Quo vadis, Deutschland?

Von Hermes

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Zustandsbeschreibung

Warnung vorab: Dieser Beitrag wird vielen nicht gefallen. Gerade diejenigen, die zu ähnlichen Schlußfolgerungen kommen, dürften sich noch unwohler fühlen.

Lieber Leser, dieser Beitrag ist zweigeteilt. Zuerst habe ich ein bißchen philosophiert, wie man Aussagen über die Zukunft treffen soll. Denn die Chance, da richtig zu liegen, liegt ja nahe 0%, da sich nichts in der Welt linear entwickelt und alles eine Eigendynamik hat. Das stelle ich als P.S. ans Ende, da es die wenigsten interessieren dürfe.

Die Schlußfolgerungen sind also nun „executive overview“.

Dieser Artikel ist eine Einladung an die Leser zu einem Gemeinschaftswerk. Selbstverständlich hat jeder eine andere Meinung zu solchen Themen. Crowd intelligence wäre, aus verschiedensten Antworten Teilmengen zu bilden. Wo sind sich alle sicher? Das könnte der Zukunft Deutschlands dann schon recht nahe kommen. Ich meine keinen Konsens, Konsens ist doof. Ich bin nicht mal im Konsens mit mir gestern, weil ich ja heute schon wieder gelernt habe. Ich meine eher einen Prozeß des Abwägens und Filterns, gemeinsamen Lernens.

Milton Friedman hat in den 1950 einmal schlüssig begründet, warum eine Volksvertretung, gebildet aus den ersten 100 Einträgen im Telefonbuch von Chicago, bessere Entscheidungen treffen würden als Berufspolitiker. Das ist Crowd Intelligence.

Was morgen ist, wissen wir nicht. Aber es wird im Wesentlichen eine Fortführung des heute sein. Ändern wir uns jede Nacht? Nicht einmal Große Ereignisse wie Spanische Grippe, Pearl Harbour oder Hiroshima ändern viel. Dazu bräuchte es schon Kometeneinschläge wie den, der den Dinosauriern den Garaus machte und unseren nagerartigen Vorfahren eine Chance gab. Also entsteht das Morgen aus dem Gestern und Heute.

Nehmen wir also heutige Phänomene und wenden wir normalen Menschenverstand an.

  • Sie sind hoffnungslos verschuldet und haben die Schulden nicht renditeträchtig investiert, sondern verkonsumiert: Sie gehen pleite, individuell oder als Staat.
  • Sie haben sichere und billige Energiequellen abgedreht und unsichere, teure angeschafft? Sie haben keine Energie mehr, keinen Strom und keinen Sprit. Wenn die Netzspannung von 50 Hz nur um sehr geringe Werte schwankt, sind alle Trafos hin. Sie haben über Monate oder Jahre keinen Strom, damit auch kein Wasser, kein Geld, kein Essen, keinen Sprit, kein Internet. Ende Gelände. Selbst für Preppies ist irgendwann Schluß.
  • Die Mehrheit der Menschen „kann nichts“. Sie sind Beamte und Angestellte. Sie können nichts herstellen, nichts reparieren, nichts bauen, nichts pflanzen und schlachten. Wenn die moderne Welt nicht funktioniert, sind sie eine auf dem Rücken liegende Schildkröte.
  • Die Mehrheit der Jugend kann und will nichts. Mit Berufsziel Beamter oder Influencer können sie mit 1-er Abi und (ich gebe Nachhilfe) nicht rechnen, reden, schreiben. Ohne Smartphone finden sie kaum aus der Nachbarstadt nach Hause.
  • Die Mehrheit der Menschen hat kaum Eigentum und Erspartes, das ist seit langem „uncool“. Ihr Wohnraum gehört ihnen nicht, Sparen wird seit 10 Jahren bestraft. Sie haben wenig Reserven für Notzeiten, und davon oft ein Großteil auf einem Konto, das ohne Strom nicht funktioniert.
  • Dies Konto und ihr Vermögen liegt in der EU. Wenn Deutschland und die EU pleite gehen, ist es wahrscheinlich futsch. Um Staatsschulden zu begleichen, oder … Politiker sind da sehr kreativ.
  • Falls Sie ein Häuschen haben: Die linke Weimarer Republik erfand den Hauszins auf Immobilienbesitz. Falls Sie noch einen Kredit offenhaben, könnte es Ihnen passieren, daß nur Ihre Guthaben eingezogen werden, Ihr Kredit aber weiterbedient werden muß bis zur Zwangsversteigerung, und Sie den Hauszins bis zur Grundbuchumschreibung schulden.
  • Sie sehen, ich gehe hier nicht auf die oberflächlichen Themen wie Cancel Culture und Verblödung ein, sondern erwähne lediglich einige existentielle.

