Der emeritierte Erzbischof von Paris Michel Aupetit im Dienst an den Ärmsten
Von Dr. Juliana Bauer
Nach dem Münchner Missbrauchsgutachten. Diskussionen überall. Debatten überall. Der Münchner Kardinal Marx äußert sich über die Macht in der Kirche, die Macht der Kleriker, die Verbindung von Macht und Missbrauch. Macht, Macht… Leider. Mein letzter Beitrag erzählte davon. Zum Beispiel von der klerikalen Macht im Beichtstuhl, die bis in die 50iger Jahre dominierte.
Und Macht wurde/wird weiter ausgeübt. Zum Beispiel an Kindern und Jugendlichen. An alten Menschen. An kranken Menschen.
Auch die Politiker üben seit zwei Jahren eine bis dahin nicht mehr gekannte Macht über die Menschen aus. Knechten sie. Halten sie nieder. Demonstrieren eine Macht, welche viele Kirchenvertreter schamlos unterstützen.
Diskussionen. Debatten. Überall.
ALLES KALTER KAFFEE!
Den niemand mehr trinken mag.
„Zu den Füßen aller“
Wenn die Kirche Jesus von Nazareth glaubhaft verkünden will, wenn sie die Menschen überzeugen will, muss sie sich in den Dienst am Mitmenschen stellen. Ausnahmslos. In einen Dienst, „zu dem jeder Gläubige in der Nachfolge Christi aufgerufen ist.“
In einen Dienst, „in den sich die Kirche stellen muss, … in den Dienst für alle … zu den Füßen aller.“
Zu Füßen aller! Zu Füßen! Und am „Tag der Einsetzung des Priestertums … knien wir … vor unseren Brüdern, insbesondere wir Priester und Diakone.“
So der emeritierte Oberhirte von Paris, Michel Aupetit im vergangenen Jahr bei einer Gründonnerstags-Meditation in einer Kapelle von Notre Dame sowie in der Hl. Messe am Gründonnerstag 2019 in Saint-Sulpice.
Knien vor dem Mitmenschen. Ihm die Füße waschen. Das ist Jesu unmissverständliche Botschaft an seine Jünger. Da ist Machtgehabe fehl am Platz. Es ist ein Dienst, „in den sich die Kirche stellen muss“, so Aupetit. Ein Dienst. Der auch das Herumpalavern überflüssig macht (nicht jedoch das Miteinander-Reden).
„Die Fußwaschung“, betonte Michel Aupetit in jenem Gründonnerstaggottesdienst, „ist den Dienern unter den Juden und den Sklaven unter den Römern vorbehalten. Jesus bringt die jüdische (Pessach-) Liturgie völlig durcheinander.“ Denn „alle Religionen lehren den Menschen ausnahmslos, sich vor Gott niederzuknien. An diesem Abend aber kniet Gott vor dem Menschen. Auch dies ist eine Umkehrung im Sinne des Evangeliums. Wir stehen vor einem unglaublichen Geheimnis, das uns die außergewöhnliche Würde offenbart, mit der wir von Gott selbst ausgestattet sind.“
Und diese Würde gilt es zu schützen, Ihr Herren Bischöfe und Priester! Ausnahmslos.
Mitengagiert für die Ausgestoßenen der Gesellschaft
Nach den ersten Schlagzeilen, die über den Empfang von Mgr Aupetit durch Papst Franziskus in diesen Tagen berichteten und Anlass zu Spekulationen über die Zukunft Michel Aupetits gaben, veröffentlichte Vatican News am 4. Februar ein Interview mit ihm, der sich seit seinem erzwungenen Amtsverzicht besonders für die „Verletzten“ und „Zerbrechlichen“ unserer Gesellschaft engagiert. Denn diese Menschen lägen ihm, wie er in seiner Abschiedsmesse betonte, sehr am Herzen. Der Journalist der Vatikanstadt Jean-Charles Putzolu traf Michel Aupetit in Rom.
Im Folgenden ist das Interview zu lesen; der letzte umfassende Abschnitt beinhaltet vor allem die sozial-spirituellen Projekte, die Mgr Aupetit begleitet.
Mgr Aupetit: „Ein langer und herzlicher Austausch mit Franziskus“
2017 zum Erzbischof von Paris ernannt gab Mgr Michel Aupetit sein Amt als Oberhirte der Erzdiözese Paris an Papst Franziskus zurück, der am 2. Dezember vergangenen Jahres seinen Amtsverzicht annahm. Der emeritierte Erzbischof ist regelmäßig in Rom bei der Bischofskongregation präsent, deren Mitglied er ist. Bei einem dieser Aufenthalte hatte Vatican News die Gelegenheit, mit ihm ein Interview zu führen.
Vatican News, 04/02/2022
Mgr Michel Aupetit, Sie sind dieser Tage in Rom. Während Ihres Aufenthaltes haben Sie Papst Franziskus getroffen?
„Ja, ich hatte die Gelegenheit, diese Woche vom Heiligen Vater empfangen zu werden. Wir hatten einen herzlichen Austausch und wir konnten verschiedenes zur Sprache bringen.“
Um was ging es bei Ihrem Gespräch konkret?
