Michael van Laack
Es gibt nur wenige Bücher, die abseitiges Wissen zu kirchlichen Traditionen und an Aberglauben grenzende „Volksfrömmigkeit“ bieten. Das im wahrsten Sinn des Wortes merkwürdigste und aus Sicht des einen oder anderen konservativen Katholiken auch umstrittenste Werk dieser Kategorie ist zweifellos Hanns Bächtold-Stäublis unter der eher als Federführung zu bezeichnenden Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer herausgegebene „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“. Denn bei nicht wenigen Artikeln verschiedenster Autoren, die Beiträge zu diesem Lexikon lieferten, wird nicht ganz klar, ob Spott oder lediglich der Wunsch, zu dokumentieren, sie bei der Abfassung leitete.
Der ein oder andere erinnert sich vielleicht: 2007 wurde der sogenannte Limbus (Vorhölle) offiziell für abgeschafft bzw. nicht existent erklärt. Jener „Ort“, an dem sich nach alter Tradition alle befanden bzw. befinden, die im Glauben an den einen Gott vor der Auferstehung Chrtisti verstorben sind (ausdrücklich genannt wurden z.B. die Propheten). Aber vor allem auch die Seelen jener Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt und somit ungetauft verstorben sind. Ebenso selbstverständlich jene aller abgetriebenen Ungeborenen.
Fegefeuer und Hölle? Wie unbarmherzig!
Aber auch das Fegefeuer (Purgatorium – Reinigungsort), in das nach kirchlicher Lehre alle Verstorbenen gelangen, die vor ihrer Aufnahme in den Himmel zeitliche Sündenstrafen abbüßen müssen, jagt den Theologen der jüngsten Zeit, die nach dem vom II. Vatikanischen Konzil beschlossenen „Neuen Pfingsten“ Gott nur noch die Atrribute „liebend“ und „barmherzig“ zugestehen wollen, einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken.
Gleiches gilt für die Hölle als „Ort“ der immerwährenden Gottesferne. Sie ist entweder leer (OK, Hitler ist vielleicht mit seinen Nazis und bereits verstorbenen AfD-Mitgliedern drin… aber sonst wirklich niemand) oder sie existiert ebensowenig wie der Teufel. Entsprechend brauchen wir dann auch keine (Schutz)-Engel, weshalb sowohl das gleichnamige Fest als auch die Feste der drei Erzengel Michael, Gabriel und Raphael bei nicht wenigen „frommen“ Priestern und Gläubigen kaum mehr Beachtung finden.
Ebenso ist es leider auch mit dem Allerseelenfest, an dem aller Verstorbenen gedacht wird. Sowohl jener, die schon bei Gott sind, als auch und besonders denen, für die wir Lebenden beten müssen, weil sie eben möglicherweise ihre zeitlichen Sündenstrafen noch nicht abgebüßt haben. Hier hinein spielt auch der Begriff des Ablasses. Für diese Lehre, die offiziell immer noch Gültigkeit besitzt, schämen sich freilich immer mehr „ökumenisch“ gesinnte Zivilgesellschafts-Katholiken.
Das sollte man vergessen, bevor man es gelesen hat!
Umso mehr dürften sich manche kopfschüttelnd und verständnislos die Augen reiben, dass es in dieser aufgeklärten und fortschrittlichen Zeit noch jemand wagt oder noch schlimmer – für sinnvoll hält – auf einem auch katholisch geprägten Blog Auszüge aus einen Werk wie diesem zu geben. Dafür kommt der Autor des Artikels sicher in die Hölle. Ach nein – Sorry, die gibt es ja gar nicht! Dann eben für 777 Jahre ins Fegfeuer. Obwohl… ach egal!
Langer Rede kurzer Sinn: Hier nun einige Informationen zu alten Gebräuchen rund um das Allerseelenfest, die sich im oben bereits erwähnten Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (Band 1: Aal-Butzemann, Berlin u. Leipzig, 1927) finden. Nicht alles bierernst nehmen bitte, schon gar nicht meine Überschriften; sondern bitte getreu dem Motto “Prüfet alles, das Gute aber behaltet!” lesen!
