Der innere Kampf um die Kirche – eine Mahnung

altmod/Peter Helmes

Die Krise der Kirche geht tiefer, als manche denken – auch und gerade in der katholischen Kirche. Menschen, die vermeintlich „tief in der Kirche verwurzelt“ sind, hadern mir ihrer „heiligen Mutter Kirche“ („una sancta catholica et apostolica ecclesia“). Die Kritik ist allenthalben und vielschichtig. Es sind nicht nur die sexuellen Verfehlungen, derer sich Priester schuldig gemacht haben (und noch machen), sondern hinzu kommen viele offene Glaubensfragen, die „moderne“ Geistliche in den Raum stellen und Antworten geben, die mit den tradierten Überzeugungen nicht mehr in Einklang zu bringen sind.

Die Kirche zeigt sich „offen“ – und verliert den Boden unter den Füßen. Die „Gläubigen“ sind verunsichert und finden keinen Halt mehr. Zu Hunderttausenden verlassen sie die Institution Kirche, da man sie in Glaubensfragen alleingelassen oder – schlimmer noch – „neue Antworten“ gegeben hat, die die Gläubigen nicht „mitnehmen“. Hinzu kommt, daß zwar die Kritik bestätigt, aber nicht konsequent aufgearbeitet wird.

Dr. G. Ebenhöh, der seit Beginn meiner Arbeit auf conservo zu den vielgelesenen Autoren zählt, spricht in  seinem neuen  Artikel vom „sinkenden Schiff Kirche“ und erwähnt die wichtigsten Kritikpunkte, wobei er den Lesern den Raum einräumt, sich selbstreflektiv ihre Gedanken zu machen. Ich habe meine eigene Meinung hinzugefügt, zu der altmod wiederum geantwortet hat. Hier ist der gesamte Schriftwechsel, den ich mit ausdrücklicher Genehmigung von altmod wiedergeben darf. (P.H.):

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Verlassen des sinkenden Schiffs?

von altmod* (publiziert am 5. Juli 2022)

Eine Häresie über die nicht nur gegenwärtige Situation der Katholika

Der folgende Beitrag hat mir durchaus Schmerzen bereitet. Die Beschäftigung mit dem Thema hat mich an das herangeführt, was ich mir „in rebus fidei“ als getaufter Katholik am Ende es Lebens quälerisch noch zumuten mag.

Vor einigen Tagen teilte die Deutsche Bischofskonferenz mit, dass im vergangenen Jahr 2021 so viele Menschen wie noch nie aus der katholischen Kirche ausgetreten sind: 359.338 Katholiken kehrten in Deutschland in einem ihrer Kirche den Rücken; wie nicht anders zu erwarten, kann man hinzufügen.

Wie die angeblich unsinkbare Titanic scheint die gleichwohl seit 2000 Jahren unsinkbar erscheinende katholische Kirche nun doch zu havarieren. Was die deutsche katholische Kirche betrifft, könnte man anmerken, sie wäre kein Muster für die Weltkirche. Doch die Abnutzung der „Katholika“ zeigte sich schon fast weltweit, auch in etlichen „erzkatholischen“ Ländern und Regionen.

In Südamerika wird von einer Erosion berichtet, die mit dem Aufstieg sog. evangelikarer Glaubensrichtungen erklärt wird. In Italien leeren sich wie hierzulande von Jahr zu Jahr die Gotteshäuser. Wie auch in Spanien und Frankreich. Auch in Polen ist ein rapider Schwund der Gläubigkeit besonders unter den jungen Leuten zu verzeichnen.

Die genannten Länder sind mit Deutschland nur bedingt vergleichbar, was Kirchensteuer und staatlich überwachte Glaubensverbundenheit anbetrifft. Geht deshalb die Erosion in Deutschland vergleichsweise noch rascher vonstatten?

Ein Drang zu „Freiheit“ in Zeiten zunehmender Unfreiheit?

„Der dramatische Erosionsprozess in der katholischen Kirche schreitet ungehemmt voran“, sagte der Münsteraner Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller als Kommentar zu den neusten Zahlen der Bischofskonferenz.

