Ukraine-Konflikt: Deutschlands Außenpolitik wird zum Gespött der Welt

5000 Helme für die Ukraine. Conservo gibt noch einen Blumentopf dazu.

(www.conservo.blog)

Von Peter Helmes

5000 Helme für die Ukraine. Conservo gibt noch einen Blumentopf dazu.

Verhöhnung der ukrainischen Ängste

In Europa wächst die Kriegsgefahr, Putin läßt die Muskeln spielen. Es geht (nicht nur) um die Ukraine. Putin möchte „Russlands Vorhof“ von fremden Bedrohungen freihalten. Das müßte eigentlich die Nato auf den Plan rufen und die deutsche Bundesregierung alarmieren. Doch Beide ducken weg. „Moskau ist weit, die Ukraine auch “, könnte man nach einem alten russischen Spruch aus der Zarenzeit ätzen. Ja, wenn es da nicht andere Europäer gäbe, Europäer, die nicht tatenlos zusehen wollen.

Aber blicken wir erst nach Deutschland: Unser Land blamiert sich derweil international auf allerhöchstem Niveau. Statt der Ukraine wirklich zu helfen, wird „Placebo-Hilfe“ angeboten – eine Veräppelung des jahrzehntelang von den Russen kujonierten ukrainischen Volkes:

Die deutsche Bundesregierung will Schutzhelme in die Ukraine liefern. Eine größere Verhöhnung eines schutzsuchenden Volkes ist kaum denkbar. Ebenso die Erklärung dazu:  Bundeskanzler Scholz befände sich in einer mißlichen Lage. Die Wahrheit:

Scholz´ SPD, die stets gute Beziehungen zu Russland anstrebte, ist in der Ukraine-Frage uneins – vor allem darüber, welche Sanktionen angesichts des neuen aggressiven Vorgehens Russlands angebracht wären. Die Aussetzung der Inbetriebnahme der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 – lange ein Tabu bei der SPD – sei jedoch durchaus eine Option, betonte Außenministerin Baerbock von den Grünen am Donnerstag, 27.1.22, im Bundestag.

Bei Waffenlieferungen steht Deutschland als Geizhals da

Nicht nur die USA und Großbritannien haben großzügig Waffen geliefert, sondern auch kleinere Länder wie die baltischen Staaten und Tschechien sind zur Hilfe gekommen. Deutschland, der fünftgrößte Waffenexporteur der Welt, stellt 5000 Schutzhelme zur Verfügung. Wie tief sind wir gesunken!

In Deutschland hat es die neue Regierung in kurzer Zeit geschafft, ihre Verbündeten zu irritieren

Daß Berlin keine Waffen liefern will, kann man noch halbwegs nachvollziehen. Allerdings hat Deutschland sonst wenig Hemmungen, im großen Stil auch schweres Kriegsgerät nach Ägypten oder Saudi Arabien zu liefern. Doch Bundeskanzler Olaf Scholz bremst selbst bei den Wirtschaftssanktionen und hat die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 nur sehr zögerlich für die westliche Drohkulisse zur Disposition gestellt.

Wenn Deutschland sich neutralistisch verhält, spielt das Putin in die Hände. Es besteht kein Zweifel, daß wirtschaftliche Gründe dafür verantwortlich sind, zum Teil auch historische: Man will es sich mit Russland nicht verscherzen.

Europa in Bedrängnis

Letztlich wären alle europäischen Länder im Falle eines militärischen Konflikts auf den Beistand der USA angewiesen, da ihre Armeen für ein solches Szenario überhaupt nicht gerüstet sind. Putin ist sich dessen sehr wohl bewußt und läßt auch keine Gelegenheit aus, Europa mit Worten zu demütigen. So rächt er die Osterweiterung von Nato und EU und die Unterstützung von Revolutionen in Russlands direkter Nachbarschaft.

Blinken hat deutliche Worte an Russland gerichtet: Kein Land habe das Recht, einem anderen zu diktieren, mit wem es zusammenarbeiten darf.

Letztlich steht Putin vor der Wahl ‚ganz oder gar nicht‘: Entweder läßt er die Ukraine künftig in Ruhe – oder er geht aufs Ganze: Wenn er den Krieg wählt, wird er versuchen, die Regierung in Kiew zu stürzen oder eine groß angelegte Invasion zu starten. Ein begrenzter Angriff, der westliche Sanktionen erzwingen würde, anstatt die Machtverhältnisse in Europa tatsächlich zu verändern, ergäbe für ihn keinen Sinn.

