Von Josef Kraus *)
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
am 22. Januar 2022 wählt die CDU auf ihrem 34. Bundesparteitag ihren neuen Bundesvorsitzenden. Armin Laschet tritt nicht mehr an. Friedrich Merz soll es nach dem Willen der Parteibasis richten. 1.001 Delegierte treffen sich digital, um den Sauerländer im dritten Anlauf als neuen Vorsitzenden und mit ihm auch den gesamten CDU-Bundesvorstand neu zu wählen. Zum ersten Mal hat die CDU die Mitglieder an der Entscheidung über den neuen Parteivorsitzenden direkt beteiligt – Friedrich Merz erhielt bei der Mitgliederbefragung gleich im ersten Wahlgang mit 62,1 Prozent die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen. Wofür aber steht Friedrich Merz? Welchen Weg wird die CDU mit ihm einschlagen? Was bedeutet der neue Mann an der Spitze für die Themen der Zeit. Josef Kraus *) hat das für iDAF*) in den Blick genommen.
Herzliche Grüße,
Ihr
iDAF Team
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Wird die CDU mit Friedrich Merz laufen lernen?
Von Josef Kraus *)
„Die Partei muss laufen lernen.“ Dieser Appell gilt heute mehr denn je für die CDU, will sie nicht das Schicksal der italienischen „Democrazia Cristiana (DC)“ teilen, die 1994 von der Bildfläche verschwand. „Die Partei muss laufen lernen“ – dieser Satz stammt von der vormaligen CDU-Generalsekretärin Angela Merkel, die damit die Abnabelung der CDU von Helmut Kohl einläutete. Am 22. Dezember 1999 hatte sie unter dem Titel „Die von Helmut Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt“ in einem FAZ-Namensbeitrag formuliert: „Die Partei muss laufen lernen.“
Merkel hatte die CDU damals unter anderem wegen Kohls Weigerung, Parteispender zu benennen, von ihrem Ziehvater lösen wollen. Richtig, Kohl hat der CDU damit geschadet. Und er, der Kanzler der deutschen Einheit, hat damit sich selbst am meisten geschadet. Diesen Schatten hat er mit ins Grab genommen. So manche Kohl-Hasser reduzieren den damaligen Kanzler und CDU-Vorsitzenden immer noch auf diese Spendenaffäre. Aber Kohl hat Deutschland vereint, er hat sich um Deutschland historische Verdienste erworben. Merkel hat das Gegenteil getan, sie hat Deutschland gespalten und an die Wand gefahren. Was die „Ampel“ seit November 2021 inszeniert, ist nicht nur im Keim bei Merkel angelegt: eine De-Industrialisierung Deutschlands durch eine aberwitzige Energiepolitik, eine De-Nationalisierung durch offene Grenzen, eine EU-Schuldenunion und die Preisgabe nationaler Souveränität Richtung Brüssel sowie eine Atomisierung der herkömmlichen Familie.
Das heißt: Rund 22 Jahre, nachdem der Satz „Die Partei muss laufen lernen“ geschrieben wurde, hat dieser Satz seine ganze Brisanz entfaltet. Die CDU liegt am Boden. Bei der Bundestagswahl 2021 wurde sie inkl. CSU mit 25,7 Prozent brutal abgestraft und in die Opposition verbannt. Zum Vergleich: 2013 hatten CDU/CSU noch 41,5 Prozent, 2017 dann 32,9 Prozent. Das heißt: CDU/CSU haben seit 2013 17,4 Prozentpunkte verloren; das sind gut zwei Fünftel ihrer früheren Wähler. Parallel dazu verlor die CDU seit 1990 rund die Hälfte aller Mitglieder. Binnen etwas mehr als 30 Jahren, von denen Merkel mehr als 18 Jahre Vorsitzende war, schrumpfte die CDU von 790.000 Mitgliedern über 405.000 (2018) und mittlerweile 385.000.
