Ein offener Brief von Uwe Holmer an den Ratsvorsitzenden der EKD
Vorbemerkung Maria Schneider: Dr. Udo Hildenbrand schickt mir als Ergänzung zu Herrn Penners Beitrag zur bekennenden Kirche folgenden Beitrag zu, der zwar vom 16. August 2020 stammt, aber nichts an Aktualität verloren hat.
„Wie man aber Frieden mit Gott bekommt und getrost sterben und in den Himmel kommen kann, sagen Sie den Menschen nicht. Dadurch machen sie sich überflüssig wie ein Kropf. Die Mehrheit der ausgetretenen Gemeindeglieder sind an ihrer Kirche verzweifelt.“ (Uwe Holmer)
Uwe Holmer (* 6. Februar 1929 in Wismar) ist ein deutscher Theologe, Pfarrer und Autor. Bekannt wurde er 1989/1990, als er Erich Honecker bei sich aufnahm. Vom 30. Januar bis zum 3. April 1990 gewährte er Margot und Erich Honecker Asyl in seinem Haus.
Uwe Holmer war nach dem Theologiestudium zwischen 1948 und 1954 bis 1967 Landpfarrer in Leussow in Mecklenburg. Anschließend war er bis 1983 Direktor der Bibelschule Falkenberg in Berlin. 1983 wurde er Leiter und Bürgermeister der Hoffnungstaler Anstalten Lobetal, die sich vor allem um die Patienten des Lobetaler Fachkrankenhauses für Neurologie, Psychiatrie und Epileptologie kümmerten.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands gehörte er zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz und war stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Evangelistenkonferenz. Im Ruhestand ging Holmer nach Mecklenburg zurück und arbeitete in der Rehaklinik für Suchtkranke in Serrahn. Uwe Holmer ist Vater von 15 Kindern; zehn stammen aus der Ehe mit seiner verstorbenen Frau und fünf brachte seine zweite Frau aus der Ehe mit ihrem früh verstorbenen ersten Mann mit in die Familie ein. (Quelle: Wikipedia)
Offener Brief
Herrn
Ratsvorsitzenden der EKD
Landesbischof Bedford-Strohm
Herrnhäuser Str.12
30419 Hannover
Serrahn, den 16. Aug. 2020
Verehrter Herr Ratsvorsitzender,
diesen Brief schreibe ich Ihnen in Bevollmächtigung durch die Bekenntnisschrift „Augsburger Konfession“. Dort heißt es im Artikel 28: „Wo das geistliche Regiment etwas gegen das Evangelium lehrt oder tut, haben wir den Befehl, dass wir ihm nicht gehorchen.“ Die Verfasser beriefen sich dabei u.a. auf Gal. 1,8.: „Aber auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht.“
In „Idea Spektrum“ las ich, Sie vermuten als Grund für die rasant wachsende Zahl der Kirchenaustritte die Individualisierung der Gesellschaft. Doch der Grund liegt viel tiefer. Die Evangelische Kirche selbst ist schuld. Sie hat die ihr aufgetragene Botschaft verraten. Von der Bischofsebene über die Synoden bis hin zu großen Teilen der Pfarrerschaft geben Sie den Menschen eine nur innerweltliche Botschaft, die andere ebenso bieten. Wie man aber Frieden mit Gott bekommt und getrost sterben und in den Himmel kommen kann, sagen Sie den Menschen nicht. Dadurch machen sie sich überflüssig wie ein Kropf. Die Mehrheit der ausgetretenen Gemeindeglieder sind an ihrer Kirche verzweifelt.
Als ich 1955 ordiniert wurde, musste ich mich verpflichten, dass ich meinen Pastorendienst gemäß der Heiligen Schrift und den lutherischen Bekenntnisschriften ausüben werde. Ich habe dementsprechend gearbeitet. Es hat sich bewährt, gemäß den 3 soli Luthers zu arbeiten: allein die Schrift entscheidet in Lehrfragen, allein die Gnade Gottes ist der Grund, uns unsere Sünden zu vergeben, und allein der Glaube empfängt die Gerechtigkeit Gottes. Ich habe als Landpastor darum gerungen, dies den Menschen anschaulich zu predigen. Ich habe einfach die Gnade Gottes verkündigt und wie wir im Glauben ergreifen können: „Dir sind Deine Sünden vergeben.“ Und Menschen erlebten: “Wenn wir unsere Sünde bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit“ (1Joh.-Brief 1,9). Und siehe da! Dieses Angebot des Evangeliums wurde lebendig in den Herzen vieler Menschen, gab Gewissheit der Vergebung und machte sie frei und froh. Denn „wo Vergebung der Sünden ist, ist auch Leben und Seligkeit.“
Die Folge: Die Zahl der Gottesdienstbesucher nahm zu. Die Bibelwochen in den Dörfern mussten in Gasthaus-Säle verlegt werden. Und frühere Konfirmanden sagten mir bei goldenen Konfirmationen: „Herr Pastor, Sie haben uns geprägt.“ Dabei habe ich nur nach dem Maßstab der Heiligen Schrift gearbeitet. Für mich war klar: Ich sollte so predigen, wie Jesus es von seinen Jüngern verlangt hat. Und ich kann Ihnen bezeugen, dass das Menschenherzen getroffen und sie zu frohen Jüngern Jesu gemacht hat. Solche Menschen denken nicht im Entferntesten daran, ihre Kirche zu verlassen.