Ohne auf all die vielen anderen Einzelthemen einzugehen: Dies geht nicht gut. Wer grinkslüne feuchte Träume ablegt und sich an uralte Einsichten und (wirtschafts-) historische Fakten hält, weiß: Das geht nicht gut.

Man mag nun Markus Krall oder Marc Friedrich dazu lesen oder mit vernünftigen Freunden diskutieren, allen ist klar: Der Zusammenbruch von Deutschland und EU ist keine Frage des Ob, sondern lediglich des Wann. Und des „Wie genau“.

Für heute soll mich das gar nicht so sehr interessieren, sondern „Deutschland, quo vadis“ verstehe ich als? Was wird danach?

Versuchen wir eine sehr allgemeine Beschreibung der Situation, die kommen muß:

  • Pleite sind nicht nur EU und ihre Mitgliedsländer wie Deutschland, sondern auch die meisten Bürger. Eventuell Sie und ich, ein Großteil Ihrer Familie, Freunde, Gemeinschaft, etc. Wer pleite ist, kann nichts für Geld bekommen, nur für eigene Leistung im Austausch.
  • Den großen Blackout lassen wir hier lieber weg, dann geht es nämlich innerhalb von Tagen um Totschlag, Mord, Raub, um den kompletten Zusammenbruch der Zivilisation. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung in städtischen Wohnungen Tage ohne Wasser, Essen, Strom ist, reden wir von Raubzügen, gegen die die Hunnen Kindergarten waren. Die sterben nicht duldend.
  • Nichts funktioniert. Kein Staat, keine Ordnungsmacht. Moral? Na ja, wie moralisch sind wir denn heute im Überfluß? Wir reden von totaler Anarchie, dem Gesetz des Stärkeren, vom „Herrn der Fliegen“. Dagegen sind Orwell und Huxley ein Wunschkonzert.

Wenn solches und anderes mehr sich ausgetobt hat, steht kein Stein mehr auf dem anderen in Europa, das ist weit schlimmer als 1945.

Was könnte danach passieren? Dies ist natürlich Spekulation, aber ich versuche, historische Kontinuitäten anzuwenden.