Man macht es sich zu leicht, wenn man meint, dafür sei zuletzt Unionskanzlerkandidat Armin Laschet maßgeblich verantwortlich. Nein, diese grandiosen Schlappen haben zum allergrößten Anteil mit Merkel, ihrem Erbe und ihren Erben zu tun. Die Funktionäre der CDU wollen das immer noch nicht wissen. Wie beim Absturz bei der Bundestagswahl von 2017 ist auch diesmal, 2021, nicht über die Ursachen des Absturzes debattiert worden. Sonst hätte man zur Einsicht kommen müssen, dass das Virus des CDU-Verfalls spätestens ab 2015 wirksam wurde. Insofern hat der Keim für das 2021er Ergebnis sehr viel mit dem Unwillen zu tun, das 2017er Ergebnis selbstkritisch zu analysieren. “Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.” Mit diesem Satz unmittelbar nach der Wahl von 2017 machte Merkel jede kritische Analyse auf Dauer platt. Will sagen: Die Bundestagswahl 2021 wurde bereits 2017 verloren.
Aber Merkel steht nach wie vor auf einem Sockel. Kritik an ihr gilt wohl auf Dauer als Tabu. Merkel bleibt sakrosankt. Ja, mehr noch: Besonders eifrige Merkel-Fans wollen eine Stiftung für Integration nach ihr benennen. Und ein CDU-Vorsitzender Friedrich Merz, jahrzehntelang deren Erzgegner, will die Ex-Kanzlerin und CDU-Ex-Vorsitzende einbinden: „Ich würde mich freuen, wenn Angela Merkel und die CDU auch in Zukunft beieinander bleiben, an mir wird es jedenfalls nicht scheitern“, sagte Merz. Und weiter: „Ich möchte zu allen meinen lebenden vier Vorgängern ein gutes Verhältnis haben.“ (Gemeint sind Laschet, Kramp-Karrenbauer, Merkel und Schäuble.) Das sagte Merz am 23. Dezember 2021 in einem Interview mit dem „Spiegel“. LINK zum Interview (Spiegel.de)
Merz räumte gar ein, Merkels Leistung in der Partei zu wenig gewürdigt zu haben. „Wir haben Merkel völlig unterschätzt“, sagte Merz mit Blick auf die Zeit vor Merkels Aufstieg. „Schauen Sie sich mal unsere Führung vor gut 20 Jahren an: Kohl, Schäuble, Rühe, Koch, Wulff, Müller. Frauen haben in der Führung damals praktisch keine Rolle gespielt.“ Merkel, so Merz, sei „ein frauenpolitischer Schrittmacher“ für die CDU gewesen.
Nein, mit solchen Plänen gewinnt man keinen Blumentopf mehr. Eine, wenn auch schmerzliche, aber glasklare Analyse Merkel’scher Politik samt ihrer eigenwilligen Volten ist überfällig. Friedrich Merz muss die CDU programmatisch und personell anders aufstellen. Dazu gehört der Abschied von einigen CDU-Vorderen, die Merkel schier auf Händen getragen haben: all die CDU-Vizes von Klöckner über Strobl bis hin zu Bouffier. Dass sich ein Friedrich Merz ganz offenbar mit einer Partei-Linken wie Karin Prien einlässt, mag verstehen, wer will.
Überhaupt muss Merz als Parteivorsitzender und – notwendigerweise – als Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer für Namen sorgen. Rhetorische Frage: Wer eigentlich steht in der CDU für innere und äußere Sicherheit, wer nach eineinhalb desaströsen Ministerinnen im Bendlerblock für die Bundeswehr, wer für Außenpolitik (nachdem Röttgen abgemeiert wurde). Der Öffentlichkeit sind keine Namen bekannt. Und Journalisten, die zu diesen politischen Kernbereichen eine CDU-Stellungnahme einholen wollen, wissen gar nicht, wen sie befragen sollen. Der einzige Name, der hier ein wenig heraussticht, ist Linnemann für Wirtschaftspolitik.
