Peter Helmes
Das Umlageverfahren, nach der die Rentenversicherung in unserem Land finanziert wird, kann nur funktionieren, wenn genug Menschen in Deutschland Arbeit haben und Rentenbeiträge zahlen. Wichtig ist, daß das Verhältnis von Rentenbeziehern und Arbeitnehmern, also Beitragszahlern, stimmt. Darin liegt jedoch eine große Herausforderung.
Einerseits wird es weniger junge Menschen geben, die Beiträge zahlen. Andererseits gibt es mehr ältere Menschen, denen Geld aus der Rentenkasse zusteht. Der Grund: Wir bekommen in Deutschland weniger Kinder, wir leben immer länger und bekommen somit auch länger Rente. Dieser Prozeß heißt auch demographischer Wandel.
Obwohl die gesetzliche Rente die wichtigste Säule der Altersvorsorge bleibt, muß jeder für sich prüfen, ob er genügend für das Alter vorsorgt. Fest steht, daß eine auskömmliche Altersversorgung nur dann möglich ist, wenn man neben der gesetzlichen Rente zusätzlich privat vorsorgt. Dazu zählt man z.B. die Riester-Rente, eine betriebliche Altersvorge oder Ähnliches.
Die jetzt schon hohe Finanzierung der Rente durch Bundeszuschüsse wird mit ohnehin steigender Neuverschuldung zur Herausforderung. Der Bund müßte das Geld dafür anderswo einsparen oder Steuern erhöhen. Wissenschaftler des ifo-Instituts haben vorgerechnet, daß etwa der Mehrwertsteuersatz schon bis zum Jahr 2030 von 19 Prozent auf 23 Prozent steigen müsse, wenn die bereits jetzt absehbaren Zusatzkosten der Rentenversicherung nur darüber finanziert würden.
25 Prozent der Befragten erwarten Kollaps der staatlichen Rente
Das gesetzliche Rentensystem ist als fester Bestandteil des deutschen Sozialstaats zwar nicht per se gefährdet. Aber die fetten Jahre sind vorbei. Jüngere Menschen müssen damit rechnen, daß ihre Rente nur ein Teil ihrer Altersvorsorge sein kann. Deshalb müssen sie selbst vorsorgen. Viele Deutsche fürchten sich vor Altersarmut, wie eine Umfrage des digitalen Versicherungsmanagers Clark zusammen mit dem Befragungsinstitut YouGov ergab.
Besonders pessimistisch blicken Menschen zwischen 35 und 44 Jahren in die Zukunft: Jeder zweite Befragte dieser Altersgruppe fürchtet, über den Renteneintritt hinaus arbeiten zu müssen. Besonders alarmierend: Über alle Altersgruppen hinweg hält es jeder vierte Befragte für wahrscheinlich, daß das Rentensystem in Deutschland zusammenbricht.
Altersvorsorge braucht Zeit. Wenn sich der Durchschnittsdeutsche im Alter von derzeit etwa 44 Jahren über seine Rente Gedanken macht, sollte er zumindest das Jahr 2040 in den Blick nehmen. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit wird er kaum wesentlich früher in den Ruhestand treten.
Wie können die Renten finanzierbar bleiben?
Immer weniger Erwerbstätige müssen in Deutschland immer mehr älteren Menschen die Rente finanzieren. Dadurch gerät das Rentensystem ins Wanken. Aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland ist die gesetzliche Rentenversicherung erheblich gefährdet.
Jedes Jahr zum 1. Juli wird die gesetzliche Rente in Deutschland angepaßt – abhängig von der Lohnentwicklung. Am 13. April hat das Bundeskabinett eine Rentenerhöhung auf den Weg gebracht, die größte seit Jahrzehnten. Im Westen Deutschlands steigen die Altersbezüge danach um 5,35 Prozent, in Ostdeutschland um 6,12 Prozent. Außerdem erhalten etwa drei Millionen Menschen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, langfristig mehr Geld.