  • Es wird politische Einheiten geben, die sich als deutsch empfinden. Wird dies „ein Deutschland sein“? Liegt nicht der Schluß nahe, daß dieses Deutschland Grund für den Zusammenbruch war? Werden nicht Bayern, Sachsen, etc. dem „arm, aber sexy“ – Berlin Lebewohl sagen? Werden andere von außen sich diesem Deutschland anschließen wollen? Österreich, Schweiz? Sie kennen die Antwort. Würden Sie persönlich das Nachkriegsdeutschland wieder aufbauen oder Baden-Württemberger sein wollen? Diese ganzen kranken Nachkriegskonstruktionen! Reden sie mal mit einem Badenser über die Schwaben et vice versa, mit einem Reutlinger Unternehmer über das grüne Gesocks in Freiburg … Es bietet sich die Möglichkeit an, daß die jetzige BRD sich auflöst in die historischen Einheiten des HRRDN oder zumindest die vor 1871, in einem lockeren Vertragsverbund, vielleicht mit Freihandelszone. Wobei ich als Bayer die linken Franken ihrem Schicksal überließe.
  • Würden die Deutschen sich bewußt für Erhards Freie Marktwirtschaft und die Wohltat des Kapitalismus entscheiden? Sicher nicht. Das wollten sie noch nie. Lesen Sie zu Erhards Währungsreform, das war ein genialer Coup, eine Nacht-und-Nebel-Aktion gegen den Willen der Amis und der Deutschen, eine heroische Einzeltat, die ja sehr bald durch den Wohlfahrtsstaat ausgehebelt wurde. Das Wahrscheinlichste ist also, daß die künftigen politischen Gebilde auf kulturell deutschem Raum weiter sozialistisch verarmen werden auf sehr niedrigem Niveau (denn es ist ja schon alles weg).
  • Es gibt allerdings Faktoren, die dem entgegenwirken werden:
    1. Die Existenz verschiedener deutscher Staaten erlaubt dann wieder die Abstimmung mit den Füßen. Baut Berlin Mist, ziehe ich nach Brandenburg. Baut der Norden Mist, ziehen die Bürger in den Süden. Das ist die Stärke des Föderalismus, also des Wettbewerbs zwischen politischen Einheiten. (Das Problem, daß dekadente Berliner und Kalifornier nach Bayern und Texas ziehen, dort aber weiter grinkslün wählen, ist sehr real und bisher ungelöst.)
    2. Wenn das Internet wieder läuft und Deutsche vielleicht wieder Bücher lesen, wird ihnen folgendes auffallen: Sie sind arm wie Kirchenmäuse gegenüber stark föderalen Staaten wie Schweiz und USA (falls Amerika dann nicht in USA und Free States of America gesplittet sind, zu jenen wird die Differenz noch größer sein). Vielleicht denkt dann ja mancher über die Gründe nach, wenn er nach mehr Wohlstand und Lebensglück strebt.
  • Militärisch gesehen werden die deutschen Staaten in dieser Zeit keine größeren Probleme haben. Völlig verarmt, will niemand einwandern und sieht sie niemand als Gefahr. Sie sind dann wie Rußland heute. I bääh, keiner will hin, keiner will so sein, keiner will sich die als Untertanen ans Bein binden. Die kulturell stärkeren Einheiten wie Frankreich und England werden lediglich wie vor Bismarck Verträge und Ententes schließen, damit Deutsche keinen Ärger machen.
  • Kulturell gesehen hat Deutschland so abgehalftert, daß auf ein halbes Jahrhundert nichts zu erwarten ist. Mit der Zerstörung des humanistischen Gymnasiums, auch der beruflichen Ausbildung, wie die Zünfte sie seit 1000 Jahren perfektioniert hatten bis zur Weltspitze vom Lehrling bis zum Meister, mit der totalen Perversion des gesamten Bildungssystems braucht es nach dessen Zerstörung und Neugründung zwei Generationen, damit da wieder satisfaktionsfähige Geister entstehen.
  • Rein wirtschaftlich gesehen scheint mir der Weg unklar. Nach Verdammung und Vertreibung des Unternehmertums deuten die Berufswünsche heutiger Schulabgänger darauf hin, daß mit denen weniger anzufangen ist als mit den Einwanderern von 2015/16. Der totale Zusammenbruch des Staates befördert dann aber Unternehmertum nahe dem Nullpunkt, und vielleicht haben viele Deutsche zumindest noch eine Erinnerung an ihre Sekundärtugenden und technischen Fähigkeiten. Hier läßt sich nur spekulieren, aber die Inder sind nun mal gut bei Mathe, die Schweizer gut in der Feinmechanik, die Chinesen hochintelligent darin, Dinge in der Schwebe zu lassen und vieles gleichzeitig zu bedenken, und die Amis hochinnovativ und mutig. Solches könnte Grund zu Optimismus sein.
  • Religiös gesehen scheint mir die Frage ebenfalls offen. Bis zu Papst und EKD sind Kirchen in Deutschland völlig verkommen, da ist wenig, worauf man aufbauen könnte, bis auf das Wort Gottes selber und die herrlichen Kirchen Deutschlands. Wie immer muß erst das Verdorrte zerstört werden, bevor die neuen Triebe sprießen werden. Dann aber könnte vielen auffallen, daß es ein Christentum gibt, das Europa bis 1900 groß machte, in den dann noch reichen Staaten wie FSA und Schweiz durchaus lebendig ist, und Europa erst zu sterben begann, als Marxismus und falsch verstandene Aufklärung das Christentum beendeten. Da es in Europa sowieso keine andere Tradition als diese gibt, tippe ich, daß die Kirchen dann wieder voll und die Yoga-Kurse unbesucht sind. (Unter Bezug auf Ecos „Name der Rose“, Thomas Müntzer, Savonarola: Aus dieser Ecke wird allerdings auch Mord und Totschlag von Extremisten kommen.)

