Peter Helmes
Es war eine Zangengeburt: Nach mehreren Tagen hat der Republikaner Kevin McCarthy die Wahl zum Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses gewonnen. McCarthy wurde erst im 15. Anlauf gewählt, und zwar mit 216 zu 212 Stimmen – eine Stimmenzahl, die es ihm ermöglichte, Sprecher zu werden. Dies aber auch nur, weil sich einige Abgeordnete ihrer Stimme enthielten. Dem Wahlsieg McCarthys waren teils chaotische Sitzungen im Repräsentantenhaus vorausgegangen.
Der sogenannte „Speaker of the House“ des Repräsentantenhauses ist nun zwar der mächtigste politische Gegenspieler des US-Präsidenten von der demokratischen Partei, er geht aber arg gerupft aus den Wahlauseinandersetzungen heraus. Es ist das erste Mal seit 100 Jahren, daß ein Vorsitzender des Repräsentantenhauses nicht im ersten Anlauf gewählt wurde. Das langwierige Verfahren mit 15 Wahlgängen gilt als Zeichen für die interne Zerstrittenheit der Republikaner.
Scott Perry, der Unbelehrbare
Hauptbetreiber der rd. 20 innerparteilichen Gegner ist der 60-jährige Scott Perry als Vorsitzender des Freedom Caucus, eine besonders konservative Gruppe innerhalb der republikanischen Fraktion. 19 von 20 Gegnern Kevin McCarthys gehören dieser Gruppe an, die 2015 hauptsächlich von Anhängern der Tea-Party-Bewegung gegründet wurde.
Einer der Vorwürfe der internen Opposition gegen McCarthy war dessen schlechter Wahlkampf im November. Statt eine (republikanische) ‚rote Welle‘ auszulösen, gelang es ihm als Republikaner-Führer nur, einen leichten Vorsprung im Repräsentantenhaus zu erringen. Das Ziel, auch den Senat zu erobern, wurde verfehlt. – Der Kern der innerparteilichen Kritik an McCarthy hing aber vor allem mit dem Vorwurf zusammen, er stehe Donald Trump nicht treu gegenüber.
Hinter dem verfahrenstechnischen Konflikt im Repräsentantenhaus stand letztlich die Frage nach der Zukunft der Republikanischen Partei: Kehrt sie zu ihren Wurzeln zurück, wie es die gemäßigten McCarthy-Anhänger wünschen, oder bleibt sie ein Werkzeug in den Händen von Donald Trump, dem ein Sonderausschuß des US-Kongresses offen die Absicht vorwirft, die amerikanische Demokratie zerstören zu wollen, um an der Macht zu bleiben.
Trumps Pitbulls haben sich selbst von der Leine gelassen
Wie viele andere opportunistische Politiker mußte auch Kevin McCarthy feststellen, daß die Rechtsaußen nicht so leicht zu kontrollieren sind. Seine Gegner sind nicht an der Gesetzgebung und dem Regieren interessiert, sondern an Sabotage und Behinderung.
So können sie in ihrem eigenen Paralleluniversum aus Talkradio, rechtsgerichteten Fernsehsendern und sozialen Medien glänzen. Das Chaos in Washington läßt denn auch das Schlimmste für die nächsten zwei Jahre befürchten. Es ist besorgniserregend, daß in einer Zeit, in der die Welt in einer Krise steckt, einer kleinen Gruppe von Extremisten eine solche Schlüsselposition zugefallen ist.
Vor allem aber ist deutlich geworden, daß Trump selbst bei diesem großen politischen Drama ins Abseits geraten ist und daß sein Einfluß schwindet. Er ist zwar wohl immer noch der Favorit als Kandidat der Republikaner für die Präsidentschaft. Seine Kernanhängerschaft besteht weiter. Aber er hat eben nicht mehr dieselbe Macht über die Vertreter der Partei wie früher. Gegner widerstanden ihm tagelang und in zahlreichen Abstimmungen, unabhängig davon, was er sagte.
Akute Gefahr abgewendet, doch die Zukunft der Republikaner ist düster
Für diese Gegner ist auch McCarthy Teil des politischen Establishments, das sie bekämpfen. Sie wollen eine radikale Kehrtwende, und sie wollen ihren Wählern berichten, daß sie sich dem verhaßten Washington entgegenstellen. Nur: War es nicht Trump, der in Washington alles auf den Kopf stellen und den angeblichen Sumpf trockenlegen wollte? Jetzt ist aber lediglich deutlich geworden, wie dysfunktional, handlungsunfähig und gespalten die Republikaner sind.
Mit dieser Wahl konnten die Republikaner knapp verhindern, daß sich die Berichterstattungen der US-Medien an diesem Wochenende auf den blamablen Zustand ihrer Partei konzentrieren. Aber ehrlich gesagt: Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Zugeständnisse McCarthy bis zu seinem Wahlerfolg machen mußte. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Sprecher in den kommenden Monaten im Prozeß der Gesetzesbildungen halten kann.
Das Sprecheramt ist auf lange Sicht beschädigt
McCarthy hat das Amt des Speakers korrumpiert und korrodiert, bevor er es überhaupt übernommen hat. Als Marionette der Ultrarechten hat McCarthy jetzt null Handlungsspielraum. Jedes einzelne Gesetzesvorhaben – Budget, Ukrainehilfe, Wirtschaftsprogramme – ist davon abhängig, ob die extremsten der Extremen den Daumen nach oben halten. Oder nach unten. Das ist nicht nur für die USA eine beunruhigende innenpolitische Entwicklung, sondern muß auch den ausländischen Verbündeten – egal ob im wirtschaftlichen oder im militärischen Bereich – Anlaß zu großer Sorge geben.
McCarthy hätte auch eine andere Strategie wählen können, nämlich mit den Demokraten zu verhandeln. Sie hätten ihm leicht die Stimmen geben können, die er braucht, um Sprecher zu werden – im Austausch für Zugeständnisse. Aber Überparteilichkeit ist in McCarthys Fraktion ein Fremdwort. Diese Kapitulation hat das Repräsentantenhaus zu zwei Jahren – oder mehr – Stillstand verdammt.
Ein permanentes Haushaltsschaos ist äußerst wahrscheinlich
Es besteht kein Zweifel daran, daß der Kongreß als Ganzes in den kommenden zwei Jahren Schwierigkeiten haben wird, selbst seine grundlegendsten Aufgaben zu erfüllen – wie etwa die Entscheidung über den Haushalt der Regierung, einschließlich des Militärs. Der Streit um den Vorsitzenden brachte das Repräsentantenhaus zum Stillstand und macht das Gremium im Grunde nutzlos.
Der Wahlkrimi im Washingtoner Kongreß hat gezeigt, daß etwas in diesem System nicht stimmt. Die amerikanische Politik befindet sich heute wieder in einer ernsthaften Krise. Die Entfremdung zwischen den politischen Eliten und dem Volk ist ernst zu nehmen. Auch die internationale Gemeinschaft muß alarmiert sein. Die amerikanische Demokratie heute ist von einer kleinen Gruppierung von Extremisten gekapert. Sie ist dabei, immer weiter von ihren Idealen abzurücken.