Für maximal 18 Stunden dürfen die Seelen das Fegefeuer verlassen
1. Ein allgemeines Seelenfest am 2. November ist 998 von Odilo von Cluny in allen Benediktinerklöstern angeordnet und 1006 von Papst Johann XIX. für die ganze katholische Christenheit eingeführt worden. Im Volksglauben und -brauch werden auch die umliegenden Tage mit einbezogen, wie überhaupt die dem Wiederkommen der Seelen eingeräumte Zeit viel länger ist. So dauert die bayrisch-österreichische Seelenzeit vom 30. Oktober bis zum 2. November. In der Oberpfalz freuen sich die Seelen das ganze Jahr auf diesen Tag und seine Oktav und zeigen sich oft 14 Tage vorher als kleine Lichtlein, damit man ihnen zu Hilfe komme.
Die Seelen haben schon vom Mittagsläuten am Allerheiligentag an Freiheit, das Fegefeuer zu verlassen und ihre alten Wohnungen wieder aufzusuchen. Am andern Morgen beim ersten Läuten müssen sie wieder von dannen. Anderswo beginnt das Läuten erst später – nachmittags oder abends oder um Mitternacht – und wird mitunter bis zum Mittag des Allerseelentages fortgesetzt. In Eweringen läuteten früher in der Nacht vor Allerseelen die Glocken fortwährend, wodurch man die flehenden Stimmen der Verstorbenen versinnbilden wollte.
Suizidwunsch kann durch aufgestellte Kerzen vererbt werden
2. Schon am Tag Allerheiligen werden die Friedhöfe gereinigt und die Gräber geschmückt. Am Abend beginnt der Besuch. Die Gräber werden, um die Qualen der Seelen im Fegefeuer zu lindern, mit Weihwasser besprengt und es werden Speisen daraufgestellt (Brot, Wein, Bohnen) und Kerzen oder Lämpchen darauf angezündet. An Gräbern von Selbstmördern darf kein Licht brennen, sonst werden die Kinder wieder Selbstmörder. Die Lichter sollen die Seelen anlocken und ihnen den Weg zum Ruheplatz ihres Körpers weisen; man sagt auch wohl, dass sie sich daran wärmten. Aber die Absicht, durch das Feuer eine sichernde Schranke zwischen sie und die Lebenden zu setzen, spricht auch mit. Um die Ortschaft Iglau herum soll das auf den Gräbern angezündete Licht die bösen Geister vertreiben.
Mehl hilft gegen Fegefeuer-Hitze
3. In den Häusern lassen die Angehörigen den Seelen der Ihrigen alle mögliche Pflege angedeihen. Auf dem Tisch bleiben Speise und Trank (Milch, Wasser, Brosamen) für sie stehen. Ins Feuer wird Mehl geschüttet zur Kühlung der Leidenden im Fegefeuer. Zu gleichem Zweck trinken die Leute kalte Milch, und die Hauswirtinnen spritzen den Mägden davon ins Gesicht, damit sie nicht schläfrig seien, wenn sie ins Gras gehen. Keine leere Pfanne darf über dem Feuer stehen, damit sich nicht eine arme Seele dareinsetze; und keine Ofengabel darf verkehrtherum hingestellt werden, denn das schmerzt sie. Man darf auch kein Messer mit der Schneide nach oben auf dem Tische liegen lassen, denn die armen Seelen müssten darauf sitzen.
Die Tür darf nicht knarren und nicht zugeschlagen werden. In den ostdeutschen und letto-russischen Gebieten wird den Seelen Gelegenheit zum Baden geboten. Auf dem Herd wird Feuer angezündet oder bleibt brennen; daran sollen sich namentlich die Seelen, die die »kalte Pein« leiden, erwärmen. Auf den Tisch in der Küche oder in andere Räume werden brennende Lichter gesetzt. Vor ihnen betet man für die Ruhe der Seelen; das Licht verhilft ihnen zum ewigen Licht.
Wessen Licht am ersten erlischt, der stirbt vor den andern. Die ganze Nacht hindurch brennt eine Lampe, die aber nicht mit Öl, sondern mit Fett oder Butter gefüllt ist, damit die Seelen ihre Brandwunden kühlen können. Bei den Esten ersucht am Schluss der Bewirtung in der Badstube der Hausvater die Seelen der Verwandten nunmehr ihres Weges zu gehen, sich aber zu hüten, auf das Roggengras zu treten und die Wurzeln zu verletzen.
Priestermangel? Kein Problem, die Erdmännchen zelebrieren!