Natürlich lassen sich solche Spekulationen endlos fortführen. Da Deutschland ja in Europa existiert, und ähnliche Probleme wie uns auch andere Staaten plagen, möchte ich für heute mit einem Blick auf die europäischen Nachbarn schließen. Wir sind ähnlich und verschieden. Sie werden in ähnlichen Situationen sein. Denn auch sie sind unchristlich, gottlos, anti-kapitalistisch, überschuldet, deindustrialisiert, etc. Europa wird der hungernde Appendix Eurasiens sein wie zu Zeiten Attilas, Siegfrieds, Rolands.

Unter diesem Druck werden auch andere Staaten zerfallen. Belgien zuvörderst, Italien genauso. Wenn die Österreicher schlau sind, schießen sie den Großraum Wien ab. Die Katalanen, die Bretonen, die Schotten?

Was ist, wenn den Menschen bewußt wird, daß Stadt- und Landbevölkerung sich dramatisch unterscheiden? Im Mittelalter begann das unglaubliche Wachstum der Stadt durch bürgerliche Tugenden, Arbeitsteilung und Handel. Die Tausende freier Reichsstädte direkt unter dem Kaiser zogen ihr Umland mit. Heute ziehen durch „Föderalen Finanzausgleich“ genannte Plünderung die Städte den Bürgern das Fell über die Ohren. Lassen wir die mal wieder frei, z.B. Berlin und Paris und Wien … Und dann sind wir mitten in der politischen Landkarte des HRRDN!

Als begeisterter Hobbyhistoriker und überzeugter Europäer wollte ich dies schreiben, um auf historische Trends hinzuweisen. Vor Titussäule und Akropolis fühle ich mich daheim wie in Rothenburg o.d.T., in Stratford upon Avon wie am Blauen Main. Fernand Braudel war ein Historiker, der den Terminus „longue durée“ erfand: Geschichtsschreibung nicht als Aufzählung von Daten und Fakten, sondern als Versuch, die ganz großen Trends zu erkennen.

Europa und Deutschland dürften solchen langen Trends unterliegen wie bisher alles im menschlichen Leben. Wir können der Geschichte nicht entfliehen. Wir können sie nur studieren, zu verstehen versuchen, lernen, und dann behutsam und demütig die Zukunft zu gestalten uns zu bemühen.

Ich bitte um Verständnis, daß man zu solch einem Thema kein Essay schreiben kann, sondern nur einen essai, also einen Versuch und Schuß ins Blaue. Es ist eine Einladung an die Leser, darüber nachzudenken, ob sie glauben, daß der jetzige deutsche Staat eine Zukunft hat – und was sein könnte, falls nicht. (Aus der Geschichte wissen wir ja, daß jeder Staat sein Ende findet.) Was das für sie bedeutet, ob es sie und ihre Lieben betreffen könnte. Was sie tun könnten. Und für historisch Interessierte, was danach werden könnte.

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Ich bitte auch um Verständnis für orthographische oder andere Fehler, immer wieder finde ich leider übersehene Fehler im Nachhinein bei (nun) Maria Schneiders conservo.

Vergangenheit und Ausblick

Jeder Mensch, jedes Land, jede Fliege und jedes Universum ist immer auf dem Weg. Die Vergangenheit ist gewaltig und kann teils gewußt sein, die Zukunft ist gewaltig und immer ungewiß, das Jetzt ist ein infinitesimal kleiner Punkt auf der Zeitachse. Dies Jetzt können wir im Jetzt selber unmöglich verstehen, denn im Zeitpunkt des Verstehens ist es schon ein „damals“. Wir taumeln vorwärts.