Die USA und die NATO sind weiterhin gesprächsbereit, vor allem was Fragen der Waffen- und Rüstungskontrolle betrifft. Das sind allerdings nicht die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien, und stattdessen werden auch Forderungen wie nach einem Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine, aus Georgien und Moldau erhoben. Eine solche Reaktion war zu erwarten, aber ebenso absehbar ist, daß Russland nun einige militärische Schritte unternehmen wird. Vermutlich wird es weitere Manöver und Truppenbewegungen geben, und dann werden aus dem Westen neue Forderungen kommen. So kann es endlos weitergehen; denn ein russischer Einmarsch in der Ukraine bleibt nur der allerletzte Schritt. Ich halte einen Angriff Russlands für wenig wahrscheinlich.

Es ist doch bezeichnend, daß die größten erfolgreichen Militäroperationen Russlands unter Putin – die Niederlage gegen Georgien 2008 und die Annexion der Krim 2014 – stattfanden, als der Westen wegschaute. In beiden Fällen wurde die Welt überrumpelt. Zudem gibt es keine innenpolitischen Gründe für einen Krieg, die Präsidentschaftswahl steht erst in zwei Jahren an. Aber gegen eine russische Invasion spricht vor allem die bessere Ausrüstung der ukrainische Armee. Putin wird niemals einen Krieg beginnen, den er wahrscheinlich verlieren wird.

Der Kreml sieht die amerikanische Antwort als den Anfang eines ernsthaften Dialoges. Der beste Beleg dafür ist, daß es erstmals wieder Verhandlungen im Normandie-Format gegeben hat. Sie waren dem Vernehmen nach erfolgreich. Zumindest wurde das Bekenntnis zur Waffenruhe im Donbass noch einmal bestätigt.

Russland hat klargemacht, daß es einen ukrainischen NATO-Beitritt weiterhin als Bedrohung für seine Sicherheit betrachtet. Auch wenn sich Biden weiter gesprächsbereit zeigt, bleibt die Lage kritisch, und es bestehen weiter gewisse Risiken. Viel hängt davon ab, welche Entscheidungen Putin künftig trifft. Es steht eine Menge auf dem Spiel. Russische Gasimporte bestimmen die Haltung der Regierung in Berlin, Frankreich will mit eigener Stimme sprechen, und die Wirtschaft fordert Stabilität für eine weitere Erholung. Von einer weiteren Eskalation profitiert niemand – aber die Lage bleibt komplex, und niemand kann den Sieg für sich beanspruchen.

Präsident Putins Egoismus

Selten war der Unterschied zwischen den Interessen eines Landes und jenen seiner Führungsfigur so groß. Russland würde von besseren, engeren und friedvollen Beziehungen mit dem Westen profitieren. Und solche Bindungen wären möglich, würde Putin sich nicht so scheußlich verhalten. Nur er selbst profitiert von Zwietracht, kann er doch den Russen sagen, sie würden belagert und brauchten einen starken Mann, um sie zu verteidigen. Doch selbst der stärkste Mann kann sich verkalkulieren. Ein Einmarsch in die Ukraine könnte Putin letztlich zum Verhängnis werden, wenn daraus ein blutiger Sumpf wird oder wenn er die Russen ärmer, wütender und offener für Wandel macht.

Aber wie kann die derzeitige Eskalationsspirale gestoppt werden?

Russland und der Westen müssen eine Grundlage finden, um sich darauf zu einigen, daß die Ukraine sowohl für die russische als auch für die westliche Einflußsphäre offenbleiben kann. Dieser Ansatz erscheint wesentlich erstrebenswerter als ein militärischer Konflikt auf europäischem Boden. Die Mißachtung der Realpolitik innerhalb des Westens, insbesondere innerhalb der EU, ist der Hauptgrund für die weit verbreitete politische Hilflosigkeit, die die führenden Politiker bisher an den Tag gelegt haben.

Auch Präsident Biden steht unter Druck, und das nicht nur wegen seiner Außenpolitik. Amerikanische Familien kämpfen gerade mit der Inflation und einer nicht enden wollenden Pandemie. Angesichts sinkender Umfragewerte stehen den Demokraten mit Blick auf die Zwischenwahlen im November keine rosigen Zeiten bevor. Präsident Biden kann sich nach dem peinlichen Chaos beim Abzug aus Afghanistan kein weiteres außenpolitisches Desaster leisten. Er muß in der Ukraine-Frage liefern.

