Conservo-Redaktion
(Dr. Juliana Bauer*) Grundlage der folgenden Betrachtung des emeritierten Erzbischofs Aupetit über das Reich Gottes sind die Gleichnisse vom Wachsen der Saat und vom Senfkorn (Mk 4,26-34).
Es war ein sonniger Sonntag im Frühsommer 2018. Noch stand die Pariser Kathedrale Notre Dame unversehrt. Und wieder war sie zur Sonntagabendmesse bis auf den letzten Platz besetzt. Zahlreiche Gläubige waren gekommen, um die Messe mit ihrem Erzbischof zu feiern – damals…
Michel Aupetit, ein wortgewaltiger und einfühlsamer Prediger zugleich
Sie waren gekommen, um ihn zu hören, seine „wunderbaren“ Predigten zu hören. Seine Predigten, die „so verständlich sind“ und „voll feinen Humors“, die aus ihm „einen außergewöhnlichen Bischof machen“ (Kommentar unter dem Video vom 17.Juni 2018). Einen Hirten, der unvergessen bleibt. Und dessen Predigtvideos nach wie vor reihenweise aufgerufen werden.
„Guten Abend, Majestäten!“
“Ja, jetzt seid ihr überrascht…“ Die Überraschung gelang Mgr Aupetit in der Tat. „Ihr seid es gewohnt zu hören: ‚Meine lieben Brüder, meine lieben Schwestern.‘ Nun, heute nenne ich euch ganz einfach bei einem eurer Titel, der euch gebührt. Ihr seid nämlich auf Jesus Christus getauft. Und unmittelbar nach eurer Taufe wurdet ihr mit der heiligen Salbung gezeichnet, die euch Christus angleicht; so seid ihr wie er Priester, Propheten und Könige. Und daher nenne ich euch bei einem eurer Titel, denn ihr habt Anteil am königlichen Priestertum unseres Herrn, Jesus Christus. Also grüße ich euch mit dem Titel Majestäten. Warum aber gerade heute Abend? Weil der Herr uns vom Königreich Gottes gesprochen hat…“
Wo liegt unser Königreich?
Dann führt Michel Aupetit einige Kriterien aus, welche ein weltliches Herrschaftsgebiet ausmachen und vergleicht dieses mit dem Reich Gottes. „Wo aber ist dieses Königreich? Wir wissen, ein Königreich entspricht immer einem Land, einer Nation, einem Territorium. Wo ist dieses Gebiet, wo der Herr regiert? Die Juden besitzen ein Land, das ihnen verheißen wurde. Die Muslime sprechen, befinden sie sich in einem Land in der Mehrheit, vom ‚Land des Islam.‘ Und wir? Wir Christen? Wir sind zwei Milliarden. Wo ist unser Königreich? Wo befindet sich das Territorium, wo wir Christen regieren? Wo offenbart sich das Reich Gottes?“
Mgr Aupetits Antwort ist für manchen wieder überraschend: „Ja, es gibt kein Territorium. Denn das Gebiet, in dem Gott regiert, ist unser Herz. Dort regiert der Herr. Er will kein Territorium beherrschen, sondern im Herzen eines jeden von uns regieren (am Fest Christ-König 2021 sprach Michel Aupetit jenen anderen Aspekt von Jesu bzw. Gottes Herrschaft an:seine Königsherrschaft über das gesamte Universum).”
Eine Herrschaft ohne Reich – Das ist doch unmöglich, oder?
“Und wie kann er in uns herrschen?“ fragt Erzbischof Aupetit weiter. „Oh, das ist ganz einfach.“ Seine Veranschaulichung für das angebrochene Reich Gottes in uns, der er das Gleichnis vom Senfkorn zugrunde legt (Mk 4,30-34), wirkt fast zärtlich beschwörend: „Wenn es in eurem Herzen nur ein winziges bisschen Liebe gibt, nur ein ganz kleines bisschen Liebe, wie ein kleines Senfkorn, von dem der Herr spricht, ein Senfkörnchen, ein winziges bisschen Liebe… dann bringt es der Herr überall zur Entfaltung.