Indische Kulturen sind überwältigend in ihrer Fähigkeit, das Sein des Menschen auf das Jetzt zu konzentrieren, das liegt uns Wessis aber nicht so. Und was die Beatles und Bhagwan im Westen unverdaut angeschleppt haben, führt kaum zu größerem Verständnis des Jetzt im Westen, eher zu esoterischem Schmarrn wie VHS-Yoga-Kursen (nichts gegen diese, sicher gut, haben aber mit Yoga nichts zu tun, schaden tun sie trotzdem nicht). Also sollten wir es weiterhin auf die gute alte Art angehen.

Sind wir bei Nebel im dichten Wald auf unserem Weg, hilft es, zu sehen, wo wir hinwollen. Meist gibt es Gründe, dort hin zu wollen, und die haben damit zu tun, wo wir herkommen. Niemand steht mit Amnesie im Wald und will irgendwo hin. Wir sind immer auf einem Weg zu einem Ziel.

Beim jungen Menschen ist eher der Weg das Ziel. Sein innerer Ruf lautet, die Möglichkeiten des Lebens – und seine eigenen – zu erkunden, Abenteuer zu suchen. Je älter er wird, desto eher wird er manches vermeiden, anderes suchen, zielgerichteter vorgehen, Ziele zu erreichen.

Beim Weg durch den dichten Wald im Nebel haben wir verschiedene Hilfsmittel. Mancher vertraut den eigenen Sinnen, Kompaß und Karte mit Wegmarken und Menschen, die er trifft. Mancher hat „Smartphone“ mit Navi. Beide erreichen – hoffentlich – ihr Ziel.

Das Vertrackte: Sobald das Ziel erreicht ist, sucht man sich neue Ziele … Klatscht man sich nach Meisterprüfung, Diplom oder ersten Aktiengewinnen, nach der Hochzeit mit der Angebeteten oder Erklimmung des K2 selbst auf die Schulter und hört auf, zu streben und im reinen Jetzt zu ruhen?

Auf dem Weg zum nächsten Ziel sind wir auf dem Weg zu neuen Zielen, von denen wir nichts ahnen. Auf einem sehr langen Weg bis zum letzten Atemzug, dem Abenteuer des menschlichen Lebens, den wir immer nur bis zum nächsten Zwischenziel kennen und verstehen.

Da wäre es doch hilfreich, wenn wir verstünden, woher wir kommen. Aber auch das verstehen wir nicht. Jeder einzelne Mensch ist gebacken aus einer Mischung von Genen, Zufällen, IQ, Chancen und Unglücksfällen, Lehrern und Mentoren, Medien und Zeitgeschichte, daß es länger dauerte, ein Leben aufzuschreiben, als es zu leben.

Wie Sokrates verbringen wir unser Leben damit, zu verstehen und zu lernen, um kurz vor dem Sterbebett zu sagen: „Ich weiß, daß ich nichts weiß.“ (Mit ihm wünsche ich jedem, daß er jeden Moment seines Lebens ausgekostet hat, um solch finale Bescheidenheit erreichen zu können.)

Was hat all dies nun mit der Überschrift zu tun?

Wer sich je mit Statistik, vor allem Stochastik und Kombinatorik, beschäftigt hat, war erstaunt: Wir wissen nicht, wie der Würfel fällt. Wenn er aber 1000 mal fällt, ist das Resultat erstaunlich nahe bei einem Sechstel, also ca. 167. Wer Gauss´sche Glocken und Paretos Optimum kennt, weiß, daß man auf größere Einheiten durchaus Naturgesetze der Wissenschaft und Vernunft anwenden kann – und sollte, falls man sich für die eigene und/oder politische Zukunft interessiert.

Übertragen wir solche eher „wissenschaftlichen“ überall meßbaren Betrachtungen auf die Geschichte. Gibt es nicht ähnlich feststellbare, aber unmeßbare rote Fäden durch die Geschichte Chinas, Indiens, Persiens, Ägyptens, Englands oder Skandinaviens? Frankreichs, Spaniens, der USA, Japans oder des Baskenlandes? Südafrikas oder Perus? Ich persönlich meine: Selbstverständlich gibt es diese.