Eines sollte uns mehr beunruhigen: nämlich daß in dieser ganzen Diskussion zwei Akteure, die gehört werden sollten, offenbar keine Rolle spielen: Polen und die Europäische Union als Ganzes. Die Diskussion über eine Krise, deren Schwerpunkt nur wenige hundert Kilometer von der polnischen und der EU-Außengrenze entfernt ist, findet bisher zwischen den USA und Russland statt. Ja, die derzeitige US-Regierung führt regelmäßige Konsultationen mit ihren Verbündeten in Europa durch, aber in einer solchen Situation sollten wir Mit-Verhandlungsführer sein, nicht nur Berater.

Moskaus aggressives Verhalten

Nach einem Grund für Moskaus aggressives Verhalten braucht man nicht lange zu forschen: Für die gegenwärtige Konfrontation zwischen Russland und dem Westen gibt es viele Gründe und ebenso viele Erklärungsansätze. Doch ganz gleich, welche Erklärung man wählt, im Kern der Ukraine-Krise geht es um nationale Demütigung. Russland ist entschlossen, sich für die nationale Demütigung zu rächen, die das Land angeblich beim Zusammenbruch der Sowjetunion vor drei Jahrzehnten erlitten hat. Präsident Putin hat dieses Ziel klar formuliert: Er strebt ein Russland an, das wenn schon nicht respektiert, so doch zumindest gefürchtet wird. Er will eine Nation, die ihren Platz unter den Großmächten zurückerobert.

Die 15 Unionsrepubliken zwischen 1956 und 1991: 1. Armenien UdSSR 2. Aserbaidschan UdSSR 3. Belarus UdSSR 4. Estland UdSSR 5. Georgien UdSSR 6. Kasachstan UdSSR 7. Kir-gistan UdSSR 8. Lettland 9. Litauen 10. Moldavien 11. Russland 12 Tadschikistan 13. Turkmenis-tan 14. Ukraine 15. Usbekistan. CC BY-SA 3.0, Wikipedia.org

Deshalb ist Putin ist ein Mann mit einer Mission. Der Mann im Kreml will Russlands Stolz und Prestige als Supermacht wiederherstellen. US-Präsident Biden sollte sich nicht täuschen: Sein russischer Amtskollege ist kein Gorbatschow. Er ist von einem anderen Schlag.

Anders als der ehemalige sowjetische Führer läßt sich Putin nicht von den schmeichelhaften Worten westlicher Medien beeinflussen. Putin scheint bereit zu sein, in den Krieg zu ziehen, um ein Heranrücken der Nato an sein Land zu stoppen. Deswegen hat Moskau Sicherheitsgarantien von der Nato verlangt. Die Allianz hat diese Forderungen bereits zurückgewiesen.

Doch der Blick nach Westen täuscht. Er schaut Putins Treiben zu tatenlos zu. Zwar droht US-Präsident Biden immer wieder mit schwerwiegenden Konsequenzen, aber Moskau ist bisher keinen Millimeter zurückgewichen. Das liegt nicht nur an Putins politischem und diplomatischem Geschick, sondern auch an der Zerrissenheit des Westens. So wollen einige europäische Staaten an ihren bilateralen Beziehungen mit Moskau festhalten, was Putin stärkt. Deutschland ist auf russisches Gas angewiesen, Frankreich mit den Präsidentschaftswahlen beschäftigt und Großbritannien mit den Covid-Partys von Premierminister Johnson.

Russland hat den Einsatz absichtlich und gezielt erhöht. Es ist klar, weshalb – denn sonst nimmt der Westen das Spiel nicht ernst. Also nimmt der Kreml das Megaphon in die Hand und spricht mit stählerner Stimme. Ziemlich einfach, aber es funktioniert. Wir erleben gerade einen Wendepunkt in der Weltgeschichte. In der Vergangenheit wurden Probleme dieser Art üblicherweise durch Kriege gelöst. Glücklicherweise ist ein herkömmlicher Krieg zwischen Großmächten aufgrund verschiedener Faktoren keine Lösung mehr. Der Ausweg liegt daher in einer Verständigung der großen Player. Aber solch komplexe Vereinbarungen werden nicht bei einer entspannten Teeparty getroffen.

