Von Südtirol-Informationsdienst. Erstveröffentlichung hier.
Vor 60 Jahren starb ein politischer Südtiroler Häftling an den Folgen der erlittenen Folterungen.
Die Verhaftung
Bereits am 20. Mai 1961 war Anton Gostner, Bacherbauer aus St. Leonhard bei Brixen, von den Carabinieri wegen des Verdachtes verhaftet worden, an einer Versammlung des Bergisel-Bundes in Innsbruck teilgenommen zu haben.
Die Folter
Nach der Anschlagswelle der „Feuernacht“ vom Juni 1961 wurde Gostner von den Carabinieri aus dem Gefängnis herausgeholt und zunächst in die Kaserne von Brixen gebracht. Dort wurde er schrecklich gefoltert, obwohl er die Carabinieri darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er akut herzleidend war.
Nach 10 Tagen wurde Gostner wieder in das Gefängnis zurückgebracht. Ein ehemaliger Mithäftling, der ebenfalls inhaftierte Sarner SVP-Obmann Helmut Kritzinger berichtete nach seiner Entlassung und Flucht nach Österreich, welche Folterspuren an dem Körper Gostners er mit eigenen Augen gesehen hatte: „Der Mann war abgemagert wie ein 12-jähriger Junge. An der Stirn hatte er einen großen roten Fleck, an beiden Nasenlöchern trug er Brandwunden. Die Karabinieri, erzählte Gostner, hätten ihm brennende Zigaretten in die Nasenlöcher gesteckt und ebenso die Stirne verbrannt. Er erzählte ausführlich über die Foltermethoden. Auch Salzsäure hatte man bei ihm angewandt. Einmal schob er das Hemd weg und zeigte mir eine Schwellung am Bauch. Diesen Bruch haben mir die Karabinieri aufgeschlagen, erzählte er.“ (Bericht Kritzingers an das Referat „S“ des Amtes der Nordtiroler Landesregierung: „Wie Südtiroler von den Carabinieri gefoltert wurden“; Südtirolakten des Referates „S“ der Nordtiroler Landesregierung, Häftlingsakt 3/2, Tiroler Landesarchiv Innsbruck)
Der Tod
Am 7. Jänner 1962 starb Anton Gostner im Gefängnis. Er hatte sich von den Misshandlungen und deren Folgen nicht wieder erholt.
Anton Gostner hatte am 16. August 1961 über die erlittenen Folterungen in einem Brief an seinen Rechtsanwalt Dr. Egger berichtet, welchen dieser an den Landeshauptmann Dr. Silvius Magnago weitergeleitet hatte. Dieser hatte nichts weiter unternommen. Wohl um das Gesprächsklima mit Rom nicht zu stören.
Nach dem Tod Gostners veröffentlichte die Tageszeitung „Dolomiten“ am 9. Jänner 1962 die erste und die letzte Seite des erschütternden Briefes sowie den Text über die Folterungen.
In diesem Brief hieß es über die erlittenen Folterungen:
„Man gab mir abwechselnd immer mehr oder weniger Schläge. Man stellte mich an die Wand unter eine Quarzlampe, mit den Händen immer hoch über dem Kopf, nicht weniger als als wenigstens 4 Sunden ununterbrochen, wobei ich 3 oder 4 Mal ohnmächtig wurde.
Man zog mich bei den Haaren auf dem Boden. Man setzte mit Käfer an, auf dem Bauch, deren Gattung ich nicht kenne, sie waren ziemlich groß.
Ich denke, sie hatten die Eigenschaft, sich eine Vertiefung zu graben mit den Zangen, was sie auch taten. Dann brachte man mich nach Eppan, wo es noch weitaus schlimmer war.
Man schlug mich so heftig, dass ich oft nicht mehr wusste, wo ich war.
Man hat mich nackt ausgezogen, über einen Tisch gelegt, mit dem Kopf nach unten, und schüttete mir volle 3 Stunden Salzwasser, vielleicht mit etwas Säure gemischt, in den Mund und Nase, dass man fast jede Minute glaubte, ersticken zu müssen, und das immer solange, bis man ohnmächtig war. Man schlug mich dann nieder, und dann ging es auf ein Neues. Man steckte mir brennende Zigaretten in die Nasenlöcher und auf die Stirn, wo man noch heute die Brandwunden erkennen kann.“
Das Begräbnis wurde zur Volkskundgebung – Einreiseverbot für Nordtiroler Politiker
Am 14. Januar 1962 verabschiedeten mehr als 10.000 Menschen aus allen Landesteilen Tirols den verstorbenen Anton Gostner auf dem Friedhof von St. Andrä bei Brixen.