4. Auch beim Gottesdienst in der Kirche werden Lichter für die armen Seelen angezündet. Für sie werden auch allerlei Speisen und Gebäcke an den Altären geopfert.
5. In dieser Zeit sind die Seelen überall zugegen. Sie gehen mit um den Altar und zum Opfer, wandeln um die Kirche herum und sitzen auf der Totenbahre. Weit verbreitet sind die Sagen von der Geistermesse in der Kirche, deren Besuch für die Lebenden gefährlich wird. Jeder Schmuck muss dabei von den Altären und Bildern entfernt sein, sonst würden die Toten alles in kleine Stücke zerreißen. Auf dem Oybin halten die Erdmännchen am Abend des Allerheiligentages Gottesdienst. Stellt man sich nachts auf einen Grabhügel, so sieht man alle, die im nächsten Jahre sterben sollen, über die Gräber gehen. Auch die Toten selbst nennen diejenigen, die im nächsten Jahre sterben.
Krötenwanderung ist heute Seelenwanderung
6. Die Seelen besuchen ihre Gräber, wandern als Lichter auf dem Kirchhof und schweben als Vögel um die Grabsteine. Man muss sehr vorsichtig sein, denn sie sitzen auf jedem Grashalm des Kirchhofes und auf allen Feldern und Wegen. In den Alpenländern werden sie als Kröten sichtbar, denen man daher nichts zuleide tun darf. Sie fahren im Wind durch die Luft und zeigen sich als weiße Nebel. Sehen können sie nur besonders begnadete Menschen; aber man kann sie um Mitternacht singen hören. Oder sie machen sich durch Knistern im Zimmer oder durch Ächzen unter der Erde auf dem Kirchhof bemerkbar. In der Umgegend von Dinan reiten sie die Pferde, die die Landleute auf den Feldern gelassen haben.
7. Wer sich im Dunkeln ins Freie wagt, muss sterben. Überhaupt ist die Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen voll von Spuk und Zauber, und alle Geister schalten frei. Der ewige Jäger zieht um. Versunkene Städte zeigen ihre Schätze und lassen ihre Glocken hören. Manche Verrichtungen sind am Allerseelentag verboten: Man soll kein Korn säen und nicht auf die Gemsjagd gehen. Solange ein Lumpen, am Allerseelentag auf einen Baum geworfen, hängen bleibt, ist das Vieh vor dem »Vermeynen« sicher. Durch das »Totenbahrenziehen« kann man alles erhalten, was man wünscht.
Geld- statt Ostereier-Suche
8. Für die Lebenden sind besondere Speisen vorgeschrieben. Die vegetabilischen und Milch überwiegen durchaus. Man glaubt damit den Seelen wohlzutun. Man bespritzt sich mit der Milch oder spritzt sie gegen den Herd, darf nichts davon verschütten und nicht zu viel davon essen. Im Moseltal wird am Allerheiligenabend in jedem Haus Hirsebrei gegessen; so viel Körner man isst, soviel Seelen befreit man aus dem Fegefeuer. Gebildbrote in verschiedener Gestalt werden in Menge angefertigt und an Familienmitglieder und Dienstboten verteilt.
9. Vor allem werden die Armen mit solchen Spenden bedacht, oft durch Stiftungen und Vermächtnisse. In Basel werden noch im 15. Jh. Stiftungen erwähnt »pro panibus super sepulchro ipso ponendis et postea pauperibus erogandis«. In Lüsen stellt man Milch und Krapfen am Vorabend des Allerseelentages nach dem Nachtessen auf den Tisch und lässt sie unberührt bis zum andern Tag stehen, wo sie an Arme verteilt werden. Anderswo macht man es ähnlich mit gekochten Bohnen. Übrigens wird in Tirol an die Hausarmen auch Flachs und Werg verabfolgt.
10. Auch für die Kinder fällt vieles ab. Sie werden (wie auch an Allerheiligen) von den Paten mit Brot und Kuchen beschenkt, ziehen aber auch – wie die Armen – von Haus zu Haus, singen und empfangen »um der armen Seelen willen« Gaben an Äpfeln, Getreide, Mehl, Schmalz, Geld, vor allem aber an Brot. In Ehingen a. D. suchen sie auf den Gräbern kleine Münzen, die Mutter oder Geschwister dorthin gelegt haben, und kaufen sich dafür »Seelenbirnen« oder Gebäcke.