Im Blick auf die enge Verbindung von Ex-Bundeskanzler Schröder und anderen europäischen Politikern zu Putin wird gerne übersehen, daß auf Putins Gehaltsliste nicht nur Oligarchen und KGB-Agenten stehen, sondern auch frühere europäische Regierungschefs, Präsidenten und Finanzminister. Parallel zu den militärischen Aggressionen erfolgen Lobbytätigkeiten, um sich mehr Einfluß auf Europas Elite zu sichern. Doch Vorsicht! Dabei sollte kein Ex-Politiker aus der EU Laufbursche für russische Interessen werden.

Sollte es zu einem Krieg kommen, wird dieser Folgen für die ganze Welt haben. Russland ist ein Gas-Großlieferant. Eine Unterbrechung seiner Lieferungen würde nicht nur die Kraftstoffpreise in die Höhe treiben, sondern auch die Preise für andere Rohstoffe. Russland ist außerdem der größte Weizenexporteur der Welt und eine der größten Metallquellen. Jede signifikante Verschiebung auf den Weizen- und Metallmärkten könnte die Preise rasant steigen lassen. Und wirtschaftlich angeschlagene oder schwache Länder werden in einem solchen Szenario die größten Verlierer sein.

Die zögerliche Rolle Deutschlands

Im Hinblick auf den Russland/Ukraine-Konflikt muß die Haltung Deutschlands äußerst kritisch kommentiert werden: Die Frage, welche Position die Bundesrepublik eigentlich einnimmt, stellen sich auch ihre Verbündeten. Die größte und wohlhabendste Demokratie Europas hat sich mehr dadurch hervorgetan, was sie nicht tut, um Kiew zu unterstützen, als durch das, was sie tut. Das schürt die Sorge, daß Moskau Deutschland als Keil benutzen könnte, um Europa zu spalten.

Deshalb ist kein Verständnis für die deutsche Zurückhaltung angebracht. US-Präsident Biden erhöht den Druck, indem er Sanktionen ankündigte, von denen Putin persönlich betroffen sein werde. Von derartigen Schritten ist Deutschland weit entfernt. Die Position des Bundeskanzlers in der Schlüsselfrage Nord Stream 2 hat sich in den vergangenen Wochen zwar verändert, und nun scheinen alle Optionen möglich. Aber Deutschland macht weiter Druck, damit Russland selbst im Falle eines Krieges nicht vom Swift-Finanzabwicklungssystem abgeschnitten wird. Das kann gravierende Folgen haben. Denn Putin stellt eine kühle Gewinn- und Verlustrechnung an. Und sollte es sich für ihn lohnen, entscheidet er sich für eine Invasion. Das Risiko eines Krieges liegt bei 50/50.

Deutschland sorgt als wichtigster russischer Gas-Kunde dafür, daß sich Putin so stark fühlt und sich von den bisherigen Sanktionsandrohungen nicht beeindrucken läßt. Russland wird keine Konzessionen machen. Im Gegenteil: Sollten die amerikanisch-russischen Gespräche über die Ukraine und die Nato-Präsenz in Osteuropa scheitern, hat Moskau bereits angekündigt, sich verstärkt in Kuba und Venezuela zu engagieren.

Links: Nordstream 2 – Nov. 2019 (CC0)
Rechts: Nordstream 2 – Nov. 2009 Samuel Bailey (sam.bailus@gmail.com), CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Ein Deutschland zuzuschreibender Albtraum: die Russlandversteher

Dänemark schickt Kampfjets nach Litauen und eine Fregatte in die Ostsee. Frankreich hat angeboten, Soldaten in Rumänien zu stationieren. US-Präsident Biden hat Tausende US-Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt. Und dann ist da Deutschland. Zuletzt hat Deutschland – Europas größte und reichste Demokratie, geographisch positioniert zwischen Ost und West – sich vor allem durch Untätigkeit ausgezeichnet.

Das Zögern Deutschlands, kraftvolle Maßnahmen zu ergreifen, hat Zweifel an seiner Verläßlichkeit als Verbündeter gesät. Moskau könnte Deutschland benutzen, um einen Keil zwischen die Europäer zu treiben – und eine gemeinsame europäische Reaktion auf jegliche russische Aggression zu verhindern.