Über ein Viertel aller Neurentnerinnen und -rentner nutzen allerdings aktuell die Gelegenheit, nach 45 Beitragsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung mit 63 Jahren abschlagsfrei in Frührente zu gehen und liegt damit deutlich vor der Regelaltersgrenze. Gut ein weiteres Viertel geht auch mit Abschlägen von über acht Prozent vorzeitig in den Ruhestand. Damit wird die Debatte um eine Rentenreform und den Rentenbeginn wieder neu entfacht.
Wie wird die Rente finanziert?
Wie wird die Rente finanziert und welche Ansätze gibt es, angesichts des Personal- und Fachkräftemangels sowie der steigenden Lebenserwartung die gesetzliche Altersversorgung zu stabilisieren?
Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland wird durch ein Umlageverfahren finanziert. Das bedeutet, daß die laufenden Rentenzahlungen überwiegend durch Rentenbeiträge der aktuell erwerbstätigen Menschen finanziert werden. Gleichzeitig erarbeiten die aktuellen Beitragszahler sich selbst Ansprüche auf eine Rente, die dann wiederum die nachfolgenden Arbeitnehmer-Generationen finanzieren müssen. Dieses System wird auch Generationenvertrag genannt.
Deshalb wird die Rentenversicherung auch mit Steuermitteln bezuschußt. Sie decken rund 30 Prozent der Ausgaben und machen mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts aus. Doch die geburtenstarken Jahrgänge kommen jetzt erst ins Rentenalter. Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums sieht in einer Studie, die Anfang Juni 2021 vorgestellt wurde, „schockartig steigende Finanzierungsprobleme“ auf die gesetzliche Rentenversicherung zukommen.
Um die Gefahr zu bannen, daß die laufenden Einnahmen der Rentenversicherung eines Tages nicht mehr ausreichen, um die Rentenzahlungen zu finanzieren, gibt es verschiedene Ansätze, die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren.
Möglichkeit 1: Die Rentenbeiträge steigen – Erwerbstätige und Arbeitgeber zahlen mehr ein
Noch bis zum Jahr 2025 gilt die „Haltelinie“ für die Rentenbeiträge, die die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hatte: Sie dürfen bis dahin nicht auf mehr als 20 Prozent des Durchschnittsverdienstes steigen. Derzeit liegen die Rentenbeiträge bei 18,6 Prozent, die zur Hälfte von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite gezahlt werden. Das sogenannte Rentenniveau darf zudem nicht unter 48 Prozent sinken.
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Einschub: Rentenniveau
Das Rentenniveau ist ein statistischer Wert, der das Verhältnis einer gesetzlichen Standardrente (nach 45 Jahren Beitragszahlung auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens) zum aktuellen durchschnittlichen Einkommen einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmerin angibt. Es wird als Netto-Wert vor Steuern angegeben, also nach Abzug der durchschnittlichen Sozialabgaben aber ohne Berücksichtigung von Steuern. Über die tatsächliche Höhe einer individuelle Rente sagt das Rentenniveau nichts aus. Auch bedeutet ein Absinken des Rentenniveaus nicht, dass die Brutto-Renten sinken, sondern dass die Standardrente prozentual langsamer gestiegen ist als der Durchschnittsverdienst.
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Im Jahr 2020 hatte die Rentenkommission der Bundesregierung in ihrem Bericht empfohlen, die Haltelinien für Beitrags- und Rentenniveau über das Jahr 2025 hinaus fortzuschreiben. Beide sollen dann alle sieben Jahre neu festgelegt werden. Die Kommission sah dabei einen Spielraum von 20 bis 24 Prozent beim Beitragssatz und von 44 bis 49 Prozent beim Rentenniveau.