Wie die „Dolomiten“ berichteten, zählte man mehr als 1.500 Autos und der Zug, der sich von St. Leonhard, dem Heimatdorf des Toten, den beschneiten Berghang entlang bis zum Friedhof hin bewegte, war unübersehbar. Die Zufahrtstraßen waren derart mit immer dichter werdenden Autokolonnen besetzt, dass verspätete Trauergäste mehrere Kilometer gehen mussten, um den Leichenzug zu erreichen.
Von der Kirche in St. Andrä wehte die schwarze Trauerfahne und über den Dorfplatz zog eine nicht endende Prozession von Betern. Die Musikkapelle von Natz und die Bürgerkapelle von Brixen sowie zahlreiche Schützen waren in Tracht mit Trauerflor erschienen. Der Sarg wurde von Schützen getragen. Von den Politikern waren der SVP-Landtagspräsident Pupp und mehrere Landtagsabgeordnete erschienen.
Einer Delegation der Nordtiroler Landesregierung hatten die italienischen Behörden am Brenner die Einreise verweigert.
Das Gedenken 2022
Am 9. Jänner 2022 ehrten der Schützenbezirk Brixen, die Schützenkompanie und die Musikkapelle von St. Andrä ihren verstorbenen Schützenkameraden Gostner mit einer Gedenkmesse, einer Kranzniederlegung vor seinem Grab und einem Ehrensalut. Neben einigen Landespolitikern war auch der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, Roland Lang, zur Gedenkfeier gekommen. Der Bürgermeister Peter Brunner hielt eine zu Herzen gehende Gedenkrede, die nachstehend auszugsweise wiedergegeben sei:
„Es war die Zeit nach dem Krieg. Die Armut beherrscht den Großteil der Bevölkerung. Der italienische Staat unterdrückt die deutschsprachige Volksgruppe und die erlassenen Maßnahmen sorgen für eine äußerst angespannte Situation im Land. In Folge dessen wird der Wunsch nach einer Rückkehr zum Vaterland Österreich immer lauter. …
Spitzel der Geheimpolizei waren überall zugegen. Es reichte nur ein geringfügiger Verdacht, um sofort eingesperrt zu werden. Am 20. Mai 1961, also noch vor der Feuernacht, wurde Gostner verhaftet. Man wollte Informationen aus ihm herauspressen, Namen erfahren, die er wahrscheinlich selbst nicht einmal wusste.
Historische Quellen und Augenzeugen berichten, dass er von den Carabinieri brutalst gefoltert wurde. Sein Brief vom August 1961, ein verzweifelter Hilfeschrei, zeugt von grausamsten Methoden, die einen erschaudern lassen. Methoden, die einem das Blut in den Adern stocken lassen. Tragisch stirbt er am 07. Jänner 1962 im Bozner Gefängnis, es heißt infolge eines Herzinfarktes. …
Diese Zeit war von Unsicherheit, Hass und Angst geprägt. Die Folterbriefe der Häftlinge als Hilfeschreie an die Politik fanden kein unmittelbares Gehör. Der Staat hatte eine massive und gewaltsame Antwort auf die Aktivitäten der Freiheitskämpfer mit organisierter Überwachung und Gewalt. … Die Freiheitskämpfer sahen in ihren Taten eine letzte Möglichkeit, um Südtirols unerträgliche Situation zu beenden. …
Wir leben gegenwärtig in einem Land, in dem das friedliche Zusammenleben der Sprachgruppen gewährleistet ist. Das verdanken wir schlussendlich den Ereignissen von damals, auch wenn das Ziel ein anderes war.
Durch die Sprengstoffanschläge der 60er Jahre wurde auf die Situation der Südtiroler aufmerksam gemacht. Infolge der Feuernacht erhielt Südtirol plötzlich internationale Aufmerksamkeit.
Rom hat sich daraufhin bereit erklärt, mit der SVP über eine politische Lösung der Südtirolfrage zu verhandeln. Das Einlenken Italiens, die Verhandlungsgeschicke Magnagos und die Unterstützung seitens des österreichischen Außenministers Dr. Kreisky ebneten den Weg zu unserem Autonomie-„Paket“.
Durch die Autonomie und deren ständigen Ausbau erlangte Südtirol Wohlstand und Reichtum, deshalb verblasste in der Bevölkerung im Laufe der Zeit das Ziel der Selbstbestimmung.
Umso wichtiger scheinen die Volkstumspolitik, Tradition und das Heimatbewusstsein. Wofür die Schützen seit jeher stehen und bis heute aktiv leben und wahren. …
Möge die Erinnerung und die historische Aufarbeitung unser Bewusstsein schärfen und uns stark machen für den Zusammenhalt und das friedliche Zusammenleben in unserer lebenswerten Heimat.“