Kommentare deutscher Oberpfaffen zu dem von ihnen selbst mitverantworteten Desaster:

„Die Skandale, die wir innerkirchlich zu beklagen und in erheblichem Maße selbst zu verantworten haben, zeigen sich in der Austrittszahl als Spiegelbild“. Es sei „nichts schönzureden“. So der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing

„Es darf niemanden verwundern, dass derzeit viele Menschen der Kirche das Vertrauen entziehen und auch unserem guten Tun die Zustimmung versagen.“ , meint der Würzburger Bischof Franz Jung.

Als Begründung für die Flucht aus der Kirche werden die in immer höherer Schlagzahl bekannt werdenden Missbrauchsfälle angeführt: die offensichtlich sexuellen und anderen handgreiflichen körperlichen Übergriffigkeiten durch Geistliche oder auch Laien im kirchlichen Umfeld. Aber bereits Anfang der 90er Jahre hatte die Zahl der Austritte schon annähernde Zahlen wie heute erreicht. 1950 hatten gerade mal 33.536 „Gläubige“ die katholisch Kirche verlassen, 1970 waren es schon 69.000, 1990 wurde die Zahl von 143.000 Austritten erreicht.

Die evangelische Kirche lag mit den Austrittszahlen dabei absolut und relativ schon immer deutlicher vor der kath. Kirche. Ohne Missbrauchsskandale!? Wie auch seinerzeit noch die Katholika in der breiten Wahrnehmung damit noch nicht betroffen schien. Dass dies durchaus bereits evident war, wussten, wenn schon nicht nur die Betroffenen, so doch etliche kritische Beobachter der örtlichen Gegebenheiten in manchen Gemeinden.

Der Bischof Jung beklagt, dass “unserem guten Tun die Zustimmung“ versagt wird. Das, was dieser „Oberhirte“ als „gutes Tun“ sehen möchte, ist offensichtlich marginal geworden unter den sonstigen Erscheinungen, mit denen die Kirche (seit Jahrhunderten) aufwartet.

Persönliche Lehren

Meine Generation ist noch mit „Watschen“ durch den Lehrer – bei mir ausschließlich in der Grundschule – oder den Pfarrer „großgeworden“; teilweise mit regelrechten Prügelexzessen. Der seelsorgerliche „Kurat“ unserer Pfadfindergruppe entpuppte sich als Päderast und wurde zwangsversetzt, aber keineswegs aus dem Priesteramt entfernt. Der ihm nachfolgende Kaplan erlaubte sich schon mal, unaufmerksame oder unbotmäßige Ministranten unter uns zu ohrfeigen.

Ein anderer „Kurat“ – Religionslehrer in der Mittelstufe am Gymnasium – war ein widerlicher Lustmolch. Noch lehrte er uns, dass wir geflissentlich zum Einschlafen die Hände über der Bettdecke halten sollten, um nicht in die Versuchung der Ipsation zu verfallen. Er selbst aber konnte seine Finger jedoch nicht einmal in der Öffentlichkeit – in unserem Klassenzimmer – bei sich lassen, die gelegentlich wie „zufällig“ am Busen einer Klassenkameradin entlang streiften, während einer „Still-Arbeit“ im Religionsunterricht. Aufmüpfigkeit der Buben wurde von ihm mit Watschen abgestraft. Wir trauten uns darob (noch) nicht, offensiv gegen ihn vorzugehen. Doch irgendwann merkte die Schulleitung aus unserem Verhalten, dass mit dem geistlichen Herrn etwas nicht stimmte.

Doppelmoral des Klerus nimmt seit Jahrzehnten zu

Nebenbei: Während der gesamten Gymnasialzeit erlebte ich keinen prügelnden Lehrer mehr, aber durchaus diesen Priester. Unser späterer Religions- und Philosophie-Lehrer war ein hochgebildeter und auch honoriger Mann. Doch auch er konnte nichts dagegen tun, dass nahezu alle aus unserem Schuljahrgang sich mehr und mehr von der Kirche entfernten – je „gebildeter“ man wurde.

Auf die geschilderten Widerwärtigkeiten haben wir noch, nur, mit einem Kopfschütteln reagiert, denn die in der Kirche und unter deren Würdenträgern herrschende Doppelmoral und Falschheit waren uns ja schon bald bewusst geworden. „Auch in der Kirche „menschelt“ es eben“, war die Ausflucht für manchen von uns, welcher noch aus einer gewissen inneren Rest-Bindung oder gar nur aus familiärer Rücksichtnahme noch „bei der Stange bleiben“ wollte.