Auch fast alle Parteien wollen den Korridor für die Altersvorsorgebeiträge erweitern. Höhere Rentenbeiträge bedeuteten allerdings weniger Nettoeinkommen für Beschäftigte, ohne daß dies die Strukturprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung löse, betonte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), im Deutschlandfunk. Für die Arbeitgeber bedeuteten sie höhere Kosten. Er plädierte für stabile Sozialversicherungsabgaben und eine Gesamtbetrachtung des Reformbedarfs in Renten-, Pflege- Kranken- und Arbeitslosenversicherung.
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, erklärte im Dlf: „Wenn wir die Beiträge um einige Zehntelprozent erhöhen, dann sind das im Jahr keine 100 Euro, sondern im Durchschnitt irgendwas über 30 Euro. Lieber dieses, als dann Altersarmut, wie wir sie jetzt in Deutschland haben.“ Er forderte zudem eine Rentenreform, nach der auch Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen.
Möglichkeit 2: Das Renteneintrittsalter steigt – Erwerbstätige arbeiten länger
Nach aktueller Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis zum Jahr 2029 bereits schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Viele Experten fordern darüber hinaus eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters.
Axel Börsch-Supan, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, hatte diese Idee schon in der Rentenkommission als eine mögliche Option ins Spiel gebracht, um die längere Lebenserwartung in der Rente abzubilden. Die Kommission hat den Vorschlag jedoch nicht weiterverfolgt, sondern an der bislang geltenden Grenze von 67 Jahren festgehalten. Im Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums, das Bösch-Supan federführend schrieb, hat er den Vorstoß nun wieder untergebracht. Der Beirat fordert, daß die Lebensphase, in dem ein Mensch Rentenbezüge erhält, auf Dauer nicht von der allgemeinen Entwicklung der Lebenserwartung abgekoppelt werden dürfe.
Mit Blick auf die steigende Lebenserwartung müßten die zusätzlichen Lebensjahre „nach einer klaren Regel“ zwischen „mehr arbeiten“ und „länger Rente beziehen“ aufgeteilt werden. Wie das Gutachten aufführt, würde bei Anwendung dieses vorgeschlagenen dynamischen Modells das Renteneintrittsalter im Jahr 2042 dann 68 Jahre erreichen.
Auch andere Experten, etwa vom ifo-Institut, und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) schließen sich der Auffassung an, daß die gesetzliche Rentenversicherung ohne eine Anpassung der Lebensarbeitszeit an die zunehmende Lebenserwartung auf Dauer nicht finanzierbar ist.
Durchschnittliches Eintrittsalter in die Altersrente und gesetzliche Regelaltersgrenze
Der Abstand zwischen dem durchschnittlichen Renteneintrittsalter und gesetzlicher Regelaltersgrenze nimmt in Deutschland zuletzt wieder zu (Statista/Bund-Länder Demografie Portal)
BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kritisierte im Dlf zudem, daß die Politik immer mehr Ausnahmen von der Rente mit 67 zulasse:
Wir haben die Rente mit 67 vor längerer Zeit festgelegt, und seitdem rückt die Politik immer schrittweise davon ab und macht immer mehr abschlagsfreie Frühverrentungen. Ich glaube, der wichtigste Punkt ist, daß wir konsequent festhalten – an dem Ziel der Rente mit 67.
Die Frühverrentungen beträfen nicht nur Berufsgruppen wie Maurer, Bauarbeiter und andere, die körperlich arbeiteten. „Die entscheiden sich in der Regel, lang zu arbeiten“, so Kampeter. Wichtig sei, die Weichen für einen möglichen Anstieg des Renteneintrittsalters ab 2030 rechtzeitig zu stellen. In der Politik stieß der Vorstoß dagegen weitgehend auf Ablehnung.
Die Spitze der Unionsfraktion ist angesichts der aktuellen Diskussion über das Renteneintrittsalter offen für eine breite Debatte über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Er sei sicher, „daß mit steigender Lebenserwartung auch eine steigende Lebensarbeitszeit verbunden sein muß“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei.