„Zunächst einmal sicherte mir Papst Franziskus erneut seine Unterstützung nach meinem Amtsverzicht als Erzbischof von Paris zu. Er wiederholte, dass er mich als Opfer von Heuchelei und Klerikalismus sieht. Er legte mir auch sein Vertrauen dar, indem er mich bat, weiterhin bei der römischen Bischofskongregation zu bleiben, bei der ich, wie Sie wissen, bereits Mitglied bin und wo ich alle 14 Tage hingehe.“
Haben Sie während dieses langen Austauschs auch andere Dinge angesprochen?
„Ja, natürlich. Wir haben lange über die Situation der französischen Kirche gesprochen, die dem Papst Sorgen bereitet und über jene der Diözese Paris. So auch über meine Projekte, da ich einige Projekte zahlreicher Initiativen von jungen Laienchristen begleite, die im Dienst für die Ärmsten und im Dienst der Evangelisierung stehen, was den Papst sehr bewegte.“
Welche Projekte sind dies, können Sie uns dazu mehr sagen?
„Es sind herausragende Projekte. Sie wissen, wenn man die Dinge etwas aus der Ferne betrachtet, hat man den Eindruck, dass es sich um tote Blätter handelt. Aber“ – und nun bringt Michel Aupetit einen poetischen Vergleich aus der aktuellen Jahreszeit, der auf neues Leben deutet, aber auch konkret auf die Garten-Arbeiten der u. g. Wohngemeinschaften –
„überall ist alles voller Schneeglöckchen.
Besonders die Wohngemeinschaftsinitiativen von jungen ausgebildeten Fachleuten mit Menschen von der Straße, die ich während der Weihnachtszeit begleitet habe, jene von Lazare (gemeint ist wohl das Umfeld des Pariser Bahnhofs Saint-Lazare), die APA (l’Association pour l’amitié), die Assoziation für Freundschaft.“
An dieser Stelle möchte ich Worte aus der genannten Gründonnerstags-Predigt von Michel Aupetit einwerfen, die sich in die vorgestellte Initiative für die Mitmenschen nahtlos einfügen: „Dies macht es aus, was ein Christ ist: Er ist einer, der nicht nur die Torheit Gottes akzeptiert, sondern der in die Torheit Gottes eintritt. Denn ‚die Torheit Gottes ist weiser als die Weisheit der Menschen‘ (1.Kor.1,20-24) sagt uns der hl. Paulus. Er offenbart uns auch, was wir sind: ‚Was in der Welt töricht ist, ist das, was Gott gewählt hat.‘ … Unsere Religion ist eine Religion der Verrückten, keine Versammlung humanitärer Helfer…“ Und „Verrücktsein bedeutet, seine Intelligenz in den Dienst der Liebe zu stellen.“
Michel Aupetit erzählt von einem weiteren Projekt. So vom ‚Village de François‘ (Dorf des Franziskus), das sich in der Abtei ‚Sainte-Marie du désert‘ in der Nähe von Toulouse befindet, wo verschiedene Personen aufgenommen werden, die sich in einer Situation von Verletzlichkeit befinden oder die das Leben verwundet hat, Menschen, die auf der Straße leben, alte Menschen, die ansonsten im Seniorenheim leben würden, behinderte Menschen, Personen, die aus der Prostitution herausfinden möchten, um mit Familien eine Art brüderlicher Gemeinschaft zu leben und sich in den Dienst einer ganzheitlichen Ökologie zu stellen. Dann aber knüpfen sie auch den Kontakt mit den ortsansässigen Leuten. Das erscheint mir wichtig, denn, wenn wir uns dort treffen, kann das letztlich auch auf andere Orte übertragbar sein. Dann gibt es andere Projekte wie Misericordia, denen ich in den Pariser Banlieues, in Aubervilliers, begegnet bin … Dort sind junge Leute, die sich für ein Jahr, für zwei Jahre, bei den Menschen, die in den Innenstädten leben, engagieren, um sich um die Kinder zu kümmern, um sie kennenzulernen. Dort habe ich einen schönen Tag verbracht. Ich sehe, dass es wirklich wunderbare Initiativen von jungen Christen gibt, die ihre Taufe und die Evangelisierung ernstnehmen.“
Und von vielen Zeitgenossen für verrückt erklärt werden…
Aber „an diesem Abend kniet Gott vor den Menschen…“ Eine „Religion der Verrückten“ also. Und doch mit umwerfender positiv verändernder Sprengkraft, die überzeugen kann. Wenn sie die Getauften leben. Alle. Laien, Diakone, Priester, Bischöfe. Denn
„Verrücktsein bedeutet, seine Intelligenz in den Dienst der Liebe zu stellen“ (Michel Aupetit).
Anmerkung
Die APA, die Association pour l’Amitié betreibt Wohngemeinschaften, in denen Obdachlose und Nichtwohnungslose miteinander wohnen. Es handelt sich dabei um eine Form der „solidarischen Wohngemeinschaft“, in der Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und Kultur, aber auch mit ganz unterschiedlichen Charakteren zusammenleben.
Sie bietet auch sonntags gemeinsame Mahlzeiten sowie Feiertage oder spirituelle Einkehrtage an.
Alle diese Initiativen zielen darauf ab, Begegnungen und freundschaftliche Beziehungen zu erleichtern und Ausgrenzung zu bekämpfen. Sie sind vom Evangelium inspiriert und werden in Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche von Paris durchgeführt.