„Der Großinquisitor“ und der „Oberteufel“…

Wer seinem tradierten „christlichen“ Glauben oder auch nur mit dem, was er dazu aus der Kindheit herübergerettet hat, verbunden bleiben möchte, darf eines nicht tun: (aufklärerisch) kritisch und forschend in Sachen Kirche sich zeigen. Er sollte zu den Schriften von Aufklärern wie Voltaire, Diderot, Feuerbach, Nietzsche bedingungslos Abstand halten. Man möge sich nicht bei Goethe in Fragen Religion kundig machen. Schon gar nicht ist die Beschäftigung mit den Werken von Karl Heinz Deschner (v.a. „Die Kriminalgeschichte des Christentums“) duldbar. Folgt man diesem „Oberteufel“ der historischen, kirchen-kritischen Aufklärung, kommt man nicht umhin, die katholische, diese Papst-Kirche als eine der mörderischsten Institutionen der Geschichte – neben dem Islam und dem Sozialismus, meine ich – anzusehen. Das Beklemmende ist dabei, dass nichts, was Deschner beschrieben hat, wissenschaftlich widerlegbar, als falsch, unwahr und unhistorisch verworfen werden kann.

Nicht um des Himmels willen, sollte man diese Schriften nicht lesen, aber „um Christi willen“. Nicht um der Päpste, Bischöfe und Prälaten willen, unter denen sich in der Geschichte eine erkleckliche Zahl Großverbrecher und wahrlicher „Antichristen“ angesammelt hat: machtversessen und Gott-vergessend; mit einem erlogenen Titel als „Stellvertreter Gottes auf Erden“; quasi lebendige Vize-Götter. Kirchentradition bis heute! Daran ändert nichts, dass es durchaus auch edle und uneigennützige Gestalten gab. Und auch nicht, dass vielleicht z.B. mit Benedikt XVI. ein in jedem Fall aufgeklärter Philosoph auch den Papstthron innehatte.

Die “nackte Macht” der römisch-katholischen Kirche

Ein Schlüsseltext, eine erhellende Parabel für einen realistischen Blick auf die Papst-Kirche war und ist Dostojewskis „Der Großinquisitor“. Dostojewski schildert in seiner Fiktion – eine Erzählung aus seinem Roman „die Brüder Karamasow“ – wie Jesus Christus zur Zeit der Inquisition im 16. Jahrhundert in Spanien wieder auf die Erde kommt, zwar nicht predigend und redend, aber Wunder wirkend. Der greise Großinquisitor der Stadt lässt ihn ergreifen und im Kerker festsetzen. Der Inquisitor legt in einem langen Monolog dar, dass er – Jesus – kein Recht habe, auf die Erde zurückzukommen und „die Ordnung zu stören“, welche die römisch-katholische Kirche in über tausend Jahren errichtet habe. Dafür werde er ihn am nächsten Morgen als „schlimmsten aller Ketzer“ zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilen.

Dostojewski kritisiert damit das westliche Christentum und namentlich die römisch-katholische Kirche, „die im Unterschied zum orthodoxen Christentum nur mehr nackte Macht verkörpere“ (Swetlana Geier). Er blendet dabei aber auch aus, wie tief sich seine orthodoxe Kirche schon mit dem Zarentum sich verbunden hat. Etwas, was in unseren Zeiten eine gleichwohl unheilige Wiederkehr erfährt.

Eugen Drewermann bringt die Aussage Dostojewskis auf den Punkt: „Man glaubt nicht an Gott, man glaubt an den Staat. Man glaubt nicht an ein Jenseits, sondern an ein Glückseligkeitszuchthaus, das man diktatorisch auf Erden einrichtet …“„Die Rede des Großinquisitors ist zynisch wie die eines Machiavelli der Geistlichkeit. Aber sie entbehrt nicht einer gewissen Logik“ – kennt man die Geschichte der Kirchen, auch der Protestantischen in ihrer gleichwohl unheiligen Subsistenz. Es wäre unschwer, eine Fortsetzung oder Abwandlung der Geschichte in die heutige Zeit zu schreiben. Aber bitte nicht ganz so platt wie hier geschehen.

Katholische Restsubstanz?

Der sich inzwischen als Erzkatholik bezeichnende Journalist Matthias Matussek meint zu der aktuellen Austrittswelle, es handele sich quasi nur um eine Art buchhalterische Korrektur der Bestände, da ohnehin nur Karteileichen und Menschen mit bereits aufgegebener Bindung jetzt austreten würden. Es sei noch Substanz vorhanden, auch wenn man sich nur auf die seit Jahren etwa 10% notorischen Kirchgänger kaprizieren würde (bei den evangelischen sind es angeblich nur noch 3%).

