Conservo-Redaktion
(altmod*) Im Gedenken an den 20. Juli 1944 muss auch an eine der widerlichsten Institutionen des Dritten Reichs erinnert werden, an den sog. Volksgerichtshof und an seinen Präsidenten Roland Freisle.
Der sog. Volksgerichtshof war gewissermaßen eine Erfindung Hitlers. Schon in „Mein Kampf“ war nachzulesen, „daß einst ein deutscher Nationalgerichtshof etliche der zehntausend der organisierten und damit verantwortlichen Verbrecher des Novemberverrats und all dessen, was dazugehört, abzuurteilen und hinzurichten hat.“ Schon vorher hatte er in einem Prozess angekündigt, dass Köpfe rollen würden, wenn seine Partei erst einmal ihr eigenes Tribunal errichtet habe.
Mit Kriegsbeginn gewann der Volksgerichtshof an Bedeutung
Der Volksgerichtshof wurde 1934 gegründet und fristete erst ein relativ unbedeutendes Dasein, war dann aber mit Kriegsbeginn in die Rolle eines obersten Standgerichts zur Unterdrückung jeder oppositionellen Regung hineingewachsen. Als vielseitiges Mittel diente den dort eingesetzten „Juristen“ dabei der §5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (»Wehrkraftzersetzung«), der die Todesstrafe für den Fall androhte, dass jemand »öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht«. Diese Verordnung ersetzte in der Kriegszeit nach und nach das sog. Heimtückegesetz vom Dezember 1934, das herabsetzende Äußerungen über die Reichsführung unter Strafe stellte, sowie den § 90 f des Strafgesetzbuchs (»Gräuelhetze«), die jedoch beide nicht die Todesstrafe vorsahen.
Es wurde bald für die Zwecke des Volksgerichtshofs ein ganzer Katalog von Bemerkungen und Umständen erstellt, die als todeswürdig galten. Da hieß es z.B. »Nicht mehr tragbar und grundsätzlich todeswürdig sind… Äußerungen folgender Art: Der Krieg sei verloren; Deutschland oder der Führer hätte den Krieg sinnlos oder frivol vom Zaun gebrochen; Mundpropaganda und Feldpostbriefe mir der Aufforderung, die Gewehre wegzuwerfen und umzudrehen...“ Und etliches mehr.
Der Volksgerichtshof und die Aufarbeitung des Stauffenberg-Attentats
Die von Oberst Graf Stauffenberg unter dem Kartentisch in der Wolfsschanze platzierte Bombe war zwar explodiert, verfehlte jedoch Hitler, und dieser überlebte. Stauffenberg und drei weitere Offiziere wurden noch am Abend des 20. Juli »standrechtlich« erschossen, wie es hieß. Gleichzeitig erfolgte eine ausgedehnte Verhaftungswelle mit Inhaftierungen, Folterungen, Stand- und Schauprozessen mit zahlreichen Hinrichtungen. Verwandte und Freunde der Beschuldigten wurden in »Sippenhaft« genommen und in Konzentrationslager eingeliefert.
Hitler selbst ordnete – als »oberster Gerichtsherr« – die Art des Verfahrens gegen die Attentäter an: »Diesmal werde ich kurzen Prozeß machen. Diese Verbrecher sollen nicht vor ein Kriegsgericht, sie kommen vor den Volksgerichtshof. Sie dürfen gar nicht zu Wort kommen, und innerhalb von zwei Stunden nach der Verkündung des Urteils muß es sofort vollstreckt werden. Die müssen sofort hängen, ohne jedes Erbarmen.«
Nach der Rechtslage war der Volksgerichtshof für eine Rebellion oder Strafverhalten von Offizieren gar nicht zuständig. Das Militärstrafgesetzbuch schrieb vor, dass auch »strafbare Handlungen von Wehrmachtsangehörigen, die keine militärischen Verbrechen oder Vergehen« waren, von Militärgerichten abgeurteilt werden mussten. Es wurde umgehend ein »Ehrenhof« der Wehrmacht unter dem Vorsitz des Generalfeldmarschalls von Rundstedt gegründet, der die Attentäter aus der Wehrmacht ausstieß und so den Weg zum Volksgerichtshof frei machte. Eigentlich eine formale Belanglosigkeit für herrschenden Geist.