Die frischgebackene Berliner Koalition sollte in der aktuellen Krise darauf achten, daß sie am Ende nicht als schwächstes Glied im westlichen Bündnis dasteht.

Die deutsche Regierung stellt sich nicht an die Seite jener Länder, die die Ukraine mit Waffen unterstützen. Zur Verärgerung Vieler predigt sie Vorsicht und Diplomatie. Kritiker meinen deshalb, es gebe in Berlin zu viele Russlandversteher. Deutschland hat aufgrund seiner Vergangenheit ein kompliziertes Verhältnis zu Russland. Dazu gehört auch, daß ein Teil des Landes unter den Fittichen des Kremls stand. Vor laufenden Kameras vermitteln die Außenminister Deutschlands und der USA das Bild einer gemeinsamen Front, doch in Wirklichkeit gehen ihre Meinungen darüber, wie Russland zur Räson gebracht werden sollte, deutlich auseinander. Die Amerikaner liefern Waffen an Kiew und ihr Ton wird immer drohender, die Deutschen halten sich derweil soweit wie möglich zurück.

Die Briten liefern Waffen, und der litauische Außenminister fordert den Westen zur Verteidigung der Ukraine auf, während sich Deutschland querstellt: Was für ein Albtraum! Eine solche Spaltung des Westens zerstört viele Mythen. Plötzlich stellt sich heraus, daß gerade diejenigen, die der halben Welt seit Jahren den politischen Kurs und Diskurs vorgeben, selbst keinen Finger rühren, um ihre Werte gegen einen aggressiven Gegner zu verteidigen. Putins Revanchismus richtet sich schließlich nicht nur gegen die Ukraine, sondern er verfolgt ein viel größeres Ziel: eine Neuordnung der Geopolitik Europas.

Es wäre töricht zu glauben, es bliebe folgenlos für andere, wenn man die Freiheit der Ukraine jetzt opfern würde. Erfolg bei riskanten Unternehmungen zieht in der Regel Bewunderung nach sich. Und Putin hat es nie an westlichen Bewunderern gefehlt. Putin scheint zu glauben, daß er mit der Ukraine-Krise den Westen spalten kann. Er hofft wohl darauf, daß die NATO und ihre Partner zu einem Haufen von Staaten degradiert verkommen, die alle ängstlich und gefügig sind. Damit könnte er durchaus Recht behalten. Es wird jedenfalls nicht leicht sein, ihn aufzuhalten. Aber eine freie Welt, die begreift, daß die Alternative zu Zusammenhalt das auf sich allein Gestellt sein ist, sollte sich der von Putin ausgehenden Bedrohung entgegenstellen.

Der Ausgang des Ukraine-Konflikts wird weitreichende Auswirkungen auf die internationale Weltordnung haben wird. Die Krise wird zum Prüfstein für alle demokratischen Länder, die sich in einer ständigen Auseinandersetzung mit autoritär regierten Staaten befinden. Die USA und Europa wollen Russland mit Hilfe von Sanktionen von einem militärischen Angriff abbringen. Hoffentlich führen ihre diplomatischen Bemühungen zu einem Erfolg. Diese könnten neue Wege für eine Zusammenarbeit eröffnen – ein Scheitern dagegen würde den Graben weiter vertiefen.

Viele der jüngsten Schachzüge erinnern an klassische Krisenmanöver: Beide Seiten drohen mit dem Einsatz von Gewalt, wollen aber in erster Linie der anderen Seite ihre Bedingungen aufzwingen. Natürlich ist eine weitere Eskalation und ein militärischer Konflikt nicht auszuschließen. Auch die ökonomischen Folgen wären dann gewaltig.

Ein offener Krieg zwischen den beiden Blöcken schien lange Zeit nur theoretisch denkbar. Das ist nun anders. Ein Krieg wird sich nur noch abwenden lassen, wenn die Kosten für Putin wirklich untragbar wären. Dafür müßte der Westen neben dem Stopp für Nord Stream 2, dem Ausschluß russischer Banken aus dem SWIFT-System, einem Handelsembargo und der Einfrierung aller Auslandvermögen russischer Oligarchen noch mehr tun. Er muß die Ukraine mit Waffen aufrüsten und die US-Truppenpräsenz an der Ostflanke der NATO mehr als nur symbolisch erhöhen. Ansonsten wird sich Putin nicht abschrecken lassen. Harte Maßnahmen gegen Moskau würden den Westen finanziell belasten, Russland jedoch viel, viel mehr.

