Von Peter Helmes
Vor dem Hintergrund des militärischen Aufrüstens an der Grenze zur Ukraine haben US-Präsident Biden und der russische Staatschef Putin in einer Video-Konferenz die Lage erörtert. „Der Große Krieg“ wurde zwar nicht abgesagt, aber nach dem Gespräch ist nun noch klarer, daß der russische Präsident durchaus bereit sein könnte, die Ukraine anzugreifen und die Nato zu schwächen.
Das Gipfel-Treffen fand inmitten einer ‚Informations-Hysterie‘ statt. Angebliche Pläne Russlands, in ukrainisches Gebiet einzudringen, bezeichnete Moskau natürlich als ‚Zeitungsente‘. Schon vor dem Gespräch hatte Kremlsprecher Peskow davor gewarnt, einen Durchbruch zu erwarten: dies sei „ein Arbeitsgespräch in einer sehr schwierigen Zeit“.
Die Sanktionsandrohungen, die Biden aussprach, waren, verglichen mit früheren Ansätzen des Westens, sehr weitgehend. Doch der Teufel steckt im Detail. Was wird wirklich umgesetzt, wenn Putin einen großen Krieg beginnt? Die Rücknahme der Nord Stream 2-Sanktionen, im Gesetz zum US-Verteidigungshaushalt eigentlich vorgesehen, klang alarmierend. Allerdings ist davon auszugehen, daß dies keine Geste gegenüber Putin, sondern eher gegenüber Deutschland ist. Eine Geste, die Berlin die Chance geben soll, im Falle einer russischen Invasion in die Ukraine selbst zu entscheiden, ob man sich der Blockade jener Pipeline anschließt, die die imperiale Politik des Kremls finanziert.
Kreml-Chef Putin hat US-Präsident Biden beim Videogipfel unumwunden gesagt, daß eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine für Moskau eine ‚rote Linie‘ darstellt. Er wollte eine schriftliche Garantie von Biden, daß die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird. Joe Biden lehnte diese Forderung klar ab. Ob Russland auf eine Nato-Aufnahme der Ukraine mit einem Krieg antworten könnte, ist schwer zu sagen. Aber der Donbass könnte, wie die Krim, von Russland annektiert werden. All das birgt die Gefahr, daß die Welt auf einen Kalten Krieg, Rüstungswettlauf und weitere Spannungen zusteuert.
Allerdings darf man die Sanktionsdrohungen der USA gegen Russland als die richtige Botschaft werten; denn bei dieser schwierigen außenpolitischen Bewährungsprobe steht nicht nur das Schicksal der Ukraine auf dem Spiel, der eine Invasion russischer Truppen an ihren Grenzen droht. Auf dem Spiel steht auch die Sicherheit Europas, das durch einen Krieg und der Vertreibung von Millionen von Ukrainern erheblich destabilisiert werden würde. Darüber hinaus würde ein russischer Angriff auf die Ukraine das Ende des auf Regeln basierenden Nachkriegssystems bedeuten und die Rückkehr zu einer anarchischen Weltordnung einläuten, zu der auch die folgende „Vision“ beiträgt:
Während sich Joe Biden und Wladimir Putin einen verbalen Schlagabtausch lieferten, durften sie einen anderen wichtigen Akteur nicht aus dem Auge verlieren: den chinesischen Staatschef Xi Jinping. Er könnte eine Rolle in dem für Biden und den Westen düstersten Szenario spielen: einer Zusammenarbeit zwischen Moskau und Peking, wobei die einen die Ukraine annektieren und die anderen sich Taiwan einverleiben.
Putin haßt den Einfluß der Nato an den Grenzen seines Landes und ihren Flirt mit der Ukraine. Xi ist wütend darüber, dass Taiwan Waffen und Hilfe von den USA erhält, um das erfolgreiche demokratische System dort aufrechtzuerhalten. Die große Frage ist jedoch, ob sie bereit sind, für die Erfüllung ihrer Wünsche ein so hohes Risiko einzugehen.
Auch die Entscheidung Washingtons, aus Protest gegen Menschenrechtsverletzungen an muslimischen Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele in Peking auszuüben, hat die Chinesen verärgert. Dieser Schritt hat weltweit Symbolkraft:
Was ein Gastgeberland ebenso begehrt wie die Ehre, daß die talentiertesten Sportler seine Eisbahnen und Pisten zieren, ist die Ehre, daß die mächtigsten Menschen der Welt zu den Spielen kommen und sie sich anschauen. China strebt nach Legitimität vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Ein Gesichtsverlust wäre in den Augen der Chinesen eine nicht zu übertreffende Blamage. Die Verbündeten der USA sollten deshalb dem Beispiel von Präsident Biden folgen. Die ganze Welt – Länder, Unternehmen und Bürger überall – muß die Spiele als das bezeichnen, was sie sind: „die Olympischen Spiele des Völkermords“.
