Deutschland 2022: “Wohlstand, Wohlstand über alles!” – eine verklingende Hymne!

Michael van Laack

Der Versuch, durch Wohlstand alle Menschen auf dieser Welt gleich zu machen, allen die Teilhabe an ihm zu ermöglichen, wird zerstören, nicht stabilisieren. Corona war das erste Zeichen, der Ukraine-Krieg und hilflose bis verfehlte Energie- und Wirtschaftspolitik zahlreicher Industriestaaten ist nun ein gellendes Alarmsignal.

Dass viele Menschen es auch jetzt noch überhören, zeigt: Sie haben nicht begriffen, dass Wohlstand weder ein Recht noch ein Selbstläufer ist und es keine festsehende Skala gibt, die ihn messen kann!

Manch einer mag entsetzt sein, dass ich heute, inmitten der Verunsicherung und gewiss noch nicht auf dem Höhepunkt der zweifellos historischen Krise Rückschau halte und fünf Jahrzehnte nach hinten blicke.

Nichts ist selbstverständlich und schon gar nicht ewig!

Die einen werden solche Vergleiche als nicht hilfreich bis nutzlos bewerten, denn es sei nun mal heute alles so, wie es ist und eben nicht zu ändern. Andere mögen im Folgenden den Versuch erkennen wollen, Kapitalismus- oder gar Systemkritik unter dem Denkmäntelchen einer in sich zwar schlüssigen, aber objektiv nutzlosen Argumentation unterzubringen; denn das Rad der Geschichte lasse sich nun mal nicht zurückdrehen und sowohl Pandemien als auch Kriege habe es immer schon gegeben.

Doch das ist mir Wurscht! Ich möchte nur einen Anstoß geben, darüber zu reflektieren, ob die Verfasstheit der Weltgemeinschaft mit all ihren Strukturen und Systemen, derer wir uns bedienen und von denen wir profitieren nach der irgendwann einmal überstandenen Corona-Krise ein „Weiter so“ erfahren sollte, also die Rückkehr zur Tagesordnung.

Ws früher Luxus war, ist heute ein Konsumgut für fast alle

Flugzeuge gab es 1972 auch schon in größerer Zahl, der Tourismus nach Italien und Spanien nahm ab Mitte der 60er Fahrt auf, einige Menschen reisten auch geschäftlich regelmäßig quer durch die Welt. Die Zahl der Passagierflugreisen hat sich jedoch von 1970 bis heute in den Ländern des Westens (den Wohlstandländern) um den Faktor 31 erhöht. 31-mal mehr private Flugreisen. Aber auch innerhalb Deutschlands brachte uns der Wohlstand die Möglichkeit, häufiger und auch mal eben übers Wochenende zu verreisen. Deutschland ist mobil, Deutschland geht es gut. Von 1972 bis heute stieg die Zahl der Übernachtungen bei Inlandreisen um das Achtfache.

Nur “Mega” ist Wohlstand

Diskotheken gab es 1972 auch. Das größte Kaufhaus dürfte in Deutschland wohl das KDW gewesen sein. Freizeitparks waren kaum vorhanden. Open-Air-Konzerte kannte man kaum. Der Wohlstand hat mehr Lebensqualität gebracht, aber auch mehr Begehrlichkeiten geweckt, mehr Bedürfnisse wurde durch die Unternehmen künstlich erzeugt. Schlemmen ohne Ende, Spaß haben ohne Ende. Und das oft in Massen.

Die Großstädte wuchsen und mit ihr die Angebote, bis wir die Mega-Citys sahen; nicht nur in Japan oder China. Immer mehr Menschen ballten sich auf kleinen Flächen freiwillig zusammen, weil dort das Leben pulsiert.

Wachsende Nachfrage, steigende Preise, nicht angepasste Löhne

Zwischen 1972 und heute stiegen nicht alle Priese explosionsartig. Schleichend stiegen Mitspiegel, Energiepreise, Preise für PKW, Kleidung und auch Nahrungsmittel. Die Umstellung auf den Euro verlieh einen zusätzlichen Schub. Immer häufiger ließ sich mit nur einem Gehalt die Familie nicht mehr ernähren, dazu kam der Emanzipationsdruck auf die Frau, die Erleichterung einer Ehescheidung, die politisch gewollte halbe Familie (Alleinerziehende).

Der Tribut der Hoheit über die Kinderbetten

Waren 1972 noch 85% der Haushalte durch einen Arbeitnehmer ernährt und ernährbar (auch, weil die Ansprüche geringer waren), sind es heute noch 12% der Haushalte. Gab es 1972 noch zahlreiche Haushalte, in denen ältere Geschwister unterstützen konnten, ist Familie heute ein 1,2-Kinder-Unternehmen geworden.