Wer – und wie will man die verbliebenen 21,6 Millionen Katholiken – abzüglich der „Kirchgänger“ sind es auch noch etwa 19 Millionen unsichere Kantonisten – geneigt erhalten? Gewiss nicht mit dem derzeitigen Führungspersonal, das in der zurückliegenden und gegenwärtigen Corona-Krise dem suppressiven Staat und Politik folgte, den Zutritt von Gläubigen zu den Kirchen mit den G-Regeln reglementierte oder verunmöglichte, das von den Kanzeln und auf den Kirchentagen nichts anders noch zu verkünden hat als das, was Grüne und Linke als neue religiöse Gewissheiten verheißen und welche den moralischen Prämissen der queeren Kommunität Platz und Verbreitung ermöglichen. Auch nicht ein feministischer Aufbruch à la Maria 2.0, deren Akteure, Pardon: Akteurinnen, ein eigenes ideologisches Süppchen kochen möchten. Oder die Aufhebung des die menschliche Natur verachtenden und verleugnenden Zölibats wird diese Kirche nicht retten.

Zölibat ursprünglich aus fiskalischen Grüden eingeführt

Der Zölibat, nicht etwa von Christus oder den Aposteln geboten – glaubt man denn der Schrift – sondern war von den Päpsten aus „fiskalischen“ bzw. rein materiellen und machtpolitischen Erwägungen heraus aufgebaut und verordnet. Der Hurerei und Sodomie unter den Klerikern wurde damit kein Riegel vorgeschoben, im Gegenteil, das wurde gerade noch gefördert. Wie auch viele Päpste und Prälaten in der Geschichte dies bis in die Neuzeit vorführten. Der berüchtigte Alexander IV.* war beileibe nicht der Leidenschaftlichste in diesen Disziplinen.

Die Kirche war zudem die größte Fälscherinstitution, die es je gegeben hat: von der „Konstantinischen-“ oder „Pippinischen-“ Schenkung und den tausenden gefälschten Land- und Pfründenzuschreibungen durch vor allem in den Klöstern auf Geheiß gefälschte Urkunden.

Was könnte das „Schifflein Petri“ vor dem Untergang bewahren?

Wie schon gesagt, nicht das gegenwärtige Personal. Nicht das Anwanzen an den gleichwohl obrigkeitshörigen Protestantismus lutherischer oder reformatorischer Prägung. Nicht die Ausweitung karitativer Aktivitäten in einer bereits paternalistisch und sozialistisch deformierten Interessengesellschaft. Nicht Befreiungsaktionen in puncto Sexualität und feministischer Selbstbestimmung. Nicht durch Zeitgeist-bedienende Esoterik und Wohlfühl-“Scholastik“. Nicht durch das andere Kulturen einbeziehende, relativierende „Weltethos“.

Vielleicht durch eine radikale Reduzierung auf die „Botschaft Jesu“ – in dem eigentlich nie auflösbaren Kontext zum Judentum und der antiken Philosophie? Ohne die sich entwickelt habende „unchristliche“ Paralogistik und „Theologie“; beginnend mit Paulus und fortgesetzt durch die „Kirchenlehrer“ wie Augustinus, Hieronymus, Gregor, auch Thomas von Aquin, und anderen so hochgeehrten eigentlichen Rabulisten im Sinne von herbeigeredeten und herbeigeschriebenen (Un-) „Wahrheiten“?

Geht das? Nicht durch diese „Gottesfurcht“ und Eusebie, welche die bigotte Amtskirche ihren Schäfchen schon immer aufdrückte und aufdrücken wollte! Sondern Besinnung und Hinführung auch auf de facto Spiritualität – ein Urbedürfnis des Menschen – auf die absolut subjektive Seite entgegen der Dogmatik.

Hat das Christentum irgendetwas mit der Kirche zu tun?