Und programmatisch? Merkels Wendigkeit muss Geschichte bleiben. Denn die Merkel-CDU war eine Partei des Einerlei. An der Spitze eine Frau, die von sich sagte: „Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial.“ So formulierte es Merkel bei „Anne Will“ im März 2009. Gleichwohl trat sie 2017 zum Wahlkampf mit dem Satz an: „Sie kennen mich“. Nein, man kennt sie ob ihrer ständigen Kehrtwendungen, ob ihrer „Wendehalsigkeit“ eben nicht.
Merz muss Farbe bekennen
Erstens: Merz muss sich um eine Wiederherstellung der Gewaltenteilung kümmern. Denn Merkel hat – mittlerweile zum Vorteil der „Ampel“ – die Gewaltenteilung pervertiert. Nicht mehr die Legislative kontrolliert die Exekutive, sondern das Kanzleramt gibt vor, was die Legislative, hier die Koalition, zu tun hat. Und das Bundesverfassungsgericht spricht ohnehin nur noch regierungstreue Urteile: siehe Schuldenunion, siehe Rundfunkgebühren, siehe Klima-Urteil!
Zweitens: Die Merz-CDU muss für hohe Staatsämter Alternativen bieten. Dass sie nun die Wiederwahl von Frank-Walter Steinmeier mitträgt, ist ein Armutszeugnis. Die CDU tut das vermutlich auch, weil sie mit einem Gegenkandidaten die Merkel’sche Politik des Jahres 2017 pro Steinmeier als Verirrung abstrafte.
Drittens: Die Merz-CDU muss in Sachen Asylmissbrauch, ungeregelte Zuwanderung, Kriminalstatistik, Euro, EZB, Parallelgesellschaften Flagge zeigen. Da würde es nicht schaden, wenn ein Friedrich Merz eine Debatte wiederbelebte, die heute noch wichtiger ist als im Jahr 2000. Damals hat der CDU/CSDU-Fraktionsvorsitzende Merz eine Debatte um eine „deutsche Leitkultur“ angestoßen. Heute nimmt er diesen Begriff nicht mehr in den Mund. Stattdessen verteufelt er Wähler, denen eine deutsche Leitkultur wichtig ist, und lässt sie widerstandslos zu AfD abwandern, statt sie wiedergewinnen zu wollen.
Viertens: Merz muss Opposition machen, auch auf die Gefahr hin, dass er dafür von einer anderen Oppositionsfraktion, der AfD, Zustimmung bekommt. Wenn sich Merz in jedem Punkt krampfhaft von der AfD abgrenzt, dann wird die Öffentlichkeit die CDU/CSU-Fraktion nicht mehr als Opposition wahrnehmen, sondern als eine Art „größte nicht an der Regierung beteiligte Partei.“ Merz muss auch so ehrlich sein zu wissen, dass Merkel – zunächst mit ihrer Euro-Politik, dann mit ihrer Politik der offenen Grenzen – die Urmutter der AfD ist.
Fünftens: Merz muss die innerparteiliche Demokratie stärken. Dass es bei der Kür zum Bundesvorsitzenden jetzt immerhin eine Mitgliederbefragung gab, ist ein Fortschritt. Solches sollte es auch auf Landes-, Bezirks-, Kreis- und Ortsverbandsebene geben, damit endlich die geschlossenen Funktionärszirkel aufgebrochen werden.
Sechstens: Merz soll nicht der Liebling der Mainstreammedien sein wollen. Er täte gut daran, die vielen alternativen Medien zu fördern und ihnen Rede und Antwort zu stehen. Er möge sich an Merkel erinnern: Sie war zwar ein Liebling der Medien, aber geholfen hat es der CDU ab 2015 nicht.