Geschlossene Grenzen? Zeit ist Geld! Jobs in Gefahr

1972 gab es sie noch: Die Grenzen, an denen Personen- und Güterverkehr kontrolliert wurde. Aber 1972 hat sich niemand darüber aufgeregt. Das hat gewiss auch daran gelegen, dass niemand online Waren bestellen und entsprechend erwarten konnte, sie müssten binnen 24 Stunden aus Portugal in den häuslichen Kleiderschrank oder ins Wohnzimmer geliefert werden. Auch hat sich damals niemand beklagt, dass nicht stets alle Obstsorten zur Verfügung stünden, die die Welt zu bieten hat. Niemand drohte damit, zukünftig woanders einzukaufen, wenn eine der 27 Sorten Tiefkühlpizza nicht vorrätig sei.

Die Börsen – Die Märkte

Geld regiert die Welt. Das galt auch 1972. Börsen gab es ebenfalls schon lange, den DAX noch nicht. Der wurde erst 1988 eingeführt. Bis dahin richtete man sich nach dem Index der Börsen-Zeitung. Alles lief ein wenig gemächlicher. Nichts in Echtzeit. Der Mensch steuert die Kurse, nicht irgendwelche Algorithmen, die in diesen Tagen Milliarden schneller verbrennen, als man ein Streichholz entzünden kann, die binnen Stunden Jahrzehnte alte Unternehmen in die Krise stürzen können, weil die einprogrammierte Gier der Aktionäre es so will.

Der Exportweltmeister Deutschland und Europas Importabhängigkeit

Verkauft haben wir immer schon viel. Aber noch 1972 wurden die meisten in Deutschland erzeugten Produkte im Inland verkauft und die meisten Waren, die wir benötigten (Erze ausgenommen) auch in Deutschland produziert. Deutsche Firmen produzierten in Deutschland für Deutsche, nicht in China für Chinesen und Deutsche. Nahezu alle großen Unternehmen war in der Eigner-Mehrheit in deutschem Besitz, heute ist das kaum eines der DAX-Unternehmen mehr.

Der medizinische Fortschritt seit 1972 ist gewaltig. In der Diagnostik und bei der Bekämpfung zahlreicher Krankheiten die vor 50 Jahren noch als unheilbar galten. Und dennoch standen wir offensichtlich Corona fast so machtlos gegenüber wie 1968 der Spanischen Grippe. Das ist gewiss mehr als nur merkwürdig.

Die Lehre aus Corona hätte lauten müssen:

„Think Bigger“ muss enden! Der Wahn des ständigen Wachstums und der unendlichen Möglichkeiten, des Rechts auf unendlichen Konsum. Wenn ich irgendwann einmal für immer die Augen schließe, ist es ganz egal, wie viele Urlaubsreisen ich gemacht und welches Wohlleben ich meinen Kindern geboten habe.

Doch diese Lehren wurden nicht gezogen, man wollte so schnell als möglich zurück zur alten “Recht auf Wohlstand”-Mentalität, zum “unendlichen Wirtschaftswachstum”, zurück zu alter Normalität, zurück ins Schlaraffenland. Mit dem Ukraine-Krieg ist dieser Traum jedoch endgültig geplatzt, doch noch immer wollen die wenigsten das wahrhaben.

Wir müssen zurück in die alte Verfasstheit. Mehr Grenzen, die Familie als Keimzelle der Gesellschaft; Gehälter, die Alleinernährer möglich machen. Weniger Konsum, weniger Produkte. Kleinere Gemeinschaften.

„One World“ wird der Tod der Menschheit sein!

Der Versuch, durch Wohlstand alle Menschen auf dieser Welt gleich zu machen, allen die Teilhabe an ihm zu ermöglichen, wird zerstören, nicht stabilisieren. Corona war der Anfang, ein Zeichen der Zeit, dass die meisten nicht als solches deuten wollten. Die aktuelle Kriegs- und Energiekrise plus der seit jahren schwelenden allgemeinen Wirtschaftskrise wird eine Weltgemeinschaft, die ihre Politik am “Alles muss wieder so werden, wie es war”-Modus ausrichtet, nicht überleben!

Sie wird sich aber solange so ausrichtet, wie sie erkennen muss, dass die Bürger der jeweiligen Nationen jeglichen Wohlstandsverzicht als Bedrohung empfinden. Sie wird zumindest den Schein wahren wollen, ihren Bürgern immerwährende Stabilität garantieren zu können. Hier beißt sich die Schlange in den Schwanz. Eine Giftschlange! Wie so ein Biss ohne Gegenmittel endet, ist hinlänglich bekannt!

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