, dies zu verstehen, war die ganze Zeit das Problem. Das Volk, das wir fälschlicherweise als Afghanen bezeichnen, wird wieder zu dem, was es die ganze Zeit war…“
Als einziges verbindendes Band unter der unterschiedlichen ethnischen Gruppierungen ist der Islam mit seinen einfachen Grundkonzept und Vorgaben zu sehen, welche den urtümlichen Strukturen und Denkungsweisen am meisten entgegenkommt.
Die westlichen und hiesigen Besserwisser in den Medien sprechen von einem Steinzeit-Islam, in welchen die Taliban das Land führen würden.
Völliger Quatsch: Der Islam ist der Islam – und ist an sich unverändert seit 1400 Jahren. Müßig festzustellen, dass es in der Steinzeit keinen Islam gab!
Der Islam als Religion und seine Sachwalter über die Jahrhunderte haben es zu keiner Zeit und in keinem seiner „Gesellschaften“ es wirklich fertiggebracht, den primitiven und gewalttätigen Anlagen des Raubtieres Mensch anhaltend zivilisatorische Fesseln anzulegen. Da hilft auch nicht der Verweis auf die Blüte einer islamischen Kultur à la Al Andalus oder im Reich der Abasiden. Und so gibt es wieder, unter den Taliban – oder vielleicht auch unter anderen „Mudschahedin“? – nichts anderes, als es in dieser Region seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden gab: ein Konglomerat unterschiedlicher Völker und Beziehungsgeflechte, denen Familien- und Stammesbindung die höchsten Werte und Verpflichtung darstellen.
Wie vermessen ist es, da so etwas wie die „Westlichen Werte“ zu installieren, ja aufzuzwingen: Bürger- und Menschenrechte seien zu garantieren, nach Werten wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Individualismus und Toleranz zu leben und die liberale Demokratie zu praktizieren; einen westlichen Lebensstil, den es zu verteidigen und den zu verbreiten es sich lohne. Zu welchem – besonders nach intensiver Aufklärung in den letzten 50 Jahren – sexuelle Libertinage, Abwertung traditioneller Bindungen wie Familie und Heimat, Propagieren eines ungehemmten Hedonismus und anderes mehr gehören. Das Fehlen solcher „Werte“ scheint mir das, was eine „Bischöfin“ seinerzeit meinte mit „Nichts ist gut in Afghanistan“. Das sagte eine Vertreterin der höchsten Toleranz- und Verstehens-Institutionen.
Ist es nicht intolerant und „islamfeindlich“, die Burka oder irgendeine andere islamische Praxis zu kritisieren? Unsere Eliten propagieren seit Jahren genau das.
„Wir werden euer intolerantes, menschenfeindliches und frauenverachtendes islamistisches System durch eine Zivilgesellschaft ersetzen, die von klugen Professoren gestaltet und engagierten Frauen gestaltet werden wird“, versprach der Westen.
Aber ist es nicht auch wertend und „rassistisch“ – auf jeden Fall ein Verstoß gegen die Ideologie des Multikulturalismus – andererseits dazu (aber natürlich intellektuell verbrämt) geltend zu machen, die westliche Demokratie und Lebensweise sei einer islamisch-theokratisch gesteuerten Staats- und Gesellschaftsform überlegen?
Und dabei vergisst man: Man kann nicht an einem Kampf der Kulturen teilnehmen, wenn man seine eigene Zivilisation verabscheut. Das sei besonders bestimmten politischen Gruppierungen in Deutschland ins Stammbuch geschrieben.
Die westliche, militärische wie kulturelle Intervention in Afghanistan konnte nur scheitern. Die Briten und die Russen haben historisch gesehen bereits solche Erfahrungen gemacht. Und keiner dieser so großartigen, westlichen, intelligenten „Thinktanks“ hat aus der Geschichte gelernt, niemand von den hochgelobten Analysten der westlichen „Dienste“ hat dies voraussehen können?
Das ganze Bemühen des Westens in Afghanistan ist gescheitert.
Und jetzt schwingen sich die hiesigen Wertevertreter zu neuen Höhen humanitären Mitleidens und gutmenschlichen Betätigungsdrangs auf, denn alle, die man mit Flugzeugen von dort herbeischaffen könne, sollen hier Aufnahme finden. Die Fernstenliebe feiert unter Vergessen dessen, was uns eigentlich am nächsten steht, einmal mehr fröhliche Urständ. Hin zum Untergang des Abendlandes.
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*) Blogger „altmod“ (http://altmod.de/) ist Facharzt und seit vielen Jahren Kolumnist bei conservo