So wie jene Pflanze, in der die Vögel nisten. Eure Liebe wird sich ausbreiten, wenn ihr den Herrn von diesem kleinen Samenkorn Besitz ergreifen lässt. Diesem klein bisschen Liebe, das bereits in eurem Herzen lebt. Ihr habt es gesät. Und wenn ihr möchtet, dass diese Liebe sich in der Dimension Gottes entfaltet, ist es wichtig, den Herrn wirken zu lassen, dass dieses kleine Samenkorn Liebe zu einem wunderbaren Baum wird. Vielleicht sagt ihr mir jetzt, wie kann ich das machen? Wie kann ich es machen, dieses Geschenk Gottes zuzulassen, diese Liebe durch den Hl. Geist… Erwartet der Herr von uns nicht etwas Unmögliches?“
Die Liebe ist die Saat, auf deren Boden das Reich wächst
An dieser Stelle erinnert Michel Aupetit an das Liebesgebot Jesu an seine Jünger: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe‘ (Joh.15,12) … … Wie ist es möglich zu lieben wie er? Wie können wir das machen? Man muss ihn einfach wirken lassen…“ Dann verweist der Erzbischof auf das erste Gleichnis Jesu des Tagesevangeliums: „Es reicht schlichtweg, das Korn zu säen… (Mk 4,26-29, Vom Wachsen der Saat), den Hl. Geist aufzunehmen…dann ist alles möglich…“
Denn „Jesus sagt uns“ – so Aupetit in seiner Textfassung – „dass diese Liebe uns geschenkt wird durch den Heiligen Geist, der in uns wirken wird, ohne dass wir es vielleicht selbst merken.“ Es würde geschehen wie bei dem Bauern, „der gesät hat und der schläft, während die Saat wächst.“ Mgr Aupetit weist nochmals auf die Gleichnisse hin, die in jedem von uns erfahrbar werden können und leitet schließlich zu seinem eigenen Gleichnis über:
„Da Jesus Gleichnisse liebt, da er viele Gleichnisse erzählt und sie eigens seinen Jüngern erläutert, werde auch ich euch, wie er, ein Gleichnis erzählen, um euch zu zeigen, wie es uns möglich ist, den Heiligen Geist in uns aufzunehmen und ihn in uns schaffen zu lassen, um das Reich Gottes herbeizuführen…
Das Gleichnis des Erzbischofs
Hört also mein Gleichnis: Vor einiger Zeit bat ein Meister zwei seiner Diener, 4 Säcke Weizen zu einer Hütte zu bringen, die einem seiner Freunde in den Bergen gehörte. Jeder der Säcke wog 20 Kilo. Stellt euch das vor…“ Michel Aupetit verweist explizit auf die Härte des Auftrags. „Angesichts der Schwierigkeit dieser Bitte ihres Herrn gingen die sehr frommen Diener in die Kapelle, um zu beten. Beide beteten lange und gingen dann zum Meister zurück. Da sagte der Meister zum ersten von ihnen: „Ich denke eigentlich, dass 4 Säcke nicht nötig sein werden, 3 werden ausreichen. Nimm du nur einen Sack mit.“
Der Diener freute sich über die Güte Gottes, der sein Gebet erhörte und machte sich auf den Weg. Der andere folgte ihm mit seinen zwei Säcken. Beide kamen gleichzeitig oben an. Der Freund des Meisters bedankte sich bei dem Ersten. Den Zweiten beglückwünschte er herzlich: ‚Einen ganz besonderen Dank, dass du eine solch schwere Last tapfer getragen hast.‘ Die beiden gingen wieder zurück. Da sagte der erste: ‚Du hättest wie ich beten sollen. Ich bat Gott, meine Last zu erleichtern, und er erhörte mich.‘ Der andere antwortete ihm: ‚Ich habe Gott gebeten, mir die Kraft zu geben, sie zu tragen. Und er hat mich erhört.‘
Diese Kraft, die von Gott kommt, ist der Heilige Geist. Und ihr, liebe Brüder und Schwestern? Gehört ihr eher zu denen, die darum bitten, dass Gott euch eure Last erleichtern möge? Oder gehört ihr zu denen, die den Hl. Geist bitten, dem Leben und seinen Prüfungen ins Gesicht zu blicken und das Gute daraus zu ziehen und anzunehmen…“
Michel Aupetit schloss mit den hoffnungsfrohen Worten, dass wir wohl gerade mit der letzteren Haltung noch mehr „Gottes Gnade empfangen“ werden.
Zum Abschluss noch ein aktueller Tweet Aupetits vom heutigen Tag, der sehr gut zu den Ausführungen aus 2018 passt:
„Das Königreich Gottes ist nahe? Wem ist es nahe? Euch! Wenn ihr die Botschaft des Evangeliums aufnehmt…“
Quellen
– KTOTV, L’excellente parabole de Mgr Michel Aupetit. Mit folgender Erläuterung des Predigtvideos: Lors de la messe du 17 juin 2018 en la cathédrale Notre-Dame de Paris, l’archevêque de Paris Mgr Michel Aupetit a illustré son homélie par une parabole de son invention! (Das exzellente Gleichnis des Mgr Michel Aupetit. Während der Messe des 17.Juni 2018 in der Kathedrale Notre Dame zu Paris illustrierte Erzbischof Michel Aupetit seine Predigt durch ein eigenes Gleichnis.) – Die Predigt wird fortwährend aufgerufen. Am 24.Juni zeigte sie 228.602 Aufrufe, am 2.Juli: 229.697.
– KTOTV, Messe du dimanche 17 juin 2018, Notre Dame Paris
– Homélies – Diocèse de Paris. Homélie de Mgr Michel Aupetit – Messes à Saint-Georges et à Notre-Dame de Paris, dimanche 17 juin 2018. L‘église catholique à Paris.
*Meine Übersetzung orientiert sich überwiegend an der gesprochenen Predigt und nur teilweise an der gekürzten schriftlichen Fassung der Diözese Paris.
Zwischenüberschriften von der Conservo-Redaktion.
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