Jeder Gebildete und Aufgeklärte weiß, dass Jesus mit dem entstehenden Christentum und „seiner“ Kirche schließlich eher wenig bis gar nichts zu tun hat. Christentum und Kirche ist vornehmlich eine Erfindung von Paulus: „Jungfrauengeburt, Wunder und Exorzismen sind unbestritten Übernahmen von alttestamentlichen Vorbildern oder der heidnischen Umwelt. Die Auferstehungserzählungen der Evangelien halten wohl alle Neutestamentler für legendär, auch wenn der Auferstehungsglaube selbst sehr alt ist. Erst die altkirchlichen Konzilien haben aus Jesus einen Gott gemacht. Das sind bekannte Fakten unter Theologen, doch immer noch weithin unbekannt beim Kirchenvolk …“.  So der ehemalige Theologe Heinz-Werner Kubitza.

Die großen Differenzen zwischen der Lehre Jesu und der Verkündigung des Paulus – und den späteren „Kirchenlehrern“ sind sog. Theologen hinlänglich bekannt und inzwischen auch vielen „Laien“. Mein zu geringer Verstand und Bildung hindern mich, dies mehr zu erläutern und tiefer zu gehen. Wie sagte der erzkatholische Philosoph Nicolas Gomez Davila: „Das Scheitern des Christentums ist christliche Doktrin.“ Und: „Skeptiker oder Katholik: Der Rest vergeht mit der Zeit.“

Wo kann man sich noch einordnen?

Ist es vereinbar, Skeptiker, Christ oder Katholik zu sein? Der Verstand sagt einem: Was soll dieser ganze falsche Zauber, diese Lügen und Verdummungsstrategien der Kirche in Hinsicht auf uns, das Volk, diese „obszöne Liaison zwischen Thron und Altar“ (K. H. Deschner) über Jahrhunderte hinweg bis heute? Also weg damit!?

*Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist gewiss Rodrigo Borgia – Alexander VI.

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Zwei Antworten zum vorstehenden Artikel

Peter Helmes sagt (Juli 7, 2022 um 5:49 am):

Lieber altmod,

da haben Sie aber ein heißes Thema angepackt! Aber Sie haben sich nicht die Finger verbrannt; denn Sie haben zwar schonungslos und offen die Schwachstellen aufgezeigt, aber jeder billigen, wohlfeilen Polemik entraten. Ihren Beobachtungen, besonders aus der Kindheit, kann ich nur zustimmen.

Zu meiner Jugendzeit (Jg. 1943) war der Pfarrer neben dem Bürgermeister DIE Autorität in meiner damals erzkatholischen Heimat, ihre Worte waren Gesetz, und das Nichtbefolgen wurde hart bestraft – damals zumeist noch mit Prügel. Nebeneffekt: Ein herzliches, inneres Verhältnis zur Kirche entstand so nicht; denn im Hinterkopf von uns Kleinen hatten Angst und (Ehr?-)Furcht die Oberhand. Auch die Regularien trugen nicht viel zur Freude bei, was man am Tages- und Wochenablauf sehen kann: Jeden Morgen um 6 Uhr Frühmesse, sonntags um 7 Uhr Frühmesse und um 10 Uhr Hochamt, um 14 Uhr „Andacht“ und um 18 Uhr Abendmesse, mittwochs gabs auf dem Gymnasium dazu noch die „Schulmesse“. Wer nicht hinging, wurde öffentlich gerügt und erntete einen Eintrag ins Klassenbuch.

Es gab zwar einen kleinen „Trost“ für mich, der aber nur sehr äußerlicher Art war: Ich wurde zum „Obermeßdiener“ berufen und diente insgesamt 8 Jahre lang in der Funktion – Pomp und Gloria inbegriffen: Al Obermeßdiener durfte man den Kelch mit den geweihten Hostien in die Sakristei tragen, das Hauptweihrauchfaß schwenken und bei Prozessionen den Saum des Meßgewandes des Zelebranten hinten anheben usw.

Auch von den heute vielfach beklagten Mißständen habe ich genug erlebt: sexuelle Übergriffe zuhauf. Aber das durften wir zuhause nicht ansprechen; denn „so was kommt hier nicht auf den Tisch“, hatte meine (und nicht nur meine) gestrenge Mutter verordnet.