Weit schwieriger wird es bei den stark atmenden Kulturen. Osmanisches Reich, Mongolen, Azteken, Alexander und die Diadochen, Europa nach Rom, Venedig und Florenz, Karthago und Skythen.

Diese waren gekennzeichnet durch hohe Attraktivität und Macht in schneller Expansion (halb zog sie ihn, halb sank er hin) und schnelle Kontraktion aus dem Zentrum heraus (sogenannte Barbarenstürme waren meist Anlaß, nicht Grund).

Auf Grund dieser kleinen Meditation zu Standort, Ziel und Herkunft und zu Auf und Ab von Kulturen in der Weltgeschichte möchte ich heute nicht wie sonst gerne meine Thesen niederschreiben, sondern lade ein zu einem Brainstorming über „Quo vadis, Deutschland“.

Ein Non-Event, wo der Autor die Leser einlädt, den Artikel selber zu schreiben. Ich könnte mir vorstellen, daß Korrektheit der Fakten und Schlüssigkeit der Argumente dabei eine Rolle spielen. Vielleicht schreiben wir alle zusammen die Antwort? In Leder gebunden? Für die Nachwelt, die überprüfen wird, ob dies Werk gehaltvoll ist?

Ich stelle einige Gedanken und Fragen zur Disposition für Interessierte.

  • Was ist Deutschland?
  • Seit wann gibt es das?
  • Welche Worte werden in verschiedenen Sprachen für „Deutschland“ verwendet, worauf läßt sich aus tedeschi, Germany, Allemagne, teutoni etc. schließen?
  • Ist Geschichte „der Deutschen“ deutsche Geschichte?
  • Warum meinen viele Deutsche, deutsche Geschichte sei preußische Geschichte?
  • Stimmt das? Kennen sie preußische Geschichte? Wissen sie, was Preußen war?
  • Wissen wir, warum die Revolution von 1848 und die Geschichte um die Frankfurter Paulskirche verlief, wie sie verlief?
  • Hat Deutschland einen Gründungsmythos, eine gemeinsame uralte Geschichte, oder patriotischen Stolz, den es gegenüber Patrioten anderer Länder glaubhaft begründen kann?
  • Begriffen Siegfried, Dürer, Luther, Goethe sich als Deutsche?
  • Was schließen wir daraus, daß das HRRDN von Karl bis Napoleon 1000 Jahre Bestand hatte in all seiner Fragilität und Atmungsfähigkeit?
  • Was daraus, daß dieses Reich – durch die vertraglichen Bindungen des Feudalismus – mehr Rechtsstaat war als unser heutiger Staat?
  • Was schließen wir daraus, daß das sich hierauf beziehende Tausendjährige Reich 12 Jahre schaffte und in der Zeit mehr Menschen umbrachte als die versammelten 4 Jahrhunderte vorher? (Vor dem Dreißigjährigen Krieg wird die Zählung zu ungewiß, und die Sowjetunion ist hier auch ausgelassen, der allmächtige Staat hatte 1945 vielleicht schon mehr eigene Bürger umgebracht als die Nazi jemals Bürger und Soldaten über die Klinge springen ließen.)
  • Was schließen wir daraus, daß verschiedenen politischen Einheiten Europas große Dauer innewohnt, anderen keine? Vergleichen Sie Schweiz und England mit Polen, das sie je nach Jahrhundert mal hier, mal dort oder auch gar nicht finden? Was schließen wir daraus, daß Habsburg und vor allem dem HRRDN (die wir heute eher belächeln) solch erstaunliche Kontinuitäten innewohnten?
  • Was war die Ordnung des 19. Jhdt. in Europa (und den USA), und warum bescherte sie so lange Wachstum und Wohlstand?
  • Was war die (Un-) Ordnung von 1914-1949?
  • Was ist die Ordnung seit 1949? Was sind die wesentlichen Stärken und Schwächen?
  • Was schließen wir daraus, daß keine der fünf Kern-Institutionen der EU je demokratisch legitimiert wurde (das Parlament natürlich de jure schon, deswegen hat es ja nichts zu sagen)?
  • Zu welchen Schlüssen kommen Sie, wenn Sie Theorie und Wirklichkeit dieser EU vergleichen mit den Kernvorstellungen des Great Reset und des Marxismus?
  • Wird diese Ordnung, an die die Welt gewöhnt ist, weiterbestehen? Warum nicht? 😉
  • Was bleibt, wenn diese Ordnung verschwindet?
  • Welche Kräfte werden die neue Ordnung bestimmen?
  • Was hat militärische und politische Macht mit wirtschaftlicher Macht zu tun?
  • Was hat militärische Macht mit kultureller Attraktivität („Soft Power“) zu tun?

