Von Maria Schneider
Wenn die Zeiten nicht so bedrohlich und repressiv wären, könnte ich mich jeden Tag schepplachen über miesen Journalismus und infantile Beleidigungen, gegen die selbst Kindergartenkinder das allerhöchste Lob von Adolph Freiherr von Knigge für ihr Benehmen einfahren würden.
Wie die Bild-Zeitung (die seit Julian Reichelts Rausschmiss wieder auf ihr journalistisches Niveau „20.000 Meilen unter den Meer“ gesungen ist) berichtet, haben sich am 15.12.2021 ganz normale Bürger erdreistet, abseits der genehmigten Demoroute durch München zu laufen. „Bild“ gelang es tatsächlich, eineinhalb Seiten lang wie ein Heulboje über eine solche Nichtigkeit zu lamentieren. Dabei verwendete sie bestens eingeführte, aber auch neue negative Etikettierungen für all jene, die von der Regierungslinie abweichen.
Im Grunde besteht ihre Berichterstattung zur Münchner Aktion (die sich in zahllose andere bundesweite Spontandemonstrationen der letzten Tage einreihte) fast ausschließlich aus Schmähungen. Wie ein verzogenes Kleinkind zetert „Bild“, dass sich die Demonstranten nicht an Vorschriften und Verbote halten würden. Ich sehe die Bild-Redakteure geradezu vor mir, wie sie sich vor Wut auf den Boden werfen und einen ausgewachsenen Trotzanfall bekommen. Wie unverschämt! Wie dreist! Der Souverän steht für seine Rechte ein und hält sich nicht an die Regeln des großen Bruders Staat. Hier müssen sogleich wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden, damit nicht noch mehr brave Mitbürger in ihren wohligen Wohnzellen vor den Hypnosescheiben auf die Idee kommen, ebenfalls auf die Straße zu gehen!
Schlimmes Gelichter
Wenn die Post-Reichelt „Bild“ den normalen Bürger nicht so bekriegen würde, hätte ich fast – aber eben nur fast – Mitgefühl mit ihr und müßte schmunzeln, wenn ich lese, mit welchem fast schon hilflosen Übereifer sie ihren Lesern einzuhämmern versucht, dass diese unbedingt zu Hause bleiben müssen, da sich bei den Teilnehmern solcher Demonstrationen ausschließlich schlimmes Gelichter unerlaubt auf Münchens Straßen herumtreibt. Schauen wir uns also einmal an, wieviele herabwürdigende Umschreibungen, Schmähbegriffe und Verleumdungen man so in einem kurzen Artikel unterbringen kann:
- Querdenker
- Wilde Demo
- Wilde Querdenker-Demo
- Gegner der Corona-Vorschriften
- Unerlaubte Demonstration
- Polizeibekannte Reichsbürger
- Die Situation eskalierte
- Demonstranten marschierten (Oh je, hört sich schwer nach SA oder Hitlerjugend an!)
- Wilder ungenehmigter Zug (Oha! Etwa ein „Zug“ wie „Soldatenzug“?)
- Vorneweg Personen, die zur Neo-Nazi-Szene gehören (Subtext: Na, mit denen willst Du Dich als braver Bürger doch niemals blicken lassen, oder? Bleib mal schön daheim!)
- Hooligans von 1860 (Sind das nicht die bulligen Schlägertrupps in Fußballstadien?)
- Teilnehmer der Demonstration auf der Ludwigsstraße laufen ungenehmigt vom Lenbachplatz zum Stachus (Ja – merk Dir das mal! Auch das Laufen will heutzutage genehmigt sein!)
- Wild-Demonstranten
- Wild-Marschierer
- Ungenehmigte Wild-Demonstranten (Gewöhn Dich daran, dass Du erst mittels Impfung, QR Code und sonstigen Auflagen als Person überhaupt genehmigt wirst!)
- Aggressives Auftreten von Demonstranten (Willst Du wirklich in so ein aggressives Gerangel hineingeraten?)
- Umstrittener Messenger-Dienst „Telegram“ („Umstritten“ heißt: Lass als braver Bürger mal schön die Finger von dieser App!!!)
- Nachrichtendienst ist heftig in der Kritik (Sublime Befehlsausgabe an den Bürger: „Halte Dich von Telegram fern, sonst wirst Du auch heftiger Kritik unterworfen!“)
- So wurde Mittwochmorgen eine Gruppe festgenommen, die offenbar Mordpläne gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (46, CDU) verabreden wollte.
Demonstranten sind potentielle Mörder
Gerade der letzte Satz belegt, dass es nach wie vor ein paar echte Könner, Spin-Doktors und Propagandisten bei der „Bild“ gibt, die selbst Goebbels alle Ehre gemacht hätten: Gekonnt wird Telegram als böse Verschwörerapp und die Festnahme dieser Gruppe mit ihren Mordplänen (am Morgen!) mit einer 500 Kilometer entfernten Demonstration (am Abend!) verknüpft, obwohl das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun hat.
Gewünschte Assoziation: Demonstranten sind potentielle Mörder und verabreden sich via Telegram zu allen möglichen Schandtaten, um die Friedhofsruhe in Deutschland zu stören.
Gewünschte Maßnahmen: Demonstrationen und Telegram sind zu verbieten!
Etwas weiter hergeholt sind Assoziationen mit dem Begriff „wild“, der sage und schreibe sieben Mal im kurzen Artikel verwendet wird. Das Adjetiv „Wild“ läßt dabei, durchaus eskalierende, folgende Assoziationen aufkommen:
- Ungestüm
- Ungehemmt
- Freiheit
- Unkontrollierbar
- Unbeherrschbar
- Vogelfrei
- Wilde Tiere
- Löwe
- Hirsch
- Das Wild im Wald
- Safari
- Demonstranten sind wild und vogelfrei
- Jagd
- Gewehr
- Schuss
- Tod
Wollen wir hoffen, dass der Begriff „wild“ hier nicht verwendet wurde, um eben diese Assoziationskette auszulösen – und die Menschen so unterschwellig auf einen eventuellen Schusswaffengebrauch bei Demonstrationen vorzubereiten bzw. die Menschen auf unbewußter Ebene einzuschüchtern.
Wie eingangs erwähnt: Fast könnte man sich „totlachen“ über die plumpe Demagogie und dreiste Verleumdung unschuldiger Bürger, die für ihre geraubten Freiheits- und Grundrechte auf die Straße gehen, wenn die Lage nicht so ernst, ja todernst wäre.