Das wird zwar die Probleme der Menschenrechtsverletzung in China nicht lösen können. Die kommunistische Führung in Peking sollte sich aber mit der von ihr angekündigten Vergeltungsaktion besser zurückhalten. Die Spiele dürfen nicht zur Bühne der Machtkämpfe zwischen Washington und Peking werden
Das virtuelle Treffen zwischen US-Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin hat erwartungsgemäß nicht den erwünschten Durchbruch gebracht. Wer von Putin etwas Konstruktiveres erwartet hätte, ist ein politischer Anfänger. Für Putin sollte das Gespräch mit Biden sowohl nach innen als auch nach außen Russlands Großmachtstatus bestätigen. Und die Entwicklung in der Ukraine wird bald zeigen, daß es Putin um mehr nicht ging. Denn seine Priorität ist Gas zu liefern, nicht Krieg zu führen.
Für den russischen Präsidenten Putin geht es in der Ukraine auch darum, ob er nach 2024 im Amt bleibt. Die Ukraine ist seine historische Mission. Er will ihr Schicksal nicht in die Hände einer weniger erfahrenen Person legen, oder im Erfolgsfall den Ruhm mit jemand anderem teilen. Und im Fall eines Scheiterns? Dann könnte Putin sich denken: Wenn der Sieg noch nicht errungen wurde, ist es vielleicht noch nicht Zeit abzutreten
Das Mißtrauen zwischen den USA und Russland ist augenfällig und wird durch die Spannungen um die Ukraine nur verstärkt. Gleichwohl sind die Kommunikationskanäle zwischen Washington und Moskau noch offen, wie das Videotelefonat der Präsidenten Biden und Putin gezeigt hat. Die Konzentration russischer Streitkräfte an der russisch-ukrainischen Grenze ist eher als militärischer Druck zu verstehen, denn eine Militäraktion ergibt keinen Sinn. Sie würde das Ende von Nord Stream 2 besiegeln.
Putins Forderung nach einem westlichen Kotau ist an den Haaren herbeigezogen und absurd. Die Ukraine ist kein widerspenstiges territoriales Geschwisterteil, das rechtmäßig zu seinem großen russischen Bruder gehört, wie es Putins Propaganda darstellt, während seine Legionen sich in Russlands westlichen Regionen sammeln.
Schon seit 1991 – seit 30 Jahren – ist die Ukraine ein souveräner, unabhängiger Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen, der das volle Recht hat, über seine Zukunft zu entscheiden, bis hin zu einem Beitritt zur Nato oder der Europäischen Union. Das ist festgeschriebenes Völkerrecht.
Im Dezember 1994 hat Russland selbst das Budapest-Memorandum unterzeichnet und sich verpflichtet, von Gewaltandrohungen gegen die Ukraine abzusehen, im Gegenzug dafür, daß Letztere die aus Sowjetzeiten dort lagernden Atomwaffen abgab.
Biden muß aber noch lernen, seine Botschaften eindeutig zu formulieren. Er hat offensichtlich das Vorgehen des russischen Präsidenten nicht ausreichend verstanden: Das Dementieren eines Militäreinsatzes zu diesem Zeitpunkt ist eine Botschaft für die Ukraine: ‚Kämpft alleine gegen die Russen!‘ Biden sollte vielmehr dafür sorgen, daß der ukrainische Präsident Selensky eine Zusicherung gibt, daß die Lage in Luhansk und Donezk nicht geändert wird. Wenn Putin überzeugt wird, daß diese von den prorussischen Rebellen de facto regierten Regionen sicher sind, könnte er einen Abzug der russischen Truppen aus der Grenzregion anordnen.
Die NATO muss sich an der russischen Angriffslust neu ausrichten. Vor allem Polen sowie die Schwarzmeeranrainer Rumänien und Bulgarien müssen geschützt werden und brauchen ein modernes Überwachungs- und Aufklärungssystem. Die USA müssen dringend handeln, um die Abschreckung in Europa wiederherzustellen. Moskau stellt das europäische Sicherheitssystem der Nachkriegszeit in Frage.
www.conservo.blog 10.12.2021