Siebtens: Merz muss familienpolitisch klare Kante gegenüber den Absichten der „Ampel“ vorgeben. Es geht hier um das Tafelsilber der Union. Eigene Kinderrechte im Grundgesetz wären eine Entmündigung der Eltern. Ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bereits für Vierzehnjährige ist Ideologisierung von Kindheit. Ein Recht auf ein Kind für alle ist eine gewaltige Verirrung. Auch wenn Merz mittlerweile von liebevollen schwulen Eltern redet.
Achtens – und vor allem: Merz muss endlich dem Image gerecht werden, das er selbst pflegte: Ein Mann mit klarer Kante zu sein. Kann und will er das? Kaum, denn immer wenn es darauf ankam, duckte er sich weg oder nahm vorher viel Kreide zu sich. Er duckte sich weg, als Merkel ihm im Herbst 2002 den Fraktionsvorsitz und damit die Rolle des Oppositionsvorsitzenden wegnahm. Er machte mit schwachen Reden auf „offen-nach-allen-Seiten“-Camouflage, bevor der dann bei der Bewerbung um den CDU-Vorsitz im Dezember 2018 mit 48,25 zu 51,75 Prozent gegen Kramp-Karrenbauer und im Januar 2021 mit 46,6 zu 52,1 Prozent gegen Armin Laschet verlor.
Nun ist er nach einer CDU-Mitgliederbefragung im dritten Anlauf der „Designierte“. Alle guten Dinge sind drei, sagt man. Aber wofür steht Merz? Eine Linie ist nicht klar erkennbar. Nun ja, Merz will keine Steuererhöhungen. Sodann ist er für Klimaschutz, andererseits solle man es mit Ausstiegen aber nicht übertreiben. Deshalb plädiert er – zu spät – für die Atomkraft. Zuwanderung qua Asylrecht sieht er kritisch, er will nicht, dass die „Ampel“ mit einem „Spurwechsel“ neue Anreize schafft. Gegen eine allgemeine Impfpflicht ist er, er will eine „gestufte“, in die „zunächst“ Bedienstete von Kitas, Schulen, Universitäten und der kritischen Infrastruktur eingebunden werden.
Das ist ein wenig der „alte“ Merz. Ein WENIG! Jedenfalls darf man gespannt sein, wie der „Neue“ die vier im Jahr 2022 anstehenden Landtagswahlen übersteht: am 27. März im Saarland, am 8. Mai in Schleswig-Holstein, am 15. Mai in NRW und am 9. Oktober in Niedersachsen. Merz steht zwar dort nicht zur Wahl, aber Wahlschlappen dort werden auch ihm angerechnet.
Und gespannt darf man sein, ob sich Merz weitere programmatische (oder auch personelle) Volten erlaubt. Der ideale Kandidat, der die CDU nach zwanzig Jahren Merkel’schen Herunterwirtschaftens der CDU wieder auf die Beine bringt und sie das Laufen lehrt, dürfte Merz nicht sein, allein schon weil er bei der nächsten Bundestagswahl 2025 – so die „Ampel“ so lange hält und Merz sie nicht vorher zu Fall bringt – ziemlich exakt 70 Jahre alt sein wird.
Allerdings ist auch klar: Die CDU pfiff – wie zuvor mit den Merkel-Günstlingen Kramp-Karrenbauer und Laschet – mit den Kandidaten Merz, Röttgen und Braun aus dem letzten Loch. Auch dieses Personaltableau ist ein Merkel-Erbe. Merz hat jedenfalls eine Sisyphusarbeit vor sich.
Die CDU muss jedenfalls „laufen lernen“. Jetzt ist ein Lossagen von „Mutti“ angesagt. Mit einem Merz als Laschet 2.0 oder einer Merkel 4.0 dürfte es nicht gelingen.
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*) Josef Kraus ist deutscher Pädagoge (im Ruhestand) und Psychologe. Er war von 1987 bis Juni 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.
Quelle: iDAF-Institut, Im Blickpunkt, 01/2022. Über das Institut selber unterrichtet die Homepage.
www.conservo.blog 21.01.2022