Ortstermin: Wie Ministerpräsident Daniel Günther und Bildungsministerin Karin Prien im schleswig-holsteinischen Wahlkampfendspurt den Kontakt zum Wähler suchen.
Eine Reportage von DR.PHIL.MEHRENS
Der Ministerpräsident spricht. Da muss ich hin. Nicht als Journalist diesmal, sondern als Privatmann. Da ja auch das Private politisch ist, eigentlich auch egal, in welcher Rolle. Ganz pünktlich schaffe ich es nicht von der Hamburger Uni zum Wahlkampf in Südholstein. Dafür erscheine ich – passend zum grünen Koalitionspartner der Christdemokraten – mit Veloziped und kleinem CO2-Fussabdruck auf dem Marktplatz.
Leider ist Daniel Günther bereits fertig mit seiner Rede. Der Platz hat sich geleert. Es herrscht die Atmosphäre eines normalen Kleinstadt-Wochenmarktes. Dabei hatte die Regierungspartei doch fleißig plakatiert. Vor einem CDU-Stand mit Werbeartikeln und Sonnenschirm sieht man den frisch von CoVid-19 Genesenen im Gespräch. Brav reihe ich mich ein in die Schlange derjenigen, die ihrem Ministerpräsidenten ein paar Fragen stellen möchten. Vor mir steht ein junger Mann, der irgendwas mit Landwirtschaft zu tun hat. Wir kommen ins Gespräch. Den Weiterbau der A20 findet er wichtig. Die Grünen findet er auch nicht verkehrt. Ich sage: „Das Klima schützen und Autobahnen bauen, das passt irgendwie auch nicht zusammen.“ Wir finden einen gemeinsamen Nenner: dass Baerbock kein desolaterer Außenminister ist als Heiko Maas. Endlich ist der A20-Mann am Zuge. Seine Wahlstimme sei noch nicht vergeben, eröffnet er das Gespräch und kündigt zwei wichtige Anliegen an. Nummer eins kenne ich schon: die A20. Da rennt er bei Daniel Günther offene Türen ein. Die Ost-West-Verbindungen in Schleswig-Holstein seien ja generell ein Fiasko. Da müsse jetzt was passieren – die CDU ist dabei.
Die zweite Pein, die meinem Vorredner zu schaffen macht, sind die explodierenden Immobilienpreise. Der Ministerpräsident verwertet die Flanke sportlich, indem er der total kontraproduktiven Mietpreisbremse einen kräftigen Tritt verpasst. Bauunternehmer schrecke die nur ab. Schnell werden sich Untertan und Landesfürst einig: Mietpreisbremse ist Mist. Günther wechselt taktisch geschickt über zum Thema Steuerpolitik und punktet mit der schicken Idee, die 6,5 % Grunderwerbssteuer für Erstimmobilienerwerber zu streichen. Ich ertappe sogar mich selbst bei einem kleinen Jubelruf. Dabei fehlt mir auch ohne die lästigen 6,5 % immer noch das nötige Kleingeld für eine neue Eigentumswohnung. Da muss es noch andere Probleme geben.
„Spekulanten“ betrachtet mein Vorredner abschließend als allen Übels Wurzel und signalisiert, es sei es nicht unwahrscheinlicher geworden, dass er am Sonntag CDU wählt. Jetzt bin ich dran. Wäre dran gewesen, wenn mir nicht ein überengagierter Bürgerratssprecher, der sich nicht hinten angestellt hat, von vorne in die Parade gefahren wäre. Er präsentiert unter reger Anteilnahme lokaler Medienvertreter und Pressefotografen zwei Schülerinnen, offensichtlich mit Migrationshintergrund. Eine trägt Mundschutz, die andere nicht. Die Mädels sind in einem Bürgerratsprojekt dazu auserkoren worden, eine Frage an den Ministerpräsidenten zu richten. Nun kommt sie – tadaa! –, die Frage, gestellt von dem Mädchen mit Maske. Sie lautet: „Wollen Sie was für die Schulen tun?“ Welch eine Steilvorlage! Der Chef der Landesregierung kann gleich eine ganze Liste von Maßnahmen aus der letzten Legislaturperiode herunterbeten und läuft im vollen Bewusstsein der maximalen Aufmerksamkeit, die Kinder unter den Umstehenden auslösen, zu Hochform auf. Gebe es noch eine andere Frage? Der CDU-Spitzenkandidat hat sein Pulver noch lange nicht verschossen. Das andere Mädchen, das ohne Maske, ist unzufrieden mit der schulischen Vorbereitung auf das vor ihr liegende Berufsleben. Kaufmännische Grundlagen, geschäftliche Dinge stünden nicht auf dem Lehrplan. Der Landeschef verweist auf das Fach Wipo (Wirtschaft und Politik). Das gebe es nicht, erklärt das Mädchen. Ihr Bürgerratsmentor bestätigt. Das habe er gar nicht gewusst, bekennt der Ministerpräsident entwaffnend ehrlich. Aber da vorne stehe seine Bildungsministerin. Die sei ja eigentlich auch die bessere Ansprechpartnerin zu dem Thema.