Doch leider aber gibt es inzwischen zunehmend Anzeichen dafür, daß US-Präsident Biden und der Westen die Ukraine ihrem Schicksal überlassen werden. Einerseits tut die westliche Allianz so, als ob sie die Ukraine mit allen Mitteln verteidigen wolle. Dann aber fliegt sie die Angehörigen ihres Botschaftspersonals aus. Das wirkt auf Putin wie eine Einladung zum Einmarsch. Solange sich die Nato so schwach präsentiert, ist der russische Präsident zu jeder Tat bereit, weil er sich gerade sehr stark fühlt.

Und es gibt ein weiteres zweifelhaftes Verhalten der Europäer. Sie werden zwar nicht müde zu betonen, gemeinsam mit den USA den Ukrainern beizustehen. Auffällig ist jedoch, daß sie dem Weißen Haus nicht blind folgen. Sie schicken weder Waffen nach Kiew, noch ziehen sie ihr Botschaftspersonal aus der ukrainischen Hauptstadt ab. Die Europäer haben ihre eigenen Interessen und Strategien. 40 Prozent des Erdgases, das in der EU verbraucht wird, kommt aus Russland. Auch wenn der Wunsch besteht, diese Abhängigkeit zu reduzieren, will sich zumindest ein Teil der EU-Staaten nicht auch noch bei der Energieversorgung in eine  Abhängigkeit von den USA begeben, wie sie in Sicherheits- und Verteidigungsfragen bereits besteht.

Die Europäische Union zeigt insgesamt in ihrer Uneinigkeit keine Bereitschaft, Nachbarstaaten oder ihre eigenen Mitgliedstaaten mit mehr als nur Worten gegen den Druck aggressiver Großmächte zu verteidigen. Sowohl der chinesische Präsident Xi Jinping als auch Kremlchef Wladimir Putin können daher tun und lassen, was sie wollen.

Die internationale Gemeinschaft muß Russland aber entschlossener unter Druck setzen, um einen militärischen Angriff auf die Ukraine zu verhindern. Bidens Aussage, daß im Falle einer kleineren Invasion nicht alle Verbündeten zu Sanktionen bereit wären, wurde zwar schnell korrigiert, hat Moskau aber Auftrieb gegeben. Der Westen muß dem Kreml jetzt unbedingt deutlich machen, daß Russlands Wirtschaft nach einem Angriff ruiniert wäre.

Putins Vorgehen führt nun dazu, daß es in Europa zu einer Remilitarisierung kommt. Wenn die Nato einige Tausend Soldaten ins Baltikum, nach Polen oder Bulgarien schickt, ist das eine Reaktion auf den militärischen Aufmarsch russischer Truppen an den Grenzen der Ukraine. Nicht umgekehrt. Je aggressiver Russland vorgeht, desto wahrscheinlicher wird es auch, daß die EU-Staaten in diesem Jahr tatsächlich Ernst machen beim Aufbau einer eigenen Militärpolitik, einer EU-Säule in der Nato.

Die Ukraine-Krise verdeutlicht die Spaltung innerhalb der NATO und auch zwischen den USA und Europa.

Für Europa geht es um die Entschärfung einer heiklen Sicherheitsgefahr vor der eigenen Tür. Für die Vereinigten Staaten ist sie vor allem eine Gelegenheit, um ihren geopolitischen Gegenspieler Russland in die Schranken zu weisen. Die Europäer sind für Washington nur eine Schachfigur, aber in Sachen Sicherheit auf den mächtigen Bündnispartner jenseits des Atlantiks angewiesen. Selbst verfolgen die EU-Mitgliedsstaaten keinen einheitlichen Kurs gegenüber Moskau. Für Europa wäre ratsam, mehr Eigeninitiative zu ergreifen.

Es gibt nur nur eine Zukunft für die Ukraine: Putin will zwar das Land unter allen Umständen als Puffer zwischen Russland und den Nato-Staaten behalten. Aber zwischen den großen Machtblöcken wird es weder stabil noch sicher sein. Entweder wird die Ukraine europäisch – oder sie vegetiert im Schatten Russlands vor sich hin. Es gibt keinen dritten Weg für dieses Land.

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