Michael van Laack
„Der mehrheitlich bürgerliche Bundesvorstand hat heute seine eigene zeitnahe Liquidierung und die eigenen Leute zum zukünftigen Abschuß freigegeben. Wie könnt ihr nur so töricht sein?” schrieb ich Jörg Meuthen am Tag der Verkündigung der sogenannten “Auflösung” des Flügels, die der entweder zu gutgläubige, naive oder schon jede Hoffnung fahren gelassen habende damalige Erste Sprecher der AfD als Wendepunkt zu verkaufen suchte, der der Partei wieder ihr ursprüngliches liberalkonservatives Antlitz zurückgeben und den innerparteilichen Befürwortern einer anderen Republik das Wasser abgraben werde.
Die Geschichte ist bekannt: Seitdem hat der real immer noch existierende Flügel eskortiert von der “Patriotischen Plattform” Zug um Zug seinen Marsch durch die Parteigremien fortgesetzt. Mit der Wahl Chrupallas und Weidels zur Doppelspitze für den Bundestagswahlkampf war endgültig klar, das Freiheit mehr und mehr zur Worthülse verkommen würde und sich das innerparteiliche Mobbing gegenüber jenen, die dem Kurs der beiden Führer und des Lotsen im Hintergrund (Alexander Gauland) nicht folgen wollten, weiter verstärken würde.
Ein tröpfelnder Aderlass und dennoch ein großer Substanzverlust
Einige haben Fraktionen und Partei inzwischen verlassen, zuletzt Joana Cotar:
Einige werden noch vor Weihnachten oder zu Beginn des neuen Jahres folgen. Die meisten Mandatsträger werden allerdings auch entgegen ihrer Überzeugung bleiben und mitlaufen; die einen, weil sie finanziell auf möglichst viele Jahre im EP, im Bundestag oder in Landtagen angewiesen sind; andere, weil sie die Planung der eigenen Parteikarriere (noch) nicht aufgeben wollen; wiederum andere, weil sie immer noch glauben, die Vernunft werde am Ende siegen und die sogenannten Sozialpatrioten und nationalen Sozialisten nicht nur im Osten der Partei den Rücken kehren.
Vernunft jedoch wird in dieser Partei niemals die Oberhand gewinnen, solange der Nachschub an Unvernünftigen und politisch drittklassigen Kadern nicht fehlt – und der wird gewiss nicht fehlen, solange Gauland, Chrupalla, Weidel und Höcke den Ton angeben.
Denn es macht immer Sinn, als zweitklassiger Chef niemanden unter seinen Fittichen aufwachsen lassen, der ihn beerben könnte, weil ihn mehr als Augenhöhe gegenüber seinem Vorgesetzten auszeichnet. Zum anderen duldet der Flügel keine Abweichler in gehobenen Positionen. Da werden dann gern verbale Milzhaken verteilt, bis der Feindzeuge in spe frustriert aufgibt und die Partei verlässt oder sich ergibt, um dazuzugehören und nicht mehr “geschlagen” zu werden.
Historisches Halbwissen, Antiamerikanismus, Demokratieverachtung, Kaltherzigkeit
Tino Chrupalla hat gestern bei Lanz gezeigt, was in ihm steckt: Nichts! – Heiße Luft, Phrasendrescherei, Halbwissen (nicht nur historisch), sich widersprechende Aussagen; all das eben, was das Stimmvieh (also die ca. 65 % mit der sozialen Situation unzufriedenen Wechselwähler, denn die AfD-Kernwählerschaft dürfte nur ca. 6 % im Bundesschnitt betragen). hören will:
- Putin ist kein Kriegsverbrecher, solange kein Urteil über ihn gesprochen wurde, während zahlreiche US-Präsidenten dies Bezeichnung selbstverständlich auch ohne Prozess verdient haben.
- Noch nie wurde ein Krieg durch Waffen verkürzt.
- Die North-Stream-Pipelines wurden mit Hilfe der Amerikaner gesprengt.
- Russland hat nie künstlich das Gas verknappt.
- Putin hat nur deshalb Raketenangriffe auf die Ukraine befohlen, weil die Ukraine zuvor russisches Staatsgebiet angegriffen hat.
- Es muss zu keinem Holodomor kommen, wenn der Westen die Ukraine zu einem Friedensschluss bewegen kann.
Überlasst der SED 2.0 die Putinophilie
Mehr muss man nicht wissen. Obwohl es in der AfD eine große Minorität gibt, die in all diesen Punkten eine andere Auffassung vertritt, erweckt der Erste Sprecher in einer Talkshow den Eindruck, die AfD sei Putins Advokat in Deutschland.
Es wäre klüger, lieber Tino Chrupalla, solcherlei der Linkspartei zu überlassen. – Der gestrige Auftritt jedenfalls hat der Partei mehr geschadet als genutzt. Vor allem bei den Wechselwählern, denen immer klarer werden dürfte, dass die AfD auch kein Konzept hat, mit dem in der aktuell dramatischen Weltlage Deutschland durch stürmische See ins gelobte Land geführt werden könnte.
Gebt einem Kriegsverbrecher und Völkerrechtsbrecher, was er verlangt. Dann habt ihr warme Wohnungen. Jedenfalls so lange ihr dem russischen Präsidenten auch in anderen Fragen nicht widersprecht oder tut was ihm missfällt. – Die meisten Bürger verstehen, dass dieser Vorschlag nicht Teil der Lösung sondern Teil des Problems ist. Nur die Flügelkader feiern sich und Chrupalla für seinen gestrigen Auftritt ab. Und jene in der Partei, die nicht feiern, tun das, was sie immer tun: Schweigen, Abwarten und auf bessere Zeiten hoffen.