Mir scheint, wenn man Antworten zur Zukunft Deutschlands sucht, sollten die auch Antworten auf solche und ähnliche Fragen enthalten.

Quo vadis, Deutschland? Trends setzen sich fort, solange sie nicht durch Trends gebrochen werden. Dies ist jetzt wissenschaftlich nicht korrekt, aber die herrschenden Trends werden nur durch „Killerwellen“ gebrochen. Wissenschaftlich korrekt gewesen wäre, daß sich durch Kreuzwellen aus verschiedensten Gründen kleinere Wellen zufällig gegenseitig so verstärken, daß sie zu „Killerwellen“ werden.

Ich wollte diesen Artikel nicht unnötig verlängern, aber Deutschlands einzelne Probleme seit vielen Jahrzehnten wurden nie gelöst. All die einzelnen Wellen schaukeln sich gegenseitig auf …

Allein die Trends der letzten Jahre sind beängstigend: Die kommenden Stromabschaltungen durch Versorger, weil die Stromrechnung nicht mehr beglichen werden konnte wegen staatlichen Versagens an höchsten Stellen … Weiter zunehmende (Gewalt-) Kriminalität allerorten … Außerkraftsetzung und Bekämpfung der Grundrechte durch den Staat selber … Nullzins und Stagflation wie in der linken Weimarer Republik … Langfristig untragbare Verschuldung, bei der niemand davon ausgehen kann, daß sie zurückgezahlt wird, der finanzielle Zusammenbruch des Staates also bereits einkalkuliert ist. Schulen so schlecht und Schüler so dumm und unerzogen, daß Unternehmen sich weigern, jungen Menschen auch nur ein unbezahltes Praktikum anzubieten. Fachkräftemangel bei Millionen Empfängern von Stütze. Was wird all dies bewirken?

Zurück zu den Anfängen der BRD, mit Ludwig Erhards Marktwirtschaft und Hilfe für wirklich Bedürftige. Mit fast 10 Millionen Vertriebenen aus Ostgebieten, die nichts hatten, nicht beliebt waren und zu mit den wichtigsten Stützen des jungen Staates wurden. Wo bereits 1969, keine zwanzig Jahre nach der Gründung, Professoren und Studenten marxistisch-maostische Bekloppte wurden und überzogene Lohnforderungen die Stagflation der 70´er Jahre und damit den Auszug von Industrie und Arbeit beginnen ließen.

Weiter zurück zum unglaublichen Aufstieg Deutschlands (das es so nicht gab, der Staaten, die man als deutsch sah) nach dem Wiener Kongreß. Es herrschte eine Mischung verschiedenster historischer Zufälle vor. Der wunderbar musische, hochgebildete und politisch-strategisch so erfolgreiche Friedrich II. hinterließ einen extrem schlanken Staat mit großartigen Dienern, darunter Humboldt, der uns das humanistische Gymnasium mit seinem Fokus auf klassisches Erbe schuf. Sogar Holocaust-Überlebende sagen, daß Deutschland 1933 die gebildetste Nation der Welt war.

Bis 1918 bekam jeder Herrscher, der seinen Untertanen etwas abknöpfen wollte, ordentlich auf die Finger oder in die Fresse, sogar 1914 nach Industrialisierung und Aufrüstung lag die Staatsquote bei 10%. Die Deutschen lebten nicht nur die traditionellen christlichen Tugenden, sondern auch die Sekundärtugenden wie Fleiß und Disziplin (leider zuviel Gehorsam, wie wir sehen). Die Deutschen, seit Jahrhunderten England nicht nur durch engste adelige Bande verbunden, sondern auch durch große Bewunderung (Wilhelm II. und Hitler waren „neidische Fans“ angelsächsischer Erfolge), waren auf dem Kontinent erfolgreicher als alle anderen in der Übernahme von Kapitalismus und Freihandel.

