Ich hatte schon vor mehreren Jahren bemerkt,
wie viel Falsches ich in meiner Jugend
für wahr gehalten hatte,
und wie zweifelhaft alles war,
was ich darauf erbaut hatte.
René Descartes, Philosoph
von altmod
Giorgio Agamben, einer der bekanntesten Philosophen unserer Zeit, hat an Herausgeber und Verfasser des lesenswerten Bändchens „Wie konnte es nur so weit kommen?“*, u.a. ein Nachwort verfasst, das ich hier in Gänze zitieren möchte:
„Italien ist [wie Deutschland] das politische Laboratorium des Westens. Hier werden die Strategien der dominanten Mächte in ihrer extremen Form und zuerst ausgearbeitet.
Italien ist [wie Deutschland] heute ein Land in menschlichen und politischen Trümmern, in dem eine erbarmungslose Tyrannei, zu allem entschlossen, sich mit einer Bevölkerungsmehrheit im Griff von pseudo-religiösem Terror verbunden hat, in der Bereitschaft, nicht nur alles zu opfern, was einmal verfassungsmäßige Freiheiten genannt worden war, sondern sogar jedwede Wärme in menschlichen Verbindungen.
Zu glauben, dass der Hygienepass eine Rückkehr zur Normalität bringen würde, ist wirklich naiv. Genauso, wie die dritte »Impfung« bereits eingesetzt wird, werden neue Maßnahmen eingesetzt werden, neue Notfallsituationen und Rote Zonen deklariert werden – und zwar solange, wie die Regierung und die Mächte urteilen, dass sie nützlich seien. Und es werden jene Unklugen sein, die dem gehorcht haben, die den Preis dafür zu bezahlen haben werden.
Unter diesen Umständen – ohne auch nur ein einziges Mittel des direkten Widerstandes niederzulegen – ist es für die Dissidenten notwendig, daran zu denken, so etwas wie eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft zu erschaffen, eine Gemeinde der Freunde und Nachbarn inmitten einer Gesellschaft der Feindseligkeit und Distanz.
Die Formen dieser neuen Heimlichkeit, die so autonom wie nur möglich von den Institutionen sein muss, wird von Zeit zu Zeit überdacht und verändert werden müssen. Doch nur sie werden das menschliche Überleben garantieren in einer Welt, die sich – ob bewusst oder unbewusst – hingebungsvoll selbst zerstört.“ (Giorgio Agamben, 17. September 2021)
Agamben spricht davon, „daran zu denken, so etwas wie eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft zu erschaffen, eine Gemeinde der Freunde und Nachbarn inmitten einer Gesellschaft der Feindseligkeit und Distanz.“, von „Formen () einer neuen Heimlichkeit“, die „das menschliche Überleben garantieren“ soll.
Der Philosoph ist inzwischen mit solchen Gedanken – wie kann es anders sein – ins Blickfeld und das Verdikt der Aufhetzmedien geraten. Er habe ein Ausmaß „der Leugnung und Rechthaberei“ erreicht und das „verlange, die Kategorien, Konzepte und Begriffe des Philosophen zu überdenken“, liest man im „Frankfurter Beobachter“.
„Heimlichkeit“, da öffentliches Bekenntnis gegen Doktrinen und „dogmatische Gewissenheiten“ der Herrschenden und der ihnen folgenden „Unklugen“ (lebens-) gefährlich sein können? Wie im „Waldgang“ Ernst Jüngers, da es darum geht, „den Geist gegen die Verführung von Dogmatismus und Ideologie zu immunisieren.“?
Dazu bedarf es einer Voraussetzung, dem, was mit dem Satz von Descartes „cogito ergo sum“ gemeint ist.
Cogito ergo sum?
Mit diesem Satz geht es Descartes um den methodischen Zweifel (auch wenn manch andere „Philosophen“ in der Neuzeit den Satz semantisch als Fehlgriff interpretieren wollten). Man glaubte bald, mit der Aufklärung, der Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens, seien die Zeiten der dogmatischen Gewissheiten – vor allem der kirchlichen und dann auch der gesellschaftlichen Doktrinen – vergangen. Man glaubte, endlich könne sich „der skeptische Geist () weitgehend wohl fühlen“.
Nichts davon stimmt heute noch: Nicht nur die Mächtigen allein, die Wissenschaft selbst hat heute Selbstverständlichkeiten und damit sich selbst in den Orkus der Obskurität geworfen.
Die Autorin Isabel Danger* führt es vereinfachend und verständlich so aus:
„Hierzulande scheinen Ideologien althergebrachten Weisheiten der Wissenschaft den Rang abgelaufen zu haben. Begründet werden die Ideologien mit einer allgemeingültigen Moral, die dazu führt, dass man höchst emotional argumentiert und dabei die Wissenschaft ignoriert, … Es fehlt jedwede wissenschaftliche Evidenz, die es möglich machen würde, sich auf Fakten und Tatsachen zu berufen, was das Land immer mehr in die Krise führt.“
Was Wissenschaft sei, wird von der Politik und ihren bezahlten Beifallsklatschern und Speichelleckern in den Medien bestimmt. Aufklärerischer Zweifel und Skeptik haben ausgedient, sie werden als (gemein-)gefährlich apostrophiert. Die freie Meinungsäußerung – die eigentliche Voraussetzung für die Demokratie – wird demgemäß mittlerweile als Bedrohung für selbige dargestellt. Und wenn die freie Meinungsäußerung als so bedrohlich angesehen wird, dann folgt daraus selbstredend, dass diejenigen, die sie praktizieren und die „Skeptiker“ in Persona eine Gefahr für die Gesellschaft sind.
Es ist abzusehen, dass auch Descartes der herrschenden Cancel Culture alsbald zum Opfer fallen müsste!
Die neue Heimlichkeit?
Was viele von uns heute erleben, mit vormaligen Freunden und Nachbarn, gar in der Familie, auf der Straße und in den vermeintlich eigenen vier Wänden, mit der Morgenpostille aus dem Briefkasten und der Glotze am öffentlichen Kabel, treibt uns förmlich in das „geistig-politische Partisanentum“. In das, was Giorgio Agamben wohl abgemildert als „neue Heimlichkeit“ bezeichnet.
Das, was wir hier betreiben, als Autoren und Kommentatoren, auf diesem Blog, in den alternativen Medien, muss mit sorgfältiger Wahl von Worten und Begriffen ausgeübt werden, da die bezahlten Sitten- und Gesinnungswächter uns, ausgestattet mit den besten technischen und finanziellen Möglichkeiten, diese hypothetische Heimlichkeit auch noch rauben werden. Wir sind nicht sicher – schon gar nicht mehr auf GETTR oder TELEGRAM. Wie lange noch auf CONSERVO, JF, TICHY oder REITSCHUSTER etc.?
Ich weiß schon, warum „Der Waldgang“ zu einer meiner Lieblingsschriften geworden ist und an exponierter Stelle in meinem Bücherschrank zu finden ist.
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* „Wie konnte es nur so weit kommen?“ – Hg. Gunnar Kaiser – Sodenkamp und Lenz Berlin, 2021