Trotzt Deutschland dem europäischen Trend der “Ein-Kind-Familie”?

Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V.

Die Corona-Krise hat demografische Spuren in Europa hinterlassen. Sie zeigen sich zum einen in der Sterblichkeit: In Deutschland waren 2021 die höchsten Sterbezahlen seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu verzeichnen (1), (1.1).

Dies obwohl die pandemiebedingte Übersterblichkeit in Deutschland deutlich niedriger blieb als in europäischen Nachbarstaaten (wie Frankreich, Tschechien, Polen) oder den USA (2), (2.1), (2,2).

Zahl der Sterbefälle auf neuem Höchststand

Für ganz Europa zeichnet sich 2021 ein neuer Sterbehöchststand ab, nachdem es bereits 2020 einen markanten Anstieg gab (3).

Zum anderen haben die Geburtenzahlen in Europa einen historischen Tiefststand erreicht: Auf dem Gebiet der EU gab es 2020 etwa vier Millionen Geburten; 1990 kamen noch mehr als fünf Millionen und in den 1960er Jahren sogar jedes Jahr sechs bis sieben Millionen Kinder zur Welt (4)

Deutschland hebt sich vom Negativtrend der Coronakrise positiv ab: Im Jahr 2021 wurde die höchste Geburtenzahl (795.500) seit 1997 verzeichnet. Annähernd gleich viele Geburten gab es schon in den Jahren 2016 (792.141) und 2017 (784.901). Im Verlauf der letzten Dekade ist die jährliche Zahl der Geburten damit um etwa 100.000 angestiegen. Dies hat mit einer gestiegenen Zahl potenzieller Mütter zu tun, aber auch mit mehr Kindern pro Frau. Die Geburtenrate ist leicht von rund 1,4 auf über 1,5 Kinder pro Frau angestiegen (5), (5,1).

Massenzuwanderung – Ein Hoffnungsschimmer am Geburtenhorizont?

Eine Ursache dafür war die Massenzuwanderung in den Jahren 2014 bis 2016. In deren Folge stieg nicht nur die Zahl der (potenziellen) Mütter, sondern auch die Geburtenrate der Ausländerinnen (auf über 2 Kinder pro Frau). Dabei spielt das „Timing“ von Geburten eine Rolle: Zuwanderinnen bekommen oft kurz nach ihrer Immigration Kinder. Im Zeitverlauf nähern sich ihre Geburtenraten dann tendenziell denen der „Autochthonen“ an. 

Die Zuwanderung allein erklärt den Anstieg nicht, denn auch die Geburtenrate der Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit ist in der letzten Dekade leicht gestiegen, von 1,3 auf 1,4 bis 1,5 Kinder pro Frau (6).

Dies ist zwar nur ein kleiner Anstieg. Aber im europäischen Vergleich ist er bemerkenswert, weil in vielen anderen Ländern die Geburtenraten deutlich zurückgingen. Dazu gehören Länder, die noch vor einer Dekade für höhere Geburtenraten bekannt waren: Dies gilt für Irland, die skandinavischen Länder und sogar Frankreich. Gestiegen sind dafür die Geburtenraten in Ungarn und Tschechien.

Fehlt die Familienförderung, bleiben die Kinder aus

Auch dies ist bemerkenswert, denn seit vielen Jahren wird behauptet, dass die Familienpolitik der nordischen Länder und Frankreichs modern und vorbildlich, Ostmitteleuropa mit seinem eher „traditionellen“ Familienbild dagegen rückschrittlich sei. Aber die Verhältnisse sind offensichtlich komplizierter als die herrschende Lehre meint, die nur eine am „Gender Mainstreaming“ orientierte Politik akzeptieren will und alles andere bekämpft (7)

Unabhängig von allen ideologischen Kontroversen ist Folgendes unbestreitbar: Das Fehlen von Familienförderung (gleich in welcher Form) und vor allem schlechte Arbeitsmarkchancen für junge Menschen sind der Familiengründung abträglich. Dies zeigt sich in Südeuropa: Nirgendwo sonst in Europa bekommen junge Frauen so spät ihr erstes Kind wie in Spanien und Italien und nirgendwo sonst sind die Geburtenraten so niedrig. In der Corona-Krise sind die Geburtenraten von einem ohnehin schon niedrigen Ausgangsniveau noch weiter gesunken und haben ein beängstigend niedriges Niveau erreicht. 

Gemessen an den Verhältnissen in Südeuropa erscheint Deutschland (bisher noch?) als ein Hort wirtschaftlicher und sozialer Stabilität. Den jüngsten Geburtenanstieg führen Demografen auf „Cocooning“ zurück, also eine gestiegene Häuslichkeit in der Corona-Krise. Dieser Effekt lässt sich ohne die (relative) soziale Sicherheit in Deutschland kaum verstehen. Statistisch fest steht, dass mehr dritte und weitere Kinder zur Welt kamen, während die Erstgeburten nahezu stagnierten. Auffällig ist auch, dass der Geburtenanstieg allein auf Westdeutschland zurückzuführen ist, während die Geburtenzahlen in Ostdeutschland sogar zurückgingen (8)

Hier ist ein Effekt der Schließungen von Schulen und Kindertagesstätten zu vermuten: In Ostdeutschland wird (ganztägige) institutionelle Kinderbetreuung seit Jahrzehnten als selbstverständlich angesehen. Im Westen wurde sie erst nach der Jahrtausendwende propagiert und ausgebaut und wird zum Teil noch weniger genutzt als im Osten. Die Pandemiejahre in Deutschland zeigen also: Dort wo Paare in der Lage (und willens) sind, ihre Kinder zeitweise selbst zu betreuen, ist die Bereitschaft zu Mehrkinderfamilien größer. In den tonangebenden Medien wird dieses Verhalten als „Retraditionalisierung der Geschlechterrollen“ bekämpft. Dabei wird die (demografische) Zukunft glatt vergessen. 

Zwischenüberschriften: Michael van Laack

Viele weitere interessante Artikel des Institus finden Sie auf der Seite https://www.i-daf.org/aktuelles.html Dort können Sie auch einen kostenlosen Newsletter abonnieren.

Kontoverbindung für Spenden:

Commerzbank AG

IBAN: DE26 3804 0007 0333 5049 00, BIC: COBADEFFXXX