1914 waren 45% wichtiger wissenschaftlicher Abhandlungen der Welt auf Deutsch. Deutsche Pharmazie, Chemie, Medizin, Metallprodukte dominierten die Welt, die Deutsche Bank finanzierte Bahnen nach Bagdad, die Aufzählung ist endlos, die Welt hatte staunend zugeschaut.

Zwei Dinge sollten uns zu denken geben:

Die damals bedeutendsten großen Industrien der Welt wurden im freien Kapitalismus 1871-1914 geschaffen, die Siemens´ und Mannesmanns. Seitdem hat Deutschland außer der Garagenfirma SAP nichts mehr zustande gebracht. Die Unternehmen, die es noch gibt, haben den Wert eines Start-ups in USA, sie produzieren zu 80% im Ausland, BASF baut das größte Chemiewerk der Welt in China. Deutsche Industrie ist völlig bedeutungslos und am Ende.

Kulturell hat Deutschland grob ab 1800 nichts mehr zustande gebracht. Die zehn größten Komponisten der Welt hinter Bach sind alle „deutsch“, aber von vorher. Goethe ist nicht schlecht, aber großartig eher als Lebenskünstler, mit den Shakespeares und Dantes ist er nicht zu vergleichen. Schinkel ist eher eine Fabrik für Klassizismus. Die deutsche Nation ist 1848 und 1871 ohne den vielbeschworenen Geist entstanden.

Das bedrückendste – und gefährlichste – ist aber: Die Deutschen haben keine Tradition der Freiheit. Sie wollen keine, haben Angst vor ihr, lehnen sie ab. Sie wollen einen starken Staat, der sie ans Patschehändchen nimmt.

Hambacher Fest und Paulskirche standen für Freiheit, eher für Nationalismus: „Freiheit von“ Monarchen, nicht „Freiheit für“ Bürger und Individuum. 1871-1914 wurden in nationalem Taumel gelebt, 1918-1933 unter linken Regierungen kam der nicht recht auf, aber dann erst recht.

Seien wir da ganz ehrlich: Das ist der Stern, unter dem wir stehen, und nichts hat diese Staatsgläubigkeit und schlotternde Angst vor Freiheit und Eigenverantwortung dramatischer gezeigt als zwei Covid-Jahre.

Unter Bezug auf deutsche Geschichte besteht Grund zu der Befürchtung, daß „die Deutschen“ nicht nach freien Bürgern, freien Märkten und freier Marktwirtschaft streben werden.

Nicht nach mehr Freiheit vom Staat und mehr Eigenverantwortung streben, sondern nach einem „anderen Staat“, der „mal ordentlich durchgreift“. Das hatten wir, das kennen wir … Das war nicht wirklich schön …

Meine Eltern sind 1939 geboren. Wer ab dem Schulalter konstanten Aufstieg erleben will und ungeboren ist, sollte sich für den Weg entscheiden, der zu 1939 führte. Ich persönlich würde diesen Weg niemandem empfehlen, denn er müßte noch ungeboren sein. Von 1919-1945 wurde vermutlich mehr (auch geistiges) deutsches Vermögen zerstört als jemals zuvor und bis zu EU und EZB. Erst durch eine linke „Demokratie“ und dann durch eine national-sozialistische, also ebenfalls linke, Diktatur.

Quo vadis, Deutschland? Woher wir kommen, bestimmt das, wohin wir streben, mehr als viele ahnen. Dies gilt für politische Gemeinschaften noch mehr als für Individuen. Der Einzelne kann sich schnell ändern, was allerdings nur selten geschieht. In der Gruppe gilt die Schwerkraft der Gruppe, denn der Einzelne ändert die Gruppe nicht. Umsomehr gilt die Schwerkraft der Geschichte, für den Einzelnen, die Gruppe, das Gemeinwesen.

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