Eine fast lustige Anekdote mag dies untermalen: Ich kam vorübergehend (weil unser Elternhaus neun Monate lang komplett umgebaut wurde) in ein hiesiges Internat, der Direktor war Priester. Eines Tages rief er mich in sein Zimmer, und nach einigen Belanglosigkeiten stellte er mir die Frage, ob ich schon einmal „unschamhaft“ gewesen sei. Ich hatte keinerlei Ahnung, was das Wort bedeutet. Da ich aber früh gelernt habe, daß „Ja“-Sagen besser ist als „nein“, habe ich seine Frage tapfer mit JA beantwortet. Seine Antwort: „Dann zeig mir mal, was Du gemacht hast“ – und begann, an meiner Hose zu fummeln. Ich ahnte einfach, daß das nichts Gutes bedeutete und konnte mich entziehen mit dem Hinweis, ich hätte Durchfall und müßte dringend aufs Klo. Zuhause wollte ich darüber reden, aber sobald meine Mutter verstanden hatte, was ich wollte, setze es eine Backpfeife und ich mußte – ohne Essen – auf mein Zimmer.

Alle Fragen blieben offen, die „aus der Reihe fielen“. Das setzt sich bis heute fort: Die Antwort auf die Frage „Was nun? Was soll ich tun mit der Kirche?“ steht aus; denn Sie  haben sie offengelassen – wohl damit ein jeder sich seine eigenen Gedanken machen und seine eigenen Schlüsse ziehen kann.

Mit besten Grüßen

Ihr P.H.

Danke für Ihren Artikel; denn das gibt (mir) Gelegenheit, einmal wieder gründlich darüber zu sinnieren.“

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altmod sagt (Juli 7, 2022 um 9:10 am):

„Lieber Herr Helmes,

vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben es richtig gesehen, der Beitrag sollte meine Gedanken wiedergeben, eine Reflexion sein zu einer Bindung, aus der man sich nicht so leicht entfernen kann, auch wenn der Verstand es eigentlich nahelegt.

Ich bin vielleicht nicht ganz so rigoros beeinflusst worden, wie Sie im (erz-) katholischen Rheinland und einer ebensolchen Familie. Im Fränkischen gab es traditionell mehr das neben- und (auch miteinander) zwischen Katholiken und Protestanten. Meine Familie – sudetendeutsche Heimatvertriebene – waren eher „böhmisch-katholisch“ (eine Formulierung meines früheren Chefs, „Nordböhme“ der Herkunft her), bis auf meine bigotte Großmutter, welche die Zuchtmeisterin in Sachen Kirche spielte und vor der sogar mein Vater manchmal kuschte.

Wenn es nach dem von ihr verehrten „Hochwürden“ gegangen wäre, hätte man mich nach Nürnberg ins Knabenseminar gesteckt, um Pfarrer zu werden. Meine Eltern haben das strikt abgelehnt. So wurde ich denn nur Ministrant. Als katholischer St. Georgs-Pfadfinder war man auch irgendwie gemeindlich eingebunden, aber „Hochwürden“ hat eher seine katholische Jugend bevorzugt und uns außen vor gelassen, was, neben den Erfahrungen mit dem päderastisch Kurat, zur „Entfremdung“ beitrug.

Das Gepränge der Kirche an den Hochfesten mit damals noch lateinischer alter Messe, mit brausenden Orgel- und Glockenklängen, Weihrauch, dem Triumphalismus mit „Ein Haus voll Glorie schauet“, hatte schon Eindruck gemacht auf die kindliche Seele. Aber vielleicht braucht so was sogar noch das erwachsene, vermeintlich aufgeklärte Gemüt. Die Kirche hat uns lange damit bedient, bis mit dem 2. Vatikanum die „Häresie der Formlosigkeit“ einsetzte.

Ja, das war auch „Kirche“, mit der wir großgeworden sind. Und denkt man nach, hat Jesus dabei nur eine lässliche Rolle gespielt. Oder? Deswegen meine Zweifel, die Forderung auf die noetische Rückbesinnung auf den ursprünglichen Christus und seine Botschaft, im Kontext mit der klassischen, griechischen und stoischen Philosophie – und das „alte“ Testament mit all seinen „Erfindungen“.

Ich darf wieder mit Nicola Gomez Davila abschließen: „Wo das Christentum verschwindet, erfinden Habsucht, Neid und Geilheit tausend Ideologien, um sich zu rechtfertigen“. Auch das ist eine Erkenntnis von uns, trotz oder auch wegen aller Zweifel an der Kirche. Und: „Wenn nichts mehr in der Gesellschaft Respekt verdient, müssen wir uns in der Einsamkeit stillschweigende Loyalitäten schaffen.“

In Loyalität

Ihr G. Ebenhöh“

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