Demütigung der Angeklagten wurde zum Standard
Im ersten Verfahren gegen die Männer des 20. Juli, das im August 1944 stattfand, wurden die Generäle von Witzleben, Hoepner, Stieff und von Hase sowie die jüngeren Offiziere von Hagen, Klausing, Bernardis und Graf Yorck von Wartenburg angeklagt. Letztere waren mit Stauffenberg befreundet und hatten eng mit ihm zusammengearbeitet. Vor dem Prozess waren die Angeklagten von der Gestapo misshandelt worden, und man sorgte dafür, dass die Angeklagten ein besonders armseliges Erscheinungsbild boten. Unterernährt, schlecht gekleidet und unrasiert wurden sie vor den „Richtertisch“ geführt. Man hatte ihnen Gürtel und Hosenträger abgenommen und so war beispielsweise Feldmarschall von Witzleben bei seiner Vernehmung ständig genötigt, seine zu weiten Hosen festzuhalten. Roland Freisler fuhr ihn an: »Sie schmutziger alter Mann, was haben Sie immer an ihren Hosen herumzufummeln?«
„Als Vorsitzender der Verhandlungen degradierte Freister alle anderen Prozessbeteiligten, die Angeklagten, die ihnen zudiktierten Verteidiger, die Staatsanwälte – und auch seine Beisitzer – zu Statisten. Er kanzelte die angeklagten Widerstandskämpfer ab, beschimpfte sie und versuchte, sie in primitivster Weise lächerlich zu machen. Den wegen seiner Mitgliedschaft im Kreisauer Kreis angeklagten Pfarrer Delp etwa schrie er an: »Sie Jämmerling, sie pfäffisches Würstchen – und so etwas erdreistet sich, unserem geliebten Führer ans Leben zu wollen… eine Ratte – austreten, zertreten sollte man sowas.« beschreibt es Ingo Müller in seinem Buch „Furchtbare Juristen“.
Verfahren zu Propagandazwecken gefilmt
Das Tribunal gegen die Männer des 20. Juli 1944 wurde mit einigen versteckt im Gerichtssaal angebrachten Kameras gefilmt, denn man wollte das Filmmaterial zu Propagandazwecken nutzen. Es erwies sich jedoch – gar in den Augen von Goebbels – als ungeeignet und wurde zur »Geheimen Reichssache“ erklärt. Die Aufnahmen wurden auf dessen Geheiß vernichtet, eine Kopie blieb jedoch erhalten.
Aus dieser Kopie erstellte der Regisseur Jochen Bauer 1979 die Dokumentation „Geheime Reichssache – Die Angeklagten des 20.Juli vor dem Volksgerichtshof“ Dieses erschütternde „Dokument einer Justiz bar jeder Rechtlichkeit“ kann auf Youtube aufgerufen und angesehen werden, jedoch mit Altersvorbehalt.
Bezug zur Gegenwart? – Heimtücke und Gräuel in der Bundesrepublik?
Es gibt im Rechtssystem der Bundesrepublik und seiner hochgelobten „Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung“ (FDGO) zwar kein „Heimtückegesetz“ mehr oder einen Paragraphen gegen dezidierte „Gräuelhetze“.Nichts ist eigentlich mit dem damaligen Fanatismus und Totalitarismus in der Justiz und bei der Staatsführung zu vergleichen. Was die oben erwähnte Dokumentation an Perversität aufzeigt, hat gewiss keine Analogie im Heute. Doch jüngste Entwicklungen müssen inzwischen nachdenklich machen. Wenn schon nicht Gleiches, so ist doch bald Ähnliches zu beobachten.
Eine linksradikale Innenministerin, welche über die Oberhoheit über Verfassungsschutz und die Justiz besitzt, hat mit der Neueinführung des „Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ fast Sinngemäßes etabliert. Zumindest rhetorisch wird schon vorgesorgt.
Faeser: „Es besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.“ Populisten und Extremisten nutzten jede Krise für Angst und Spaltung, aber auch für Hass und Bedrohungen. Die Sicherheitsbehörden hätten die extremistischen Szenen aber sehr genau im Blick. „Wir sind vorbereitet, auch auf mögliche neue Protestgeschehen“, sagte die Ministerin. Deshalb zum Schluss eine Mahnung aus den Ereignissen um den 20. Juli 1944 – auch auf die Gefahr einer unstatthaften „Relativierung“ hin:
Wehret den Anfängen!
oder mit Bertolt Brecht:
„Der Schoß ist fruchtbar noch,
aus dem das kroch!“
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*) Blogger „altmod“ (http://altmod.de/) ist Facharzt und seit Beginn Kolumnist bei conservo.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien zuerst am 19. Juli 2022 auf dem Blog “altmod” unter der Überschrift “Die widerständler vom 20. Juli vor dem Volksgerichtshof” Einige Zwischenüberschriften wurden von der conservo-Redaktion erweitert oder neu eingefügt. Ebenso ein Youtube-Video.
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