Was ich dagegen im Studium von Bultmann gelesen habe, habe ich mit Überzeugung abgelehnt, wie auch die Mehrheit meiner Kommilitonen (1948-55). Auch die Bischöfe, die zum großen Teil noch aus der Bekennenden Kirche kamen, haben Bultmann keine große Beachtung geschenkt. Sie scheinen gehofft zu haben, dass diese extreme Bibelkritik im Sande verlaufen würde. Das war jedoch ein Irrtum. Inzwischen höre ich von vielen Theologen nur Predigten über unsere immanente, irdische Welt. Wunder seien Mythen, seien so nicht geschehen. Nach Bultmann müssen Sie „existential“ gepredigt, auf unsere irdische Existenz hin, ausgelegt werden. Das musste zu einem fast gnadenlosen Moralismus führen. Dass es einen Himmel gibt und wir berufen sind, dorthin zu kommen, hört man bei ihnen nicht. Bultmann hatte sogar geschrieben, dass der Mensch „gezeugt wird, heranwächst und stirbt wie ein Tier“. Diesen Satz nehme ich Prof. Bultmann übel. Er weiß doch, dass der Mensch das einzige Wesen ist, welches weiß, dass es sterben muss. Und dieses Wissen begleitet ihn sein Leben lang und mahnt sein Gewissen, verantwortlich vor seinem Schöpfer zu leben. Mit zunehmendem Alter wird das stärker. Wer lehrt, der Mensch sterbe wie ein Tier hat keine biblische Botschaft für uns Menschen. Der Altbischof Ulrich hatte das vor ein paar Jahren inhaltlich übernommen. In einer Osterbetrachtung schrieb er: Der „Leib Jesu ist im Grab verwest wie alle Leiber verwesen.“
Das, verehrter Herr Ratsvorsitzender ist die Ursache dafür, dass so viele Menschen der Kirche den Rücken kehren. Die EKD kann keine Glaubensfreude und keine lebendige Hoffnung mehr bieten, weil sie rationalistischen Irrlehren anhängt. Die Welt quillt über von Sünde, von Hass und Streit, von Krieg und Gottlosigkeit. Sie brauchte so dringend das Angebot von Gnade und Vergebung durch Kreuz und Auferstehung Jesu. Nur dadurch wird glaubhaft, dass Jesus sagte: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“. Doch diese Botschaft ist unserer Kirche abhandengekommen, von ihr selbst verworfen. Menschen sind mit Recht zutiefst enttäuscht, wenn ihnen diese wichtigste aller Botschaften vorenthalten wird. Pfarrer Steffen Reiche hat recht: Unsere Kirchen sind leer gepredigt. Das Pauluswort in 1. Korinther 15 stimmt – und die EKD beweist es sich selbst: Wir wären die elendesten unter den Menschen, wenn Christus nicht auferstanden wäre. Dann wäre auch die Predigt vergeblich und auch unser Glaube (1. Korinther 15,14).
Es ist verheerend und entmutigend für die Gemeinden und für Prediger, wenn sich ein „Evangelium“ Bahn bricht, das keines mehr ist, weil es nur für diese irdische Welt gilt. Ich sage Ihnen: Sie nehmen den Menschen die lebendige Hoffnung weg, gerade in der letzten Phase, wenn Sie unterschlagen: Jesus bietet uns das ewige Leben an. Eine Kirche, die nichts von der Ewigkeit predigt, hat nichts Wesentliches mehr zu sagen. Die biblische Botschaft der Auferstehung Jesu ist so gewiss, dass die Apostel für sie ihr Leben gegeben haben. „Jesus lebt – mit Ihm auch ich, Tod, wo sind nun deine Schrecken,“ das ist die Botschaft Jesu und seiner Apostel. Nicht aber die Botschaft der „modernen“ Vernunftapostel, die glattweg die leibliche Auferstehung Jesu leugnen.
Verehrter Herr Ratsvorsitzender, ich hätte dies alles nicht geschrieben, wenn ich nicht noch Hoffnung in meinem Herzen hätte.
Folgende Grundgedanken möchte ich Ihnen zurufen:
- Wir, die wir die Kirche finanziell und geistlich tragen, können und sollen fordern, dass vakante Pfarrstellen nicht wegrationalisiert, sondern neu besetzt werden. Das mag eine finanzielle Herausforderung sein, sollte aber glaubensmutig angegangen werden.
- Das heißt auch, dass Absolventen der staatlich anerkannten Freien Theologischen Hochschulen den universitär und kirchlich ausgebildeten Absolventen gleichgestellt werden und sich auf einen Dienst in einem Pfarramt bewerben können.
- Geben Sie den Gemeinden ihr Recht zurück, „alle Lehre zu beurteilen und Lehrer, d.h. Prediger, zu berufen und abzuberufen.“ Nicht die Konsistorien, sondern die Gemeinden haben dieses Recht – so wahr Luther das gefordert hat und wir „Evangelisch-Lutherische“ Kirche sind.
- Nur, wer an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn glaubt, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, kann ohne innere Verkrampfung das Glaubensbekenntnis der Gemeinde mitsprechen. Ohne diesen Glauben ist es Heuchelei.
Dies schreibe ich in großer Sorge um unsere Evangelische Kirche,
Ihr Uwe Holmer
Quelle: Netzwerk Bibel und Bekenntnis