– Kretschmann empfiehlt Impfungen unter Berufung auf Moses
– Moses wählte einen noch längeren Marsch zum Ziel als Mao
Von Albrecht Künstle
„Das Impfen ist der Moses, der uns aus dieser Pandemie herausführt“, dozierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf dem Grünen-Parteitag zu seiner „Pandemie biblischen Ausmaßes“. So jedenfalls zitierten die Zeitungen den Ministerpräsidenten im Originalton. Er selbst traut sich diese Führung angesichts der beschämenden Corona-Situation in Baden-Württemberg wohl nicht mehr zu. Sein Ländle wartet mit der höchsten 7-Tage-Inzidenz der „alten Länder“ auf, und mit immer weniger Krankenhausbetten. Deshalb ruft er Moses als Retter, der sein Volk aus der Gefangenschaft der Israeliten führte. Damals waren sie im fremden Ägypten der Willkür der Pharaonen ausgesetzt. Schon das unterscheidet den damaligen Gottesmann vom heutigen Möchtegern-Moses Kretschmann: Heute gilt die Willkür nicht Fremden, sondern dem eigenen Volk. Hat sich Kretschmann eigentlich überlegt, wen er da als Problemlöser bemüht?
Moses führte sein Volk auf einem sehr langen Umweg zum Ziel, dem verheißene Land; die wenigsten überlebten den Marsch. Nur kurz zu einigen historischen Daten: Es waren damals weder 603 550 „wehrfähige Männer“, wie das 4. Buch Mose überliefert, erstrecht keine 2,5 Mio. mit ihren Familien, sondern ca. 40 000 Israeliten, die sich mit ihrem Moses auf den Weg machten. Und dieser führte sie nicht auf dem einigermaßen direkten Weg von 400 km nach Kanaan. Er bog mit ihnen nach dem spektakulären Durchqueren des nördlichen Ausläufers des Roten Meeres (Schilfmeer) rechts ab bis fast zur Südspitze der Halbinsel Sinai, dann nach Nordost zum Golf von Akaba.
Dort drehte er eine „Ehrenrunde“ Richtung Nordnordwest von einigen hundert Kilometer, bis er endlich den richtigen Weg ins gelobte Land fand. Nach ca. 1200 km in 40 Jahren kam er mit nicht mehr vielen seiner Israeliten an, obwohl es ein Nomadenvolk und die Wüste gewohnt war (die Heilige Familie war schlauer, die nahm den direkten Weg). Erst dort erholte sich sein Völkchen und setze sich mit seinen 12 Stämmen fest. Moses war einer der wenigen Überlebenden. Wer etwas mehr wissen will, siehe Wie viele Israeliten wanderten durch die Wüste?
Soll ein solcher Irrweg tatsächlich als Vorbild für Kretschmanns Impfoffensive dienen? Wohin will uns dieser Ministerpräsident eigentlich führen und vor allem mit wie vielen Opfern? Oder wählte er dieses Beispiel in der Erwartung, dass er die Sache wie einst Moses überstehen wird, auch wenn ein großer Teil seines Volkes dabei auf der Strecke bleibt? Oder will er damit für die Drittimpfung werben, weil Moses auch einen dreifach langen Weg einschlug? Natürlich nicht, es war wohl einer seiner vielen geistigen Ausflüge ins Nirwana. Eine weitere Kostprobe dieser Woche: Bei einem Interview im SWR sprach er vom „Abimpfen“, der Stiche in die Oberarme, was Assoziationen wie „Abstechen“ wecken könnte. Aber seien wir froh, dass Kretschmann als einstiger Anhänger von Mao nicht diesen als Retter für sein Volk bemühte.
Nach Moses gab es noch einen weiteren „Langen Marsch“ in der Geschichte, den von Mao: „… Gründungslegenden der Volksrepublik: der „Lange Marsch“. Denn von den mehr als 80.000 Mann – lediglich 35 Frauen sollen unter ihnen gewesen sein – erreichten nach einem Jahr im Oktober 1935 nur 8.000 Yan’an, das Rückzugsgebiet im abgelegenen Shaanxi im Nordwesten Chinas. Gemäß Maos These ‚Die Niederlage akzeptieren, heißt den Sieg vorbereiten‘ wurde die Fluchtburg zur Keimzelle der Herrschaft der Kommunisten über China.“ (WeLT).
Aber anders als Mao will Kretschmann die Niederlage in der bisherigen Coronapolitik des impfen, impfen, impfen nicht akzeptieren und mit erst recht impfen siegen. Hier schließt sich der Kreis. Mao war wie Trotzki in Russland ein Verfechter der „permanenten Revolution“. Einer solchen hat Kretschmann nach seiner KBW-Zeit wohl abgeschworen, aber worin liegt der Unterschied zum permanenten Impfen? Die vollständigere Drittimpfung nach den zwei vorausgegangenen vollständigen Impfungen soll ja nicht der letzte Stich sein. Gegen die Grippe reichte bisher eine Impfung im Jahr.
Kretschmann macht nicht nur Fehler hinsichtlich seiner Wortwahl und Vergleiche. Wie anders ist sonst zu erklären, dass er neben dem bayrischen Frontmann Söder das strengste Epidemie-Regime führt, mit seinen strengeren Maßnahmen immer wieder vorprescht, aber trotzdem die schlechtesten Erfolge vorzuweisen hat. Es ist Zeit, dass er das Zepter in andere Hände gibt. Nach dem von Kretschmann bemühten Alten Testament gab es in der Zeit von Mose in Ägypten zehn Plagen. Da haben wir es in Baden-Württemberg noch richtig gut: hier gibt es nur zwei, eine kleine und eine große Plage. Die kleine ist, dass wir ein schlechtes Hochdeutsch sprechen. Über die große darf sich jeder selbst Gedanken machen.
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