Der stellvertretende Parteivorsitzende der FDP, Johannes Vogel, forderte eine weitgehende Flexibilisierung des Rentenalters. Niemand müsse den Menschen mehr vorschreiben, wann sie in Rente zu gehen hätten. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Diemtar Bartsch, plädierte im Dlf dafür, die Rente mit 63 bei 45 Arbeitsjahren nicht abzuschaffen und sprach sich für mehr altersgerechte Arbeitsplätze aus. Für ältere Menschen müsse die Attraktivität erhöht werden, weiterzuarbeiten. Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, er wolle, daß mehr Menschen erst mit 67 Jahren in Rente gingen. Es gelte, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten könnten.
Möglichkeit 3: Das Rentenniveau sinkt – Rentner erhalten weniger
Die im Koalitionsvertrag festgelegten Haltelinien für die Rente schreiben unter anderem vor, daß das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent des Durchschnittslohns sinken darf. Die Rentenkommission sah in ihrem Bericht 2020 einen Spielraum von 44 bis 49 Prozent beim Rentenniveau ab 2026. In der Politik ist eine Absenkung des Rentenniveaus aber derzeit zumindest kein Thema.
SPD und Grüne streben an, das Rentenniveau weiterhin bei 48 Prozent zu stabilisieren. Die Linke will das Rentenniveau sogar auf 53 Prozent anheben. Dafür schlagen sowohl SPD als auch Linke vor, die Gruppe der Beitragszahler zu erweitern, etwa um Selbstständige und Beamte. Die Grünen wollen die Frauenerwerbstätigkeit durch ein Rückkehrrecht auf Vollzeit erhöhen; auch ein „echtes Einwanderungsgesetz“ und eine Verbesserung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen helfen.
Möglichkeit 4: Der Bundeszuschuß steigt – die Steuerzahler zahlen mehr ein
Bereits jetzt zahlt der Bund etwa 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt als Zuschuß in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Wenn die Rentenversicherungsbeiträge und das Rentenniveau stabil gehalten werden sollen, müßte dieser Zuschuß stark ansteigen, warnt der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in seinem Gutachten.
Nach einer Prognose des ifo-Instituts müssten bei Beibehaltung der derzeit geltenden Haltelinien für Beiträge und Rentenniveau in Zukunft 60 Prozent des Bundeshaushaltes für die Rente ausgegeben werden. Auch ohne die Haltelinien würde die Finanzierung der Rentenkassen bis 2050 fast 40 Prozent des Bundeshaushalts beanspruchen.
Laut Marcel Fratzscher, Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, wird selbst diese Bezuschussung der Rente mit mehr als der Hälfte des Bundeshaushalts nicht ausreichen. „Das zeigt, wie dramatisch die Situation ist“, warnte er im Dlf. Die Prognosen sagten einen massiven Anstieg an Altersarmut voraus: Viele Menschen hätten unterbrochene Erwerbsbiografien und könnten gar nicht 42 Jahre Vollzeit einzahlen. Vor allem Frauen seien davon betroffen.
Marcel Fratzscher: „Meine Sorge ist, daß viele Menschen in Altersarmut fallen“
Der Ökonom Marcel Fratzscher rechnet damit, daß die Rente in 25 Jahren zu mehr als der Hälfte vom Bund bezuschußt werden muß. Doch selbst das würde nicht zur Stabilisierung reichen, warnte er im Dlf.
Hier das ganze Interview mit dem DIW-Präsidenten:
Notwendig seien gute Arbeitseinkommen, mehr Flexibilität beim Renteneinstiegsalter – und Zuwanderung. Zudem wird die Finanzierung der Bundeszuschüsse mit ohnehin steigender Neuverschuldung zur Herausforderung. Der Bund müßte das Geld dafür anderswo einsparen oder Steuern erhöhen. Wissenschaftler des ifo-Instituts haben vorgerechnet, daß etwa der Mehrwertsteuersatz schon bis zum Jahr 2030 von 19 Prozent auf 23 Prozent steigen müsse, wenn die bereits jetzt absehbaren Zusatzkosten der Rentenversicherung nur darüber finanziert würden.