Der „Tag des Sieges“ am 9. Mai 2022 – ein schwerer Tag für Wladimir Putin

Quelle: Institute for the Study of War

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist

Quelle: Institute for the Study of War

Diesen Tag des Sieges hatte sich Wladimir Putin anders vorgestellt, er wollte sich feiern lassen als den Sieger über die unbotmäßige Ukraine. Er wollte nach der Eroberung der Krim und der erzielten Dominanz im Donbass den Erfolg über das „Brudervolk Ukraine“ durch die Vernichtung der „Nazis“ in der ukrainischen Führung feiern, was absurd ist.

Da er keinen erneuten Sieg über die Gegner Russlands feiern konnte, musste er am 9.Mai 2022 kleine Brötchen backen. Selbst eine Eroberung von Mariupol war nicht möglich. Der Widerstand im ASOW-Stahlwerk war zu stark für seine geschwächte Truppe.

Er verkündete keine Teilmobilmachung und keine Kriegserklärung in seiner Rede auf dem Roten Platz.

Mit Blick auf die ursprünglichen Kriegsziele Kiew und Lemberg und – nach einem Strategiewechsel in Richtung Donbass – ist das Erreichte mager. Kein Grund zum Jubel. Russland hat es nicht geschafft, gegen den tapferen Widerstand der Ukrainer den erhofften “Blitzkrieg“ zu erzielen.

Die Ursachen sind vielfältig:

  • Putin ist kein erfahrener militärischer Führer, sondern ein erfolgreicher Geheimagent – auch in Deutschland, was die Nähe zu Frau Merkel erleichterte.
  • In der Sowjetarmee gab es geniale Heerführer – wie z.B. Marschall Ogarkow – dessen geniale Ideen nicht verfolgt wurden.
  • Die russische politische und militärische Führung haben die Erfolge im Nahen Osten – z.B. in Syrien – leichtfertig überschätzt. Dort war es die überlegene Luftwaffe, die die Regierung von Assad mit großem Aufwand im Amt gehalten hat.
  • Die militärische Führung der russischen Truppen enttäuschte.
  • Es gab keine nennenswerten Joint Operations und kein „Gefecht der verbunden Waffen“ , diese entscheidenden Gefechtsformen waren nicht erkennbar auf der taktischen und strategischen Ebene.
  • Die Folgen des Tauwetters wurden sträflich unterschätzt. Billige chinesische Reifen stoppten den Vormarsch russischer Truppen durch Reifenschäden im Matsch. Russische Soldaten desertierten und überließen die Gefechtsfahrzeuge kampflos den ukrainischen Soldaten.
  • Die hohen Verluste russischer Generäle sind erklärbar, weil die oberste Führung versuchte, die Mängel bei der taktischen Führung durch Generäle zu kompensieren. Das gelang nur selten.

Mittlerweile gehen Putin die Soldaten aus. Die hohen Verluste in den ersten Tagen und Wochen sind in kurzer Zeit nicht zu ersetzen.

Der Stellungskrieg, der gleichzeitig ein Abnutzungskrieg ist, wird schnelle Durchbrüche russischer Truppen nach Süden verhindern.

Russland verfügt nicht über  ausgebildete und angemessen ausgestattete Reserven.

Die ukrainischen Streitkräfte erzielen Zeitgewinne für die Übernahme westlicher ´Waffen und Geräte sowie der Ausbildung ihrer Soldaten an den leistungsfähigen westlichen Systemen sowie der ununterbrochenen Ergänzung von Waffen und Munition.

Ein wesentlicher Faktor für die Zukunft Russlands ist der zahlenmäßige Rückgang seiner Bevölkerung bei gleichzeitiger Überalterung – verbunden mit der Zunahme von altersbedingten chronischen Erkrankungen.

Die 130.000 russischen Soldaten, die zum Teil schlecht ausgebildet und wenig motiviert waren, reichten nicht aus, um die Ukraine zu erobern.

Am „Tag des Sieges“ von 2022 gelang es Hackern, gezielte Unterbrechungen der russischen TV-Anstalten für kurze Zeit für regierungskritische Einblendungen zu nutzen. Ein interessantes Novum in der russischen Medienlandschaft.

Die Parade auf dem Roten Platz war zahlenmäßig bescheidener als in den Vorjahren.

Die für mehrere Großstädte landesweit angekündigten Flugvorführungen wurden kurzfristig abgesagt – angeblich wegen widriger Witterungsbedingungen.

Welche Optionen hat Putin, einen Umschwung herbeizuführen?

Er könnte fehlende russische Soldaten durch belarussische Soldaten ersetzen. Das gilt auch für Soldaten aus Tschetschenien, die allerdings nicht in dem Ruf stehen, das Kriegsvölkerrecht strikt zubefolgen.

Eine politische Lösung könnte sein, die Ukraine zu teilen und den Donbass Russland zu überlassen.

Leider ist bei dieser Lösung zu befürchten, dass damit der nächste Konflikt ausbricht, wann immer Putin es will.

Ist die Ukraine bereit, sich auf eine solche „Lösung“ einzulassen?

In seiner Rede am 9. Mai 2022 hat Putin die russischen Bevölkerung auf einen längeren Krieg mit vielen Opfern vorbereitet. Es war eine Propagandarede mit vielen Halbwahrheiten und dreisten Lügen.

Wir sollten jedoch gelernt haben, solche Äußerungen ernst zu nehmen. In der Vergangenheit haben deutsche Politiker und Experten die Rede von Putin in München bei der Sicherheitskonferenz 2007 – im Beisein von Merkel – nicht ernst genommen, obwohl er mit klaren, harten Worten jegliche Zusammenarbeit mit dem Westens als sinn- und nutzlos bezeichnet hat.

Seiner Rede in München folgten die bekannten militärischen Erfolge bis zur Einnahme der Krim 2014. Die Reaktionen des Westens waren bescheiden – bis zum russischen Angriff auf die Ukraine. Dieser völkerrechtswidrige Akt hauchte der NATO neues Leben ein.

EU und NATO verhängten harte Sanktionen gegen Russland, die 2014 Wirkung erzielt hätten, aber nicht verhängt wurden. Vielleicht hätte es den Angriff gegen die Ukraine nicht gegeben.

Ein Mysterium bleiben die zahlreichen Todesfälle von Oligarchen und ihren Familien. Waren es „erweiterte Selbstmorde“ oder Bestrafungen?

Zukunftsperspektiven

Putin-Russland hat mit seinem Krieg der Reputation Russlands schwer geschadet. Er hat den Nimbus Russlands als „unbesiegbar“ zerstört. Die Wirtschaft Russlands wird deutlich geschwächt durch westliche Sanktionen – besonders im Bereich der Energiesicherheit. Allerdings dürfen wir Russland nicht abschreiben. Es wird alle Kräfte mobilisieren, den Wunsch Putins zu erfüllen, Russland wieder auf Augenhöhe mit den USA und China zu bringen.

Angesichts der Bevölkerungsentwicklung in Russland wird das nicht gelingen.

Der Westen muss seine Abschreckung so verstärken, dass kein potentieller Aggressor das Risiko eingehen kann, ein souveränes Land in Europa – und NATO-Mitglied – anzugreifen. Schweden und Finnland sind in der NATO willkommene Verstärkungen.

Die Kampfdrohnen werden in ihrer Bedeutung zunehmen. Sie verändern die Kriegsführung – in Verbindung mit Kampfhubschraubern.