Auf die Idee hätte er auch früher kommen können, denke ich. Die Zwischendrängler haben mich Zeit und Nerven gekostet. Jetzt bin also i– Plötzlich drängt sich ein Sprecher von Fridays for Future in den Vordergrund. Da seien einige Vertreter der Klimaretter, die auch noch ein paar Fragen hätten. „Die können sich ja hinten anstellen“, rufe ich dazwischen. Auch der Ministerpräsident redet jetzt erst mal lieber mit mir als mit den zum Teil als schroff verschrienen Aktivisten von der Klimafront. Und ich darf nun endlich warnen vor einer Koalition mit den Grünen, deren enge Verflechtung mit dem Linksextremismus und Genderismus sie in meiner melodramatischen Verknappung und Zuspitzung zu notorischen Wölfen im Schafspelz macht.
Der CDU-Spitzenkandidat versprüht immer noch den Charme eines 15-Jährigen, über den sich schon vor fünf Jahren Kabarettisten mokierten. Inzwischen spottet keiner mehr. Günther hört zu und räumt ein, beim Blick auf die Liste der potenziellen bündnisgrünen Nachrückerinnen von einem gewissen Unbehagen ergriffen worden zu sein. Und der Gender-Mumpitz sei auf Geheiß seiner Bildungsministerin in den Schulen verboten worden. Bei meinem zweiten Thema ist der Ministerpräsident nicht mehr ganz so präsent. Ein Fototermin vor dem Stadtwahrzeichen steht an. Trotzdem bringe ich noch meinen Wunsch unter, doch bitte im CDU-Präsidium den Kampf für einen deutschen EZB-Chef auf die Agenda zu setzen. Ich sage dummerweise „Währungskommissar“, weil mir der richtige Terminus gerade nicht einfällt. Wahrscheinlich stand ich einfach zu lange in der Sonne. Der Bürgerrat ist schuld.
Zum Glück habe ich das Gefühl, dass der Günther trotzdem versteht, was ich meine. Das macht er richtig gut. Vermutlich hat er heute bei dem Ortstermin-Marathon etlichen dasselbe erbauliche Gefühl gegeben: Ich verstehe, was du meinst. Und deshalb wird es auch zur Nebensache, dass der Landeschef und ich uns bei der Bewertung des Einflusses der Ukraine-Krise auf die aktuelle Teuerung nicht ganz einig werden. Das war angesichts der Passivität der Merkel-CDU gegenüber EZB-Anleihekäufen und -Nullzinspolitik auch nicht anders zu erwarten. Damals war Günther ein getreuer Vasall der Kanzlerin.
Nachdem ich mich warm geschossen habe, reihe ich mich gleich darauf bei Karin Prien ein und muss auch gar nicht warten. Offenbar hat die Ministerin aus den Augenwinkeln beobachtet, wie konfliktfrei das Gespräch zwischen ihrem Chef und mir verlaufen ist, und hält mich für harmlos. Als ich sie jedoch mit dem Eröffnungssatz: „Frau Prien, ich war ganz schön sauer auf sie!“ schocke und das mit ihren Angriffen auf ihren „Parteifreund“ Hans-Georg Maaßen begründe, kann ich ihre Mundwinkel förmlich nach unten sausen sehen. Herr Maaßen sei doch für Konservative eine wichtige Identifikationsfigur, sage ich und verleihe der Hoffnung Ausdruck, dass die auch künftig ihren Platz in der Union haben. Die Bildungsministerin kontert mit Nähe zu „Verschwörungstheoretikern“ und Grenzen, an denen der Inkriminierte haarscharf vorbeigeschrammt sei. Sie wirkt unruhig. Irgendwer winkt wieder zum Fototermin. Das scheint ihr jetzt nicht ungelegen zu kommen. Sie lässt mich stehen, ich sie aber nicht gehen. Hätte sie wohl ein Beispiel für eine dieser schlimmen Maaßen-Entgleisungen? Es kommt etwas zum Thema Impfen, ausgerechnet „auf dem Höhepunkt der Krise“, das ich als völlig legitimen Diskursbeitrag bewerte. Im Weggehen ruft mir die CDU-Frontfrau zu: „Da haben wir wohl unterschiedliche Meinungen.“
„Aber ich habe die Stimme“, erwidere ich. Ich könnte schwören, dass Karin Prien in diesem Augenblick denkt: „Dann gib sie doch der AfD!“ Aber sie sagt es nicht.